Ein Job für die «Internet Killers»

Ein unliebsamer Mensch soll beseitigt werden? Kein Problem, versprechen Auftrags­mörder im Darknet. Unsere Autorin folgt einer Spur, die in den Raum Zürich führt – und wird selber in die Geschichte reingezogen.

Von Franziska Engelhardt (Text) und Line Hoven (Illustration), 27.05.2023

Vorgelesen von Egon Fässler
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Das kleine Mobility-Auto parkiere ich absichtlich ein paar Strassen­züge weiter weg und gehe dann zu Fuss. Ich bin nervös, vielleicht werde ich beobachtet. Es ist kurz vor Mittag am 24. November 2020. Die Überbauung in einer Zürcher Gemeinde, zu der mich Google führt, ist eine Gross­baustelle, die Häuser in Plastik gehüllt. Viele Wohnungen stünden wegen des Umbaus leer, sagt ein Mann und führt mich durch einen mit Plastik ausgekleideten Korridor zur richtigen Haus­nummer und zu dem gesuchten Namen. Kein Licht ist zu sehen.

Ich klingle und warte. Klingle nochmals. Eine kleine Frau im Trainings­anzug öffnet die Tür und schaut mich etwas verschlafen fragend an. Was sie noch nicht weiss: Ich bin hier, um eine Nachricht zu überbringen.

Die Frau soll umgebracht werden.

Wenige Tage zuvor hat mich eine internationale Podcast-Produktions­firma kontaktiert. Ihr Team arbeitete an einer investigativen Recherche, die sie ursprünglich auf BBC veröffentlichen wollten. In deren Rahmen waren sie im Darknet auf Seiten gestossen, auf denen Mord­aufträge aus der ganzen Welt entgegen­genommen werden. Nun soll für sie eine Audio­journalistin in der Schweiz eine Person aufsuchen, deren Namen auf einer solchen Seite aufgetaucht ist.

Ich zögere, schliesslich ist da eine Menge krimineller Energie im Spiel. Was mich dann aber beruhigt: Die Auftragsmord­seite ist offensichtlich ein Scam. Niemand führe die Morde aus, sagen die ausländischen Journalisten – die Betreiber der Seite sackten lediglich das Geld in Form von Bitcoins ein.

Ich war schon häufiger für ausländische Produktionen in der Schweiz unterwegs, was üblicher­weise eine kurze Sache ist. Das Risiko schätze ich als überschaubar ein, auch dank Sicherheits­vorkehrungen. Zudem fasziniert mich die Geschichte.

Also sage ich zu.

Die Journalistinnen schicken mir Screenshots der Konversation aus der Darknet-Seite «Internet Killers». Der Auftrag­geber nennt sich «Nordwand».

Nordwand, 18.10.2020: Hi Can you confirm that you can do the job in the next 5 weeks? If you confirm, I need about 1 week to organize the BTC [Bitcoin, Anm. Red.]. I will then provide with all the details about the target, a 67 year old single woman Regards

I get the BTC from the ATM machines (…).

Internet Killers, 19.10.2020: (…) Once you have all the bitcoins ready, we send the assigned hitman to do the job, is this ok? Let me know

Internet Killers, 21.10.2020: Hi, I see you have added 0.1 btc to your account. We can start preparations for the job, can you please send us a picture of the women and the full address? (…) How is going with exchanging cash to the remaining bitcoins? Let me know if we can help with anything (…)

Nordwand, 21.10.2020: Hi (…) I have no confirmation about the sending on my PC. Can you tell me why? (…)

Internet Killers, 21.10.2020: Hi, The 0,1 BTC has arrived to your escrow wallet here. You can click on escrow wallet at top of the site and you see. (…) Please send remaining BTC and the picture and address of woman (…)

Mein Kopfkino geht los. Ich stelle mir einen mafiösen Streit vor, in den eine reiche Frau verwickelt ist, die im noblen Zürichberg-Quartier wohnt. Doch ich liege falsch.

