Der Hund als Vorbild. Renke Brandt

Hund statt Mann

Kinder, Familie, Partner: Die gesellschaftliche Erwartung ist, dass Frauen dieses klassische Modell leben. Aber was, wenn ein anderer Lebens­entwurf glücklicher, gesünder macht?

Von Stefanie de Velasco, 29.03.2024

Vorgelesen von Miriam Japp
0:00 / 15:44

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«Claudia hat ’nen Schäferhund, und den hat sie nicht ohne Grund. Abends springt er in ihr Bett, und dann geht es rund», röhrten die Jungs aus meiner Klasse in den 90ern und stiessen dabei diesen eigentümlichen Geruch aus, den sie in der Pubertät verströmen – eine Mischung aus Talg und überreifen Bananen.

Beides ekelte mich gleicher­massen an: der Song und der Jungsduft. Schon damals als junges Mädchen wollte ich einen Hund haben, ein warmes Fellwesen, das mich lieb hatte und mit dem ich draussen durch die Brachen und Felder streifen konnte, die unsere Neubau­siedlung umgaben. Ja, auch einen, mit dem ich mich ins Bett verkriechen würde, wenn meine Eltern im Wohnzimmer stritten. Auch später, als junge Erwachsene, sehnte ich mich nach einem Hund, wenn ich mal wieder einen Typen datete, der sich als Psycho entpuppte.

Kindern und Männern ist dieser Wunsch erlaubt. Die Popkultur ist voll von Lassies, Struppis, Idefixen – und von Männern und Kindern, die ein ungehemmt liebevolles Verhältnis zu Hunden pflegen. Sie werden als empathisch und natur­verbunden inszeniert: Der Trapper, der sich von der Zivilisation abwendet und mit seinem Hütehund in einer Wald­blockhütte lebt – er verkörpert nicht nur die Natur, sondern auch unser Unbehagen gegenüber dem Kapitalismus. Und Lassies Rückkehr rührt mehr Erwachsene zu Tränen als die Geschichte von der Rückkehr des verlorenen Sohnes.

Doch wehe, eine Frau lebt so. Dann muss dahinter, wie bei Claudia, etwas Perverses stecken.

Zur Autorin

Stefanie de Velasco, geboren 1978, ist Schrift­stellerin und Schau­spielerin. Ihr Debütroman «Tigermilch» (2015) wurde in mehrere Sprachen übersetzt, auf verschiedenen Theater­bühnen aufgeführt und als Kinofilm adaptiert. Anfang März erschien ihr neuster Roman «Das Gras auf unserer Seite». Stefanie de Velasco lebt in Berlin.

Stefanie de Velasco und Pinsel. Anne Gabriel-Jürgens

Diese Abwertung bekomme ich häufig zu spüren, denn ich lebe inzwischen schon viele Jahre mit einem Hund zusammen. «Schlampe mit ihrem verdammten Köter», rief mir erst neulich jemand auf einem E-Bike hinterher. Na klar. Hätte ich einen Mann an der Hand oder ein Kind, dann wäre ich einfach nur eine normale Frau, die spazieren geht, aber so muss ich eine gestörte, frigide, egoistische, unfruchtbare crazy Bitch sein, die keinen ordentlichen Typen abgekriegt hat, marypoppinsmässig die Vögel füttert und ihren Hund abends vor lauter Einsamkeit ins Bett holt, um wenigstens ein bisschen Wärme zu bekommen – dabei laufen insbesondere seit Pandemie­beginn immer mehr Frauen mit einem Hund durch den Park. Ich jedenfalls habe in der Zeit besonders viele kennengelernt.

Wie eine Hülle

Zum Beispiel Hanna. Wir sind Nachbarinnen, aber ohne die Hunde wären wir vielleicht nie Freundinnen geworden. Ich weiss noch, wie ich Hanna und ihren Hund Suko vor zwei Jahren zum ersten Mal traf. Sie war gerade erst nach Berlin gezogen und hatte Suko vom Tierschutz übernommen. Er lief mit eingezogenem Schwanz, stumpfem Fell und kaputten Band­scheiben durch die Strassen (inzwischen glänzt sein Fell, und in der Hunde­chatgruppe heisst er nur noch «der Hausmeister», weil er dominanten Kollegen gern barsch Grenzen setzt!).

