«Wenn nur Wohlhabende sich Elektroautos leisten können, werden wir scheitern»
Der australisch-amerikanische Unternehmer Saul Griffith ist überzeugt: Wir können die Klimaerwärmung stoppen, ohne an Komfort einzubüssen. Wir müssen einfach alles elektrifizieren.
Ein Interview von Elia Blülle, 24.01.2024
Die USA und Australien haben etwas gemeinsam: Sie gehören beide zu den globalen Topemittenten von CO2, haben ihre Volkswirtschaft traditionell mit fossiler Energie betrieben und auf der internationalen Bühne über 30 Jahre lang die Dekarbonisierung politisch blockiert und oftmals sogar sabotiert.
Der australisch-amerikanische Unternehmer Saul Griffith will das ändern. Als Ingenieur und Vordenker für erneuerbare Energien kennt er die Energiesysteme grosser Industrienationen besser als fast jeder andere auf diesem Planeten. Er hat im Auftrag des amerikanischen Energieministeriums gearbeitet und die beiden Organisationen Rewiring America und Rewiring Australia gegründet, mit denen er die Dekarbonisierung in zwei der klimaschädlichsten Volkswirtschaften vorantreiben will.
Griffith ist ein Technologieoptimist. Aber keiner, der auf noch nicht erfundene Erfindungen hofft, sondern einer, der dafür plädiert, alle bestehenden sauberen Technologien global und überall, wo es geht, einzusetzen.
Saul Griffith, Sie haben während 20 Jahren im Silicon Valley mehrere Technologiefirmen für erneuerbare Energie gegründet. Und 2019, als dieser Wirtschaftszweig so richtig Fahrt aufgenommen hat, sind Sie plötzlich ausgestiegen. Wieso?
Saul Griffith: Bevor ich 2008 meine Frau heiratete, sagte ich ihr: Sollte die Welt 2020 ihre globalen Klimaziele verpassen, werde ich Ökoterrorist. Dafür hätte ich die perfekte Ausbildung. Als Ingenieur weiss ich, wie Infrastruktur funktioniert, wie man Roboter baut, wie man Chaos anrichtet. Wir hatten noch keine Kinder, waren verliebt und jung, also meinte sie: Das ist in Ordnung. Als ich dann 2019 sagte, es sähe überhaupt nicht gut aus mit den Klimazielen, verbot sie mir den Ökoterrorismus trotzdem. Meine Frau war aber gnädig genug, mir zu erlauben, meine Karriere zu überdenken und in die Politikberatung zu wechseln. Jetzt bin ich Regulierungsterrorist. Fast alle notwendigen Technologien für eine klimaneutrale Welt existieren bereits. Die Frage ist heute: Wie ändern wir Regeln? Wie bezahlen wir die Infrastruktur, damit die Transformation gelingen kann? In diesen Gebieten benötigen wir mehr Innovation.
Sie haben den amerikanischen Präsidenten Joe Biden in seiner Energiepolitik beraten. Jetzt wollen Sie in Australien Ihre Mitbürgerinnen überzeugen, dass jeder Haushalt zur Dekarbonisierung beitragen kann.
Es ist banal. Um die globalen Kohlenstoffemissionen zu eliminieren, müssen wir alle Maschinen elektrisieren. In wohlhabenden Volkswirtschaften treffen Millionen Menschen in den nächsten 20 Jahren ganz wenige Entscheidungen, die bestimmen werden, ob sie noch einmal weitere drei Jahrzehnte das Klima belasten oder nicht: Wie erwärmen Sie künftig das Wasser? Welches Fahrzeug wird in der Garage stehen? Wie heizen Sie Ihre Wohnung oder Ihr Haus? Jedes Mal, wenn in Ihrem Haushalt eine fossile Maschine kaputtgeht, muss sie durch eine elektrische ersetzt werden. Wir sollten uns weniger darum sorgen, ob die Bananen aus Honduras eingeflogen werden – und uns auf die wenigen wichtigen Küchentischentscheide fokussieren, die einschenken. In den USA hängen 40 bis 42 Prozent aller Emissionen von diesen wenigen Entscheiden ab. Darüber spricht man leider selten in den Klimaschutzdebatten. Man hört von Ölboykotten und den Kohlekraftwerken. Die Nachfrageseite müssen wir aber genauso schnell dekarbonisieren wie die Angebotsseite, sonst geht die Rechnung nicht auf.
