Schweizerische Krisenanstalt

Die Credit Suisse steckt in ihrer grössten Krise. Ursache: kolossale Fehl­leistungen in Serie. Unverzichtbar ist die Grossbank für die Schweiz trotzdem.

Von Beat Schmid (Text) und Till Lauer (Illustration), 12.08.2022

Synthetische Stimme
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Mit der legendären SKA-Mütze auf dem Kopf trat Thomas Gottstein zum letzten Mal vor die Belegschaft.

Personen, die an der Townhall-Veranstaltung Ende Juli dabei waren, berichten von einem aufgewühlten Chef. In ungewohnt hoher Laut­stärke soll er sich verabschiedet haben. CEO einer Bank zu sein, sei ein Sch***job, so Gottstein. Das habe ihm schon Brady Dougan gesagt, sein Vor­vorgänger.

Die Probleme der Credit Suisse, sie scheinen allmählich auch in der Chef­etage die Moral zu zersetzen. Ein CS-Manager sagt: «Irgendwann hältst du den Druck einfach nicht mehr aus.»

Gottstein war zur falschen Zeit im falschen Job. Er war ein deal­maker, einer, der Börsen­transaktionen einfädelte und grosse Firmen­kredite aushandelte. Mit seiner coolen Art kam er bei Schweizer Unter­nehmern an. Doch intern konnte er sich nicht durchsetzen, er kam bei der Basis nicht an. Nun musste er gehen – nach nicht einmal zweieinhalb Jahren im Amt.

Spätestens jetzt stellt sich die Frage: Warum ist die einst stolze Grossbank so tief gefallen? Um das zu verstehen, zeichnen wir den Abstieg der CS seit der Finanz­krise nach, wir beleuchten die neue Strategie kritisch und erklären die Fehl­leistungen im Fall Greensill, dem grössten Kunden­debakel der CS-Geschichte.

Warum uns das etwas angeht? Weil die Schweizer Wirtschaft stark davon profitiert, wenn es auf dem Finanz­platz nicht nur eine international vernetzte Gross­bank gibt, sondern zwei. Mehr dazu später.

Um den Grossverdiener Gottstein zumindest muss man sich keine Sorgen machen. Obschon er eigentlich das Rampen­licht nie suchte, war er ein Profiteur des Systems. Im Jahr 2020 betrug sein Lohn 6,35 Millionen Franken, ein Jahr später 3,75 Millionen. Jetzt dürfte er noch für zwölf Monate bezahlt sein, bei einem Basis­salär von knapp 3 Millionen Franken.

Man wird ihn wohl wieder öfter im edlen Golf & Country Club Zürich in Zumikon antreffen. Der 58-Jährige hat ein sensationelles Handicap von 0,7. In jungen Jahren hätte er auch Golf­profi werden können. «Er verfügt über einen unglaublichen Swing», sagt einer, der mit ihm schon eine Runde absolvierte. Wenn Gottstein fällt, fällt er weich.

Ganz anders die Credit Suisse.

Die Anleger­zeitung «Finanz und Wirtschaft» macht sich inzwischen darüber lustig, dass man mit einer CS-Aktie nicht einmal mehr einen Espresso beim «Sprüngli» am Parade­platz bezahlen könnte.

CS weiter im Sinkflug, während sich die UBS erholt

Entwicklung der Aktienkurse von CS und UBS seit der Finanzkrise 2008

Credit Suisse
UBS
20082013201720225,516,201836 US Dollar

Quelle: Yahoo Finance. Gezeigt wird der bereinigte Schlusskurs von Credit Suisse und UBS (Aktiensplits und Dividenden­ausschüttungen berücksichtigt).

Vor zwei Wochen gab die Bank das Ergebnis für das zweite Quartal bekannt und unterbot die dunkelsten Prognosen. Sie machte einen Rein­verlust von 1,6 Milliarden Franken. Die Ergebnisse verschlechterten sich in allen Geschäfts­segmenten. Drastisch ist der Ertrags­rückgang auf 3,6 Milliarden. So wenig hat die Bank seit vierzig Quartalen nicht mehr verdient.