Lange lebte Hanna mit ihrem Freund in der Nähe von Österreich im klassischen 2-Zimmer-Paar-Modell. Schon damals wollte sie einen Hund haben, aber der Vermieter erlaubte es in der Einlieger­wohnung eines Privat­haushalts nicht. Ihr Freund wollte Kinder, Haus, Hochzeit. Das volle Programm halt. Alles schien den üblichen Weg zu gehen. Auf einem unserer gemeinsamen Gassigänge erzählte Hanna mir, wie sie anfing, sich zu fragen, ob das auch ihre eigenen Wünsche waren, und dass sie sich damals wie eine Hülle fühlte, so, als ob es gar nicht um sie ging, sondern eher Zufall war, dass sie die Frau sei, mit der man das jetzt machen würde. Ich weiss noch, wie ich einen Kotbeutel hervorholte, während sie sprach, mich bückte – und wie mein Hund mir dabei zusah, als würde er sich fragen, warum zur Hölle ich seine Scheisse aufhebe.

Mann, Kinder, Familie. Auch ich dachte lange, das sei meine Zukunft. Ohne gross gegenzuchecken, ging ich davon aus, dass mich das vorgelebte Modell glücklich machen würde. Ich probierte einen Typen nach dem anderen aus, mal trennte ich mich, dann wieder wurde ich verlassen. So ging das ewig. Irgendwann würde schon der Richtige kommen, glaubte auch ich ernsthaft und fragte mich nie, wie ich wirklich leben wollte, ob es vielleicht auch einen anderen Entwurf für mich geben könnte.

Ich war Anfang dreissig und versuchte gerade, meine damalige Beziehung halbherzig zu kitten, als ich ungewollt schwanger wurde. Ich entschied mich, ohne zu zögern, für einen Abbruch. Er brachte etwas Heilsames mit sich, weil ich mich durch die aktive Entscheidung gegen Mutterschaft fragte, wie ich wirklich leben möchte.

Nach der Abtreibung machte ich Ernst – mit dem Hunde­wunsch, den ich schon als Kind gehegt hatte. Im Winter 2011 kam Pinsel über den Tierschutz zu mir. Genau wie Suko war er am Anfang ängstlich und ständig krank: Infekte, Parasiten. Bald ging es ihm besser und mir auch. Kein Drama, kein Bullshit mehr wegen irgendwelcher Kerle. «Alleinsein ist schön. Mit Hund allein sein ist doppelt schön», steht in meinen Morgen­seiten aus dieser Zeit.

Endlich glücklich

Mein Leben änderte sich von Grund auf: Bis dahin hatte ich meine Nachmittage auf der Couch verbracht und immer lange geschlafen. Plötzlich musste ich jeden Morgen früh raus. Tagsüber unternahm ich lange Spaziergänge bei Wind und Wetter, ich streifte durch die Strassen und Parks, nahm mir Lesestoff mit, fing mit dem Schreiben an. Das Beste: Auf der Strasse wurde ich plötzlich in Ruhe gelassen. Kein Catcalling, kein Gegrabsche, kein Gibst-du-mir-deine-Nummer-Gelaber. Ich fühlte mich wie eine der Protagonistinnen in C. S. Lewis’ Kinderbuch­klassiker «Der König von Narnia», als hätte ich genau wie dort durch einen Kleider­schrank eine Welt betreten, die schon immer ganz in der Nähe existiert hatte, nur nicht für mich.

Eine nie gekannte Grund­souveränität erfasste mich bei meinen Gängen durch die Strassen. Plötzlich verstand ich die Leichtigkeit der Flaneur­literatur – Texte wie «Der Spaziergang» von Robert Walser, die mir genau wie Narnia nie zugänglich waren, weil meine Wahrnehmung als Frau allein auf den Strassen eher einem Spiessruten­lauf als einem entspannten Spaziergang glich. Ich spürte: Der Hund war nicht nur mein Gefährte geworden, sondern auch ein Raum­erweiterer, der mich sicher und mit Freude durch die Strassen spazieren liess. Ich war zum ersten Mal in meinem Leben richtig glücklich, weil ich so lebte, wie ich es schon immer gewollt und mich nur nicht getraut hatte.

Wie wollen wir leben?

