Trommelschläge für Mutter Erde
Die zweite Folge unserer Bildkolumne «Panamericana» führt nach Chile, wo das indigene Volk der Mapuche lebt. Der Heiler Manuel Pilkil Melillán vermittelt dort zwischen der Menschenwelt und dem Übernatürlichen.
Von Tamara Merino (Text und Bilder) und Nora Ströbel (Übersetzung und Bildredaktion), 05.01.2023
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Im frühmorgendlichen Nebel, der Mond immer noch sichtbar am Himmel, macht Manuel auf dem erdigen Boden seines Zeremonienhauses ein Feuer. Er bereitet sich auf sein Morgenritual vor, in dem er Mutter Erde dankt und Heilkräuter schneidet, die von seiner Mutter Juana stammen.
Seine Mutter ist wie er Mapuche. Sie glaubt an die Kraft der Natur und weiss, wie man Pflanzen zur Herstellung von Medizin nutzt. Sie kümmert sich liebevoll um ein Stück Wald auf ihrem Land in Rulo, einem kleinen Ort nahe der Stadt Nueva Imperial im südlichen Chile. Dort hegt sie eine Vielzahl medizinischer Pflanzen, mit denen sich verschiedene Krankheiten heilen lassen und die psychologische und emotionale Wirkungen entfalten.
Manuel Pilkil Melillán, 41 Jahre alt, ist ein Machi, ein spiritueller und physischer Heiler und Vermittler zwischen der Welt der Mapuche und dem Übernatürlichen. Um ein Machi zu werden, müssen bestimmte Dinge in der Kindheit und Jugend passieren: Zum Beispiel sollten Vorahnungen in Träumen erscheinen oder Zeichen aus dem Jenseits. Danach wird die Person schwer krank und kann anschliessend ihre spirituelle Reise beginnen. Durch die Gaben, die sie von ihren Vorfahren erhält, ist sie in der Lage, vielen Menschen körperlich, emotional und spirituell zu helfen, ihren Schmerz zu lindern, ihre Ängste, ihre Traumata.
Zur Bildkolumne «Panamericana»
Der Pan-American Highway ist wie eine Arterie, welche die Länder in Nord- und Südamerika miteinander vernetzt. Die Strasse verband schon die ältesten Zivilisationen und befördert mehr als nur den Verkehr – sie ist auch Zeugin der Menschheitsgeschichte. Das Fotografinnenkollektiv Ayün Fotógrafas hat für die Republik die Panamericana als Leitmotiv genommen, um zwischen Texas und Chile das Leben der Menschen in acht Ländern zu dokumentieren.
Machi Manuel vollzieht all seine Rituale und Heilungen mit der Unterstützung seiner Frau Micaela Alchao, 31 Jahre alt. Die Familie eines Machi muss ihn stets begleiten und ihm beistehen, sodass er sich spirituell weiterentwickeln kann. Micaela ist dafür zuständig, ihm bei den Vorbereitungen und während des Rituals zu helfen. Sie reicht ihm Heilkräuter und Instrumente, wenn er sie braucht. Und wenn Manuel in Trance ist, übersetzt sie die Nachrichten, die er aus dem Jenseits empfängt, in die alte indigene Sprache Mapudungun.
Der Morgen dämmert schon, also geht Manuel mit seiner Cultrún, einer Mapuche-Trommel, nach draussen, um sein Ritual zu vollziehen. Die Vögel zwitschern zur Melodie, die Manuel in Mapudungun singt, die Morgenluft füllt sich mit Gesängen und Trommelschlägen, die Mutter Erde gewidmet sind. Dieses Dankbarkeitsritual soll die kleinsten Lebewesen auf unserem Planeten mit dem ganzen Universum verbinden.
Manuel dankt für seine Existenz und die seiner geliebten Menschen, dankt für die Fülle und betet für diejenigen, die Probleme oder Schmerzen haben. Die Stärke, die Widerstandsfähigkeit und die Verbundenheit der Mapuche-Kultur mit der Erde bestätigen, dass wir alle Teil der Natur sind und dass in ihr unsere Nahrung und unsere Heilung liegt und sie uns daran erinnert, woher wir kommen.
Texas
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Guatemala
Venezuela
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Peru
Chile
Südpazifik
Argentinien
Santiago de Chile
Nueva Imperial
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Tamara Merino ist Dokumentarfotografin mit dem Fokus auf menschliche und soziokulturelle Themen. Ihre Arbeiten wurden vielfach publiziert und ausgestellt. Sie ist Co-Gründerin des Fotografinnenkollektivs Ayün Fotógrafas, hält Vorträge, macht Präsentationen für «National Geographic» und gibt Workshops in verschiedenen Ländern.