Nordfassade der Schweizerischen Nationalbank in Zürich. Leo Fabrizio

Die Bank-Bank

Die Schweizerische Nationalbank rettet Grossbanken vor dem Konkurs und bestimmt den Leitzins des Landes – ein Zins­schritt steht bevor. Die gesamte Volkswirtschaft hängt von ihren Entscheidungen ab. Aber agiert sie auch im Interesse aller?

Von Dominic Iten, 22.03.2023

Vorgelesen von Jonas Gygax
0:00 / 29:40

Die Republik ist ein digitales Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur – finanziert von seinen Leserinnen. Es ist komplett werbefrei und unabhängig. Lösen Sie jetzt ein Abo oder eine Mitgliedschaft!

Eine Zwei mit elf Nullen. 200 Milliarden Franken. So viel Geld ist die Schweizerische Nationalbank (SNB) bereit zu zahlen, falls die Super-Grossbank UBS nach der Übernahme ihrer Konkurrentin Credit Suisse in finanzielle Schwierigkeiten geraten sollte.

Als SNB-Präsident Thomas Jordan am Sonntagabend gemeinsam mit Vertretern des Bundesrats, der Finanzmarkt­aufsicht (Finma), der UBS und der CS in Bern vor die Medien tritt, nimmt er Worte in den Mund, deren Bedeutung vielen Journalisten, die ihm gegenüber­sitzen, bestenfalls seit ein paar Tagen bekannt ist.

Konkurs­privileg, verlust­absorbierend, Kreditlinien, Public Liquidity Backstop.

Solche Worte verströmen Kompetenz. Und sie kommen immer dann zum Zug, wenn die Frage zur Rolle der SNB im Raum steht. So auch am vergangenen Sonntag. Da lautet sie sinngemäss: Wie kommt es, dass die Nationalbank hohe finanzielle Risiken eingeht, um eine system­relevante Bank vor dem Konkurs zu retten? Eine nachvollziehbare Antwort bleibt Thomas Jordan schuldig. Nicht zum ersten Mal. Wenn er öffentliche Entscheide kommentieren sollte, liefert er kaum je den nötigen Hintergrund, um diese zu verstehen.

Kaum etwas sagen, kaum etwas begründen, sich bedeckt halten. Das ist der Kommunikations-Dreisatz, den Jordan seit Jahren anwendet.

Das war auch am 15. Dezember 2022 so, als es nicht um Milliarden für eine Grossbank, sondern um die Erhöhung des Leitzinses ging.

«Ich beginne mit unserem geldpolitischen Entscheid», sagte Präsident Thomas Jordan da. «Wir haben beschlossen, die Geldpolitik weiter zu straffen und den SNB-Leitzins um 0,5 Prozentpunkte auf 1 Prozent zu erhöhen.»

Der Raum im Zürcher Sitz der Nationalbank wirkte seltsam klein im Vergleich zum Auftritt des Direktoriums hinter einem viel zu langen Rednerpult. Flankiert von den beiden Direktoriums­mitgliedern Martin Schlegel und Andréa M. Maechler, verkündet Jordan vor Medien­schaffenden eine Zinserhöhung. Sie folgt auf das Ende der Ära der Negativ­zinsen, das Jordan bereits drei Monate zuvor verkündet hat.

Zu den Bildern

Die Fotografien stammen aus dem Buch «Die Schweizerische Nationalbank in Zürich – Das Gebäude der Gebrüder Pfister 1922–2022». Es erschien im Verlag Scheidegger & Spiess im vergangenen September zum 100-Jahr-Jubiläum des Nationalbank­gebäudes in Zürich. Der Band wurde von der Schweizerischen Nationalbank herausgegeben.

Morgen Donnerstag wird die nächste Zins­erhöhung erwartet. Das Direktorium wird wieder vor die Medien treten, um voraussichtlich anzukündigen, dass es die Inflation bekämpfen wird.