Viele Klimaaktivisten sagen, es reiche nicht, wenn wir nur die Infrastruktur ändern. Sie fordern, dass wir unser Verhalten grundsätzlich überdenken, viel weniger produzieren, weniger verbrauchen sollten.
Ich gewinne mehr Menschen für die Dekarbonisierung, wenn ich sage: Hey, du kannst dein Leben ganz normal weiterleben wie bisher. Abgesehen von der Landwirtschaft und einigen Industriezweigen reicht die saubere Elektrifizierung aus, um die globalen Klimaziele zu erreichen. Viele Menschen glauben, eine Zukunft mit sauberer Energie bedeute, dass wir mit weniger auskommen müssten, die Transformation wehtun und uns Komfort wegnehmen würde. Das halte ich für falsch. Es geht nicht darum, künftig mit weniger zu leben. Wir müssen so viel sauberes Zeugs installieren, dass das Leben im Allgemeinen schöner, angenehmer und komfortabler wird.
Die Kritik richtet sich ja weniger gegen den gegenwärtigen Lebensstandard, sondern gegen den Umstand, dass dieser in westlichen Volkswirtschaften von Jahr zu Jahr mehr Ressourcen verbraucht.
Klar: Kaufen sich nun alle einen Tesla Cybertruck, haben wir ein Problem. Die bereits heute vorbestellten Cybertrucks sind zusammen so schwer wie die Biomasse aller auf der Erde wild lebenden Säugetiere. Ein enormer Materialverschleiss. Natürlich müssen wir auch über die Biodiversitätskrise und die planetaren Grenzen nachdenken und alle Lösungen hinterfragen.
Solarpanels und Batterien benötigen Mineralien und Rohstoffe. Damit gehen ökologische Probleme und Engpässe einher. Verschieben wir mit dieser Strategie nicht einfach das Problem in einen anderen Bereich?
Es hat niemand gesagt, die Transformation werde einfach. Aber ich halte die Warnungen, Lithium, Kupfer oder Kobalt würden bald ausgehen, für überzogen. Es sind genügend Materialien vorhanden für die Transformation.
Aber die Transformation bedeutet immer noch eine Materialschlacht.
Ursprünglich bin ich ausgebildeter Materialwissenschaftler. Ich arbeite gerade an einem neuen Buch, das sich mit globalen Materialflüssen beschäftigt. Und ich bin überzeugt, dass die saubere Energiewende den Materialverschleiss und Energieverbrauch enorm verringern wird.
Wieso?
Heute verbrennt die durchschnittliche Amerikanerin oder Australierin je nach Rechnung pro Jahr etwa 5 bis 6 Tonnen fossile Brennstoffe und pustet rund 15 Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre, plus einige Tonnen Flugasche und andere Verbrennungsnebenprodukte. Alles Abfall. Fossile Brennstoffe sind enorm ineffizient, müssen aus der Erde herausgeholt, raffiniert und transportiert werden.
Was ändert sich?
Für einen elektrischen Lebensstil, mit gleich grossen Häusern, elektrischen Autos und sauberer Versorgung, benötigten wir halb so viel Gesamtenergie. Mit fossilen Brennstoffen gibt es keine Wiederverwertung. Solarmodule, Windturbinen, Batterien bestehen alle aus Metallen. Stahl, Aluminium und Kupfer kann man fast vollständig wiederverwenden. Ich sage allen, die glauben, wir müssten künftig massiv zurückschrauben, dass der neue Lebensstil 500-mal weniger materialintensiv sein wird als der heutige.
Sie sagen, wir müssen alle Maschinen elektrifizieren. Aber es gibt Maschinen, die schwierig zu elektrifizieren sind – wie Flugzeuge.
Die Ozeanschifffahrt ist für etwa 2 Prozent der Emissionen verantwortlich, und die Flugzeuge für weitere 2 bis 3 Prozent. Sie sind nicht das grösste, aber sie sind ein Problem. Elektrische Flugzeuge werden keine 10’000 Kilometer fliegen, also fliegen sie nicht von Sydney nach Zürich. Aber ein Grossteil des Flugverkehrs wird für kürzere Strecken genutzt. Elektrische Flugzeuge werden ausreichen, um von Paris nach London oder von Zürich nach Barcelona zu fliegen. Ob wir das schnell genug umsetzen werden, ist wiederum eine andere Frage. Also benötigt es beim Fliegen tatsächlich Verhaltensänderungen – oder endlich viel mehr Hochgeschwindigkeitszüge.
Die Schifffahrt?
