Montag, 17. April 2023

Guten Abend,
schön, sind Sie da!

Grosse Freude, schon wieder eine Serie. Nachdem wir Ihnen vorletzte Woche von den Turbulenzen des Elternseins erzählt haben, nehmen wir Sie ab heute mit in den Wald.

zum auftakt

Lauter Bäume und den Wald sehen

Pascal Müller

Es gibt viele gute Gründe, durch den Wald zu spazieren. Dem leisen Plätschern des Baches zuhören, den Enten zuschauen, wie sie im Wasser nach Futter tauchen. Einatmen. Und all die Pflanzen! Schafgarbe, Spitz­wegerich, Löwen­zahn. Brombeer­sträucher.

Und das sind nur die Offensichtlichen: Pflanzen, die am Wegrand wachsen, aus deren Kräutern wir Tee kochen, deren Beeren uns im Mund zerplatzen.

Unsere Wissenschafts­redaktorin Cornelia Eisenach, Biologin ursprünglich, hat ihren Blick auf die anderen geheftet. Die Pflanzen, die nicht jedes Kind kennt. Die Aussen­seiterinnen des Waldes. Die Vogel-Nestwurz zum Beispiel: elegant wie eine Orchidee – hinterhältig wie ein Parasit.

Hier im Journal erzählt sie heute von ihnen. Und in den nächsten Tagen etwa von den Flechten, «den Giganten, auf deren Schultern alle Blüten­pflanzen stehen». Oder von dem Phänomen, das dazu führt, dass der Wald leuchtet «wie eine Goa-Party im Morgen­grauen».

Es geht gleich los mit der ersten Folge der Serie «Waldwuchs». Ab morgen lesen Sie an jedem Abend bis Freitag eine weitere Folge im Journal.

Waldwuchs (1)

Ode an die Freaks

Als Biologin gehe ich nur mit gesenktem Kopf durch den Wald – Ehrensache. Gerade jetzt, im Frühling, zieht mich der Waldboden an wie ein Magnet, ich möchte Veilchen entdecken, den Wald­meister zwischen meinen Fingern zerreiben, riechen, ob er echt ist.

Obwohl: Unter den Biologinnen gehöre ich eher zu den Laborratten als zu den Wildblumen. Ich kann Ihnen die Struktur­formeln sämtlicher Amino­säuren aufzeichnen, wüsste aber kaum den lateinischen Namen einer Pflanze.

Und natürlich bin ich hingerissen, wenn ich auf eine Wiese blühender Berg-Enziane stosse. Aber eigentlich kümmern sie mich nicht, diese Stars der Botanik. Sie sind wie die Roger Federers der Flora. Wir bewundern ihr Genie, beneiden sie um die Ästhetik. Aber irgendwann langweilt uns der Schein der Makellosigkeit. Was mich viel eher interessiert, sind die Freaks.

Die Betrügerinnen des Waldes, Diebinnen wie die Orchidee Neottia nidus-avis (Vogel-Nestwurz), die Sie in den nächsten Wochen zum Beispiel unter einer Buche antreffen können. Sie blendet zwar mit ihrem Namen und der einzigartigen Orchideen-Blütenform, die von oben an ein Insekt erinnert und nach Honig duftet. Doch das ist schon alles, was sie mit ihren Kolleginnen in schillerndem Pink und strahlendem Weiss gemein hat. Ihre Farbe ist ein fahles Gelbbraun, von weitem wirkt sie verwelkt. Keine bunten Blüten, keine grünen Blätter. Und das ist ein erster Hinweis auf ihr Wesen.

Denn: Jede ehrliche Pflanze hat grüne Blätter. Den grünen Blatt­farbstoff braucht sie, um Sonnenlicht für die Foto­synthese einzufangen. Doch dieser ureigenen Pflanzen­arbeit verweigert sich Neottia nidus-avis. Sie ist ein Voll­schmarotzer mit glamourösem Namen. Ihre Wurzeln sind mit unterirdischen Pilzfäden verbandelt, die gleichzeitig mit den Wurzeln der umliegenden Bäume verwoben sind. So kommt die Pflanze via Pilz an Nährstoffe von den Bäumen. Und sogar ihr Wasser bezieht sie vom Pilz.

