Szenen einer Liebes­beziehung: «(Ta)rot Pack» der amerikanischen Künstlerin Dorothy Iannone. Courtesy Air de Paris/Foto Cedric Mussano/Kunsthalle

Kunst kann ohne Hierarchie

Kabelo Malatsie, die Direktorin der Kunsthalle Bern, hat nach einem Jahr gekündigt. Eine aktuelle Ausstellung im Haus zeigt, wie viel Wandel ihr Engagement bereits in kurzer Zeit angestossen hat.

Von Antje Stahl, 29.06.2023

Vorgelesen von Egon Fässler
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Neulich besuchte ich Kabelo Malatsie in der Kunsthalle Bern. Die Direktorin hatte gerade erst ihre Kündigung eingereicht. Nur wusste niemand so genau, warum. Malatsie schenke der Kunst­halle doch endlich wieder so etwas wie eine gesellschafts­politische Bedeutung, erzählte man sich. Und das ist, so kurz nach der Messe Art Basel, auf der sich doch eher alles um den Geldwert der Kunst dreht, ja nicht nichts.

Bei meiner Ankunft war Malatsie noch am Telefon. Ihr Büro liegt im Unter­geschoss und jenseits eines Werkstatt­lagers. Ein Mitarbeiter werkelte dort herum und wunderte sich über meinen Besuch. Es war Montag, das Haus für die Öffentlichkeit geschlossen und keine der Sound- und Video­­installationen eingeschaltet, aus der die Einzel­ausstellung «Body Machine Location» der Künstlerin Jackie Karuti aus Nairobi besteht. Ich sagte: «Macht nichts», und vertrieb mir die Zeit vor den analogen Arbeiten, wie man die Tarot­karten heutzutage wohl nennen würde, die im grossen Ausstellungs­raum gegenüber vom Eingang in der Kunsthalle Bern an der Wand hängen, zwölf insgesamt.

Sie gehören zur Serie des sogenannten «(Ta)rot Pack» der Künstlerin Dorothy Iannone, die Ende der 1960er-Jahre dafür Szenen ihrer Liebes­beziehung zu dem Künstler Dieter Roth festgehalten und den Zeichnungen weissagende Kräfte angedichtet hatte. So vergräbt auf einer Karte, die «Reverence» – Ehrfurcht – bringen soll, ein Mann seinen Kopf zwischen den Beinen einer Frau. Der Fach­begriff für diesen Akt wäre wohl Cunnilingus.

In einer Vitrine mitten im Raum liegen Dokumente: Hand­schriftlich hält Iannone im März 1969 darauf fest, dass sie Harald Szeemann das «(Ta)rot Pack» für eine «Freunde»-Ausstellung zur Verfügung gestellt hat. Harald Szeemann war in den stürmischen 1960er-Jahren Direktor der Kunsthalle Bern und sichert ihr bis heute eigentlich einen ziemlich wichtigen Platz: Er gilt vielen als Über­vater aller Kuratoren.

Szeemann verstand es einfach zu gut, der Kunst die Rolle des Enfant terrible zu garantieren. So schleppte der Künstler Michael Heizer aus Kalifornien zur Eröffnung der berühmt-berüchtigten Ausstellung «When Attitudes Become Form» eine Abriss­birne an und liess damit den schönen Gehweg vor der Kunst­halle zertrümmern! Dass Szeemann in etwa zur gleichen Zeit mit der Künstlerin Dorothy Iannone korrespondierte, ist hingegen weniger bekannt.

Vor ein paar Jahren feierte die Kunsthalle Bern ihr 100-jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass arbeitete Malatsies Vorgängerin Valérie Knoll akribisch das Archiv auf und präsentierte die eine oder andere Szeemann-Hommage. Unter dem familiären Titel «Harald Szeemann / Grossvater: Ein Pionier wie wir» verwies sie auf die Kontinuität seines Wirkens: «Die Kunsthalle Bern ist die Wiege des Modells vom Autor-Kurator, der Autorin-Kuratorin, der oder die eine ‹Erzählung› entwickelt. In der Kunsthalle ist diese Entwicklung alles andere als abgeschlossen, sie schreibt sich laufend fort, entlang der sich wandelnden Generationen, Parameter und Werte­vorstellungen.»