Umgebracht werden soll eine 67-jährige Frau, die einen SUV fährt, ich erhalte Infos zum Kontroll­schild, Namen und Adresse. Im Internet gibt es kaum Spuren von ihr, auf der Facebook-Seite Familien­bilder, vermutlich Enkel­kinder. Sie wohnt nicht in einem noblen Viertel, sondern in einer schlauch­förmigen Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in einer anonymen Überbauung in einer mittelgrossen Zürcher Gemeinde.

Die Polizei läutet Sturm

«Sie sind im Rahmen einer investigativen Geschichte aufgetaucht», sage ich, als die Frau noch in der Türe ihrer Wohnung steht. «Haben Sie einen Moment Zeit? Ich muss Ihnen etwas Wichtiges mitteilen, aber es ist besser, wenn Sie sich setzen.» – «Ist es so dramatisch? Dann kommen Sie herein.»

Doris, so nennen wir sie, um ihre Identität zu schützen, macht sich kurz frisch. Ich hätte Glück gehabt, normaler­weise öffne sie nie die Tür, wenn sie niemanden erwarte. Weil sie dann noch nicht repräsentabel sei. Ihre Wohnung ist dunkel. Sehr viele Dinge auf wenig Raum.

Dann setzt sie sich im Wohnzimmer zu mir auf die Couch und wir kontaktieren wie vereinbart die ausländischen Journalisten. Sie klären Doris per Videocall über ihre Darknet-Recherche auf, bereiten sie vorsichtig vor auf den heiklen Inhalt. «Das Darknet sagt Ihnen was?», fragt der Journalist. «Ja, sicher», sie sitzt gefasst neben mir und hört zu. Wichtig zu wissen sei, dass die vermeintliche Killer­website gar nicht echt sei, «aber die Leute, die den Auftrag geben, wissen das nicht und meinen es ernst. Wir sind auf einer dieser Auftragsmord­seite auf Ihren Namen gestossen.»

Doris wirkt seltsam gefasst. Sie sei nicht wirklich überrascht, sagt sie: «Ich bin gerade in einem hässlichen Scheidungs­krieg.» Vor gut drei Jahren habe sie die Scheidung eingereicht, die er bekämpfe. Es gehe um ziemlich viel Geld.

«Bis jetzt hat die Person rund 7000 Dollar in Form von Bitcoins für den Auftrag bezahlt», sagt der Journalist. «Wirklich? 7000 ist nichts. Niemand würde jemanden für diesen Betrag umlegen.» Damit hat Doris recht: Echte Auftrags­morde kosten viel mehr. In der Schweiz bewegt man sich hier preislich im sechs­stelligen Bereich, wie mir ein Cyber­experte später verrät.

Eigentlich hätten die ausländischen Journalistinnen während unseres Besuchs bei Doris die lokale Polizei informieren sollen – so sieht es ihr Sicherheits­dispositiv vor. Doch wegen der Sprach­barriere einigen wir uns, dass ich diese Aufgabe übernehme.

Ich melde mich kurz darauf bei der Polizei und bitte sie, sich direkt an die Journalisten zu wenden, die ihre Recherche­ergebnisse teilen und bei der Ermittlung unterstützen wollen. Am Abend läutet die Polizei bei Doris Sturm. Aber bis sie mit den ausländischen Journalistinnen Kontakt aufnimmt, vergehen Tage.

Internet Killers, 23.10.2020: (...) Can you please tell us what kind of accident do you think would be more ok? A car accident, or maybe robbery gone wrong? is she suffering of any medical conditions that could help us do the job easier, maybe heart problems or something and we can use some untraceable drugs to make it look like natural death? I understand we cant just shoot and drive away because you would be a suspect? Let me know

Nordwand, 24.10.2020: Hi A car accident or a robbery go wrong is ok. (…) Can you do the job in the next 2 weeks?