Aber wer sich vertiefte Erklärungen erhofft, dürfte enttäuscht werden. Die sogenannten Medien­gespräche werden kurz gehalten: 15 Minuten Information zum neuesten geld­politischen Entscheid, 30 Minuten Fragerunde. Die Medien­schaffenden nennen Namen und Redaktion – darauf werden sie zu Beginn der Runde verpflichtet – und stellen zahnlose Fragen. Wohl weil allen Beteiligten längst klar geworden ist, dass es da nichts zu holen gibt.

Entsprechend dünn ist der Inhalt dieser Veranstaltungen. Die SNB beschränkt sich auf die Verkündigung ihres Entscheids, begründen mag sie ihn nicht: Es sei angesichts der Inflation und unter Berücksichtigung ihres Auftrags die folgerichtige Entscheidung gewesen, meinte Jordan im letzten Dezember. Ihr Auftrag: Preisstabilität. Das Direktorium wiederholt gerne, dass die Preisstabilität – und nur diese – die Richtschnur seiner Geldpolitik sei.

Von den Entscheiden der Schweizerischen Nationalbank hängt eine Volkswirtschaft mit rund 9 Millionen Menschen und einer jährlichen Wertschöpfung von knapp 800 Milliarden Franken ab. Deshalb haben diese Entscheide gewaltige Auswirkungen. Jede Zinsanpassung, jede Intervention am Devisen­markt spüren Unternehmen im Tages­geschäft und Konsumentinnen beim Einkauf. Und wie der Fall der Credit Suisse zeigt, kann die SNB mit einem Handzeichen Hunderte Milliarden freigeben, um eine Grossbank vor dem Absturz zu retten.

Doch diese Entscheidungen entziehen sich jeder demokratischen Kontrolle. Und die Nationalbank tut nicht viel dafür, ein breiteres Verständnis ihrer Politik zu fördern. Die SNB ist so undurchsichtig wie ihre Geldpolitik.

Deshalb gehen wir in dieser Recherche der Frage nach, was hinter ihren Entscheiden steht. Wer sitzt warum an den entscheidenden Stellen? Welche Abwägungen gehen einem Entscheid voraus? Und was sind die Folgen einer Leitzins­erhöhung?

Wer sich mit den knappen Worten des SNB-Direktoriums nicht zufriedengibt, findet Antworten auf diese Fragen nur auf Umwegen. Auch sein Umfeld gibt sich wortkarg. Gegenwärtige und ehemalige Mitarbeiterinnen unterliegen einer mehr oder weniger expliziten Schweigepflicht. Anfragen für Hintergrund­gespräche werden in der Regel abgelehnt. Wer zusagt, möchte anonym bleiben.

Was können National­banken?

Wer verstehen will, wie die SNB funktioniert, muss bei der Konjunktur und der Stimmung an den Finanz­märkten beginnen. Abgesehen von den Problemen einzelner Banken in der Schweiz und den USA herrscht Optimismus. Das hat auch mit der Inflation zu tun, die zuletzt nicht mehr weiter angestiegen ist.

Dabei stellt sich die Frage: Waren die Zins­erhöhungen der Zentral­banken verantwortlich dafür, dass die Inflation nicht weiter stieg?

Dazu das:

Als erster Treiber der Inflation wirken die Energiepreise. Sie explodierten letztes Jahr, weil sich die Wirtschaft nach Corona rasch erholte, das Angebot wegen Hitze- und Dürre­perioden sank, die Preise für CO2-Zertifikate stiegen und Russland in der Ukraine einmarschierte.

Obschon die Preise in der Zwischenzeit wieder etwas nachgelassen haben, bleibt Energie wesentlich teurer als noch zu Beginn des Jahres 2021. «Die Hälfte der Energie­versorger in der Schweiz werden den Strompreis für Haushalte 2023 um 30 Prozent oder mehr erhöhen», warnte letztes Jahr der Verband Schweizerischer Elektrizitäts­unternehmen. «In einzelnen Regionen steigen die Preise sogar um 50 Prozent.»