Seitdem Kabelo Malatsie die Leitung des Hauses übernommen hat, habe sich jedoch etwas Grund­legendes verschoben, heisst es nun.

Im patriarchalen Einfluss­gebiet

Ich habe den Weg zurück in die Arbeits­stätte des Kunsthalle-Teams gefunden. Die studierte Kunst­historikerin Kabelo Malatsie wurde 1987 in Mphakane, Südafrika, geboren. Für ihre Studie «Autonomy?» (2018) erforschte sie unabhängige Organisations­formen und institutionelle Rahmen­bedingungen. Zuletzt leitete sie das Visual Arts Network of South Africa, das sich zur Aufgabe gemacht hat, die zeitgenössische Kunst­praxis Südafrikas zu fördern, also Kunst­schaffende across the country miteinander zu vernetzen.

Die Kunsthalle Bern kannte Malatsie von einer Forschungs­reise in die Schweiz, den Direktoren­posten trat sie mit dem Versprechen an, die Institution als «experimentelle Landschaft» zu behandeln. Es gehe ihr «um den Versuch, unsere Zeit und ihre Verhältnisse über die Metapher des Staubs zu denken, der vom Wind über alle Grenzen hinweg­getragen wird», verkündete der Vorstand. Und weiter: «Kabelo Malatsie versteht das Ausstellungs­machen und damit die Institution als Anstifterin und Förderin für die Neugestaltung und Neuinterpretation der Welt, die wir bewohnen.»

Malatsie begrüsst mich neben der Kaffee­maschine. Während der Kollege aus der Werkstatt die Sound- und Video­installationen von Jackie Karuti anschaltet, führt sie mich zurück zu Dorothy Iannones «(Ta)rot Pack». Ein Rundgang durchs Haus, ein Blick auf ihr Wirken sind für den Moment natürlich wichtiger, als sie gleich auf ihren Rücktritt anzusprechen. Iannones Werk gehört zu «Archival Ramblings» – einer zweiten Schau, die aktuell in der Kunsthalle Bern läuft und, wie der Titel verspricht, auf Archiv­recherchen basiert. Sie bricht jedoch eher mit der Vergangenheit, als dass sie den nahtlosen Anschluss sucht.

«Damals im Jahr 1969 wurden die zwölf Blätter der Serie in der Kunsthalle Bern ausgestellt», erklärt Malatsie auf Englisch. Am Morgen nach der Vernissage sei die Serie von Szeemann aber auch schon wieder demontiert worden. Viele Herren, darunter drei teilnehmende Künstler sowie zwei Mitglieder des Kunsthalle-Vorstandes, hielten die fröhlichen Sex­szenen «in einem öffentlich zugänglichen Kunst­institut für ungeeignet».

Auf dem floor plan, den Malatsie mir gibt, sind die Namen vermerkt, die in Iannones Zurschau­stellung weiblicher Lust offenbar eine Bedrohung ihres patriarchalen Einfluss­gebiets sahen: Daniel Spoerri ist darunter, der mit seinen Assemblagen voller vergammelter Essens­reste zur Avantgarde zählt, die der Gesellschaft doch angeblich von jeher ihre Tabus austreiben wollte. In der Kunsthalle Bern werden Männer wie er und Szeemann nun also vom Helden­podest geschubst. Gut so. Zensur von Kunst aufgrund des Geschlechts der Künstlerin wird ja schon lange nicht mehr als Kavaliers­delikt verharmlost.

Spätestens seit #MeToo erkennt man solche Diskriminierungs­mechanismen, die strukturell bedingt sind, also dem bürgerlich-patriarchalen Ideal der Gesamt­gesellschaft entspringen. Davon zeugt der jüngst wieder organisierte feministische Streik – und auch all jene musealen Bemühungen, die Werke von Künstlerinnen endlich in den Kanon der Kunst­geschichte aufzunehmen. Man denke nur an Gruppen­ausstellungen wie «Fun Feminism» im Kunst­museum Basel, «Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau …» im Aargauer Kunsthaus oder «Close-Up» in der Fondation Beyeler. Kabelo Malatsie gehört offenbar zu jenen Kuratorinnen, die das Unrecht aufarbeiten und verstorbenen Künstlerinnen wie Iannone Sichtbarkeit schenken.

