Binswanger

Berlusconi lebt

Der Cavaliere ist tot. Aber er bleibt der Vorreiter für Vulgär­politiker wie Trump.

Von Daniel Binswanger, 17.06.2023

Vorgelesen von Miriam Japp
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«Vier Hochzeiten und ein Todesfall» hiess die grosse Liebes­komödie der Neunziger­jahre. Andie MacDowell und Hugh Grant beschworen episoden­reich, sich nie im Leben zu heiraten – und bekamen sich am Ende trotzdem.

«Eine Anklage und ein Todesfall» wäre ein Titel für die grosse Polit­farce unserer Dekade.

Silvio Berlusconi, Milliardär, hoch korrupter Geschäfts­mann, ehemaliger italienischer Premier­minister und Erfinder des Populismus im Format der Privatfernseh-Trashshow hat diese Woche das Zeitliche gesegnet. So weit der Todesfall.

Donald Trump, Milliardär, hoch korrupter Geschäfts­mann, ehemaliger US-Präsident und Begründer eines neuen, die US-Demokratie bedrohenden Personen­kults, ist vor einem Bundes­gericht angeklagt worden. So weit die Anklage.

Es ist zum ersten Mal in der Geschichte, dass ein ehemaliger amerikanischer Präsident sich für ein Verbrechen – felony – vor einem Bundes­gericht verantworten muss. Im Übrigen ist es bei weitem nicht die einzige Strafklage, die gegen Trump seit seinem Ausscheiden aus dem Amt erhoben wurde (wegen Schweigegeld­zahlungen und Urkunden­fälschung) oder noch hängig ist (wegen Wahl­manipulationen, wegen sexuellen Missbrauchs, wegen Versicherungs- und Geschäfts­betrugs).

Berlusconi, das ist der Befund bei seinem Ableben, hat unsere Epoche geprägt wie nur wenige Persönlichkeiten: Er war der grosse Profiteur des Niedergangs der italienischen Traditions­parteien, der gewiefte Eroberer der politischen Leere. Und er war der Anführer einer eigentlichen politischen Stilrevolution. Das Vulgäre, Peinliche, Halbseidene, ein Sperrfeuer aus Justiz- und Korruptions­affären sowie Vorwürfen wegen sexueller Übergriffe wurden zum eigentlichen Kern seiner politischen Botschaft.

Berlusconi war kein charismatischer Führer, der die Menschen mit falschen Idealen einlullt. Er zelebrierte seinen Egoismus, seine Verachtung für Rechts­staatlichkeit und rudimentäre Anstands­regeln, seinen privaten Reichtum und Erfolg. Der staats­männische Dienst an der Allgemeinheit war seine Sache eher weniger. Aber genau damit machte er ein Identifikations­angebot, das zog. Und genau damit war er unbestreitbar der Vorkämpfer einer politischen Avantgarde – das role model von Donald Trump, der mit derselben Masche in den USA erst gut zwei Jahrzehnte später Erfolg haben sollte.

Während Italien in einer dramatischen, nun schon seit über zwanzig Jahren andauernden Schulden- und Wachstums­krise versank, war Berlusconi hauptsächlich damit beschäftigt, unzählige Gerichts­verfahren gegen seine eigene Person irgendwie in den Griff zu bekommen; Gesetze durchs Parlament zu pauken, die die Rechtslage zu seinem Vorteil abänderten; Prozesse zu verschleppen, um sich aus einzelnen der gegen ihn gerichteten Verfahren durch Verjährung heraus­zuwinden. Und das Land in seinen Bann zu ziehen mit Schutz­behauptungen und Lügen, peinlicher Selbst­darstellung und immer weiteren Skandalen.