Internet Killers, 24.10.2020: Hi, The job will be done in about a week. I will send you update soon (...)

Doris und ihr Ex-Partner waren mehr als 20 Jahre lang verheiratet. Er sei schon immer ein Waffennarr gewesen, erzählt sie. «In seinem Nachttisch lag immer eine geladene Pistole.» Konflikte gabs wie in jeder Beziehung. Besonders viele drehten sich aber um ihre erwachsene Tochter aus erster Ehe.

Irgendwann eskalierte das Ganze vollends und er stellte sie vor die Wahl: entweder sie oder er. Das war zu viel. Sie reichte die Scheidung ein, packte ihre Sachen und zog aus. «Ab diesem Zeitpunkt wurde es richtig hässlich», sagt sie und zeigt alte Whatsapp-Nachrichten, die sie aufgehoben hat. Die Worte «Schlampe» und «Drecksau» gehören zum festen Vokabular. Ein Beispiel vom 23. Dezember 2017:

Du elende Drecksau lässt dich also nicht mit 500’000 Franken abspeisen. 25 jahre auf der faulen haut gelegen und nur profitiert 👊 Glaub mir du und deine Schlampen­tochter (…) kriegen gar nichts.

Antwort Doris:

Ich wünsche dir schöne Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr. (…) Es wäre schön, wenn wir im neuen Jahr auf einem etwas höheren Niveau verkehren könnten. Guten Flug ✈️

Das Niveau wurde nicht höher. Sie erzählt, dass er ihr Auto mit einem GPS-Tracker versehen und mit einem Privat­detektiv gedroht habe, um sie zu überwachen. Und weil sie jetzt in der Nachbar­gemeinde wohnt, laufen sie sich auch immer mal wieder zufällig über den Weg. «Das letzte Mal vor wenigen Wochen», erzählt Doris. Sie sei mit ihrem Sohn, ihrer Tochter und Freunden in einem Restaurant gewesen. «Er war zufällig mit seiner neuen Partnerin da. Beim Hinaus­gehen schaute er mich an und machte so.» Sie zeigt die Halsabschneider-Geste.

Das war wenige Tage, nachdem der Ex-Mann den Mordauftrag im Darknet aufgegeben hatte. Dieser klappt aber nicht wie geplant. Am 22. November 2020 teilen ihm die «Internet Killers» mit, dass bereits der zweite Auftrags­mörder den Job nicht habe ausführen können.

Internet Killers, 22.11.2020: (...) We can either give you a full refund, or we can assign a better (…) skilled hitman. We have a ex-military trained premium skilled hitman available to do the job (…) in 2-3 days, however he is in the 50k price range. (...)

Weil er ein guter Kunde sei, bieten die «Killers» ihm einen Rabatt von 20’000 Franken an: Er soll nur noch zusätzliche 5000 Dollar zahlen. Sein Wallet habe zum jetzigen Zeitpunkt Bitcoins im Gegenwert von 24’504 Dollar.

Nordwand, 23.11.2020: Hi Ok, last chance. i need about 3 days to organize the BTC, Please confirm that you can do the job in five days after i sent the BTC.

Internet Killers, 25.11.2020: Hi, I see that bitcoin arrived to your account. We will start the job (...)

Es ist der 25. November 2020, ein Tag nachdem Doris vom geplanten Mord erfährt. Sie verdächtige ihren Ehemann wegen eines jahrelangen Scheidungs­kriegs, bei dem es um viel Geld gehe, sagt sie zur Kantons­polizei Zürich. Sie erstattet Straf­anzeige gegen unbekannt.

Mir gegenüber zeigt sich Doris irritiert, dass sich die Polizisten abschätzig über die ausländischen Journalisten äussern. Sie hätten ihr gesagt, dass diese möglicher­weise selber hinter der Website stünden, um daraus eine grosse Geschichte zu machen. «Sie rieten mir, nicht mehr mit ihnen zu sprechen.»