Zweitens wird die Inflation von den hohen Lebensmittel­preisen angetrieben. Weil die Exporte von Agrar­produkten aus Russland und der Ukraine zurückgingen, wurden Nahrungs­mittel knapp und teurer. Gleichzeitig wirken sich die gestiegenen Energiepreise auf die Produktions- und Transport­kosten von Nahrungs­mitteln aus.

Dies verweist auf den dritten Inflations­treiber: Störungen bei den weltweiten Lieferketten, die durch die Pandemie und den Russland-Ukraine-Krieg verursacht wurden. Die Wieder­aufnahme der Transport­logistik kommt weiter nur schleppend voran.

Finanzmarkt­ökonomin Isabel Schnabel, die im Direktorium der Europäischen Zentral­bank (EZB) sitzt, sagte dazu: «Wir sind noch weit davon entfernt, die Inflation zu besiegen.» Als Grund nennt sie die «raschen Lohn­steigerungen». Im Kampf gegen die Inflation müssten die Zentral­banken nun «energischer handeln».

Aber sind diese dazu überhaupt in der Lage? Nein, sagt Sergio Rossi, Ökonomie­professor an der Universität Freiburg, zur Republik: «Die SNB und die Zentral­banken im Allgemeinen verfügen über keine Instrumente zur Bewältigung der gegenwärtigen Krise, da die zur Verfügung stehenden Instrumente auf der Nachfrage­seite wirken und diese reduzieren, anstatt das Angebot zu erhöhen, um einen anhaltenden starken Aufwärts­druck auf die Konsumenten­preise zu vermeiden.» Mittels geldpolitischer Instrumente lassen sich zwar Zinssätze anpassen und damit die Nachfrage steigern oder dämpfen – aber eben keine bröckelnden Liefer­ketten reparieren.

Weil also die Zentralbanken die Angebots­seite nicht unmittelbar steuern können, greifen sie auf der Nachfrage­seite ein. Das bewirkt kurzfristig wenig und geht längerfristig zulasten der arbeitenden Bevölkerung. Hinter den Zins­erhöhungen steckt die Absicht, die Nachfrage so weit zu dämpfen, dass die Preis­steigerungen gedrosselt werden.

Doch die Nebenwirkungen sind gefährlich, wie der britische Ökonom Michael Roberts auf seinem Blog schreibt: «Wenn die Zentral­banken ihre Leitzinsen weiter anheben, führt dies lediglich dazu, dass die Kreditkosten für Verbraucher und Unternehmen steigen, schwächere Unternehmen in den Konkurs getrieben werden und die Nachfrage auf breiter Front sinkt. Sicher, das könnte letztlich die Inflation verringern, aber nur durch einen Einbruch.»

Die Abhängigkeit von den USA

Dass die SNB ihre Tiefzins­politik dennoch aufgegeben hat, liegt einmal an ihrem beschränkten Handlungs­spielraum. Die offene Schweizer Volks­wirtschaft und die Globalisierung der Finanz­märkte verunmöglichen eine Abschottung von europäischen und welt­wirtschaftlichen Entwicklungen. «Der tatsächliche Handlungs­spielraum der SNB wird durch die Entscheidungen der wichtigsten Zentral­banken in der Weltwirtschaft, insbesondere der US-Notenbank, eingeschränkt, da der US-Dollar die Referenz­währung in der Weltwirtschaft ist», sagt Ökonom Rossi.

Die Erwartung, der Zusammen­bruch der Silicon Valley Bank in den USA würde den Leitzins­erhöhungen ein rasches Ende bereiten, dürfte sich nicht erfüllen. Die EZB erhöhte ihren Leitzins letzten Donnerstag um weitere 0,5 Prozentpunkte. Und die US-Notenbank wird heute Mittwoch sehr wahrscheinlich das Gleiche tun, womit auch die SNB unter Zugzwang gerät.