Die Frage klingt banal, aber Frauen lernen, Angst zu haben vorm Leben jenseits der Kernfamilie – egal ob gewollt als Single, offen polyamor, kinderlos in einer Paarbeziehung, in einer Patchwork­familie, in einer platonischen Beziehung, mit Hund oder sonstwie ausserhalb der Norm. Und das, obwohl Studien zeigen, dass gerade kinderlose und nicht verheiratete Frauen am glücklichsten sind und auch am längsten leben, während Männer von Ehe und Kernfamilie profitieren. Ehemänner verdienen mehr, riskieren weniger und leben auch etwas länger, Mütter hingegen nicht.

Die Soziologin Emily Grundy sieht die Gründe dafür im Mehraufwand, den Frauen in hetero­sexuellen Beziehungen mit gleichem Haushalt leisten: Es sind hauptsächlich Frauen, die sich um Kinder und Haushalt kümmern, Probleme in der Beziehung ansprechen und nach Lösungen suchen. Frauen mit Kindern sind nicht nur unglücklicher, sondern haben auch ein erhöhtes Risiko für psychische und physische Erkrankungen. Viele geraten durch die Mehrfach­belastung in finanzielle Abhängigkeit zum Partner, und es sind fast immer Frauen, die in solchen Beziehungen Gewalt und Isolation erleben. Auch Hobbys, Sport, Freundinnen (ohne Kinder) treffen, eine Nacht durchtanzen – geht oft alles nicht.

Auf ihren Platz verwiesen

Sind Hunde also die besseren Partner?

Das habe ich Hanna gestern gefragt, und wir mussten beide erst einmal laut lachen und impulsiv nicken, dabei sind wir beide inzwischen auch schon lange wieder in Paar­beziehungen – also, mit Menschen. Wir warfen ein paar Bälle, versteckten Kartoffel­stücke, die die Hunde aufspüren sollten. Es gehe nicht darum, sich um jemanden zu kümmern oder um einen Mangel auszugleichen, sagte Hanna irgendwann. Das Leben mit Hund, es ist das richtige für mich. So wie viele Frauen immer schon einen starken Kinder­wunsch hatten und aufgehen in der Mutterrolle, bin ich eine Hundefrau. Was mich nur ärgert, ist die Hierarchisierung dieser Lebensstile, und dann erzählt sie mir, dass sie gelesen habe, im Iran sei das Leben mit Hunden bald verboten.

Dies ist insofern überraschend, als dass der Iran schon 1948 als eines der ersten Länder im Mittleren Osten ein Tierschutzgesetz auf den Weg gebracht hatte, das mit der Revolution von 1979 jedoch wieder ausser Kraft gesetzt wurde. Inzwischen leben nicht nur Hunde, sondern auch ihre Besitzerinnen im Iran gefährlich. Seit 2019 ist Gassigehen im Iran verboten und wird mit bis zu drei Monaten Haft geahndet. Ein komplettes Verbot von Hunden und anderen Haustieren wird derzeit diskutiert.

Das Zusammen­leben mit Tieren wird als zerstörerisches gesellschaftliches Problem angesehen, das die iranische Lebensweise allmählich verändern könnte, indem es menschliche und familiäre Beziehungen durch emotionale Beziehungen zu Tieren ersetzt. Deswegen trifft man bei den Protesten gegen das Mullah-Regime auch immer auf Hunde­halterinnen. Die Filme­macherin Solmaz Gholami hat über diese erschwerten Bedingungen der Hunde­haltung im Iran einen Dokumentarfilm gedreht und zeigt dabei auch Menschen, die sich dem als Form des zivilen Ungehorsams gegen das Mullah-Regime widersetzen.

Auch wenn die Drastik der Massnahmen im Iran nicht ansatzweise mit der ordinären Häme eines «Claudia»-Songs zu vergleichen ist – die Intention ist doch verblüffend ähnlich. Wie ein Hund will das Patriarchat mit solchen Volks­liedern sein Revier abstecken und Frauen auf ihren Platz verweisen: hetero­sexuelle Paar­beziehungen, Kinder und karitative, kostenlose Kümmer­arbeit. Frauen, die mit Hunden leben, markiert man als sexuell pervers, dabei sollte doch eher die vermeintlich freie, liberale Gesellschaft, die Frauen auf diese Art abwertet, problematisiert werden.