Die ablehnende Haltung gegenüber Journalisten fällt auch mir auf. Der Kantons­polizist, der am Abend zu Doris’ Haus fährt und mich anruft, um mehr Details zu erfahren, redet in einem überheblichen Tonfall, fällt mir ins Wort. Ich verweise auf die Journalistinnen, die den Fall aufgedeckt haben. Doch statt sie zu kontaktieren, bittet mich der Polizist um weitere Informationen der «vermeintlichen Journalisten».

Es dauert fünf Tage, bis der Medien­dienst der Kantons­polizei Zürich mit den ausländischen Journalistinnen in Verbindung tritt. Diese sind erstaunt über die unkooperative Haltung der Schweizer Behörden, die sie als einzigartig schwierig empfinden.

Am 2. Dezember kommt Bewegung in die Geschichte. Gegen Mitternacht informieren die ausländischen Journalisten die Polizei per Mail über eine am Vortag neu getätigte Bitcoin-Zahlung, die sie als sehr beunruhigend einstufen. Sie sind zwar sicher, dass die Website betrügerisch ist. Doch dem Auftrag­geber ist es offensichtlich richtig ernst.

Die «Internet Killers» fordern weitere 3000 Dollar, weil der Bitcoin an Wert verloren habe. Sonst weigere sich der hitman, den Job auszuführen. Der Auftrag­geber wittert noch immer keinen Betrug.

Nordwand, 1.12.2020: Hi I sent you the BTC Please confirm and confirm that you do the job in the next 5 days

Ein Total von rund 33’000 Dollar ist ihm der Mord bis jetzt wert.

Weil die Polizei davon ausgeht, dass die Website echt ist, drängt sie Doris am nächsten Morgen, ihre Wohnung zu verlassen. «Zuerst weigerte ich mich, ich wollte mich nicht vertreiben lassen», sagt sie. Aber schliesslich stimmt sie doch zu und wird von einem unmarkierten Polizei­wagen zu einem Freund in einem anderen Kanton gefahren, eskortiert von einem weiteren Wagen. Unterdessen inspiziert die lokale Polizei die Wohnung des Freundes – für den Fall, dass es zu einem Einsatz kommt. «Es war alles surreal, aber Angst hatte ich nicht», sagt Doris.

Ein Arsenal von Waffen

Knapp zehn Tage später, am Morgen des 11. Dezember 2020, fährt die Polizei mit drei Einsatz­wagen und einer Ambulanz zum Wohnort des Verdächtigen. Um 8.50 Uhr führt sie Doris’ Ex-Partner, der keinen Widerstand leistet, ab und bringt ihn zum Gefängnis in der Stadt Zürich, wo er in Untersuchungs­haft gesetzt wird.

Bei der anschliessenden Haus­durchsuchung stellen die Behörden Hard- und Software sicher, die Beweise liefern könnten für die Aktivitäten im Darknet. Und bei einer weiteren Haus­durchsuchung zwei Wochen später findet die Polizei Dokumente eines angemieteten Lagerraums.

Als sie den Raum öffnen, blicken sie in ein Waffenlager: Revolver, mindestens zehn Pistolen, Maschinen­pistolen, Kalaschnikows, eine Maschinen­pistole Modell Uzi, die der Beschuldigte zu einer Serien­feuerwaffe umgebaut hat, Spring­messer massive Bauweise mit Scheiben-Einschlag-Dorn, ein Schlagstock, Pfefferspray, diverse Munition, fein säuberlich bereit­gelegte Ersatz­kleider und eine Erdoğan-Maske – um nur einen Bruchteil der beschlagnahmten Gegen­stände zu nennen.