Feminismus versteht sie jedenfalls nicht als Mittel, um Männer von dem Wert von Frauen zu überzeugen. Es gebe keine Notwendigkeit für so einen Beweis, sagte sie einmal in einem Interview. Jemand von etwas überzeugen zu müssen, sei eine Form der Arbeit, die sie nur davon abhalte, das zu tun, was sie eigentlich tun wolle.

Wir gehen ein Stück weiter zu einem Tisch, auf dem ein paar Abzieh­bilder liegen, die noch weiter in die Untiefen der Gründungs­mythen der Institution reichen, also ebenfalls so etwas wie Vergangenheits­bewältigung leisten. Man sieht den klassizistischen Bau, der im Herbst 1918 am Helvetiaplatz 1 feierlich eröffnet wurde, umringt von Palmen. Die Gründer­väter der Kunsthalle hätten sich wie «römische Imperatoren» aufgeführt, betont die Direktorin und zeigt sich ziemlich irritiert davon.

Tatsächlich finden sich im Internet rasch befremdliche Fotos von grimmigen Männern, die, in Togen gekleidet, hoch zu Pferde oder in einem Streit­wagen sitzen, um für ihre eigene Kunst­institution zu werben.

Sammeln für die Kunsthalle: Der Bazar im Sommer 1911. ETH Bibliothek Zürich, Bildarchiv
Eine Postkarte aus dem Jahr 1916 – kurz vor dem Bau der Kunsthalle. ETH Bibliothek Zürich, Bildarchiv

Um die Finanzierung der Berner Kunsthalle anzuschieben, hatten Männer im Jahr 1911 nämlich einen dreitägigen sogenannten «Pompeji­bazar» in der städtischen Reitschule organisiert. Im Imperatoren­kostüm liessen sie es sich nicht nehmen, die Bazar­gäste dann auch noch in einen Kerker zu schmeissen und nur gegen Lösegeld wieder freizulassen. Frauen, die dort ihre Web- und Koch­künste zum Besten gaben, erschienen «als Blumen­gewinde». Selbst­verständlich.

Black Artists in Switzerland

Ich würde Kabelo Malatsie nun gerne fragen, warum sie ihren Direktoren­posten aufgeben wird. Das männliche Herrschafts­gebaren, das in der «Archival Ramblings»-Schau von den Anfängen der Kunsthalle bis hin zu Szeemann abzulesen ist, könnte sich ja durchaus auch bis in die Gegenwart durch­gesetzt haben. Und Autor-Kuratorinnen finden nicht selten in der Kunst einen Spiegel, so wie Besucherinnen übrigens auch.

Vor wenigen Wochen musste ich am Zürcher Flughafen wieder an dem Image­film «Director’s Choice» vorbeilaufen, der dort im Auftrag der Tourismus­behörde auf Bildschirmen läuft und die Schweizer Kultur bewerben soll. Darin treten acht Direktoren-Herren (und nur zwei Direktorinnen) in ihren jeweiligen Museen auf und erklären stolz ihre Sammlungs­bestände: Werke von Künstlern. Gemälde von Claude Monet und Pablo Picasso sind darunter, Skulpturen von Jean Tinguely und Alberto Giacometti, von Künstlern also, die allesamt bereits verstorben sind.

Ob man daraus schliessen soll, dass die Schweizer Kultur männlich und tot ist, sollte man beizeiten vielleicht die Produzenten des Image­films fragen. Wichtig ist die offenkundig beschränkte Vorstellungs­kraft – der ideale Museums­direktor wird hierzulande immer noch von einem Mann verkörpert, der Deutungs­hoheit über die Geschichte geniesst. Und das, obwohl das Direktorinnen­personal mittlerweile eigentlich eher weiblich besetzt ist: Das Kunsthaus Zürich wird nun von Ann Demeester geleitet und das Kunst­museum Basel ab nächstem Jahr von Elena Filipovic, um nur zwei Neubesetzungen zu nennen.