Die werden wir mit Solar und Wind auf hohem Niveau betreiben können, wenn wir kleine Geschwindigkeitseinbussen in Kauf nehmen. Ausserdem werden wir nach der Abkehr von fossilen Brennstoffen viel weniger Materialien durch die Welt transportieren. Der Transport fossiler Brennstoffe verbraucht selbst extrem viel Energie. Kohle, Gas, Öl und Holzpellets machen rund 40 Prozent der gesamten Fracht von Hochseeschiffen aus.
Viele Menschen haben gerade Angst, diese Umstellung auf einen elektrischen Lebensstil werde für sie teuer. Wie reagieren Sie darauf?
Wir benötigen einen Systemwechsel. Wir müssen unsere kapitalistische Wirtschaftsweise nicht abschaffen, sondern an die neuen Bedingungen anpassen. Maschinen, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, sind billig, kosten aber viel im Betrieb. Elektrische Maschinen sind teuer in der Anschaffung und kosten in der Nutzung wenig. Ich habe die Wirtschaftlichkeit eines kompletten elektrischen Lebensstils für Neuseeland, Amerika, Australien und einige asiatische Länder durchgerechnet und bin überall zum selben Schluss gekommen.
Lassen Sie mich raten: Am Ende des Jahres bleibt mehr Geld im Portemonnaie.
Genau. Ein australischer oder neuseeländischer Haushalt gibt heute im Durchschnitt 7000 australische Dollar pro Jahr für den Kauf seiner Energie aus Kohlestrom, Diesel, Benzin und Erdgas aus. Wenn Sie eins zu eins Ihr Auto, Ihren Kochherd, Ihre Heizung, Ihre Wasserversorgung ersetzen und Solarpanels auf dem Dach montieren, dann sparen Sie in Australien 4000 bis 5000 Dollar pro Jahr. Aufsummiert über die Zeit ist das sehr viel Geld.
Diese Transformation mag vielleicht für reiche Industrienationen funktionieren, aber Entwicklungsländer werden weiterhin stark auf fossile Brennstoffe angewiesen sein.
Das stimmt doch nicht. In Schwellen- und Entwicklungsländern wie Mexiko oder Indonesien ist Solarstrom vom eigenen Dach mit Abstand die billigste Energieform. Für den afrikanischen Kontinent sind erneuerbare Energieressourcen eine gewaltige Chance, weil sie dafür vielerorts hervorragende Bedingungen haben. Da fliesst heute viel Geld aus den eigenen Volkswirtschaften ab, weil sie praktisch alle Energie aus dem Ausland importieren müssen. Saubere Energie ist nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch ökonomisch. Wenn zum Beispiel in Australien bis 2030 alle Haushalte komplett elektrisch würden, könnte die inländische Wirtschaft jährlich umgerechnet etwa 280 Millionen Franken einsparen. Die Menschen hätten mehr verfügbares Einkommen für andere Dinge – um bessere Croissants, besseren Kaffee zu kaufen, sich mehr Kino, mehr Bildung zu leisten. Die Rechnung ist sehr einfach: Bleibt das Geld in der eigenen Gemeinde, im Land, treibt das auch die lokale Wirtschaft an, anstatt dass alle Mittel an die internationalen Energiemonopole abfliessen.
Dieses Argument ist aber nicht überall angekommen. Woran hapert es?
Es ist erstaunlich, wie viele Regierungen und Politiker diese offensichtliche makroökonomische Wahrheit nicht verstehen oder nicht verstehen wollen: Wer sich heute gegen die Energiewende stemmt, verhindert, dass die eigene Wirtschaft langfristig gedeiht. Und das Problem ist fast überall auf der Welt dasselbe: Es mangelt an Investitionen – auf staatlicher Ebene wie auch im Privaten. In Australien fehlt es 80 Prozent der Menschen an Kreditwürdigkeit, um sich heute das Geld für eine Elektrifizierung ihres Haushalts zu leihen. Wir müssen endlich Finanzinstrumente schaffen, die es Haushalten ermöglichen, die Lösungen aus eigener Kraft zu finanzieren.
Wie könnte das funktionieren?
