«Es ist unmöglich, eine bessere Welt aufzubauen, wenn man sich diese nicht zuerst vorstellen kann»

Lesley Lokko kuratiert die wichtigste Architektur­ausstellung – die Biennale di Venezia, die in Kürze eröffnet. In ihrem «Labor der Zukunft» denkt sie Dekolonialisierung und Dekarbonisierung zusammen.

Von Antje Stahl, 13.05.2023

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Vorgelesen von Miriam Japp
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Lesley Lokko.Tino Chiwariro

Es ist wirklich nett, dass Lesley Naa Norle Lokko als Kind ein Fan von Däumelinchen war – dem Mädchen aus dem gleichnamigen Märchen von Hans Christian Andersen. Und mir im Gespräch erzählt, sie habe es einfach so unwahrscheinlich gefunden, dass Däumelinchen so klein sei und in eine Walnussschale passe.

Wenn ich nun Lesley Naa Norle Lokko in einem Artikel porträtieren darf, verhält es sich mit dem Text nämlich so, wie sich die Walnussschale zu einem ausgewachsenen Menschen verhält: viiiiel zu wenig Platz. Aber hey. In wenigen Tagen eröffnet die von Lokko kuratierte 18. Internationale Architektur­ausstellung in Venedig. Und die 20 Minuten, die mir die Presseabteilung als Zeitfenster für ein Interview eingeräumt hat, die laufen auch schon davon.

Spätestens seit der Presse­konferenz der Biennale di Venezia Ende Februar steht immerhin Lokkos Konzept fest: Sowohl im zentralen Pavillon in den Giardini als auch in den Arsenale-Hallen wird «The Laboratory of the Future», Lokkos «Labor der Zukunft», eingerichtet. Darin soll es, wie der Titel schon verheisst, um nichts weniger als neue Zukunfts­entwürfe gehen, die von sogenannten agents of change in Szene gesetzt werden. Alle Projekte würden mittels eines einzigen Werkzeugs realisiert: «der Vorstellungskraft», betonte Lokko. «Es ist unmöglich, eine bessere Welt aufzubauen, wenn man sich diese nicht zuerst vorstellen kann.»

Eine Ausstellung ist kein Roman

Nun gut. Auf einige mag dieses Bekenntnis zum Architekten als Avantgardisten vielleicht nicht allzu avantgardistisch wirken. Der Kurator der vergangenen Ausgabe der Architektur­biennale, Hashim Sarkis, hatte seiner Schau noch die Frage vorangestellt: «How will we live together?» – «Wie werden wir zusammenleben?» Und ebenfalls alle Teilnehmerinnen gebeten, sich Räume vorzustellen, in denen wir dann hoffentlich «generously», also auf grosszügige Weise, zusammenleben können.

Lokko allerdings richtet – als vierte Frau und erste Schwarze unter den Architektur­biennale-Kuratoren – das «Scheinwerfer­licht zum ersten Mal überhaupt auf Afrika und die afrikanische Diaspora, diese fliessende und miteinander verwobene Kultur von Menschen afrikanischer Herkunft, die sich nun über den ganzen Globus erstreckt». Und schon bevor der Rummel um die rund 90 Biennale-Projekte losgeht, gibt es in vielerlei Hinsicht Anlass, sich vor Lokko zu verneigen.

Ihr ursprüngliches Konzept, die Venedig-Biennale wie eine «Story» aufzuziehen, verwarf sie nach nur wenigen Wochen. Schade, könnte man sich denken, da Lokko vom Geschichten­erzählen viel versteht. Sie hat bis dato schon etliche Romane publiziert, die es schaffen (jedenfalls laut ihrem deutschsprachigen Diana-Verlag, der gerade dichtmacht), Frauen «auf hohem Niveau (zu) unterhalten». Ihre Erzählungen sind Pageturner-Schnulzen über familiäre und freundschaftliche Zwistigkeiten in politisch aufgeladenen Kulissen zwischen England und Süd- beziehungsweise Westafrika, die von sehr diversen Protagonistinnen und Stimmen leben. So möchte sie auch die Schau in Venedig lieber als «Kaleidoskop» und «Prozess» verstanden wissen.

