Andreas Glarner darf als Rechtsextremist bezeichnet werden
Der Aargauer SVP-Nationalrat hört deutliche Worte eines Strafrichters in Bremgarten. Glarner ist mit seiner Klage gescheitert – und kündigt sofort an, das Urteil anzufechten.
Von Brigitte Hürlimann, 07.02.2024
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Es geht um einen Tweet, verfasst von Journalist und Medienberater Hansi Voigt, Ex-Chefredaktor von «Watson» und Ex-Chefredaktor bei «20 Minuten online». Voigt veröffentlicht im Dezember 2022 auf Twitter (heute X) folgenden Text:
«Wir sollten aufhören, uns darüber zu empören, was ein Gaga-Rechtsextremist wie Glarner sagt, der im Parlament völlig wirkungslos ist. Wir sollten uns darüber empören, dass CH MEDIA einem wirkungslosen Parlamentarier dauernd eine Bühne gibt und so extreme Positionen ‹einmittet›.»
SVP-Nationalrat Andreas Glarner reicht wegen dieses Tweets Strafanzeige ein. Er wehrt sich vor allem dagegen, als Rechtsextremist bezeichnet zu werden.
Die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten schliesst sich seiner Auffassung an und verurteilt Voigt per Strafbefehl wegen übler Nachrede und Beschimpfung. Der Tweet-Verfasser kassiert eine bedingte Geldstrafe und eine Busse. Er akzeptiert die Verurteilung nicht, weshalb sich am Mittwochvormittag in Bremgarten der parteilose Bezirksgerichtspräsident Lukas Trost über den Fall zu beugen hat. Schlichtungsversuche zwischen den Parteien sind zuvor gescheitert.
Und so stehen sich also Hansi Voigt als Beschuldigter und Andreas Glarner als Anzeigeerstatter in einem öffentlichen Strafprozess gegenüber. Die Staatsanwaltschaft glänzt durch Abwesenheit. Glarner verzichtet auf einen Rechtsbeistand und spricht für sich selbst (was vielleicht keine gute Idee ist), Voigt hingegen überlässt das Plädieren seinem Verteidiger Manuel Bertschi.
Gerichtspräsident Trost befragt den SVP-Nationalrat als Auskunftsperson und versucht herauszufinden, was ihn am Begriff Rechtsextremist störe.
Glarners Antwort: Rechtsextremist sei jemand, der Gewalt anwende, Anschläge verübe und sich ausserhalb der demokratischen Grundordnung bewege. Das Volk verstehe unter Rechtsextremisten jene Personen, die nationalsozialistische Ideologien vertreten würden.
«Das lasse ich nicht auf mir sitzen. Ich bewege mich im rechtsstaatlich-demokratischen Fundament, bin gewählter Nationalrat, Mitglied der grössten Partei der Schweiz. Ich halte mich ans Parteiprogramm. Ich wurde noch nie verurteilt. Alles, was ich tue, ist rechtens.»
Wie er sich im Parteiengefüge einordne, zwischen links und rechts, will der Gerichtspräsident wissen.
«In der Mitte von rechts», antwortet Glarner.
Und wer denn rechter politisiere als er?, hakt Lukas Trost nach.
Da fällt dem SVP-Nationalrat nur noch ein einziger Name ein: Marcel Dettling, Schwyzer Nationalrat und designierter Präsident der SVP Schweiz. Seine Wahl im März dürfte eine reine Formsache sein. Am gleichen Ort wie er, also in etwa gleich rechts, führt Glarner weiter aus, politisierten Toni Brunner, Pirmin Schwander oder Yvette Estermann.
Hansi Voigt wird anschliessend als Beschuldigter befragt und betont, er würde nie die ganze SVP als rechtsextremistisch bezeichnen und Glarner nicht als einen Nazi-Sympathisanten.
«Doch wer am rechten Ende einer sehr rechten und populistischen Partei politisiert, muss sich den Begriff Rechtsextremist gefallen lassen. Glarner verfolgt extremistische Positionen. Mein Tweet war nicht unüberlegt, ich gehe sorgfältig und bewusst mit Wörtern um. Für den Begriff ‹Gaga› habe ich mich entschuldigt, für den Begriff ‹Rechtsextremist› kann ich mich nicht entschuldigen. Ich wüsste nicht, wie man Glarner besser bezeichnen könnte.»
Verteidiger Manuel Bertschi verlangt aus unterschiedlichen Gründen einen Freispruch für Hansi Voigt.
Erstens, weil das Strafrecht nur die Ehre im menschlich-sittlichen Bereich schütze, nicht Äusserungen, die den Beruf beträfen. Voigts Twitter-Botschaft beziehe sich klarerweise auf die politische Tätigkeit Glarners – nicht auf seine Person. Politiker müssten sich scharfe Worte und Meinungen gefallen lassen. Das gelte auch für den «wohl extremsten Parlamentarier der Schweiz».