Gleich­zeitig fällt der Aktien­kurs konstant. Seit Anfang Jahr hat er 43 Prozent an Wert verloren. Der Verwaltungs­rat war gezwungen, die Reiss­leine zu ziehen: CEO Gottstein wurde entlassen, der Chef des Investment­bankings abgesetzt.

Wer kann, der geht

CS-Präsident Axel Lehmann räumt nun die Scherben zusammen. Er hatte sich redlich Mühe gegeben, die Entlassung von Gottstein schön­zureden. Nein, der Abgang sei nicht forciert gewesen, sagte er in einem TV-Interview mit CNBC. Und ja, die Bank habe entschieden, den Trans­formations­prozess zu beschleunigen. Ein solcher Prozess verlange die volle Energie eines CEO. An diesem Punkt hätten Gottstein und er gespürt, dass ein Wechsel besser sei.

Transformation, was heisst das eigentlich? In den Worten Lehmanns bedeutet es: die Investment­bank abbauen und stärker auf die Bedürfnisse der Kundinnen der Vermögens­verwaltung eingehen. Im Handels­geschäft die Risiken herunter­fahren und gruppen­weit die Kosten senken, um eine Milliarde pro Jahr.

Ich will es genauer wissen: Was bedeuten die Begriffe «Investment­bank», «Wealth-Management» und «Asset-Management»?

Für die Geschäfts­felder von Gross­banken gibt es keine einheitlichen Definitionen. Die Banken verwenden zwar die gleichen Begriffe, interpretieren sie aber oft auf ihre Art. Zudem gibt es innerhalb der Banken bei allen Bereichen Über­schneidungen, so auch bei den Divisionen der Credit Suisse:

Das Wealth-Management beziehungsweise die Vermögens­verwaltung bedient überdurchschnittlich reiche Kunden. In der Finanz­welt spricht man von (ultra) high-net-worth individuals, (sehr) vermögenden Privat­personen mit einem investierbaren Vermögen ab 30 beziehungsweise 5 Millionen Franken. Die Bank legt das Geld im Auftrag der Kundschaft an.

Auch die Investmentbank investiert Geld. Die Kundschaft ist aber eine andere als beim Wealth-Management. Das Geld stammt von Firmen, Regierungen, Pensions­kassen, Hedgefonds, privaten Investorinnen oder anderen Finanz­instituten. Die Bank übernimmt für sie den Wertschriften­handel, die Kapital­beschaffung und die Beratung. Bis vor ein paar Jahren war das Geschäft mit hohen Risiken verbunden, inzwischen gelten schärfere Regeln.

Das Asset-Management ist nahe beim Wealth-Management angelegt. Asset-Manager sind aber in ihren Entscheidungen autonomer als Vermögens­beraterinnen. Die Kundschaft ist ähnlich wie bei der Investment­bank. Investiert wird vornehmlich in Anlage- und Immobilien­fonds, die sozial, ökologisch und führungs­technisch nachhaltiger sind.

Zum Schweizer Geschäft, bei der CS Swiss Bank genannt, zählen hauptsächlich Privat- und Firmen­kunden, die bei der Bank ein Konto führen oder sich bei ihren Anlagen beraten lassen. Zum Schweiz­geschäft zählen auch Tochter­firmen, die Klein­kredite verkaufen oder Kredit­karten herausgeben.

Allerdings ist diese Strategie nicht neu. Sie wurde in den vergangenen Jahren mehrfach ausgerufen, zwar immer wieder in neue Worte gepackt, doch der Inhalt blieb stets der gleiche. Vor sieben Jahren versprach der frisch gekürte CEO Tidjane Thiam eine Fokussierung auf das Vermögens­verwaltungs­geschäft mit einer Redimensionierung des Investment­bankings. Auch er setzte den Sparstift an, strich Stellen und senkte die Kosten rigoros.

Doch langsam scheinen die Investoren genug zu haben. Beim aktuellen Wert der Aktie kommt die Credit Suisse auf eine Börsen­kapitalisierung von rund 14 Milliarden Franken. Schaut man aber auf das Eigen­kapital der Bank, weist sie einen Buchwert von 44,4 Milliarden Franken aus.