In der Architektur gebe es bereits eine Geschichte, betonte sie jedenfalls auf der Pressekonferenz im Februar. Das Problem sei nur, dass es dabei immer nur einen Helden gebe: den Star­architekten. Damit meint Lokko nicht nur die weissen Herren, die vor ihr über die thematische Ausrichtung der Venedig-Biennale bestimmten: David Chipperfield, Rem Koolhaas, you name them. Sie bezieht sich auf eine lange Tradition aus Praxis und Lehre, in der die bedrückende Abwesenheit der Geschichte ihres Kontinents bis hinein in ihre eigene Studienzeit in den 1990er-Jahren zum Programm gehörte.

Jenseits von Afrika

Lokko wurde 1964 in Schottland geboren, ging in der Heimat ihres Vaters, in Ghana, zur Schule, bevor sie nach einigen Umwegen (Soziologie­studium in den USA, Büro- und Barjobs) ihr Architektur­studium an der Bartlett School of Architecture in London aufnahm und 1995 mit einem Diplom abschloss. Dort begegnete ihr dann auch der berühmte «Tree of Architecture», eine Art Stammbaum, der die Entwicklung architektonischer Stile vom Tempel bis hin zum skyscraper veranschaulicht und der Generationen von angehenden Architekten vermittelt wurde. Der Urheber dieses Stammbaums, Sir Banister Fletcher, hatte nur leider vergessen, einen ganzen Kontinent und seine Bauten in Erwägung zu ziehen: Afrika, wie Lokko feststellte.

Der Stammbaum der Architektur von Sir Banister Fletcher.

«Wir als Praktiker, Pädagogen, Theoretiker, Schwarz und Weiss (als ob dies die einzigen zwei verfügbaren Kategorien wären) haben nie» ein Gespräch darüber geführt, wie «race, hier verstanden sowohl als essenzialisierende Trope von ‹Unterschied› als auch als alltägliche rassistische Erfahrung von Millionen», Architektur beeinflussen könnte, schreibt Lokko im Vorwort von «White Papers, Black Marks». Der von ihr herausgegebene Sammelband erschien im Jahr 2000. In zwölf Kapiteln widmet sich das Buch dem prekären, politisierten Verhältnis von «race» und «architecture».

Im Vorwort lässt Lokko keinen Zweifel am interdisziplinären Denken und Architektur­begriff aufkommen, die ihren Blick und auch den der Autorinnen prägen: Architektur sei mehr als ein Gebäude. Architektur sei eine Manifestation sozialpolitischer Macht­verhältnisse. Und wer sich mit ihr beschäftige, frage zwangsläufig, auf welche Art und Weise die gebaute Umwelt kulturelle Hegemonie «heraufbeschwört» oder womöglich sogar eigenhändig «mit aller Kraft durchsetzt».

Besonders bewegend für Lokkos persönlichen Werdegang scheinen im Rückblick die Essays «The Colonial Face of Educational Space» (das koloniale Antlitz von Bildungs­einrichtungen) von Ola Uduku und «Apartheid Urban Development» (Apartheid in der Stadt­entwicklung) von Malindi Neluheni zu sein. Im Kern geht es darin um Ausbildungs­möglichkeiten von Schwarzen in den ehemaligen britischen Kolonien in West- und Südafrika.

Uduku zeigt nach intensiver Recherche, dass Schulen in Westafrika nach dem Ende der kolonialen Herrschaft nach wie vor im Stil kolonialer Schul­architektur gebaut wurden. Und dass sie damit, als Prestige­symbol für ein altes westliches Bildungssystem, den strukturellen Wandel hin zu einer globalen und digital vernetzten Gesellschaft noch im späten 20. Jahrhundert hemmen.

Von Malindi Neluheni liess sich lernen, dass, wer eine Dorfschule besucht hat, wenig Chancen hat, an einer der Hochschulen angenommen zu werden, an denen Architekten oder Stadtplaner ausgebildet werden. «Die Mehrheit der Menschen, die schon immer wussten, welche Art von Planung für schwarze Menschen in Südafrika geeignet wäre, haben den grössten Teil ihres Lebens in weissen Vorstädten gelebt, hatten Zugang zur besten Bildung (...) – und vor allem durch die Wahlurne die politische ‹Kontrolle› über ihr Leben.» Keiner von ihnen kenne das «städtische Leben (...), in einem ‹Streichholz­schachtel›-Haus zu leben, um 3 Uhr morgens im Dunkeln über Staub zu spazieren , (...) um ihren Lebensunterhalt in den Minen von Johannesburg zu verdienen, ein ganzes Jahr (und oft mehr) von ihren Familien getrennt» zu sein.

Eine Revision des Bildungswesens ist das Mindeste, wofür hier plädiert wird. Und die nimmt Lokko seither auch selbst in Angriff.