Zweitens seien Rechtsextremisten und Nationalsozialisten nicht gleichzusetzen. Voigt habe Glarner nie als Neonazi bezeichnet.
Und drittens entspreche die Behauptung, Andreas Glarner sei ein Rechtsextremist, der Wahrheit.
Unter diesem brisanten Punkt – die Wahrheit – listet Rechtsanwalt Bertschi eine Reihe von Äusserungen und Handlungen auf, die belegten, dass der SVP-Nationalrat rechtsextremistisch politisiere. Um nur einige zu nennen:
2007 unterscheidet Glarner in Plakatkampagnen zwischen Schweizern und Muslimen und unterstellt den Muslimen eine generelle Gewaltbereitschaft.
2009 tritt er der deutschen Organisation Pro Köln bei, die seit 2004 unter Rechtsextremismus-Verdacht stand und später vom Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen als rechtsextremistische und verfassungsfeindliche Organisation eingestuft wurde.
2013 setzt er eine Prämie für die Enttarnung eines 23-jährigen Sozialhilfebezügers aus.
2018 veröffentlicht er die Namensliste einer Dübendorfer Klasse, um aufzuzeigen, wie viele Kinder ausländischer Herkunft seien.
2019 veröffentlicht er den Namen und die Telefonnummer einer Zürcher Lehrerin, weil sie muslimischen Kindern erlaubt hatte, während des Fastenbrechens der Schule fernzubleiben.
2020 publiziert er auf Facebook zwanzig Vornamen von Aldi-Lehrabgängern und mokiert sich darüber, diese seien keine «richtigen» Schweizer.
2020 verunglimpft er Nationalrätin Sibel Arslan vor laufender Kamera und unterstellt ihr implizit, ebenfalls keine «echte» Schweizerin zu sein.
2023 postet er auf Twitter die Einladung zu einem Gendertag in Stäfa und fordert die Entlassung von Behördenmitgliedern und der Schulleitung.
2023 veröffentlicht er ein KI-generiertes Video, in dem er Nationalrätin Arslan fremdenfeindliche Aussagen in den Mund legt. Das Basler Zivilgericht stellt eine Persönlichkeitsverletzung fest.
Wer das Gleichheitsprinzip aller Menschen infrage stelle und völkisch argumentiere, so das Fazit des Verteidigers, der handle als Rechtsextremist.
Andreas Glarner hört sich diese Worte mit wachsendem Unmut an. Und widerspricht, in jedem einzelnen Punkt. Er lasse sich nicht mundtot machen. Man dürfe wohl noch sagen, dass die Ausländer «unser Land fluten». Über die Ausländerkriminalität sprechen oder den hohen Anteil von ausländischen Tätern bei häuslicher Gewalt. Und dass der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán gut zu seinem Volk schaue.
Kurz vor dem Mittag eröffnet der Gerichtspräsident sein Urteil. Er spricht Hansi Voigt frei.
Der Begriff des Extremismus sei uneinheitlich, sagt Lukas Trost. Im konkreten Fall werde Andreas Glarner in einem politischen Diskurs als Politiker umschrieben – gestützt auf seine politische Erscheinung und in sachbezogener Weise. Es gehe auch um seinen Politstil.
Das Bundesgericht sage klar, «dass in der politischen Auseinandersetzung eine Ehrverletzung nur mit grosser Zurückhaltung anzunehmen und im Zweifelsfall zu verneinen ist. Im politischen Diskurs sind Übertreibungen und scharfe Formulierungen gesellschaftlich akzeptiert.»
Der strafrechtliche Schutz greife erst, wenn jemand nicht als Politiker, sondern in seiner Ehre als Mensch herabgesetzt werde. «Das ist hier nicht der Fall.»
Richtig deutlich wird der Bremgartner Bezirksrichter dann in seinen letzten Worten, bevor er die Gerichtsverhandlung für beendet erklärt: Das Strafrecht bezwecke nicht, Aussagen zu verhindern, die auf ernsthaften Gründen beruhten. Das gelte umso mehr im politischen Umfeld.
Und:
«Jemandem eine politische Gesinnung zuzuschreiben, die zur öffentlichen Wahrnehmung seiner Person im politischen Umfeld passt, muss erlaubt sein. Dazu sind Medienschaffende wie Herr Voigt nicht nur berechtigt, sondern in ihrer Funktion sogar berufen. Herr Voigt hat sich in guten Treuen gestützt auf eine Vielzahl ernsthafter Gründe für den gewählten Ausdruck entschieden.»
Es sei strafrechtlich nicht zu beanstanden, dass Andreas Glarner als «Gaga-Rechtsextremist» bezeichnet werde.
Noch ist allerdings unklar, ob das Urteil des Bezirksgerichts Bremgarten rechtskräftig wird. Der SVP-Nationalrat hat unmittelbar nach dem Prozess gegenüber den Medienvertretern versichert, er sei entschlossen, den Entscheid an die nächste Instanz zu ziehen.