Daneben leidet die SNB unter ihrer aufgeblähten Bilanz. Das hat mit dem starken Franken zu tun. Als sie 2015 den Mindestkurs zum Euro aufhob, erhoffte sie sich davon einen Rückgang der Devisenkäufe. Während fast vier Jahren hatte sie mit dem Kauf fremder Währungen gegen den starken Franken angekämpft und damit Unsummen angehäuft. Die Devisenkäufe wurden zwar weniger. Weil aber die Schweiz im internationalen Vergleich eine stabile, wettbewerbs­fähige Volkswirtschaft bleibt und ein relativ sicheres politisches Umfeld bietet, wird der Franken weiter als sicherer Hafen für ausländisches Kapital genutzt. Um dem daraus resultierenden, hohen Aufwertungs­druck standzuhalten, wurden nach Aufgabe des Mindest­kurses Negativ­zinsen eingeführt.

In der Folge einer beispiellos expansiven Geldpolitik und der Interventionen im Zuge der Corona-Pandemie knackte die Bilanzsumme der SNB Ende 2021 die Billionengrenze und erreichte im Mai 2022 eine schwindel­erregende Höhe von 1070 Milliarden Franken. Dies entspricht rund 140 Prozent des Bruttoinland­produkts. Zum Vergleich: Die Bilanz der EZB erhöhte sich lediglich auf die Hälfte der europäischen Wirtschafts­leistung, jene der US-Zentralbank nur auf ein Drittel der amerikanischen.

Verfilzung mit der Finanz­industrie

Die Tiefzins­politik der vergangenen Jahre hat eine Umverteilung von unten nach oben bewirkt. Wer sein Geld in Aktien anlegte oder Wohneigentum erwarb, habe massiv von der Geld­schwemme profitiert. Am grossen Rest seien die Boomjahre hingegen vorbei­gezogen, sagte Martin Neff, Chefökonom der Raiffeisen-Gruppe, gegenüber der NZZ. Wegen der Preis­steigerungen sei Wohneigentum nur noch für reiche Haushalte erschwinglich.

Auch im Bereich der Altersvorsorge vollzog sich eine Umverteilung. Weil die Pensions­kassen auf ihre Bank­einlagen Strafzinsen bezahlen mussten und ihre Bundes­obligationen kaum mehr Rendite abwarfen, entschieden sie sich für eine Erhöhung der Anlage­risiken und eine Absenkung der angebotenen Leistungen. In der Folge investierten sie stärker in Aktien und Immobilien. Die Folge: Den Kassen gehts gut, den Leistungs­bezügerinnen weniger.

Und die Banken, die sich gerne über tiefe Zinsen beklagen, haben dank einer hoch angelegten Freigrenze und Weitergabe der Negativ­zinsen an ihre Kunden keinen nennenswerten Schaden genommen.

Die nun eingeläutete Zinswende führt diese Umverteilung fort. Dass sie auf Kosten der kleinen Unternehmen, der Konsumenten und Arbeit­nehmerinnen geht, ist kein Zufall: Wer die nötigen Mittel besitzt, wirkt auf entscheidende Staats­apparate ein, um deren Politik im eigenen Interesse zu beeinflussen. Da bildet die SNB keine Ausnahme.

Es wäre übertrieben zu sagen, dass die SNB nur Instrumente zur Umverteilung von unten nach oben in den Händen hat. Zumindest mit der Bestimmung des Zeitpunkts geldpolitischer Massnahmen bleibt ihr ein kleiner Entscheidungs­spielraum. Aber diesen nutzt sie nicht zugunsten der grossen Mehrheit.

Nah an der Finanz­branche

Spätestens seit den 1970er-Jahren erfahren die Zentral­banken eine relative Stärkung innerhalb des Staates und werden auf die Herstellung von Wettbewerbs­fähigkeit ausgerichtet. Mit dem Ende des fixen Wechselkurs­systems traten sie aus dem Schatten der Regierungen, weil in einer Welt flexibler Wechselkurse die Geldpolitik nicht mehr in die Verantwortung der Regierungen fällt. Auch die Vorstellung einer «unabhängigen» Zentralbank geht auf diese Zeit zurück.