«Der Tod der Vorstellungs­kraft»

2007 erlangte sie an der University of London die Doktorwürde. Nach vielen universitären Stationen in England und in den USA (die sie, wie gesagt, nicht zuletzt damit verbrachte, viele Romane zu schreiben) gründete sie 2015 die Graduate School of Architecture an der University of Johannesburg. Als Direktorin sorgte sie dafür, dass sich die Anzahl der Studierenden von ursprünglich elf auf über hundert erhöhte.

Es könne nicht nur darum gehen, betont sie bis heute, den Kanon von seinen euro­zentristischen Wurzeln zu befreien und das eine kanonische Buch eines westlichen Autors gegen eines von einem afrikanischen Wissenschaftler auszutauschen. «Dekolonialisierung» – ein Begriff, den sie übrigens für ein Buzzword hält – bedeute so viel mehr.

Lokko spricht selbst lieber von einer «grey area» aus «Werten und Weltsichten», die vom kolonialen Erbe geprägt waren, es mitunter bis heute sind, zwischen denen aber greifbare Erfahrungen lägen, die zu einer neuen Form des Wissens führen werden. Der Schlüssel zu diesen Erfahrungen stecke in der Bestärkung von jungen Leuten «of being other».

Im Interview kritisiert Lokko zudem den «lächerlichen» Beschützer­instinkt der Profession gegenüber ihrem Titel: Architekt. Als ob es sich bei der Architektur nicht um eines jener «expanded fields» (erweiterten Felder) handle, in dem Raum, Materialien, Ressourcen, Staats­bürgerschaft, Wirtschafts­kreisläufe nur interdisziplinär erforscht werden können.

Man müsse vielmehr darauf achtgeben, wer Architektur wie finanziert. Und alle, die Erfahrungen an Architektur-Departementen in der Schweiz gesammelt haben, wird eine weitere Kritik von Lokko besonders freuen: die Kritik am Fetisch, «alles zu messen». Das Lernen zu messen – etwa indem Studierende am Ende eines Semesters ein Projekt abgeben müssen –, das sei das Gegenteil von Kreativität, sagt Lokko. Das sei «the death of imagination» – der Tod der Vorstellungskraft.

Zwischen Protest und Pandemie

Ende 2019 trat Lokko ihre neue Rolle als Dekanin der Bernard and Anne Spitzer School of Architecture am City College in New York an. Wenige Monate später brachen in den USA die Black-Lives-Matter-Proteste aus, die Lokkos Forschung ins Zentrum des politischen Widerstands stellten. Man bedenke nur den Sturz der Denkmäler, der in diversen Staaten in Angriff genommen wurde, um der monumentalen Reiterstatuen­verehrung von Machthabern und Soldaten ein Ende zu setzen, die einst an der Sklaverei als Staatsräson festhielten. Im Laufe des Jahres 2020 breitete sich auch das Coronavirus aus und zwang New York in den Lockdown.

Lokko erlebte ihre Arbeit an der Architektur­schule als eine Entscheidung zwischen «Leben und Tod» und kündigte.

Im Gespräch mit der Republik erzählt sie, ihr Vater (der als Arzt beim Militär gearbeitet hatte und dem sie viele Bücher widmete) sei recht streng gewesen und habe ihr beigebracht, sich als good girl zu benehmen, Autoritäten gegenüber nicht «rebellisch» zu sein. Wenn man ihr ein Angebot gemacht habe, sei ihr erster Impuls auch nach seinem Tod immer noch, ihn stolz zu machen. In New York habe sie Verantwortung übernommen, viel Arbeitszeit investiert, allerdings bereits nach wenigen Wochen gewusst, dass der Umzug ein Fehler gewesen war.

Makola Market in Accra, der Hauptstadt Ghanas.Festus Jackson-Davis

Sobald in den USA «gender, race and labor» aufeinander­treffen, gebe es ein «issue». «Historisch gesehen waren schwarze Frauen die Arbeiter – sie bestellten die Felder, sie erledigten die Hausarbeit, sie ernährten die Babys, sie kümmerten sich um alles und jeden.» Die schwarze Frau werde von Institutionen zwar neuerdings wie ein «zweiter Messias» in Empfang genommen. Sobald sie jedoch die Organisation infrage stelle oder die Leute zur Rechenschaft ziehe für ihre Handlungen, würde sie zur Zielscheibe auserkoren. «Hätte ich weiter dort gearbeitet, wäre ich an overwork gestorben.»