Ich arbeite gerade an einem Vorschlag für die australische Regierung. Die Idee, welche unter anderem auch in der Schweiz debattiert wird: Um den Haushalten und Unternehmen günstige Kredite zu geben, soll die Regierung zur Bank werden. Einer alleinerziehenden Mutter oder Krankenpflegerin soll die Regierung helfen, ein Elektroauto zu kaufen. Der Staat trägt dabei ein Risiko, weiss aber, dass sich diese Massnahme langfristig volkswirtschaftlich ausbezahlen wird. Diese Idee lässt sich auch politisch verkaufen: Sie kommt bei Rechten gut an, weil so keine neuen Subventionen und zusätzlichen Steuern geschaffen werden. Und die Linken unterstützen ohnehin fast alles, was die Dekarbonisierung vorantreibt. Können sich in fünf Jahren noch immer nur wohlhabende Menschen Elektroautos und Wärmepumpen leisten, ist die globale Transformation politisch zum Scheitern verurteilt.
Ein vollständiger elektrischer Lebensstil mag viele Vorteile haben. Aber überall auf der Welt werden gerade fast identische Debatten geführt: Was machen wir, wenn die Sonne untergeht und kein Wind weht? Wie produzieren wir genügend Strom für dieses elektrische Leben?
Diese Frage hängt vom geografischen Kontext ab – und ist ein Problem europäischer und im Norden gelegener Länder. In den USA gibt es extrem viel freie Fläche, in Neuseeland oder Australien ausreichend Sonne für günstigen und überschüssigen Solarstrom. Für viele Länder der Welt ist das kein Problem. Auch Europa könnte es schaffen, genügend sauberen Strom zu produzieren, wenn die Staaten eng zusammenarbeiten würden. Die Schweiz kann Solarenergie aus Spanien und Offshore-Windenergie aus Irland beziehen; es gibt französische Kernenergie und norwegische Wasserkraft. Die Schweiz wiederum verfügt über Pumpspeicherkraftwerke, mit denen sie anderen aushelfen kann. Wenn ein Land die Energieversorgung aber autark innerhalb der eigenen Landesgrenzen lösen will, wird es schwierig. Dann drohen unliebsame Kompromisse: Atomkraftwerke bauen oder ein sparsameres Leben – weniger Autos, kleinere Häuser, weniger heizen.
Wir müssen aber auch endlich bessere Technologien finden, um Energie zu speichern.
Ich glaube, wir sollten primär darüber nachdenken, wie wir bestehende Speicher besser nutzen können. Alles, was Energie speichern kann, muss künftig Energie speichern. Und Energie soll hauptsächlich nur noch dann verbraucht werden, wenn die Sonne scheint und der Wind bläst.
Wie soll das funktionieren?
Wir verbrauchen zum Beispiel riesige Energiemengen für gekühlte Lagerhäuser, Fahrzeuge und andere Lagerstätten. Die Kühlkompressoren laufen aber nicht Tag und Nacht, sondern nur zu ganz bestimmten Zeiten. Kühlschränke sind gewaltige Energiespeicher, die wir nur dann antreiben sollten, wenn es gerade überschüssigen Strom gibt. Ein anderes Beispiel: Haushalte können mit ihren Elektroautos viel Strom speichern. Und im selben Masse, wie das Internet mit zunehmender Nutzerzahl besser wird, wird auch das Ausbalancieren des Stromnetzes einfacher, je mehr Maschinen wir elektrifizieren. Jede Batterie, jeder Haushalt, jedes Auto muss Teil der Infrastruktur werden. Würden alle 250 Millionen Fahrzeuge Amerikas elektrifiziert, hätten sie eine Speicherkapazität von etwa 20 Terawattstunden, um Strom zurück ins Netz zu speisen, wenn sie nicht gefahren werden. Das reichte, um die Schwankungen im Netz auszugleichen. Regierungen müssen aufhören, über eine zu einfache Version ihrer Elektroinfrastruktur nachzudenken, die das Land – wie früher – zentralistisch von einem Kraftwerk aus mit Strom versorgt. Das wird niemals funktionieren.
Sie haben lange im Silicon Valley gelebt. Da sprechen viele davon, wie man mit künstlicher Intelligenz die Energiegewinnung revolutionieren und die Klimaerwärmung bekämpfen könnte. Was halten Sie davon?
Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird künstliche Intelligenz das Problem verschlimmern.
Wieso?
Künstliche Intelligenz wird gesamthaft mehr Strom verbrauchen, als sie gleichzeitig einspart. Ich kann Ihnen ein Energiesystem ohne künstliche Intelligenz entwerfen und es zu 97 Prozent optimieren. Wende ich künstliche Intelligenz an, hole ich noch einmal zusätzliche 3 Prozent aus dem System raus. Zeitgleich frisst die Technologie aber so enorm viel Strom für das Erstellen von Videos, die Katzen wie Filmstars aussehen lassen, dass diese kleine Optimierung kaum ins Gewicht fallen wird.