Denn die soziale Realität ist eine andere: In hetero­sexuellen Paar­beziehungen erleben Frauen nicht immer Lust und Liebe, sondern häufig Gewalt oder einfach nur Langeweile – egal ob in Europa oder im Iran. Durch den Hund gewinnen viele Frauen Freiheiten zurück, durch ihn entsteht eine Form von Gemeinschaft, in der Frauen Souveränität erfahren, die ihnen zuvor vielfach verwehrt wurde, und ein Raum, in dem mit Lebens­entwürfen fernab von Traditionen experimentiert werden kann. Nicht weil der Hund da ist, sondern weil durch ihn wieder eine Verbindung hergestellt wird – zur Nachbarschaft, zur Natur, zu sich selbst.

Wir alle wollen Nähe, klar. Aber nicht in einer engen, starren Heimeligkeit, die uns abverlangt, uns auf eine extrem problematische Weise aufzugeben.

Dann doch lieber gleich einen Hund, sagt Hanna und wirft einen Ball. Eine Weile laufen wir schweigend nebeneinanderher. Natürlich geht es nicht darum, sich unbedingt einen Hund anzuschaffen. So ein Haustier macht wahnsinnig viel Arbeit, vor allem im Alter werden sie wie wir Menschen häufig krank. Mein Hund Pinsel ist gerade dreizehn geworden, das sind einundneunzig Hunde­jahre. Er leidet an einer chronischen Magen­erkrankung, braucht Spezialfutter und viel Pflege.

Inzwischen schränkt mich dieses Hunde­leben auch enorm ein, muss ich zugeben. Aber nur durch den Hund bin ich letztlich dahin gekommen, wo ich immer hinwollte: zu einer authentischen Verbindung mit meiner Umwelt und mir selber, zu einem entspannten Verhältnis mit meinen individuellen Ansprüchen und Bedürfnissen an das Leben – ohne reflexartig den Weg einzuschlagen, der als Frau für mich vorgesehen zu sein scheint.

Aber was, wenn …?

Es ist perfide. Die vermeintliche Liebeszelle der Kernfamilie wird politisch und medial als Schutzort inszeniert, obwohl dort die grössere Gefahr herrscht, während das Draussen, in dem sich allein­stehende Frauen bewegen, als Gefahrenort dämonisiert wird. Frauen sind verdammt dazu, sich aufzureiben – im Job, als Mutter, in der Familie. Lehnen sie sich dagegen auf, werden sie in die Rolle der Raben­mütter gedrängt, der Versagerinnen, der frigiden Partnerinnen. «Der Motor des kapitalistischen Patriarchats wird mit dem schmutzigen Kraftstoff weiblicher Scham betrieben», schreibt Laurie Penny in ihrer «Bitch Doktrin»; Frauen sollen sich, anders als Männer, anstrengen, in jedem Bereich ihres Lebens die hohen Ansprüche zu erfüllen, die die Gesellschaft an sie stellt.

Es gibt keinen klassischen Männerplatz, den Hunde nicht einnehmen können. Renke Brandt

Aber was, wenn Frauen gar keine Lust darauf haben? Wenn wir das an uns delegierte Credo der Reproduktion nicht erfüllen wollen, sondern es gegen das der Regeneration tauschen?

Hanna und ich steigen auf den höchsten Punkt des Parks. Ein künstlich angelegter Wasserfall entspringt hier. Seit wenigen Tagen rauscht das Wasser wieder durch die Pumpen bis an den Fuss des Parks, der Frühling beginnt, überall spriesst es. Die Hunde stecken ihre Pfoten in das eiskalte Nass, schütteln sich. Ein Habicht thront hoch oben in einer Baumkrone. Wie ein satter König blickt er über die Stadt. Souverän geniesst er den Ausblick, genau wie wir.

Hanna nimmt ihre Brille ab, putzt sie gründlich, lächelt mir zu. Ich weiss, was sie denkt: Niemand hetzt uns, niemand treibt uns an, niemand zwingt uns, Brotdosen zu packen oder zum Elternabend zu gehen. Schön, oder? Jedenfalls für uns. Auch wir müssen arbeiten, unseren Pflichten nachgehen, aber vorher drehen wir unsere Runde mit den Hunden – es ist unser Lebens­entwurf, unser Glück.

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