Im Zuge von Black Lives Matter setzten Black Artists in Switzerland einen offenen Brief auf, um endlich ein Problem­bewusstsein für white supremacy (weisse Vorherrschaft) zu schaffen: «Es ist ein unter­drückendes System von Über­zeugungen und diskriminierenden Vorurteilen, das allen Strukturen im Westen innewohnt. Viele von uns Schwarzen Künstler*innen und Kultur­schaffenden, die beruflich in der Schweiz tätig sind, haben im Laufe ihrer Karrieren Rassismus und Diskriminierungen durch kulturelle Institutionen und Organisationen verschiedener Ausmasse erfahren.» Die Schweiz ist nicht für jede Person ein Schlaraffen­land.

Kabelo Malatsie erzählt nun aber, dass «Archival Ramblings» gar nicht ihre persönliche Show ist. Sie hat Mitarbeiterinnen der Kunsthalle Bern gebeten, sich von ihren jeweiligen Interessen bei der Archiv­recherche leiten zu lassen. «Es gab kein Richtig oder Falsch», sagt sie. Und mit Mitarbeitern sind nicht nur kuratorische Assistenz (Julia Künzi), Kunst­vermittlerin und Archiv­beauftragte gemeint (Julia Jost und Ursina Leutenegger), Personen also, die ohnehin diskursiv mit der Kunst arbeiten. Gebäude­techniker Nino Baumgartner und Florian Nya Bürki von der technischen Leitung, Lea Fuhrer, Teo Petruzzi und Christoph Studer vom Empfang und vom Buchladen sowie Iris Frauchiger, die die administrative Leitung innehat, und Annina Herzer (Kommunikation) gehören ebenfalls dazu. Und das sprengt in Sachen gesellschafts­politischer Bedeutung tatsächlich einige Erwartungen.

In welcher Kunstinstitution lässt sich ein Direktor schon auf eine so radikale Diversifizierung der Perspektive ein?

Streifzüge durchs Archiv der Kunsthalle: Die Ausstellung «Archival Ramblings». Cedric Mussano/Kunsthalle Bern

Im Kunst­museum Stuttgart gab es vor vielen Jahren einmal ein Experiment dazu. Der Künstler Christian Jankowski berief dort die Mitarbeiterinnen zur «Dienst­besprechung» ein, in deren Rahmen sie ihre jeweiligen Posten wechselten. Dem Tombola-Prinzip folgend, befasste sich ein Sicherheits­beamter dann mit den Aufgaben der Kuratorin, ein Haus­meister verhandelte mit dem Sponsor und der Registrar schrieb den Katalog­text. Unter Kuratoren findet man den auf diese Weise angestrebten «Kontroll­verlust» jedoch eher selten.

Im Protest- und Pandemie­jahr 2020 beschrieb Kelli Morgan, damals noch als Kuratorin am Indianapolis Museum of Art at Newfields in den USA, dass sie gezielt das Gespräch mit Personen suchte, die nicht in den kuratorischen Departments über das Ausstellungs­programm bestimmten. Insbesondere mit Personen vom Aufsichts- und Sicherheits­personal – unter ihnen seien die meisten Schwarzen, Indigenen und People of Color. «Ich besuchte und hielt Vorträge in ihren Kirchen», erklärte sie, «arbeitete mit lokalen Schwarzen Künstlern zusammen an Projekten, die bereits in ihren Gemeinden stattfanden, und an ausser­schulischen Programmen mit ihren Kindern.» Und sie bot «Jugendlichen und jungen Erwachsenen in ihrer Nachbarschaft individuelle Betreuung an».

Morgan bemühte sich auf diese Weise darum, den exklusiven musealen Kunst­geschmack und die dahinter­liegenden Werte zu hinter­fragen. In Museen in den USA manifestiere sich schliesslich das gesamt­gesellschaftliche System, das auf Sklaverei gründe und durch diverse Praktiken der Marginalisierung und Auslöschung am Laufen gehalten werde, stellte Morgan heraus.

Blaupause für Chancen­gleichheit

Nun hat die Schweiz eine andere Geschichte als die USA. Allerdings werden Kunst­institutionen auch hierzulande allmählich zur Blaupause für allgemeine Chancen­gleichheit, Aufstiegs­möglichkeiten, Fragen der gerechten Verteilung und Sichtbarkeit. Das führen kanon­bildende Ausstellungen mit Frauen vor Augen, neuere Studien des Basler Zentrums für Gender Studies über «Geschlechter­verhältnisse im Schweizer Kultur­betrieb» und Protest­bewegungen wie die von Black Artists in Switzerland. In der Schweiz macht der Bevölkerungs­anteil mit Migrations­hintergrund fast 40 Prozent aus.

