Warum die grüne Bewegung besser zuhören muss

Ökologische Kräfte verlieren Wahlen. Die Aushandlungen über Klimaschutz schlittern in den Kulturkampf. Was tun?

Von Elia Blülle, 29.12.2023

Vorgelesen von Jonas Gygax
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Rette sich, wer kann: Buschfeuer in Australien. Ein Bild aus der Serie «The Bushfire and the Flood». Lisa Sorgini

Der Backlash gegen die Klimapolitik hat begonnen. Und er wird hässlich.

In der Schweiz haben die Grünen und die Grün­liberalen viele Sitze verloren.

In Deutschland sinken die Umfrage­werte der ökologischen Kräfte, dafür gewinnt die in Teilen gesichert rechts­extremistische AfD.

In Grossbritannien hat der konservative Premier­minister Rishi Sunak die einst ambitionierten Klimaziele weitgehend aufgegeben.

In den Niederlanden will der rechts­populistische Wahlsieger Geert Wilders das Klimagesetz «in den Schredder» werfen.

Argentinien hat einen «Anarcho­kapitalisten» zum Präsidenten gewählt, der eine Kettensäge schwingt und die Klima­erwärmung für eine Lüge hält.

Ihrerseits ist die Klima­bewegung zersplittert, driftet teilweise in Links­radikalismus ab, der Menschen weder aktiviert noch anschluss­fähig ist.

Möglich, dass wir eines Tages zurück­blicken und sagen werden: 2023, das war das Jahr, in dem die ökologische Euphorie ihr Ende fand.

Kalte, tote Hände

Politik ist immer auch ein Streit um Aufmerksamkeit. Und die Aufmerksamkeit liegt woanders. Bei Kriegen, Energie­kosten, geopolitischen Gewittern. Das ist aber nur die eine Hälfte der Antwort, wieso anti­ökologische Politik gerade floriert.

Die andere: Die Debatten um Klimaschutz schlittern in Identitäts­gezänke ab, in dem über Moral, Symbole, Kultur gestritten wird – anstatt über den gigantischen Umbau der globalen Infra­struktur und Weltwirtschaft.

Einmal gemütlich im ökologischen Klimakultur­kampf eingerichtet, geht es nur noch um Befindlichkeiten, persönlichen Geschmack und Prinzipien.

Anfang des Jahres brach in den USA eine dafür exemplarische Debatte aus.

Eine Behörde für Produkt­sicherheit wollte abklären, wie schädlich Gasherde für Klima, Raumluft und Gesundheit seien. Dabei erwähnte einer der Beamten das Verbot als mögliche Massnahme. Wochenlang stritt das politische Amerika über den Gasherd. Während die liberalen Journalistinnen der liberalen Zeitungen fiebrige Hoffnungen schürten, dass der Verzicht auf Gasherde schon halb den Planeten retten würde, verloren die Trumpisten komplett die Fassung.

Der republikanische Abgeordnete Ronny Jackson schrieb auf X (vormals Twitter): «Ich werde meinen Gasofen NIE aufgeben. Wenn die Wahnsinnigen im Weissen Haus meinen Ofen holen wollen, können sie ihn aus meinen kalten, toten Händen reissen. KOMMT UND NEHMT IHN!!»

Ist der Gasherd als Freiheits­symbol etabliert, kann man seine Verfechter kaum mehr davon überzeugen, dass Induktions­herde günstiger, schneller, gesünder und auch ökologischer sind. Klimafragen werden dann nicht mehr materiell und politisch, sondern nur als Kultur­frage verhandelt: Man streitet, wieso das, was man fühlt, sieht und glaubt, richtig oder eben falsch ist.

Diese Klima­kulturkämpfe sind wie Rorschach­tests, auf die wir unsere Voreingenommenheit projizieren. Alle sehen das, was sie sehen wollen.