Mit diesen mussten sich die Gerichte ebenfalls jahrelang beschäftigen, unter anderem weil Berlusconi angeklagt war, als amtierender Premier­minister eine minderjährige marokkanische Prostituierte missbraucht zu haben. Der Angeklagte machte damals geltend, er habe geglaubt, es handle sich bei dem jungen Mädchen um die Nichte des ägyptischen Staatschefs Hosni Mubarak, und er habe mit ihr keinerlei Sexual­kontakte gehabt, sondern ihr als Regierungs­chef von Amts wegen diplomatischen Schutz angedeihen lassen.

Auch um diese Affäre wurde jahrelang prozessiert – und Berlusconi in dritter Instanz 2015 definitiv freigesprochen. Rechtskräftig verurteilt – wegen Steuerbetrugs – wurde Berlusconi nur ein einziges Mal, im Jahr 2013, was zur Folge hatte, dass er für gut fünf Jahre seine politischen Rechte verlor und keine Ämter mehr bekleiden konnte. Die verhängte Gefängnis­strafe von vier Jahren musste der Cavaliere, so einer seiner Spitznamen, aus Altersgründen jedoch gar nie absitzen – und 2019 liess er sich zum Europa­abgeordneten wählen und kehrte mit seiner Partei Forza Italia in die politische Arena zurück.

Wenn es je einen Politiker gegeben hat, der sich alles heraus­genommen hat und der dafür letztlich nie zur Rechen­schaft gezogen wurde, dann ist es Silvio Berlusconi. Das Freundlichste, was man über ihn sagen kann, ist vermutlich, dass er sich für Ideologien, Gesellschafts­visionen, Gestaltungs­macht – kurz: für Politik – eigentlich gar nie interessierte. Es dürfte ihm einzig und allein um seine eigene Person gegangen sein: seine Beliebtheit, seine Milliarden, sein Sex­leben.

Eingestiegen in die Politik – da sind sich viele Beobachter einig – ist er vornehmlich, weil die Anti-Korruptions-Kampagne «Mani pulite» seinen politischen Beschützer, den ebenfalls aus Mailand stammenden Sozialisten­führer Bettino Craxi, Anfang der Neunziger­jahre erst aus seiner Macht­position und dann ins tunesische Exil trieb. Berlusconi hatte keine andere Wahl, als sich nun selbst um die nötige Protektion für seine Geschäfte zu kümmern. Also liess er sich zum Premier­minister wählen. Dafür, dass Berlusconis märchen­hafter geschäftlicher Erfolg – er kam aus einer Mittelstands­familie und wurde zum reichsten Mann Italiens – auch auf besonderen Beziehungen zur italienischen Mafia beruhte, gibt es massive Indizien. Beweise gibt es selbst­redend nicht.

Berlusconi hat das Trash-TV als Propaganda­macht entdeckt und ausgespielt mit einer Konsequenz, die wohl erst bei Trump wieder­zufinden ist. Trump war bekanntlich ein Reality-Fernseh-Star, bevor er sich zum Politiker berufen fühlte, auch seine Popularität kam anfänglich aus dem Trash-TV. Trump brauchte dazu allerdings kein eigenes Medien­imperium mehr. Ihm reichten die inzwischen dominierenden sozialen Netzwerke beziehungs­weise Kabelsender wie Fox TV, die nicht von ihm selbst kontrolliert werden, bis anhin aber recht verlässlich als Propaganda­kanäle zu seinen Diensten stehen.

Vielleicht der wichtigste Unterschied in den Kommunikations­methoden der beiden Männer: Berlusconi besass nicht nur die nationalen Privat-TV-Sender, sondern auch die AC Milan. Bis hin zum Namen seiner Partei (Forza Italia) wurde seine politische Kommunikation weniger von Ideen oder Diskursen bestimmt als von den Schlacht­rufen aus der Fankurve. Was immer das über die italienische Demokratie aussagen mag: Es funktionierte.