Das ergibt ein Kurs-Buchwert-Verhältnis von weniger als 0,3. Das Ziel müsste es sein, dass dieser Wert bei 1 liegt. Kaum eine andere Bank mit Ausnahme der Deutschen Bank handelt auf einem so tiefen Niveau. Die UBS hat ein Kurs-Buchwert-Verhältnis von knapp über 1, Julius Bär von 1,5. Je tiefer die Kennzahl, desto höher das Misstrauen der Anleger.

Die Bank befindet sich auch personell in einem desolaten Zustand. Mit jeder «neuen Strategie», jeder «Transformation», jedem «Übergangs­jahr», das die Chefs ankündigen, steigt der Frust in der Belegschaft. Wer kann, der geht.

Die Geschäfts­leitung ist seit Anfang 2021 praktisch vollständig ausgewechselt worden. Nur der Finanz­chef ist noch der gleiche. Allerdings hat dieser seinen Abschied bereits angekündigt. Er bleibt nur noch so lange, bis eine Nachfolge gefunden ist. Zudem fehlt eine Chefin für das Asset-Management, da dessen Leiter Ulrich Körner zum neuen CEO erkoren wurde. Das Asset-Management ist neben dem Schweizer Klein- und Firmen­kunden­geschäft, der Investment­bank und dem Privat­banking die kleinste Geschäfts­einheit.

Dass die Finanzmarkt­aufsicht (Finma) bei einer system­relevanten Bank ein derartiges Führungs­chaos zulässt, verwundert. Aber ihr bleibe wohl auch gar nichts anderes übrig, wie ein ehemaliger Kader­mann bemerkt, der anonym bleiben möchte.

Ex-UBS-Leute sollen die CS retten

Jetzt soll Ulrich Körner die angeschlagene Bank aus dem Tief holen. Er ist der dritte CEO innerhalb von drei Jahren. Eigentlich ist auch er ein CS-Urgestein, doch von 2009 bis 2020 arbeitete er bei der UBS. Banker-Legende Oswald Grübel warb ihn vor dreizehn Jahren ab. Damals ging es der UBS schlecht, etliche CS-Manager wechselten zur Konkurrentin. Sogar den Garagisten lotste Grübel zur UBS.

Das Karussell dreht sich wieder in die andere Richtung. Der vormalige Präsident António Horta-Osório holte Axel Lehmann im Oktober 2021 zur Credit Suisse, wo dieser zunächst Präsident des Risiko­ausschusses des Verwaltungs­rats wurde. Lehmann wurde Ende 2020 als Schweiz-Chef bei der UBS abgesetzt, seine Karriere schien beendet. Er ergriff die Chance, sie neu zu lancieren.

Diese erhielt kurz darauf einen unerwarteten Push, denn nur wenige Monate später musste Horta-Osório zurücktreten, weil er Quarantäne­regeln verletzt und den Business­jet zu oft für private Termine gebucht hatte. Im Februar übernahm Lehmann das Präsidium. Er ist der dritte Präsident in den letzten drei Jahren.

Von der UBS kommt auch der neue Rechtschef Markus Diethelm. Sein Job ist es, die langwierigen und kostspieligen Rechts­fälle zu beenden. Die «Handels­zeitung» hat ausgerechnet, dass die CS in zehn Jahren 16,3 Milliarden Franken für Rechts­fälle zurückgestellt hat. Bei der UBS waren es mit 13,2 Milliarden Franken allerdings auch nicht viel weniger.

Und eben, auch der CEO kommt von der UBS. Körner fasst den gleichen Job wie einst Oswald Grübel bei der UBS: das Investment­banking zügeln und in den Dienst der Vermögens­verwaltung stellen. Die Aufgabe scheint Körner auf den Leib geschnitten. Er kennt den Restrukturierungs­prozess von der UBS als Chief Operating Officer und rechte Hand von Oswald Grübel. Also nochmals the same procedure für «Ueli the knife», wie Körner intern bereits genannt wird?

Die entscheidende Frage dürfte eine andere sein: Ist es auch die richtige Strategie für die Credit Suisse?