Wie unversöhnlich solche ökologischen Kultur­kämpfe eskalieren können, erlebte ich selbst am eigenen Leib, als ich 2016 in den USA unterwegs war.

Friss meinen Staub

In Bozeman, einer Universitäts­stadt im konservativen Bundesstaat Montana, übernachtete ich bei Studenten, mit denen ich mich angefreundet hatte. An einem Nachmittag lieh ich ein Fahrrad aus. Die Studenten warnten mich, ich müsse ausserhalb der Stadt aufpassen: «Da mag man Velofahrer nicht.»

Ich hielt das für einen Witz.

Auf den Strassen, breit wie Flugzeug­pisten, drängten mich Autos gefährlich nahe an den Strassen­graben und liessen ihre Motoren aufheulen. Ein Pick-up überholte mich, ein Mittel­finger ragte aus dem Fenster, der Truck spuckte eine Russwolke aus, die mich vollständig einnebelte. Alles wurde schwarz. Als ich mein Erlebnis später meinen Gastgebern erzählte, zuckten sie nur mit den Schultern und sagten: «Ein coal roller hat dich erwischt.»

Wie ich später erfuhr, sind coal rollers getunte Pick-ups, bei denen der Motor so modifiziert wird, dass mehr Diesel als normal eingespritzt wird. Die Fahrer verstehen sich als Anti-Umwelt­aktivisten, ihr Hass richtet sich gegen «tree huggers», gegen alles, das im Verdacht steht, «grün» zu sein: Elektro­autos, Fussgängerinnen, Fahrrad­fahrer. Der Unbekannte hat mich nicht eingeräuchert, weil ich ihn provoziert hätte. Er hat nicht einmal mein Gesicht gesehen, geschweige denn gewusst, wer ich bin. Die Abgase galten allein seiner Projektion: der Vorstellung davon, wofür ich stehen könnte.

Diese coal rollers sind kindische Vollidioten. Aber sie sind auch der extreme Ausdruck des entrückten Kultur­kampfs, in dem es nicht um politische Differenzen geht, sondern nur um Gefühle und Stammes­denken.

Die extreme Rechte kann in der Klima­debatte politisch nur in dieser Arena gewinnen. Sie hat keine Lösungen, keine Ideen, keine Fragen, nichts.

Was ihr noch übrig bleibt, ist die Lüge – und die Dämonisierung. Also stilisiert sie Klima­schützer zu missgelaunten Zivilisations­gegnern hinauf.

Exemplarisch sagte Donald Trump bei einem Auftritt vor Fabrik­arbeitern, Elektro­autos würden «unsere schöne Lebens­weise» zerstören.

Die üblichen Copy-Paste-Grossmäuler haben diese Rhetorik unlängst nach Europa importiert, wo sie nicht nur bei extremen Rechten auf Beliebtheit stösst, sondern auch tief in die bürgerliche Mitte vorgedrungen ist.

Der NZZ-Chefredaktor Eric Gujer prognostiziert etwa, grüne Politik führe in die «Deindustrialisierung und Verarmung». In Deutschland warnen gestandene Christ­demokraten vor «einer zwanghaften Veganisierung», der «Öko-Diktatur», der «Energie-Stasi». Und der konservative britische Premier­minister Rishi Sunak verkündete im Herbst voller Pathos, dass er die Bevölkerung nicht zwingen werde, ihre Ernährung umzustellen; er werde eine vorgeschlagene «Fleisch­steuer» sowie die Verpflichtung, «sieben verschiedene Mülleimer» zu haben, streichen. Doch in der Realität existierten solche Gesetzes­vorschläge gar nicht. Sie waren alle frei erfunden.

Man würde hoffen, solches Gelaber würde in Demokratien abgestraft und sofort als das durchschaut, was es ist: grob­schlächtiger Dünnpfiff.