In einer Vorlesung, die Lokko eine Woche nach ihrer Kündigung hielt, zeigte sie zwei aufeinander­folgende Fotos: Auf dem ersten sieht man einen New Yorker Strassen­abschnitt, besetzt von Hunderten Demonstranten der Black-Lives-Matter-Bewegung. Auf dem zweiten einen, auf dem gespenstische Lockdown-Leere herrscht. Niemand könne sagen, kommentierte sie, was dieser historische Moment zwischen Protest und Pandemie bedeute, geschweige denn nach sich ziehe.

Etwas über zwei Jahre später weiss man immerhin, was Lokko für Lehren aus der Vergangenheit zog.

African Futures Institute

2021 ging sie zurück nach Accra und gründete das African Futures Institute. Das Positionspapier hebt den historisch «günstigen» Moment für eine neue Architektur­schule heraus: Ghana, nein, «Afrika» werde als «zentraler Standort der Wissens­produktion» für architektonische Innovation und Einflüsse etabliert und zugleich eine «Hommage an die Geschichte des ‹Black Atlantic›» sein (ein Ausdruck, den der Soziologe Paul Gilroy prägte, um jene Kultur zu beschreiben, die zugleich afrikanisch und diasporisch ist).

Der geplante Campus im Stadtzentrum ist zwar noch nicht fertig, soll allerdings architektonisch ein symbolisches Zeichen setzen: Büros, Seminarräume, Vorlesungssäle, Studios und Cafeteria sollen in Gebäuden beheimatet werden, die in der westafrikanischen Bildsprache Adinkra benannt sind. Einige dieser Zeichen, etwa Aban und Fihankra, haben architektonische Bedeutungen, da sie mit Räumen der Stärke und Macht (einer Festung) oder der Gemeinschaft und Sicherheit (einer beschützten Anlage) assoziiert werden. In einer Reihe von Gesprächen mit Nat Nuno-Amarteifio – Architektur­historiker und ehemaliger Bürgermeister von Accra, der 2021 verstarb – zelebrierte Lokko zudem die mündliche Überlieferung von Stadt­geschichte, die das westliche Bildungs­system ignoriert hatte.

So erinnerte Amarteifio – wohlgemerkt während der Corona-Pandemie – daran, dass die Europäer nach ihrer Ankunft in Westafrika einst «wie die Fliegen» gestorben seien. Ghana war im Verlauf des 19. Jahrhunderts gewaltsam der britischen Herrschaft unterworfen und 1874 schliesslich zur Kronkolonie Goldküste erklärt worden. Um sich die tropischen Krankheiten, gegen die die «locals immun waren», vom Leib zu halten, wurde eine Stadt wie Accra an der Küste, von der aus der internationale Schiffshandel und Warenverkehr kontrolliert werden konnte, nach der Jahrhundert­wende infrastrukturell massiv erweitert. Man wählte neue Standorte, bevorzugt weiter oben auf den Hügeln, nicht zuletzt weil die Stadtplanung auf grotesken medizinischen Annahmen beruhte, die etwa den «Wind als Überträger von Krankheiten» identifizierten und de facto «racial segregation» zu legitimieren suchten. Nur Hausangestellte, die am Abend das Dinner zubereiten und in der Nacht putzen mussten, hätten nicht allzu weit weg wohnen dürfen.

Lokko spricht oft davon, dass «black bodies the first units of energy», dass «schwarze Körper die ersten Energie­einheiten» gewesen seien. Gemeint ist damit: Schwarze hätten die imperialistische Expansion Europas überhaupt erst befeuert («to fuel» ist Lokkos Vokabel), also gewissermassen als Treibstoff für diese Expansion herhalten müssen. Die Ausbeutung von Menschen aus dem Globalen Süden und die Ausbeutung der Ressourcen bedingen einander – der Kampf für Gleich­berechtigung und der Kampf für den Umweltschutz sind deshalb für Lokko zwei Seiten ein und derselben Medaille.

Neben «decolonization» hat sie deshalb «decarbonization» zum zweiten thematischen Schwerpunkt der Pädagogik am African Futures Institute erklärt. Die rasante Urbanisierung schreite ganz besonders auf dem demografisch jüngsten Kontinent der Welt und zumeist auf Kosten der Ökosysteme voran. Die Frage, wie Treibhausgas­emissionen und der Einsatz fossiler Brennstoffe reduziert werden können, müsste deshalb dringend dem Design­prozess vorausgehen. Afrikanerinnen seien bekannt für ihre Fähigkeit, «zurechtzukommen, zu improvisieren», sich an Lebens­verhältnisse anzupassen, erfinderisch zu sein, sagt Lokko. Und ergänzt ihre Leitfrage: «Gibt es in Bezug auf Energie­effizienz etwas (hieraus) Erlerntes, das Afrikaner dem Rest der Welt beibringen können?»