Doris erzählt später, dass ihr Ehemann die Erdoğan-Maske früher an Themen­partys getragen habe. Im heutigen Kontext wirkt sie vor allem bedrohlich. Auch auf mich. Weil ich den Fall bei den Behörden meldete, taucht mein Name in den Ermittlungs­akten auf. Dies wird mir erst bewusst, als mir der Kantons­polizist bei der Einvernahme rät, meine Arbeits­adresse anzugeben und nicht meine private. Der Beschuldigte würde das schliesslich alles zu sehen bekommen.

Im Einvernahme­protokoll vom 7. Dezember 2020 lasse ich unter «Ergänzungen» festhalten: «Falls mir etwas passieren sollte, können Sie den Link direkt zum gleichen Täter schlagen, ich habe sonst nämlich keinerlei Feinde.»

Mitte Januar 2021 sitzt der mutmassliche Mord­auftraggeber immer noch in Untersuchungs­haft. Eine Aussage verweigert er. Aber die Cybercrime-Abteilung der Kantons­polizei Zürich war erfolgreich: Sie konnte die Spur des Chats auf ihn zurück­führen. Auch die Bitcoin-Bezüge konnten ihm nach­gewiesen werden: Doris wurden Fotos der Video­überwachung an ATM-Automaten vorgelegt. Darauf ist er deutlich erkennbar. Ermittlungen bei den Betreibern der ATM-Automaten erhärteten den Verdacht.

Der Beschuldigte legt kurz darauf ein voll­umfängliches Geständnis ab. Er habe Existenz­ängste, sagt er. Die Forderung, die seine Ex-Frau im Rahmen der Scheidung stellte, findet er vermessen; er glaubt, sie werde seine Zukunft ruinieren.

Der Mann bleibt aber weiterhin in U-Haft, noch gibt es zu viele Risiken. Die Ermittlungs­behörden sind sich nicht sicher, ob die Auftrags­killer nicht doch existieren – und wie gross die Gefahr ist, dass der Beschuldigte nach seiner Freilassung sogar selbst zur Waffe greift. Die Behörden hätten ihren Ex-Partner an einen Computer gesetzt und von ihm verlangt, dass er den Mord­auftrag zurückzieht und das Geld zurück­fordert, sagt Doris. Dann noch einmal. Doch die «Internet Killers» waren verstummt.

Was ist echt, was ist gefälscht?

«Wir hätten den Fall zu über 80 Prozent als Scam eingestuft. Es gibt verschiedene red flags», sagt Marc Ruef, als ich ihm den Chatverlauf vorlege. Ruef ist Cyberexperte, seine Firma Scip arbeitet unter anderem mit den amerikanischen Strafverfolgungs­behörden zusammen und bildet auch Polizistinnen in der ganzen Schweiz im Cyberbereich aus. Die Diskussion im Chat wirke überhaupt nicht professionell. «So würde man nicht miteinander reden», sagt er, fast schon ein bisschen belustigt.

Herr Ruef, wieso müsste man stutzig werden?
Zum Beispiel wird erst nach der Aushandlung des Preises darüber diskutiert, ob es sich um einen «clean hit» handeln soll, also einen präzisen Mord, oder um einen «non-clean hit», einen möglichen Unfall. Dieser Aspekt beeinflusst jedoch die Preis­struktur massgeblich und wird immer zu Beginn geklärt. Sollte es sich um einen «non-clean hit» handeln, würde in einem nächsten Schritt besprochen, ob die Beseitigung von Spuren gewünscht ist.

In diesem Fall wurden ständig neue Nach­forderungen gestellt.
Wenn immer mehr Geld verlangt wird, sollte der Scam offensichtlich werden. Hinzu kommt, dass bei der Durchführung zwei Auftrag­nehmer innert kürzester Zeit versagt haben. So schnell zwei unabhängige Leute in der Schweiz aufzutreiben, die ihren Auftrag jedoch beide nicht erfüllen können, ist unrealistisch.

Wie meinen Sie das?
In der Schweiz gibt es Auftrags­killer nicht wie Sand am Meer. Die können nicht innerhalb weniger Tage ersetzt werden. In Ländern wie Kambodscha oder Indonesien wäre das eine andere Geschichte.