Aber das Gegenteil passiert. Wie die Wahl­ergebnisse, Umfrage­werte, Debatten zeigen, schaffen es ökologische Kräfte in den europäischen Demokratien nur schwer, stabile Mehrheiten für ihre Anliegen zu gewinnen. Stattdessen steigt auf, wer mit Puste in die Kulturkampf-Vuvuzela bläst.

Ganz so selbstverständlich, wie das scheinen mag, ist das gar nicht: Denn Untersuchungen für die Schweiz, aber auch Deutschland und die USA zeigen, dass innerhalb der Bevölkerung mittlerweile Umwelt- und Klima­bewusstsein gross ist.

Über 70 Prozent der Schweizer Bevölkerung sind sich einig, dass die Klimakrise ein grosses Problem für die Menschheit darstellt. Menschen, die die Klima­erwärmung leugnen, sind ein absolutes Aussenseiter­phänomen.

Wieso hat der Öko-Kulturkampf trotzdem derart leichtes Spiel?

Ende der Welt, Ende des Monats

Der Berliner Soziologe Steffen Mau hat mit seinen Kollegen Thomas Lux und Linus Westheuser empirisch untersucht, wie gespalten die Gesellschaft in Deutschland ist. Sie fanden heraus, dass es keine gesamt­gesellschaftliche Spaltung gibt – aber «Trigger­punkte», bei denen sachliche Diskussionen in extrem emotionalisierte Debatten umschlagen.

Klimaschutz identifizieren die Soziologen dabei als eine solche Sollbruch­stelle. Insbesondere, weil die Klimapolitik «eine Klassen­frage im Werden» sei, wie sie schreiben. Dabei zeigen die Umfrage­daten, dass untere Schichten und Menschen mit wenig Status nicht per se gegen eine ökologische Transformation sind – aber viel stärker unter Verlust­ängsten leiden.

So fürchten in Deutschland rund 50 Prozent der Arbeiterinnen, die Bekämpfung des Klima­wandels gefährde den Wohlstand.

Während diese Sorge in der kulturellen Elite, also etwa unter Akademikern, viel weniger Menschen umtreibt.

In der Schweiz dürfte das ähnlich sein. Bei der Abstimmung vom letzten Juni zum Klimaschutz­gesetz, das unter anderen Haus­besitzer mit einem Subventions­regen beglücken wird, war die Zustimmung bei ärmeren Menschen deutlich geringer als bei den Mitbürgern mit hohem Einkommen.

Die Erkenntnis, dass ökologische Fragen nicht von Fragen sozialer Gerechtigkeit zu trennen sind, ist schon ziemlich alt. Trotzdem ist immer wieder frappant, wie wenig Gespür viele Klima­politiker dafür ausweisen.

In Deutschland hat etwa der Grünen-Wirtschafts­minister Robert Habeck ein Heizungs­gesetz zusammen­gestümpert, ohne sich ernsthafte Gedanken über die soziale Absicherung zu machen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron wollte 2018 die Benzin­preise mit einer Ökosteuer belegen; in einem Land, dessen öffentlicher Verkehr vielerorts miserabel ausgebaut ist. Die Regierung erntete mit den Gelbwesten die grössten und lautesten Proteste der modernen französischen Geschichte.

«Les élites parlent de fin du monde, quand nous, on parle de fin du mois», sagte ein Demonstrant damals gegenüber «Le Monde».

Bei der Frage, wer den Infrastruktur­umbau bezahlen soll, handelt es sich nicht mehr um eine Kultur­frage, sondern es geht um existenzielle Ängste und um nicht überzeugende materielle Lösungen. Das ist ein Streit, den zu führen sich lohnt. Verteilungs­fragen. Klassen­kampf. Ein Geschäft, das besonders linke, ökologische Kräfte verstehen und beherrschen sollten.

Doch es gelingt ihnen kaum, diese Debatte ins Zentrum ihrer politischen Arbeit und Ansprache zu bugsieren. Oder sie schweigen einfach dazu.