Ein Albtraum, diese Blume, für jeden anständigen Kapitalisten.

Die Bäume aber, sie stört das nicht. Dadurch, dass das unterirdische Pilzgeflecht mit so vielen Bäumen verwoben ist, fällt der Schaden einer Vogel-Nestwurz verschwindend gering aus.

Ein Wald hat eben nicht nur Platz für Stars. Sondern auch für die Freaks.

Illustration aus: «Album des orchidées de l’Europe centrale et septentrionale», 1899.Henry Correvon

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So, ein Schritt zurück. Sind Sie gut in die Woche gestartet? Wir auch.

Déformation professionnelle

Pascal Müller

Weiss nicht, wies Ihnen geht, mein Morgen sieht so aus:

Beim Frühstück lese ich die Republik, Smartphone in der linken, Scheibe Brot in der rechten. Bin ich durch, surrt mein Hirn (ein bisschen). Ich muss mich ausruhen.

Ich öffne also Twitter.

Lese, dass ein 21-Jähriger Geheimdienst­papiere geleakt haben soll. Lese 29 Tipps, die irgendein 29-Jähriger seinem jüngeren Ich geben würde, lasse parallel dazu meine Jugend Revue passieren, scrolle ein bisschen weiter, lese, dass Orbán Anti-Queer-Gesetze verschärft, scrolle, jemand warnt vor Long Covid.

Mein Hirn surrt.

Meistens finde ich einen guten Text auf Twitter, den ich dann lese. Im Verlauf des Morgens lese ich vielleicht zwanzig Texte, manchmal mache ich eine Pause und denke, das ist nicht gut für mich. Dazu rauche ich eine Zigi.

Wenn ich dann jemandem von einem dieser Texte erzähle, merke ich: Ganz alles hab ich mir nicht merken können.

Weil mehr nicht immer besser ist und wir Ihnen zum Wochen­start nicht übermässig viel aufbürden wollen, beschränken wir uns im folgenden Journal-Beitrag auf ein einziges Zitat.

PS: Von dem, was wir lesen, können wir uns etwa 10 Prozent merken. Hab ich neulich auf Twitter gesehen.

Zumindest für ein Mitglied aus unserer Community war der jüngste Beitrag aus unserem Klima­labor etwas (zu) überwältigend. Verstehen wir gut. Wir erlauben uns darum, Sie in unregelmässigen Abständen im Journal auf eines der vielen Zitate aus diesem Beitrag hinzuweisen.

Was wünschten Sie, würden alle über die Klima­krise verstehen?

Die aktuelle Klima­revolution könnte uns in allen Bereichen wohlhabender machen.

Rebecca Solnit, Schriftstellerin

Und zu guter Letzt für heute: Der eigentliche Star der Republik ist das Tech-Team. Auch wenn es diese Runde verloren hat.

Changelog

Zank-App-fel

Intern streiten wir im Tech-Team oft. Alles sehr gesittet. Oder aber wir legen uns mit den Grossen an. Weniger gesittet. Mit Google stritten wir über die Republik-App. Mehrere Wochen lang.

Eigentlich wollten wir nur – nur! Oh, du unheil­volles Wörtchen in der Tech­szene! – eine korrigierte Version der App veröffentlichen, damit Push-Benachrichtigungen wieder funktionieren.

Plötzlich befand Google, Nutzer­profile liessen sich bei Verstössen ja gar nicht melden. Und deshalb dürfe die App nicht veröffentlicht werden.

Wir haben den sehr einseitigen Streit schliesslich verloren. Sie können jetzt Nutzer­profile melden.

Der Willkür Googles, das wird einmal mehr deutlich, sind wir ausgeliefert. Dafür funktionieren die Push-Benachrichtigungen in der Android-App wieder richtig.

Danke fürs Interesse, bis morgen wieder.

Ihre Crew der Republik