Was sagen Sie zu den geflossenen Geld­beträgen?
Für die Schweiz sind die natürlich total unrealistisch. Wir haben öffentliche und verifizierte Preise von professionellen Auftragsmord­anbietern auf der ganzen Welt ermittelt. In der Schweiz sind Preise eher im sechs­stelligen Bereich zu finden.

Kennen Sie die Seite «Internet Killers»?
Die existiert so nicht mehr. Aber es gibt immer wieder neue Angebote mit ähnlichen oder gleichen Namen. Je plakativer ein Anbieter daher­kommt, umso dubioser ist er.

Wie schwer sind solche Seiten überhaupt zu finden?
Verbotene Dinge, die man im Darknet ohne Probleme findet, sind relativ oft Betrugs­angebote. Gerade bei Seiten für Waffen­handel und Auftrags­morde ist das sehr stark der Fall. Die echten Angebote bleiben vorerst verborgen und können nur über Beziehungen gefunden werden.

Wie viele sind fake, wie viele real?
Wir gehen davon aus, dass 99 Prozent der Seiten mit Angeboten für Auftrags­morde nicht echt sind. Ob es sich dabei um Troll­seiten oder systematische Scams handelt, ist oftmals schwierig abzuschätzen.

Die Chatverläufe sind jetzt im Darknet nicht mehr auffindbar. Aber wie war es überhaupt möglich, dass mitgelesen und daraus Screen­shots gemacht werden konnten?
Grundsätzlich gilt: Wenn eine Darknet-Seite länger besteht, ist etwas fishy. Je länger ein System existiert, desto mehr Schwach­stellen hat es. Sei es systematisch oder per Zufall, aber die Journalisten werden ein Leak genutzt haben, sind dann dringesessen und haben zugeschaut.

Wie aussergewöhnlich ist dieser Fall für Sie?
Dieser direkte Bezug zur Schweiz und wie der Fall in eine Zürcher Gemeinde führt, das ist sehr ausser­gewöhnlich.

Herauszufinden, ob es in der Schweiz ähnliche Fälle gegeben hat, ist schwierig. Marc Ruef sagt, seine Firma habe rund 100 Auftrags­morde verifiziert, die allermeisten davon im Ausland. In der Schweiz seien ihm zwei bis drei Fälle bekannt im Zeitraum zwischen 2000 und 2010 – allerdings hatten diese noch nichts mit dem Darknet zu tun. Einen vergleichbaren Fall wie derjenige, der mich zu Doris geführt hat, kennt er in der Schweiz nicht.

In der jährlichen polizeilichen Kriminal­statistik der Schweiz werden zwar Cyber­delikte aufgeführt, aber keine im Zusammenhang mit Auftrags­morden. Das Fedpol verweist mich an die kantonalen Polizei­korps, weil die Straf­verfolgung solcher Mordfälle in deren Zuständigkeit falle. Doch auch der Medien­sprecher der Kantons­polizei Zürich, deren Cyber­abteilung in diesem Fall erfolgreich ermittelt hat, kann keine Zahlen nennen. Es handle sich aber um ganz vereinzelte Fälle – wie viele konkret, könne er nicht sagen. Dieser Fall sei sicher nicht alltäglich. Vielleicht könne die Staats­anwaltschaft meine Frage beantworten. Doch auch diese kann dazu «leider keine verlässlichen Angaben machen».

Im Mai 2021 wird «Nordwand» unter strengen Auflagen aus der U-Haft in den Haus­arrest entlassen. Er muss eine elektronische Fussfessel tragen und es wird ihm untersagt, mit Doris und den ausländischen Journalisten Kontakt aufzunehmen, die bei den Ermittlungen geholfen haben.