In der Schweiz scheiterte die ehemalige SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga 2021 mit dem CO-Gesetz – auch, weil es ihr nicht gelang, glaubhaft zu vermitteln, wer die Milliarden bezahlen soll. Die SVP killte die Vorlage mit Klassen­kampf: Die Kosten für Benzin, Heizöl, Mieten, Liegen­schaften würden explodieren. Sie flutete die Debatte mit Zahlen, pflasterte das Land mit dem Slogan «Fliegen nur noch für die Reichen?» zu.

Die SVP kam damit durch. Auch, weil die grösste Schwäche der politischen Ökologie oftmals nicht ihre Gegner, sondern die eigenen Verfechter sind.

Das pädagogische Reden

Würden in der Schweiz nur Akademiker wählen, gewönnen die Grünen, die Grünliberalen und die Sozial­demokraten zusammen eine absolute Mehrheit.

Auch in Deutschland ist die grüne Partei eine Partei der überdurchschnittlich hohen Einkommen.

Eine neue Studie zeigt, dass in Deutschland 62 Prozent der Grünen-Anhänger angeben, sich hauptsächlich mit ihres­gleichen zu umgeben. Sie hätten, schreiben die Forscher, die Tendenz entwickelt, «sich vom Rest der Gesellschaft zu entkoppeln». Zwar sind sie tolerant und offen, weisen aber laut den Daten stärkere Tendenzen einer homogenen Parallel­gesellschaft auf als etwa Menschen muslimischen oder christlichen Glaubens.

Vielleicht halten sich auch deshalb falsche Annahmen so hartnäckig.

Ein weitverbreiteter Irrtum ist zum Beispiel, dass weniger gebildete, ländliche oder ärmere Menschen ein weniger stark ausgeprägtes ökologisches Bewusstsein hätten. Neulich hat mir ein junger Akademiker von einer grossen Schweizer Uni nach einer Podiums­diskussion erzählt, dass er wirklich kaum mehr fliegen würde, und dann meinte er: «Wir müssen endlich aus unserer Blase ausbrechen. Auch die anderen erreichen.»

In linksliberalen, grünen Kreisen, die sich oft als besonders ökologisch verstehen und im Klima­diskurs tonangebend sind, begegnet einem der Wunsch nach Aufklärung dauernd. Die Vorstellung, es gäbe ein «wir» und «die anderen», die bisher nicht begriffen hätten, die man aus einer Höhle der Unwissenheit und Ignoranz befreien müsste. Ohne dass je genauer darüber nachgedacht wird, wer «wir», «die Blase» und wer «die anderen» sind.

Das pädagogische Reden über Notwendigkeit und Dringlichkeit unter seinesgleichen öffnet aber weder die Herzen noch den Verstand.

Im schlechtesten Fall versetzt es Menschen in lähmende Panik. Im zweit­schlechtesten bringt es sie zum Gähnen.

Ein weiteres Problem: Obwohl die Klimakrise mittlerweile breit strukturell verstanden wird, gibt es besonders in kulturellen und akademischen Eliten immer noch einen starken Fokus auf die individuelle Handlung. Eine Ökologie, die sich primär über den persönlichen Lebensstil ausdrückt.

Eine Beichte vorweg: Ich fliege immer mal wieder Lang­strecken, esse Fleisch, trinke Kaffee mit Kuhmilch und oft aus Papp­bechern, lebe in einer viel zu grossen Wohnung, die zu viel Strom frisst und zu viel Erdöl verbrennt.

(Ich habe keine guten Ausreden dafür, also versuche ich es gar nicht erst.)

Das entspricht nicht dem Bild, das viele von mir haben. Denn in meiner Anwesenheit berichten neue Bekanntschaften, aber auch Freunde oft ungefragt von Solar­panels, Bioprodukten, Nacht­zügen, Mülltrennung.