Die Nähe von Trump und Berlusconi ist aus heutiger Sicht verblüffend. Allerdings hat man Berlusconi als vornehmlich italienisches Phänomen betrachtet – damals, als er in den Neunziger­jahren ganz plötzlich die italienische Politik eroberte und auch noch in den Nuller­jahren, als er ein Comeback hinlegte und sich dann tatsächlich für lange Jahre an der Regierung hielt. Die Mafia-Nähe, die wüsten Korruptions­affären, die Steuer­hinterziehungs­skandale und nicht zuletzt die «Bunga-Bunga»-Partys in der Privat­residenz des Staatschefs – all dies schien so überzogen und ernst zu nehmender demokratischer Institutionen nicht würdig, dass es als Ausdruck einer notorisch schwachen, typisch italienischen Staats­tradition belächelt wurde.

Heute wissen wir, dass nichts falscher sein könnte: Berlusconi ist tot, aber die Berlusconisierung ist lebendiger denn je. Nicht nur in Italien, sondern international. Für immer weitere Teile der westlichen Welt setzen seine Methoden einen Standard, zunehmend auch mit einer autoritären Note, die dem Cavaliere eher fremd geblieben ist.

Donald Trump ist zweifellos sein wichtigster Nachfolger und politischer Erbe: Auch er versinkt in einem Strudel von juristischen Verfahren, in denen es um äusserst gravierende Vorwürfe geht, und wird gleichzeitig zum immer stärkeren republikanischen Präsidentschafts­anwärter. Dass der amerikanische Staat Trump schwerer Verbrechen anklagt, wird für einen Teil der Wählerschaft zur Empfehlung, ihn wieder zum Staats­chef zu machen. Radikaler kann die Verachtung weiter Teile der Bevölkerung für die Institutionen der amerikanischen Demokratie kaum mehr werden. Für die Zukunft der Demokratie ist das eine bedenkliche Perspektive.

Auch hier ist Berlusconi der Vorreiter. Seine eigentliche legacy besteht schliesslich darin, dass er die radikale Rechte in Italien wieder in den Sattel gehoben hat. Schon 1994 koalierte er mit den Postfaschisten von Gianfranco Fini, der sich damals allerdings gemässigter gab als heute Giorgia Meloni. Berlusconi beteiligte auch die Lega – damals noch die Lega Nord, die für die Abspaltung Nord­italiens kämpfte – an der Regierung. Er öffnete, aus reinem Opportunismus, da er sonst nicht hätte Regierungs­chef werden können, den Rechts­radikalen Tür und Tor. Und er leistete ganze Arbeit bei der Beschädigung der Glaub­würdigkeit der italienischen Demokratie.

Im Oktober 2022 schliesslich, fast dreissig Jahre später, koalierte er erneut mit den Post­faschisten und der Lega und machte Giorgia Meloni zur Premier­ministerin. Es war die stringente Krönung seines politischen Lebens­werks. Meloni verordnete eine ausnehmend üppige Staatstrauer für ihren verblichenen Amts­vorgänger. Sie weiss, was sie ihm zu verdanken hat. Sie weiss, dass sie an sein Erbe anknüpfen muss.

Die Frage ist nun, ob auch die Trump-Legacy diese Form annehmen wird. Auch Trump ist eigentlich unideologisch und kennt im Grunde nur ein einziges Programm: sich selbst. Aber auch Trump hat seine Macht auf immer radikalere Elemente in der republikanischen Partei abgestützt und sich inzwischen eine Gefolgschaft geschaffen, die noch gefährlicher und radikaler sein dürfte als alles, was Italien je gesehen hat.

Korrupte, egomane Milliardäre mit augenfällig häufigen Berührungs­punkten zum organisierten Verbrechen und einer dicken Justizakte wegen sexueller Übergriffe sind die Vorreiter des Faschismus. Für diese Lektion steht das politische Lebens­werk des Silvio Berlusconi. Es ist momentan offen, wie sie von Trump bestätigt werden wird.

Illustration: Alex Solman

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