Antworten darauf wird man (von Europa aus) auf der Website des African Futures Institute finden. Oder in ihrer internationalen Architektur­ausstellung in Venedig.

Last, but not least: Venedig-Biennale

Auf der Biennale nämlich werden, genau wie in Accra, Visionen für die Zukunft auf dem Plan stehen, die die «Zwillings­themen ‹decolonization› und ‹decarbonization›» bearbeiten.

Viele bekannte Wegbegleiter von Lokko sind vertreten, etwa Francis Kéré, der 2022 mit dem renommierten Pritzker-Preis für Architektur ausgezeichnet wurde. Oder Sir David Adjaye, der die Pläne für das African Futures Institute mitentwickelte und beispielsweise das National Museum of African American History and Culture in Washington D.C. entwarf. Bereits in der Fassade dieses Museums steckt eine grosse Hommage an das Handwerk eines ehemaligen Sklaven aus Charleston, South Carolina.

Seine Form zitiert traditionelle afrikanische Kronen: Das Museum für afroamerikanische Geschichte und Kultur in Washington D.C., entworfen von Sir David Adjaye. Alan Karchmer/NMAAHC
Sonnenlicht fällt durch die Oberlichter in der Decke, die aus Tontöpfen besteht: Blick in die von Francis Kéré gestaltete Primarschule in Gando, Burkina Faso. Nataniel Sawadogo/Courtesy of Kéré Architecture

«Die Leute denken immer noch, dass es beim Sklavenhandel ums Baumwoll­pflücken ging», sagte Adjaye 2016 kurz vor der Museums­eröffnung. Es ging aber «auch um Brückenbau, Kanäle, Hausbau. (...) Diese unglaubliche Tradition der Metall­schmiedekunst durch befreite Sklaven (...) ist Teil der Geschichte der amerikanischen Architektur.»

Da Lokko die Vergangenheit jedoch lieber als «Testlauf für die Zukunft» verstanden wissen will, wie sie am Ende unseres Interviews betont, verzichte ich hier auf eine umfassende Vorschau (Vorschauen können ja zumeist nur auf zurückliegenden Projekten basieren). Herausragende Gebäude wie die von Adjaye werden die Schau ohnehin weniger stark prägen als die Filme, Gedichte, Magazine, die Malerei, die Installationen und Netzwerke von Kollektiven. Lokko schenkt lieber der nächsten Generation von Black Females in Architecture eine Bühne, die über jenen «Einfluss verfügen», der so viel «länger währt als Macht».

Schon immer übte sich die Biennale di Venezia in Politiken der Sichtbarkeit und Repräsentation. Wie jedes Jahr stellen sich ab der kommenden Woche wieder zahlreiche Nationen in ihren Pavillons vor. Vorab wurde man darüber informiert, dass gleich zwei der alteingesessenen, nämlich Österreich und die Schweiz, die räumlichen Grenzen ihrer Gebäude überwinden wollten, um ihren Nachbarn näher zu kommen. Die Schweiz strauchelte bei diesem Vorhaben, weil es sich beim Biennale-Nachbarn ausgerechnet um Venezuela handelt, das wegen seiner Menschenrechts­verletzungen mit Sanktionen belegt wurde. Und auch Österreich wird die Mauer, die das Biennale-Gelände vom angrenzenden Viertel Sant’Elena (also von der allgemeinen Bevölkerung, die kein Ticket bezahlt hat) trennt, nicht überwinden dürfen. Das Denkmalamt und die Biennale verbieten das.

An der Empörung über «die absolute Verfügungs­macht der Biennale über Raum» muss man sich trotzdem nicht beteiligen. Ghana, Lokkos Heimat, war noch nie auf der Architektur­biennale präsent (seit 2019 nimmt Ghana erst an der Kunstausgabe teil). Feiern sollte man deshalb lieber seine denkbar beste Botschafterin – Lesley Naa Norle Lokko.

Die 18. Internationale Architektur­ausstellung «The Laboratory of the Future» eröffnet am 20. Mai 2023.

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