Die Leute hören «Journalist» und «Klima» – und listen auf, was sie alles Gutes tun. Entweder nehmen sie in Erwartung einer Anklage ihre Verteidigung vorweg. Oder – und diese Erklärung halte ich für plausibler: Wer einen Tesla fährt, sich Solar­panels aufs Dach montiert und mit dem Nachtzug in die Ferien reist, befriedet nicht nur das Gewissen, sondern kann auch moralische Lorbeeren einheimsen. Das Biogemüse ist ein bequemer Weg geworden, zu sagen: Hallo, ich bin ein ernst zu nehmender und liebens­werter Mensch.

Damit keine Missverständnisse entstehen: Dieses Verhalten ist grossartig, und ich möchte keineswegs in das blödsinnige Gedöns einsteigen, das ökologisch geleitete Entscheide als Eitelkeit, Egoismus oder Ähnliches abtut.

Aber in einer Welt, die Nachhaltigkeit finanziell oft bestraft, hat dieser Lebensstil Vorbedingungen: Zeit, Geld, Eigentum und Infrastruktur.

Der Flug nach London und Berlin ist nicht nur viel schneller, sondern auch fast immer günstiger als der Zug. Ferien in der Schweiz, das Gemüse vom Hof, nachhaltig produzierte Mode – alles sacketeuer. Wie die Mietwohnung geheizt wird, kann man als Mieterin nicht beeinflussen, und es gibt einen Grund, wieso auf dem Land die Auto­prüfung gefeiert wird wie der Schul­abschluss: In einem Dorf, in dem der Bus alle zwei Stunden hält, garantiert das eigene Auto ein gewaltiges Mass an Spontaneität.

Fast drei Viertel der in Deutschland befragten Produktions­arbeiter stimmen in der Studie von Steffen Mau und seinen Kollegen der Aussage zu, eine umwelt­schonende Lebensweise «werde primär von jenen Gruppen gefordert (…), die sich teure Bio-Produkte leisten können».

Sie befürchten, dass ihnen durch eine rasche Dekarbonisierung zu wenig zum Leben bleibt, die Bewegungs- und Entscheidungs­freiheit gestohlen wird.

Anderen wiederum erscheinen der Verzicht und die Entschleunigung als Ausweis ihrer moralischen Integrität. Das ergibt kaum lösbare Spannungen.

«Viele Menschen, die in der sozialen Hierarchie unten stehen und weniger Möglichkeiten haben, in ihrem beruflichen Kontext eigenständig und autonom zu entscheiden, pochen umso mehr darauf, dass sie im Privat­leben diese Entscheidungs­freiheit behalten», sagt der Soziologe Steffen Mau.

Kleben sich dann noch Aktivisten auf die Strasse, kracht die Faust auf den Tisch.

Da kann die Widerstands­theorie hinter dem zivilen Ungehorsam noch so durchdacht sein: Was bei vielen Auto­fahrerinnen ankommt, ist die elitäre Moral­predigt. Die gebildete Mittel­schicht will einem nun vorschreiben, was richtig ist, und wertet den eigenen Lebensstil als falsch und unethisch ab.

Das Denken anderer immer mitdenken

Das Jahr 2024 wird ein historisches Superwahljahr. In den USA, in Indien, in Indonesien, aber auch in zahlreichen Ländern der EU bestimmen die Bürgerinnen neue Parlamente und Regierungen.

Will die ökologische Politik gewinnen, benötigt sie neue Strategien.

Ex-SVP-Nationalrat und Verleger Roger Köppel wird morgen nicht aus dem Bett hüpfen, in den Spiegel schauen und sich plötzlich denken, dass die Klima­erwärmung doch eine existenzielle Bedrohung ist. Einerseits, weil es psychologisch brutal schwierig ist, sich einzugestehen, dass man gründlich falschliegt.