Dieser Vorstellung liege die simple Idee zugrunde, dass sich sonst der Staat vor allem in Krisenzeiten «über die Notenpresse finanzieren» würde, sagt Ökonom Michael Graff, der bei der Konjunktur­forschungsstelle der ETH (KOF) den Bereich Konjunktur leitet. Er hält es für richtig, dass man dem Einhalt bot, findet es aber weniger gut, «dass die Politik auch bei allem anderen, was Zentral­banken machen, nichts zu sagen haben soll». Gemeint sind etwa die Regulierung des Finanzsektors, die Wechselkurs­politik und die Anlage­entscheidungen der SNB.

Wegen mangelnder Regulation und fehlender demokratischer Kontrolle bildete sich ein enges Netz zwischen der SNB, der Finanz­branche und der liberalen Politik. In den entscheidenden Gremien der SNB sitzen inzwischen fast ausschliesslich Privat­bankerinnen, Verwaltungs­räte von Versicherungen und grossen Fonds, Professorinnen liberaler Institute sowie Mitglieder liberaler Parteien. Resultat einer ursprünglich vernünftigen Idee ist also eine Zentralbank in den Händen dominanter Kapital­fraktionen, die bei personal­politischen Fragen mitbestimmen und die Geldpolitik der Schweiz prägen.

Die Nationalbank bietet eine Reihe exklusiver Plattformen, die der Pflege des Netzwerkes dienen. Diese Treffen nennen sich «Geldmarkt-Apéro» oder «Repo-Tagung» und finden an schillernden Orten wie dem Zürich Marriott Hotel oder dem Starling Hotel and Conference Center in Genf statt. Dort referieren Direktoriums­mitglieder der SNB und Persönlichkeiten aus der Finanz­branche, die auch an privat organisierten Anlässen, Tagungen und Events aufeinandertreffen.

Involviert sind die immer gleichen Personen – oder zumindest Personen, die dieselben Interessen vertreten. Zum Beispiel das Swiss Finance Institute (SFI), dessen Stiftungsrat sich aus namhaften Ökonomen und Spitzen­managern der Schweizer Grossbanken zusammensetzt. Regelmässig bietet das Institut Anlässe für Weiter­bildung und Austausch. Auftritte an diesen Events sind Wirtschafts­professorinnen und Repräsentanten des Finanz­kapitals vorbehalten. Freilich tritt auch die SNB auf: im Juni 2017 Andréa M. Maechler und ein Jahr später Präsident Thomas Jordan.

Problematisch ist das vor allem, weil Konsumenten­vertreter und Gewerkschaften bei dieser Vernetzung aussen vor bleiben.

Unerwünschte Kritik

Die geldpolitische Linie, die sich aus dieser Verflechtung ergibt, verteidigt die Nationalbank gegenüber der Öffentlichkeit. In journalistischen und SNB-nahen Kreisen macht das geflügelte Wort die Runde: «Wer Jordan persönlich kennenlernen möchte, muss ihn nur öffentlich kritisieren.»

Konkrete Belege dafür, dass kritische Journalistinnen zum Schweigen gebracht wurden, liessen sich nicht finden. Aber das SNB-Direktorium scheut nicht davor zurück, zu intervenieren, wenn die Bericht­erstattung in eine für sie unangenehme Richtung geht. So hatte etwa der «Blick» 2015 die überraschende Aufhebung des Euro-Mindestkurses heftig kritisiert und gefragt: «Welcher Teufel hat Nationalbank­chef Jordan geritten?» Umgehend meldete sich die Kommunikations­abteilung der SNB, um ein Interview mit dem späteren Vize­präsidenten Fritz Zurbrügg zu arrangieren, das dann auch geführt und eine Woche später publiziert wurde. Das bestätigt der damalige «Blick»-Wirtschafts­chef.

Eingang zu den Schrank­fächern. Leo Fabrizio
Tausender­noten im Tresor. Leo Fabrizio

Für die Zustimmung zu einem solchen Interview mag es verschiedene Gründe geben, doch eines zeigt sich beim Vorgehen klar und deutlich: Eine kritische Diskussion über Geldpolitik ist nicht erwünscht.

