Mittwoch, 19. Oktober 2022

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Damit hätte kaum jemand gerechnet (auch wir nicht): Die Zürcher SVP lanciert den Rechts­professor und früheren Nationalrat Hans-Ueli Vogt für die Nach­folge von Ueli Maurer. Hat er Chancen?

Kann Vogt Rösti gefährlich werden?

Zwar war Hans-Ueli Vogts Standing in der eigenen Fraktion nicht das beste, als er noch in Bundes­bern politisierte. Dennoch käme es über­raschend, wenn er es – nominiert von der einfluss­reichen Zürcher Sektion – nicht aufs offizielle Wahl­ticket schaffen würde. Danach könnte Vogt seine verhältnis­mässig grosse Unabhängigkeit von der SVP zum Vorteil gereichen. Der 52-Jährige scheint voll auf diese Karte zu setzen: «Team­arbeit gehört zu meinem Beruf», sagte er heute vor den Medien. «Ich habe den Willen, mich mit den Argumenten der anderen auseinander­zusetzen. Ich will ein Bundesrats­kandidat – und Bundesrat – für die ganze Schweiz sein.» Ohne den Kron­favoriten für die Maurer-Nachfolge, Alt-Partei­chef Albert Rösti, namentlich zu erwähnen, betonte er zudem, er sei weder Gesundheits- noch Energie­politiker. Sollte wohl heissen: kein Berufs­lobbyist. Wie das Rennen ausgeht? Rösti bleibt Favorit. Aber ganz so ruhig schlafen kann der Berner nun nicht mehr.

Dass er sich mit dem Polit­betrieb stets schwertat, hat Vogt im Oktober 2020 in einem ziemlich persönlichen Interview mit der Republik erklärt, in dem er sich im zweiten Teil zu seinem absehbaren Rückzug aus der Politik äusserte.

Vom Bundes­haus in Bern an den Ballhaus­platz in Wien, wo heute der frühere Kanzler wegen manipulierter Umfragen schwer belastet wurde.

Lesenswert

Ob Kurz nun verstanden hat?

«Das Geständnis des Thomas Schmid», titelt heute der Wiener «Falter». Der ehemalige General­sekretär des Finanz­ministeriums hat gegenüber Ermittlern ausgesagt, Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz habe nicht nur von gefälschten Meinungs­umfragen gewusst, sondern diese gar in Auftrag gegeben. Wenige Tage nach Kurz’ Rücktritt vor einem Jahr sprach Republik-Reporter Daniel Ryser in Wien mit Florian Klenk, dem Chef­redaktor der Wochen­zeitung «Falter», über die Kungeleien der ÖVP-Regierung. Klenk sagte damals, Kurz habe «nicht verstanden», dass er «der Nutzniesser ist einer Bestechung eines hohen Beamten im Finanz­ministerium, des Thomas Schmid, und er in diesen Plan eingeweiht war». Dieses «eingeweiht» erscheint heute als starke Untertreibung. Die Lektüre des Interviews lohnt sich nach wie vor.

«Sebastian Kurz fummelt im Sicherungs­kasten der Demokratie»

Lesen Sie das Gespräch mit Florian Klenk über Journalismus in Zeiten des schwelenden Autoritarismus in 16 Minuten.

Sie kennen das Prinzip des «Slow TV», gross gemacht durch das norwegische Fernsehen: Ein Zug fährt durch Wälder, ein Schiff schippert auf einem Kanal, nichts passiert und alle sind glücklich. Nun: Es geht noch langsamer.

Briten vs. Gegen­stände

Man kann viel gegen die Briten sagen, aber sie haben Sinn für Tradition. Im Jahr 1900 lag der Dichter Oscar Wilde todkrank in Paris in einem billigen Hotel­zimmer mit scheusslicher Tapete. Bei einem seiner letzten Ausflüge nach draussen scherzte er Bekannten gegenüber: «Meine Tapete und ich kämpfen ein Duell auf Leben und Tod. Einer von uns beiden muss gehen.» Wie man weiss, gewann die Tapete. Nun findet, 122 Jahre später, eine Art rematch statt. Nachdem der «Economist» die Zeit von Premier­ministerin Liz Truss an der Macht mit der «Regal­zeit eines Kopf­salats» verglichen hatte, installierte der «Daily Star» eine Live­kamera. An Tag sechs des Rennens ist der Ausgang offen: Wer hält länger durch – Liz Truss oder ein Salat­kopf?

Den kompletten Nachruf des «Economist» finden Sie am Ende unseres heutigen Beitrags zu Grossbritannien. Falls Sie nach ein paar Minuten des kontemplativen Kopfsalat­anschauens den Eindruck gewonnen haben, da ändere sich ausser der Minuten­anzeige gar nichts: Geduld. Eben hat jemand Kaffee nachgeschenkt.

Und zum Abschluss des Tages zurück in die Schweiz. Vogt also betont seine Unabhängigkeit. Ob ihm das hilft? Schliesslich gibt es den Sitz von Ueli Maurer zu erben – eines ausgewiesenen Blocher­treuen. Hat einer der übrigen Kandidaten das Zeug dazu, Blochers Draht in den Bundesrat zu werden?

Blöchliger – blochiger als Blocher?

Mittlerweile kandidieren fünf für die Nachfolge von Ueli Maurer. Der war bekanntlich vierzehn Jahre lang der blocher­treuste Bundesrat. Deshalb auch die Frage: Wer der vier neben Vogt steht dem 82-Jährigen besonders nah? Die beiden Berner Werner Salzmann und Albert Rösti? Der Zuger Heinz Tännler? Eher nicht. Immerhin soll es Blocher selbst gewesen sein, der Rösti 2019 zum Rücktritt als SVP-Schweiz-Präsident drängte. Und verhinderte, dass Tännler 2011 offizieller Bundesrats­kandidat der Partei wurde. Bleibt Michèle Blöchliger. Die Nidwaldnerin gab ihre Kandidatur am Montag bekannt, erzählte, wie sie sich über eine Wahl freuen würde – und wich der Frage aus (ab Minute 27:48), ob sie für oder gegen Blochers Neutralitäts­initiative sei. Aber immerhin. Noch ist da ihr Name. Blocher. Blochiger. Blöchliger.

Schönen Abend, bis morgen.

Ihre Crew der Republik