Andererseits – und das gilt für alle Identitäts­politiker –, weil er dadurch seinen Fame, seine Abonnenten, seine Wohltäter verlieren würde. Wie der amerikanische Schrift­steller Upton Sinclair sagte: «Es ist schwierig, einen Menschen dazu zu bringen, eine Sache zu verstehen, wenn sein Gehalt davon abhängt, dass er sie nicht versteht.»

Das Gute ist: In der Schweiz haben es Leute wie Roger Köppel erstaunlich schwer. Vielleicht wollen sie auch deshalb nach Deutschland expandieren.

Hierzulande muss man alle paar Monate abstimmen. Das erdet die Debatte.

Je konkreter die Diskussion, desto schwerer hat es der Kultur­kampf. Streitet eine Gemeinde­versammlung irgendwo im Mittelland darüber, ob die Dreifach­turnhalle nun ein Solardach bekommen soll oder nicht, wird man für unflätige Grünen-Diktatur-Hetze mit Sicherheit von der Bühne gebuht.

Aber es gibt auch noch ein anderes Rezept, um zu verhindern, dass die rechten Kultur­kämpfer noch mehr Menschen in ihre Anti-Ökologie-Falle locken.

Es ist wie überall: Man verführt nicht durch Reden, sondern durch Zuhören.

Das heisst keinesfalls, dass man sich anbiedern oder einschleimen soll.

Aber es bedeutet: Man sollte in der Diskussion, im Austausch, im Streit verstehen wollen, wieso jemand sagt, was er sagt; wieso jemand wählt, wie er wählt; wieso jemand sich gegen den Klimaschutz verwehrt, obwohl er die globale Klima­erwärmung sehr ernst nimmt, sich vielleicht sogar davor fürchtet.

Vielleicht würde man dann merken, dass Schuld­gefühle kaum etwas bringen. Und etwa der Appell an den Stolz besser funktioniert. Die USA haben darum ihre Soldaten in den Weltkriegen nicht mit «Du bist ein Waschlappen, wenn du nicht kämpfst» rekrutiert, sondern mit Uncle Sam, ausgestrecktem Zeige­finger und dem Slogan: «Dein Land braucht dich.»

Vielleicht würde man dann merken, dass sich konservative Menschen nicht mit Klima­gerechtigkeit und Pariser Verträgen für Klimaschutz begeistern lassen. Dafür aber über ihre Werte: Patriotismus, Familie und Sicherheit.

Vielleicht würde man dann merken, dass sich Menschen und ihre Meinungen kaum ändern lassen. Aber es bequemer ist, ihnen aufzuzeigen, dass sie bereits glauben, was sie glauben müssen, um den Wert der Ökologie zu verstehen. Zum Beispiel: Was ist christlicher, als den Planeten zu schützen, den Gott (laut Bibel) den Menschen anvertraut hat?

Vielleicht würde man dann merken, dass viele nicht über Berge, sondern über Maulwurfs­hügel stolpern. Dass Klima- oder Energie­politik über Feuerwerke, Flugshows und Duschen nicht nur verhältnis­mässig sehr wenig CO2 spart, sondern auch unverhältnis­mässig viele Menschen wütend macht.

Wer ernsthaft politisch denkt, versucht das Denken anderer mitzudenken.

Gegenseitiges Verständnis entsteht durch Austausch, Empathie und einen offenen Diskurs. Das erfordert den Respekt vor unterschiedlichen Meinungen, Geduld und auch die Bereitschaft, eigene Ansichten immer wieder zu prüfen.

Wie sagte der Philosoph Epiktet: «Die Natur hat dem Menschen eine Zunge, aber zwei Ohren gegeben, damit er doppelt so viel zuhört, wie er spricht.»

Die ökologischen Kräfte haben in den vergangenen Jahren viel gesprochen und wenig zugehört. Wollen sie verhindern, dass ihnen der Klima­diskurs weiter entgleitet, müssen sie an einem unbequemen Ort beginnen: bei sich selbst.