Die öffentliche Stimmung beeinflusst die Nationalbank auch über undurchsichtige Finanzierungen. So fliessen jährlich 1,5 Millionen Franken in die Kasse der einflussreichen Konjunkturforschungs­stelle KOF. Im KOF-Jahresbericht wird das verschwiegen, und auf Anfrage schreibt die Medienstelle bloss, dass «die KOF gemeinsam von der ETH Zürich und der Schweizerischen Gesellschaft für Konjunktur­forschung (SGK) getragen» werde und die SNB neben 200 anderen Institutionen Mitglied der SGK sei. Details dazu gebe man keine bekannt.

Die KOF liefert nach eigenen Angaben «unabhängige und kompetente Beiträge für die wirtschafts­politische Diskussion» und hat die Funktion, gerade auch die Schweizer Währungs­politik kritisch zu begleiten. Kann sie das, wenn personelle Verflechtungen bestehen – SNB-Direktions­mitglied Martin Schlegel sitzt im strategischen Beirat der KOF – und solch hohe Geldsummen von der SNB fliessen?

Michael Graff von der KOF bestätigt die Finanzierung durch die SNB, nennt aber keine konkrete Zahl und betont, das Geld sei nicht zweckgebunden. Ihm sei «nicht ein einziger Fall bekannt, in dem die SNB auf die Forschung der KOF Einfluss nehmen wollte». Er räumt aber ein, dass es so etwas wie eine «Schere im Kopf» geben könne. Dass also mehr oder weniger bewusst kritische Überlegungen ausbleiben, auch wenn dies nirgends schriftlich gefordert wird: «Im Einzelfall kann ich das nicht ausschliessen, aber für die KOF als Ganzes gibt es eine solche sicher nicht.»

Vertrauen und Transparenz wären essenziell für ein solches Institut, das die öffentliche Debatte in der Schweiz wesentlich prägt. Im Ökonomen-Ranking der NZZ belegt KOF-Direktor Jan-Egbert Sturm jeweils einen der vordersten Plätze. Dessen letzte kritische Worte zur Schweizer Geldpolitik stammen aus dem Jahr 2015, als er die Aufhebung des Euro-Mindestkurses hinterfragte. Seither ist es ruhiger geworden. Die jüngste Zinswende wird von der KOF relativ neutral kommentiert und insgesamt als folgerichtig dargestellt.

Durchsetzung des Kurses im Innern

Beim SNB-Medien­gespräch am 15. Dezember wurde einmal mehr deutlich, dass sich Jordan zur politischen Dimension seiner Amtshandlungen nicht äussern mag. Über die Entstehung geldpolitischer Entscheide wird geschwiegen, deren Folgen werden kaschiert, unliebsame Fragen bleiben unkommentiert.

Zum Beispiel jene nach der bereits damals angeschlagenen Credit Suisse und etwaiger Unterstützung durch die SNB. Jordans Reaktion auf die Frage, ob die SNB denn bereits als «Lender of Last Resort», als Kreditgeber letzter Instanz, bei der Credit Suisse interveniert habe: ein verschmitztes Lächeln. «Wir kommentieren solche Fragen nicht – grundsätzlich.»

In den 50 Minuten wird auch deutlich, dass er bei der SNB die Fäden in der Hand hat. Sein magistrales Auftreten, sein ruhiger, sachlicher Ton – fast fühlt man sich als Laie über sein eigenes Unverständnis der Geldpolitik hinweg­getröstet: Dieser Mann weiss, was er tut. Und auch nach innen fehlt es ihm offensichtlich nicht an Autorität: Geschickt delegiert er die Beantwortung einzelner Fragen an seine beiden Direktoriums­mitglieder. Nie kommen Zweifel auf, wer hier das letzte Wort hat.