Und vielleicht ist eine im Kollektiv erarbeitete Schau wie «Archival Ramblings» in der Kunsthalle Bern nicht gross genug aufgezogen – sie findet eben nur in diesem einen Ausstellungs­raum gegenüber vom Eingang statt –, um strukturelle Wege aufzuzeigen, wie Inklusivität auf ganzer Linie gehen könnte. Gleichzeitig bekommt in dieser Schau zu guter Letzt aber auch noch jene Kunstform einen Auftritt, die sich traditionell eher nicht für den guten Geschmack der feinen Leute eignet.

Die Aussenwände der Kunsthalle wurden und werden wie so viele andere gerne als Leinwände angesehen, auf denen sich allerlei Schrift­züge und Zeichen verewigen lassen. Das Team der Kunsthalle hat sich nun die Mühe gemacht, den kafkaesken Umgang der Behörden mit Graffiti zu dokumentieren. Wie zu erwarten, werden die Sprayer in offiziellen Briefen aus den 1980er-Jahren als «störender Bevölkerungs­anteil» bezeichnet, der für seine «Fassaden­verunreinigungen» und die «Sach­beschädigung geahndet werden» müsse.

Das Ende gesellschaftlicher Distinktion

In der Korrespondenz findet sich trotzdem ein Schreiben, in dem gegen diesen strafrechtlichen Verfolgungs­wahn argumentiert wird. «Diesen Anteil Alltag verträgt die Kunsthalle allemal», steht da. Und: Ob es wirklich «angebracht (sei), zwischen wertvollen und wertlosen Sprayereien so zu unterscheiden, als wohl niemand daran denken würde, ein Werk des Herrn Naegeli zu entfernen» – «mit Fassaden­reinigung ist in diesem Land schon oft Problem­bewältigung vorgetäuscht worden». In der Kultur­verwaltung sassen also durchaus Personen, die ein Gespür für drängende Fragen der Ästhetik hatten.

Die Unterscheidung zwischen Hoch- und Populär­kultur ist von jeher zentrales Mittel zum Zwecke der gesellschaftlichen Distinktion gewesen. Die berühmten feinen Unterschiede in Geschmacks­fragen markieren Klassen­unterschiede, wie der französische Soziologe Pierre Bourdieu einst heraus­arbeitete. Wer oder was sich an der Fassade einer öffentlich subventionierten Kunsthalle Bern austoben darf, hat ebenso viel mit Politik wie mit Ästhetik zu tun. Deshalb steht die Fassaden­reinigung als nationale Problem­bewältigung auch wie eine Metapher in dem Schreiben – Hauptsache, der schöne Schein wird gewahrt.

Die Ausstellungs­macherinnen haben die gesamte Textstelle übrigens in der Farbe Pink unterstrichen. Und so wirkt es, als würde das Team der Kunsthalle in «Archival Ramblings» nicht nur falsche Helden verabschieden, sondern sein Vorbild für ein institutionelles Selbst­verständnis in Szene setzen. Die Kunsthalle wirkt hier jedenfalls tatsächlich wie jene «Anstifterin und Förderin für die Neugestaltung und Neuinterpretation der Welt, die wir bewohnen», von der bei Malatsies Amts­antritt vor einem Jahr die Rede war.

Sie werde zum Jahres­ende zurück nach Kapstadt ziehen, informiert die Direktorin auf Nachfrage dann noch am Schluss, als Jackie Karutis Sound- und Video­installationen endlich laufen. Über ihre Kündigung möchte sie offiziell aber nur mitteilen: «Leute kündigen ständig ihre Jobs aus den unter­schiedlichsten Gründen – daran sollte auch im Kunst­bereich nichts Ausser­gewöhnliches sein.»

Für eine Direktorin, die anderen nicht ihr eigenes Narrativ aufdrücken und keine falsche Überzeugungs­arbeit leisten muss, die an Vernetzung und Wissens­transfer arbeitet, ist diese Zurück­haltung konsequent. Die Schweiz verliert mit Kabelo Malatsie nur leider definitiv auch Hoffnung auf Veränderung.

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