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Absturz vorprogrammiert

Das Anliegen ist berechtigt, die Erfolgschancen aber gleich null. Selbst aus der Friedens­bewegung erklingt nun die Forderung: Lasst die Stopp-F-35-Initiative fallen.

Von Priscilla Imboden, 16.08.2022

Synthetische Stimme
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Mit einiger Verzögerung reicht das Stopp-F-35-Komitee die Initiative gegen den Kampf­jet heute Dienstag ein. Die Unterschriften­sammlung verlief harziger als erwartet, zog gegen Schluss aber wieder an.

Noch vor kurzem standen die Chancen gut: Nur eine hauchdünne Mehrheit der Bevölkerung hatte im Herbst 2020 den 6 Milliarden Franken für neue Kampfjets zugestimmt. Mit der anschliessenden Wahl des F-35-Kampfjets flog Verteidigungs­ministerin Viola Amherd eine Hochrisiko­strategie, nun wechselten auch Kampfjet­befürworter ins Nein-Lager. Zuversichtlich stiegen also letzten Sommer die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), SP, Grüne und Friedens­organisationen in den Kampf ein, um die F-35 zu bodigen. Mit einem Karton­kampfjet, aus dessen Bug Geldnoten regneten.

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Die Beschaffung neuer Militär­flieger sollte unaufgeregt und seriös ablaufen, so hatte es der Bundesrat versprochen. Stattdessen: Tricksereien, Intransparenz, ein verärgerter Nachbar­staat. Eine Serie in drei Teilen.

Doch dann kam der Krieg. Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat der Initiative den Wind aus den Segeln genommen. Umfragen nach dem Einmarsch weisen darauf hin, dass eine satte Mehrheit der Bevölkerung gegen die Initiative ist. Zwar sind die Erhebungen stets Moment­aufnahmen, doch auch die längerfristig angelegte Sicherheits-Befragung des Departements für Verteidigung, Bevölkerungs­schutz und Sport (VBS) weist darauf hin, dass der Krieg zu einem Umdenken geführt hat. Das sind keine guten Aussichten für die Initiative.

Eine prägende Figur in der Friedens­bewegung warnt seit Kriegs­beginn vor einer Nieder­lage. Peter Sigerist, ehemals Vorstands­mitglied der GSoA, erlebt ein Déjà-vu.

Zu Beginn der Neunzigerjahre, als er mit anderen die Stopp-F/A-18-Initiative startete, sah es ebenfalls gut aus. Ende April 1992 lancierte die GSoA eine Initiative, die ein Moratorium für den Kauf von Kampf­flugzeugen forderte. Der Kalte Krieg war vorbei, die Zeiten der waffen­strotzenden Blöcke schienen passé. Der Zuspruch in der Bevölkerung war überwältigend: Die Menschen standen Schlange, um die Initiative zu unterschreiben. In 30 Tagen sammelten die Initiantinnen mehr als 500’000 Unterschriften, was bis heute einen Rekord darstellt. In einer ersten Umfrage stimmten 75 Prozent der Befragten der Initiative zu.

Doch auch damals kam es zum Krieg. Serbien belagerte Sarajevo und beging Massaker an der bosnischen Bevölkerung. Das zeigte auf erschreckende Art, dass mit dem Zusammen­bruch der Sowjetunion militärische Bedrohungen nicht verschwunden waren, auch nicht in Europa.

Unter dem Eindruck des brutalen Krieges schwanden die Sympathien für die Initiative in der Bevölkerung. Dazu trug bei, dass der damalige Bundesrat Kaspar Villiger das Votum mit einer geschickt inszenierten Kampagne zu einem Ja-oder-Nein-Entscheid über die Armee selbst hochstilisierte. Ergebnis: Am 6. Juni 1993 votieren 57 Prozent der Stimm­bevölkerung gegen die Initiative.

«Das war die grösste Enttäuschung in meinem halben Jahrhundert als Politiker», erklärt Peter Sigerist, der für die Grünen im Berner Stadt­parlament sass.

Heute sagte er: «Wenn sie die Initiative durchziehen, ist die Nieder­lage so sicher wie das Amen in der Kirche. Dann startet die Rüstungs­lobby erst recht durch.» Peter Sigerist richtet deshalb einen überraschenden Rat an seine Nachfolgerinnen und Nachfolger: die Unterschriften gegen den F-35 als Petition einzureichen.

Seine Argumentation: Die Überlegungen, die zur Lancierung der Initiative geführt haben, seien immer noch richtig, aber sie seien kraftlos geworden. Die neue sicher­heitspolitische Lage und der Ausgang der russisch-imperialen Aggression sind auf lange Zeit derart ungewiss, dass eine Mehrheit sich mit technischen und finanz­politischen Argumenten nicht mehr überzeugen lässt.