Auch das Wealth-Management ist ein Sanierungs­fall

Gehen wir nochmals zurück zum desaströsen Quartals­resultat. Einen schlechten Job machte nicht nur die Investment­bank mit einem Vorsteuer­verlust von 1,1 Milliarden Franken. Was im Getöse unterging: Auch das Wealth-Management wies einen Verlust aus von 96 Millionen.

Das ist bemerkenswert, denn die Vermögens­verwaltung ist normaler­weise Garant für zuverlässige Ertrags­ströme, die auch dann fliessen, wenn die Börsen­kurse fallen. Dafür sorgen Vermögens­verwaltungs­mandate, die regelmässig Gebühren abwerfen. Doch bei der CS ist der Anteil von wieder­kehrenden Einkünften (recurring fees) viel kleiner als bei anderen Banken. Der Anteil von transaktions- und erfolgs­abhängigen Einnahmen dagegen ist grösser. Doch diese sind viel stärker den Launen der Märkte ausgesetzt.

Es ist die Aufgabe von Francesco De Ferrari, dem neuen Leiter des Wealth-Managements, das Geschäft so umzubauen, dass es vermehrt verlässliche Einkünfte generiert. Obschon er nun schon seit einigen Monaten im Amt ist, ist davon noch wenig zu spüren.

De Ferrari hat ein Geschäft übernommen, das stark von einem Mann geprägt war, der die CS-Vermögens­verwaltung zwischen 2015 und 2019 geleitet hatte und zuletzt Schlag­zeilen über den Finanz­platz hinaus gemacht hatte: Iqbal Khan. Das «Wunderkind des Schweizer Banken­platzes» wurde durch seinen Wechsel zur UBS und die damit verbundene Beschattungs­affäre bekannt.

Khan setzte vor allem auf transaktions­orientiertes Banking, das zusätzlich durch Kredite befeuert wurde. Reiche Kundinnen konnten ihre Depots mit Lombard­krediten belehnen, um so mit einem grösseren Hebel an der Börse zu spekulieren. Lombard­kredite sind Instrumente, die von vermögenden Kunden nachgefragt werden, die dafür ihre Wert­papiere oder andere Sicherheiten verpfänden. Solange die Kurse stiegen, und das taten sie bis November 2021, lief das Geschäft bestens.

Doch dann kippten die Märkte, und die Kundinnen, vor allem aus dem asiatischen Raum, lösten ihre Kredit­linien auf. Im ersten Quartal 2021 erreichten die transaktions­basierten Einnahmen fast eine Milliarde Franken. Im abgelaufenen Quartal ist es weniger als die Hälfte. Die wieder­kehrenden Einnahmen hingegen sind im gleichen Zeitraum nur leicht gefallen. Es ist also nicht so, dass die Vermögens­verwaltung der Credit Suisse ein sicheres Blatt wäre, auf das ein Poker­spieler sein letztes Hemd setzen würde.

Khan hinterliess der CS ein weiteres, ungleich schwer­wiegenderes Erbe, dessen Ausmass noch von der Finma untersucht wird und das der CS noch viel Ungemach bringen könnte, wie Recherchen der Republik zeigen.

Doch bevor wir zum grössten Kunden­debakel der CS-Geschichte kommen, wärmen wir uns mit einer kurzen Rekapitulation der jüngsten Fehl­leistungen auf.

1. Spy-Gate

Im September 2019 wird der Beschattungs­fall um Iqbal Khan bekannt. Khan leitet das Wealth-Management bei der Credit Suisse und ist im Begriff, zur Konkurrentin UBS zu wechseln. Bei der CS befürchtet man, dass Khan Ex-Kollegen zur UBS holen könnte. Und so wird eine Detektei auf den Banker angesetzt. Doch die Aktion läuft aus dem Ruder. Eine interne Unter­suchung ergibt später, dass weitere ranghohe Manager beschattet wurden. Ein enger Mitarbeiter von CEO Tidjane Thiam wird zur Verantwortung gezogen und verlässt das Unternehmen im Oktober. Im Februar 2020 wird der Druck für Thiam zu gross, und er tritt als CEO zurück. Er sagt, er habe von der Beschattungs­aktion nichts gewusst.