Doch wer sind eigentlich die beiden, die Jordans Auftritt vervollkommnen? Martin Schlegel ist relativ neu dabei, kann aber auf eine lange Karriere bei der SNB zurückblicken: Forschungs­abteilung, Finanzmarkt­analyse, Leitung der Abteilung «Devisen und Gold» und Mitglied im Anlage­komitee. Er gilt als Zögling Jordans und wurde, wie man hört, auf dessen Wunsch ins Direktorium befördert.

Auch die Ernennung der per Ende Juni dieses Jahres abtretenden Andréa M. Maechler erfolgte auf Jordans Wunsch – allerdings aus anderen Gründen. Die SNB ist für ihre konservative, männer­dominierte Unternehmens­kultur bekannt. Als mit Maechler 2015 zum ersten Mal eine Frau ins Direktorium gewählt wurde, glich das einer kleinen Sensation. Seither musste sie sich gegen den Vorwurf verteidigen, sie sei nur eingesetzt worden, um nach aussen den Anschein einer inklusiven Führung zu erwecken und weil sie leicht kontrollierbar sei. Sie fühle sich nicht als «Alibifrau», betonte sie Anfang Jahr auf einem Podium in Lausanne.

Mit Maechlers Abgang ist der Versuch, die Diversität innerhalb der SNB zu erhöhen, gescheitert. Es war aber auch ein schlechter Versuch: Im August letzten Jahres hätte Maechler nach Fritz Zurbrüggs Ausscheiden aus dem Direktorium dessen Amt als Vize­präsidentin übernehmen sollen – doch Thomas Jordan setzte ihr seinen ehemaligen Praktikanten Schlegel vor die Nase.

Somit ist Schlegel nicht nur die neue Nummer zwei im SNB-Direktorium, sondern auch Jordans designierter Nachfolger. Damit ist auch nach einem allfälligen Rücktritt Jordans eine Fortführung seiner Geldpolitik gewährleistet – der Mann weiss sein Erbe zu regeln.

Jordans Verhalten macht misstrauisch. Hinter den personal­politischen Entscheiden steckt nicht bloss sein frommer Wunsch, gemeinsam mit Freunden Geldpolitik zu machen. Es geht um die Durchsetzung einer geldpolitischen Linie, die sich in den Dienst der Finanz­branche und grosser Konzerne stellt. Diese kommen im Vergleich zu den kleineren Unternehmen mit den Zins­erhöhungen gut zurecht. Indirekt stärken die Konkurse schwächerer Unternehmen gar die Position grosser Konzerne im Wettbewerb, weil eine Kapital­konzentration zu ihren Gunsten stattfindet. Dieser Kurs wurde spätestens 2012 nach Philipp Hildebrands Rücktritt eingeschlagen, der mit seiner Mindestkurs­politik stärker die Interessen kleiner Export­unternehmen berücksichtigt hatte.

Die neue Linie stammt aus dem Umfeld Ernst Baltenspergers, eines emeritierten Ökonomie­professors, bei dem Jordan seine Doktorarbeit schrieb. Baltensperger war über drei Jahrzehnte in verschiedenen Funktionen für die SNB tätig. Von 1984 bis 2009 war er Direktor des Studien­zentrums Gerzensee, einer 1984 gegründeten Stiftung der Nationalbank, die in erster Linie als Kaderschmiede für Nationalbanker dient. Der Vorsitzende der Stiftung, Fritz Zurbrügg, war nicht nur der Vorgänger von Martin Schlegel, sondern studierte zur selben Zeit wie Jordan an der Universität Bern und war somit auch ein Schüler Baltenspergers.

Demokratie­defizit mit Folgen

Wie ist das möglich: Mitten in der Schweiz, dem hochgelobten Land der Demokratie, eine technokratische, autoritär geführte Institution? In einer Zeit, in der allenthalben der Ruf nach demokratischen Entscheidungs­prozessen ertönt, hat das etwas Unzeitgemässes.