Das links-grüne Lager würde laut Sigerist seine Energie besser dafür einsetzen, die ukrainische Bevölkerung zu unterstützen. Und in Zeiten des Umbruchs wären Vorschläge in der Sicherheits-, Neutralitäts- und Aussen­politik gefragt, um basierend auf neuen Konzepten die Armee­budgets zu definieren. Sigerist findet: «Während die Bürgerlichen alle auf die neue Lage mit eigenen neutralitäts­politischen Vorschlägen reagiert haben, ist im grün-roten Lager dazu meist Still­schweigen zu beobachten, weil die Energie auf das Zustande­kommen der Volks­initiative fokussiert ist.»

Angesichts der dramatischen Ereignisse ist in der Sicherheits­politik einiges im Fluss. Als erste Kurzschluss­reaktion hat das Parlament entschieden, das Militär­budget massiv aufzustocken, um mehr Waffen kaufen zu können. Es braucht aber auch andere Ideen für eine Sicherheits­politik im weiteren Sinne, die auch die Friedens­förderung umfasst. Diese Diskussion muss angestossen werden. Das könnten linke Parteien tun und dabei die Mitte-Partei und auch kirchliche Kreise ins Boot holen.

Progressive Kräfte sollten aber auch darauf hinweisen, dass die Fixierung auf Kampf­jets zu blinden Flecken in der Verteidigungs­politik führt. In modernen Kriegen verlieren Kampf­flugzeuge an Bedeutung, während Drohnen eine immer wichtigere Rolle einnehmen. Im Krieg um Berg-Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan war das so, in den jüngsten Konflikten im Nahen Osten ebenso.

Das räumt neu auch das VBS ein. In einem neuen Video zu den Lehren aus dem Russland-Ukraine-Krieg sagt der stellvertretende Chef des Schweizer Nachrichten­dienstes Stefano Trojani: «Eine Erkenntnis, die wir gewonnen haben, ist, dass die Drohnen ein wichtiges Kriegs­mittel geworden sind.» Sowohl grosse Kampf­drohnen als auch kleine Drohnen, von Hobby­fliegern gesteuert, spielten im Russland-Ukraine-Krieg eine Rolle.

Was Trojani nicht sagt: Die Schweizer Armee verfügt über praktisch keine Drohnen und ist nicht fähig, einen Drohnen­angriff abzuwehren. Insbesondere gegen Angriffe kleiner Drohnen ist die Schweiz wehrlos. Diese Gefahr wird vom VBS weitgehend ausgeblendet, weil es alles auf die Karte Kampf­jet setzt.

Während­dessen setzen links-grüne Kreise alles auf die Stopp-F-35-Initiative. Das Initiativ­komitee hört dabei nicht auf warnende Stimmen wie jene von Sigerist: «Wir alle wissen, dass eine Petition nicht die gleiche Wirkung hat wie eine Initiative», sagt Anja Gada, Sprecherin der GSoA. Angesichts all der Skandale und Ungereimtheiten rund um den F-35 solle die Bevölkerung das Recht haben, über den Kampfjet­kauf abzustimmen.

Auch diese Haltung ist nachvollziehbar. Klug wäre es wohl, einen Kompromiss zu suchen, der es ermöglichen würde, die Initiative zurück­zuziehen. Diesen Weg wollten die Mitglieder des Initiativ­komitees aber bisher nicht gehen. Ihren Teil zur Blockade beigetragen hat auch Verteidigungs­ministerin Viola Amherd, indem sie öffentlich dazu aufrief, die Unterschriften­sammlung zu stoppen. Solche Diskussionen führt man hinter geschlossenen Türen. Amherd aber legte noch einen drauf und erklärte entgegen früheren Aussagen, sie werde die Kauf­verträge für die F-35-Kampf­jets noch vor der Abstimmung unterzeichnen.

Viola Amherd habe einen Kompromiss verunmöglicht, sagt die SP-Sicherheits­politikerin Priska Seiler Graf: «Das ist eine grosse Enttäuschung. Anstatt nach dem sehr knappen Ausgang der letzten Abstimmung auf uns zuzukommen, wie das in so einem Fall erwartet werden darf und bei anderen Abstimmungen auch üblich war, hat sie alles nur abgeblockt.»

Die Positionen sind fest­gefahren. Auf gegenseitigen Schuld­zuweisungen zu beharren, führt nirgend­wohin. Es lohnt sich, über den Zwischen­ruf des Friedens­aktivisten Sigerist ernsthaft nachzudenken.

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