Im Zuge der Affäre wird auch bekannt, dass es zwischen Khan und Thiam zu heftigen Kollisionen kam. Hintergrund ist ein Nachbarschafts­streit zwischen den beiden. Ohne vorgängig seinen Chef zu informieren, kaufte Khan in Herrliberg ein Grund­stück, das direkt an Thiams Villa angrenzt. Um seine Privat­sphäre zu schützen, liess Thiam eine Hecke pflanzen. Dies wiederum soll Khans Frau verärgert haben, weil die Thuja­hecken angeblich die Sicht auf die Glarner Alpen nehmen. An einer Cocktail­party mit Geschäfts­leitungs­mitgliedern und ihren Frauen im Hause Thiam kommt es zur direkten Konfrontation. Ein gefundenes Fressen, nicht nur für die Boulevard­medien.

2. Affäre Lescaudron

Im Januar 2018 beginnt in Genf der Prozess gegen den ehemaligen CS-Kunden­berater Patrice Lescaudron. Zu seinen Klienten gehörten osteuropäische Oligarchen, darunter Bidsina Iwanischwili, ein Milliardär und ehemaliger Premier der einstigen Sowjet­republik Georgien. Lescaudron wird zu einer Freiheits­strafe von fünf Jahren verurteilt. Der Berater soll Gelder im Umfang von mehreren hundert Millionen Franken veruntreut haben. Dabei konnte er die internen Sicherheits­regeln umgehen. Im Sommer 2020 nahm er sich im Gefängnis das Leben.

Iwanischwili hat sich 2019 mit anderen Geschädigten zur Kläger­gruppe «CS Victims» zusammengetan und in Singapur und den Bermudas Schadenersatz­klagen eingereicht. Dort hat die Gruppe einen ersten Sieg errungen. Ein Gericht des Karibik­staates hat die CS Ende März zu einer Zahlung von 500 Millionen Dollar verdonnert. Die Bank ist in Berufung gegangen.

3. «Suisse Secrets»

Am 20. Februar 2022 dominiert die CS die internationalen Schlag­zeilen. «Suisse Secrets», die Daten­leak-Recherche von «Süd­deutsche Zeitung», «Guardian», «New York Times», «Le Monde» und weiteren Medien, nimmt die Credit Suisse ins Visier. Die Bank habe bis 2015 Gelder von Hochrisiko­kundinnen angenommen, obschon diese zum Teil wegen Betrugs und anderer Delikte verurteilt waren. Die Straf­taten seien in einschlägigen Daten­banken wie World-Check, die zur Identifizierung der Kunden genutzt werden, zum Zeit­punkt der Konto­eröffnungen eingetragen gewesen, schreiben die Journalistinnen. Die CS spricht von einer «konzertierten Aktion mit der Absicht, den Schweizer Finanz­platz zu schädigen».

4. Archegos

Am 26. März 2021 bricht der New Yorker Hedgefonds Archegos zusammen und hinterlässt bei mehreren Investment­banken ein Loch von 10 Milliarden Dollar. Den grössten Verlust erleidet die CS mit 5 Milliarden. Das Vehikel von Bill Hwang spekulierte mit riesigen Einsätzen in tief bewertete Technologie­titel und pushte so deren Aktien­wert nach oben. Der Fonds brach zusammen, nachdem US-amerikanische Medien- und Technologie­aktien ins Wanken geraten waren und die Banken sogenannte margin calls ausgelöst hatten. Die Händler der CS reagierten viel zu spät und blieben auf den implodierten Aktien sitzen. Es ist der grösste Handels­flop in der Geschichte der Grossbank.

5. Greensill

Am 1. März 2021 brach der Greensill-Skandal aus. An diesem Tag griff die CS zu einem drastischen Mittel, indem sie Fonds blockierte, die in Verbindung mit dem australischen Finanz­dienstleister Greensill standen. Damit wurden auf einen Schlag Kunden­vermögen in der Höhe von 10 Milliarden Dollar eingefroren. Der Geschäfts­mann Alexander David «Lex» Greensill war 2011 in das Geschäft von Liefer­ketten­finanzierungen eingestiegen, das daraus bestand, offene Rechnungen in Wert­papiere zu verpacken. Die CS überzeugte vermögende Kunden, in solche Supply-Chain-Finance-Fonds zu investieren und verpasste den Zeitpunkt zum Aussteigen. Bis das System zusammenbrach.