Wenn ich mit Doris spreche, sagt sie immer wieder, sie sei kein ängstlicher Typ. Trotzdem denkt sie ständig: Wenn ich jetzt die Wohnungstür aufschliesse, steht er vor mir. Auch ich selber, die lediglich als Vermittlerin diente, frage mich manchmal, ob der Mann mich vielleicht aufsuchen könnte. Es ist ein unangenehmer Gedanke.

Ein halbes Jahr später spricht das Scheidungs­gericht Doris zu, was sie ursprünglich aus der güter­rechtlichen Trennung gefordert hat: einen hohen Geldbetrag und Unterhalts­zahlungen, bis ihr Ex-Mann pensioniert ist. Genau das, was er mit einem Mord an ihr verhindern wollte.

«Wieso hat er die Scheidungs­vereinbarung unterschrieben?», frage ich Doris. Weil er nun keine Fussfesseln mehr tragen müsse, sagt sie. Zudem sei der Haus­arrest von 22 bis 5 Uhr morgens aufgehoben. Sie ist erleichtert darüber, dass der Scheidungs­krieg damit ein Ende hat. Ein Rayon­verbot rund um ihre Wohnung besteht weiterhin. Das Waffen­arsenal ihres Ex-Mannes wurde mittlerweile konfisziert, im Waffen­register wurde er gesperrt.

Als Teil der Scheidungs­vereinbarung hat sich Doris bereit erklärt, ihre Anzeige zurück­zuziehen. Sie hat wenig zu verlieren. Zum Prozess kommt es auch so, weil es sich um ein Offizial­delikt handelt.

Kein rechtsfreier Raum

Nordwands Mordplan ist aufgeflogen. Aber wie häufig sind geplante Verbrechen erfolgreich? Marc Ruef, der seit langem im Bereich Cyber­security tätig ist und viel mit Kriminalität zu tun hat, sieht vor allem, dass viele Verbrechen nicht gelingen. «Für mich ist klar: 99,9 Prozent der Kriminellen sind Idioten. Die Beweg­gründe, der Plan und die Ausführung sind schlecht. Und entsprechend fliegen sie auf.»

Wenn man sich als Erstes das Motiv anschaue, habe man relativ schnell einen engen Zirkel von Leuten, die für eine Tat infrage kommen. Dann sei die Sache meistens schnell geklärt.

Kaum zu finden sind hingegen die Betreiber von betrügerischen Auftragsmord­seiten. Auch in diesem Fall sind die anonymen «Internet Killers» ungeschoren mit dem Geld davon­gekommen. Deswegen sei das Internet aber noch lange kein rechts­freier Raum, sagt Ruef. Es brauche auch keine neuen Gesetze, denn die meisten illegalen Aktivitäten wie Waffen­handel, Drogen­handel oder Menschen­handel würden zwar im Darknet orchestriert, jedoch in der realen Welt ausgeführt.

«Das grössere Problem sind die Trägheit der Straf­verfolgung und die fehlende internationale Zusammen­arbeit. Wenn diese Punkte optimiert werden, wird es für die Kriminellen schwierig», sagt Ruef.

Irgendwann hat es ihm «ausgehängt»

25. Mai 2023. Von ihrem erwachsenen Sohn begleitet, fährt Doris im schwarzen SUV zum Bezirks­gericht Uster, wo zweieinhalb Jahre nach dem geplanten Mord der Prozess stattfindet.

Ihr Ex-Mann ist angeklagt wegen versuchter Anstiftung zum Mord sowie Wider­handlung gegen das Waffen­gesetz. Es kommt zu einem abgekürzten Verfahren: Der Beschuldigte ist geständig, und die Höhe der Sanktion – fünf Jahre Freiheitsstrafe – wurde zwischen der Staats­anwaltschaft und der Verteidigung bereits ausgehandelt. Offen ist nur noch, ob die Richterinnen zustimmen.