Sie haben kein einziges Mal Wasserstoff als mögliche Lösung erwähnt. In der Schweiz wird der als mögliche Schlüsseltechnologie propagiert.
Wir werden in einigen wenigen Bereichen sicherlich Wasserstoff und synthetische Treibstoffe benötigen – für die Stahlproduktion und einige Industrien. Aber ich habe früher Erdgas- und Wasserstofftanks für Fahrzeuge gebaut. Viel zu teuer. In Europa ist die Wasserstofflobby aus historischen Gründen so stark. Viele Unternehmen und Regierungen haben auf Wasserstoff gesetzt, weil sie hofften, damit die nationale Energiesicherheit zu stärken. Und die Erdgasunternehmen setzten darauf, weil sie sich damit auskennen und über die notwendige Infrastruktur verfügen. Diese Fixierung hat dazu geführt, dass die deutsche Automobilindustrie heute in der Elektromobilität allen anderen hinterherhinkt. Dabei hat der Markt schon lange gesprochen. Norwegen hat ab 2025 einen Null-Emissions-Standard für Autos. In diesem Jahr werden da elektrische Fahrzeuge bei den Neuverkäufen einen Marktanteil von 95 Prozent erreichen.
Ihr Tech-Optimismus in Ehren: Aber in den vergangenen drei Jahren haben Inflation, steigende Zinssätze, Lieferkettenprobleme, Bürokratie und Protektionismus viele Projekte für saubere Energien blockiert. Bei allem Fortschritt geht die Transformation gerade viel zu langsam voran.
Für mein letztes Buch druckte der Verlag den Untertitel: «Ein optimistischer Leitfaden für saubere Elektrizität». Ich war überrascht und sagte: Ich fasse es nicht, dass ihr diesen Text gelesen habt und immer noch glaubt, ich sei Optimist. Im Buch erklärte ich, wie schwierig die Umsetzung ist und wie weit wir im Zeitplan zurückliegen. Obwohl die USA den «Inflation Reduction Act» implementiert haben und die Europäische Union an bahnbrechenden Klimagesetzen arbeitet, ist das alles zu wenig ambitioniert. Es gibt kaum Gründe für Optimismus – auch weil wir an praktischen Hürden scheitern: Baubewilligungen fehlen, es gibt zu viel Papierkram, wir bekommen die Logistik nicht hin und wir scheitern an komplizierten Lieferketten. Kommt hinzu: Die fossile Industrie gibt immer noch Milliarden aus, um den politischen Prozess und den öffentlichen Dialog zu sabotieren. Das blockiert.
Was stimmt Sie optimistisch?
Schauen Sie sich einmal die Prognosen der Kosten für Wind-, Solarenergie und Batterien an! Die werden noch einmal deutlich schneller sinken. Es gibt in den meisten Ländern aus makroökonomischer Sicht kein stichhaltiges Argument mehr, nicht sofort in diese Infrastruktur zu investieren.
Was schenkt Ihnen Hoffnung?
Die Widerstandsfähigkeit meiner Gemeinde Austinmer an der australischen Ostküste. Es gab jüngst hitzige Debatten wegen eines neuen Windparks. Sofort wurden Fehlinformationen auf Facebook gestreut – absurde Behauptungen, die Windräder würden Covid bei Kindern oder Hodenkrebs bei Walen verursachen. Unsere Gemeinde war aber gut genug informiert, um dem entgegenzuwirken. Jemand sagte einmal: «Alle Politik ist lokal.» Die Klimakrise war immer abstrakt, wurde kaum auf lokaler Ebene vermittelt. Wir haben uns die Zeit genommen, die Aufklärungsarbeit zu betreiben – und jetzt setzt sich meine Gemeinde für den Windpark ein. Als die wichtige Umweltbewegung in den 1970er-Jahren entstanden ist, ging es darum, Flüsse zu entgiften, Fabriken zu schliessen, Kohle zu verbieten. Die neue Umweltbewegung muss Windparks bauen und Vorschriften zugunsten der Elektrifizierung lockern. Es braucht eine Politik des Handelns. Noch immer sind viele Botschaften der Klimaaktivistinnen zu negativ konnotiert und reaktionär. Ich wünsche mir, dass sich noch mehr Menschen für einen modernen Umweltschutz einsetzen, der weniger kalt und hart ist.