Offiziell werden die Direktoriums­mitglieder auf Vorschlag des Bankrates vom Bundesrat ernannt, bei der Zusammen­stellung des Ernennungs­ausschusses werden aber linke Kräfte systematisch ausgeschlossen. Genauer: Die eine – übrig gebliebene – linke Kraft im elfköpfigen Bankrat wird marginalisiert.

Die Zusammensetzung des Bankrates fiel nicht immer zugunsten des Finanzkapitals aus. Bis Anfang der 2000er-Jahre bildete er so etwas wie ein Panoptikum der Verbände und zählte 40 Mitglieder. Als er auf die jetzige Grösse geschrumpft wurde, hatte man sich gerade noch dazu durchringen können, wenigstens einen Vertreter aus Gewerkschaft oder Sozial­demokratie zuzulassen. Das ist gegenwärtig Unia-Präsidentin Vania Alleva. Auch sie hat eine Anfrage zum Gespräch mit dem Hinweis auf den geltenden Verhaltens­kodex abgelehnt.

Damit hat es sich dann auch: Die restlichen Bankräte bewegen sich in liberalen Universitäts­instituten, Privat­banken und politischen Parteien im liberalen bis rechts­konservativen Spektrum.

Am 15. Dezember 2022 sassen keine Bankräte vor den Medien­schaffenden. Das ist aber nur folgerichtig: Mit der Totalrevision des Nationalbank­gesetzes wurde vor knapp 20 Jahren auf Vorschlag des Finanz­departementes und der SNB der Bankrat verkleinert und entmachtet. In erster Linie dürfen sie Entscheidungen des Direktoriums absegnen und beim Design neuer Banknoten mitbestimmen.

Nun könnte man meinen, der Bankrat dürfte doch wenigstens als Aufsichts­gremium die eingeschlagene Linie des Direktoriums kommentieren? Aber nein: Er darf auch gegenüber der Öffentlichkeit keine Stellung zur vorgegebenen Geldpolitik beziehen.

Wie Quellen aus dem Umfeld der SNB bestätigen, wird unter Druck gesetzt, wer gegen diese Regelung verstösst. Wer meint, er könne öffentlich den Mund aufmachen oder sich intern querstellen, muss beim Direktorium antraben. Dort wird die Rolle als Bankrat nochmals erklärt und den herrschenden Hierarchien Nachdruck verliehen.

Fazit: Die SNB sah sich ein Stück weit gezwungen, den Kurs der grossen
Zentral­banken zu übernehmen und den politischen Druck wegen ihrer
explodierenden Bilanz abzufedern. Sie riskiert damit einen wirtschaftlichen Einbruch und wird zur Stabilisierung der Preise höchstens längerfristig beitragen können.

Der Entschluss zur Zinswende ist ihr leichtergefallen, als man meinen könnte. Weil sich ihre Geldpolitik nicht an der Preisstabilität, sondern an den Interessen der Finanz­branche und der Konzerne orientiert, bringen sie die Folgen ihrer Leitzins­erhöhungen nicht in Verlegenheit.

Wenn man der SNB ein Demokratie­defizit attestiert, sind damit eben nicht nur intransparente Personal­politik und Entscheidungs­prozesse gemeint, sondern auch, «dass sie bei ihren geldpolitischen Entscheidungen nicht die Ziele der Wirtschafts­politik berücksichtigt, die dem allgemeinen Interesse der gesamten Bevölkerung dienen sollen», wie Ökonom Sergio Rossi sagt.

Das wird auch am nächsten Medien­gespräch morgen Donnerstag der Fall sein. Jordan kann und will nichts anderes als eine weitere Leitzins­erhöhung. Und wer auch immer sich vor seinem Rednerpult versammeln wird – mit kritischen Fragen werden sie nicht weit kommen.

Zum Autor

Dominic Iten studierte Geschichte und Soziologie. Er unterrichtet als Sekundarlehrer im Kanton Bern und ist Redaktor bei der Halbjahres­schrift «Widerspruch».

Unterstützen Sie unabhängigen Journalismus mit einem Monatsabonnement oder einer Jahresmitgliedschaft!