Doris begegnet ihrem Ex-Mann zum ersten Mal, seit er ihr im Restaurant das Hals­abschneider-Zeichen gezeigt hat. Es sei ihr egal, wie hoch die Strafe ausfalle, sagt sie: «Hauptsache, er wird bestraft.»

Es gehe ihm nicht so gut, sagt der 60-jährige Beschuldigte, ein grosser, schlaksiger Mann, als er vor den zwei Richterinnen und dem Gerichts­präsidenten sitzt. «Wegen dieser blöden Straftat, die ich mir selber nicht erklären kann.» Er erzählt von seiner schwierigen Situation, damals, als er «unvorbereitet» das Scheidungs­begehren seiner Frau im Briefkasten gefunden habe. Von ihrer horrenden Geld­forderung und von 200’000 Franken Erbvorbezug für ihre Tochter. Als dann auch noch die Pandemie und eine schwere und teure Krebs­erkrankung seiner neuen Partnerin dazugekommen seien, habe es ihm «ausgehängt».

Ob er sich überlegt habe, die Tat auch selber auszuführen, fragt der Gerichts­präsident.

«Das könnte ich nicht.»

«Trotz Waffen?»
«Ich bin Sportschütze.»

«Aber einen Auftrags­killer zu engagieren, ist besonders heimtückisch.»
«Jeder Mord ist heimtückisch.»

Der Richter spricht die internationale Recherche an, dank der die geplante Tat aufflog.

«Wenn die investigativen Journalisten keine Recherche gemacht hätten, wäre Ihnen niemand auf die Schliche gekommen. Hätten Sie von sich aus aufgehört?»
«Wenn immer weiter Geld verlangt worden wäre, hätte ich gedacht, etwas stimmt nicht.»

«Die Frage ist: Dann hätten Sie was anderes gemacht? Ziel war ja, ihre damalige Frau zu ermorden. Dann hätten Sie sich sagen können, ich suche jetzt jemand anderes.»
«Das hätte ich wahrscheinlich nicht gemacht. Im September 2021 ist dann meine Partnerin gestorben. Dann musste ich die teuren Krebs­medikamente nicht mehr bezahlen.»

Fünf Jahre Freiheitsstrafe, wie sie der Urteils­vorschlag vorsieht, sind gemäss seinem Verteidiger die Mindest­strafe bei Anstiftung zu Mord. Sie kamen zustande wegen mehrerer straf­mildernder Umstände, darunter leichte verminderte Schuld­fähigkeit und weil es ein untauglicher Versuch war.

Der Beschuldigte sieht zwar seine Schuld ein – «So was macht man nicht» – und entschuldigt sich. Er bittet aber darum, die Strafe in Halb­gefangenschaft verbüssen zu können, damit seine Firma nicht untergehe und er den Forderungen seiner Ex-Frau nachkommen könne.

Die Richterinnen bestätigen schliesslich den Urteils­vorschlag in Gänze. Wobei Halb­gefangenschaft für den Mann nicht infrage kommt, da dies nur möglich ist bei Strafen von maximal einem Jahr. «Die Anklage­schrift liest sich wie ein Drehbuch zu einem Film», sagt der Gerichts­präsident. Nur sei das Ganze leider «bittere Realität». Der Beschuldigte sei «kaltblütig, krass egoistisch und heimtückisch» vorgegangen und habe beim Opfer enorme Unsicherheit ausgelöst.

Der Verurteilte und sein Verteidiger verlassen das Gebäude schweigend. Auch Doris ist nicht in Feier­laune, macht eher einen gefassten Eindruck. Aber sie habe keine Angst, sagt sie, obwohl ihr Ex-Mann aktuell noch auf freiem Fuss ist. «Er wäre zu feige, und Waffen besitzt er auch nicht mehr.»

Sie will nun endlich dieses schwierige Kapitel in ihrem Leben abschliessen. Dann macht sie sich mit ihrem Sohn auf den Weg zu ihrer Tochter und den beiden Enkel­kindern.

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