Die fünf hier aufgezählten Fälle kamen und kommen die Credit Suisse teuer zu stehen, sei es, weil Kunden entschädigt werden müssen, sei es, weil das Vertrauen der Investorinnen verloren geht.

Im Unterschied zu den Gross­unfällen wird der Greensill-Skandal die Bank noch lange beschäftigen. Der Archegos-Fall kostete zwar enorm viel Geld, doch die Untersuchungen sind abgeschlossen und die Abteilung, die den Schaden anrichtete, das sogenannte Prime Brokerage, wird abgewickelt.

Greensill hingegen schwelt weiter: Zum einen ist das Enforcement-Verfahren der Finma noch nicht abgeschlossen. Zum andern warten viele vermögende Kunden auf die Rück­zahlung von Geldern. Jahrelange, teure Verfahren kommen auf die Bank zu. Der Skandal zeigt, wie gefährlich das vermeintlich harmlose Vermögens­verwaltungs­geschäft für ein Bank­institut werden kann.

Risiko­management ausser Kontrolle

Bereits zuvor gab es Probleme mit den Fonds. CEO Gottstein veranlasste im Jahr 2020 eine interne Unter­suchung. Wie kam die CS überhaupt zu diesem Geschäft, welche Fehler wurden begangen?

Nur einen Monat nach der Blockierung der Fonds wurde bekannt, dass die Finma ein sogenanntes Enforcement­verfahren gegen die CS im Zusammen­hang mit Greensill gestartet hatte. Dabei handelt es sich um ein offizielles Beweis­verfahren, an dessen Ende Massnahmen von unter­schiedlicher Schärfe angeordnet werden können wie Berufs­verbote oder der Entzug der Bank­lizenz.

Noch läuft die Untersuchung. Gemäss Recherchen der Republik wurden im Mai die letzten CS-Spitzen­manager von der Finma befragt. Das Verfahren befindet sich somit in der Schluss­phase. Es ist damit zu rechnen, dass die Resultate noch in der zweiten Jahres­hälfte veröffentlicht werden.

Es liegt in der Natur des Auftrags der Finma, vor allem Mängeln im Risiko­management von Finanz­instituten nachzugehen. Wie die Republik aus Gesprächen mit involvierten Personen erfahren hat, stiessen die Untersuchungs­beauftragten auf schwere Konstruktions­fehler beim Aufbau des Geschäfts.

Was war falsch am Set-up? Um das zu verstehen, muss man in die Details eintauchen. Das Basis­produkt der Fonds sind Finanzierungs­lösungen für Unternehmen, um schnell an Liquidität zu gelangen. Man muss sich das so vorstellen: Eine Firma liefert eine Ware aus und schickt die Rechnung hinterher. Doch bis die Kundin bezahlt, können 30, 60 oder mehr Tage verstreichen.

Das Unternehmen muss auf das Geld warten, erst dann kann es investieren oder Vorleistungen einkaufen. Hier springen Lieferketten­finanzierer ein. Sie kaufen der Firma die Rechnung ab, bezahlen aber nur 99 Prozent des Betrags. Das Unter­nehmen ist damit zufrieden und kann weiterarbeiten.

Der Lieferketten­finanzierer treibt dann das Geld beim Kunden ein, und zwar 100 Prozent des Betrages. Das eine Prozent steckt der Finanzierer für sich ein. Entsprechend ist das Geschäft ebenfalls kapital­intensiv. Das ist der Punkt, an dem die Banken ins Spiel kommen. Sie stellen den Finanzierungs­gesellschaften wie Greensill das nötige Kapital gegen einen Zins zur Verfügung.

Um die Kredite nicht auf der eigenen Bilanz zu haben, werden sie in handelbare Finanz­produkte umgepackt – sie werden verbrieft, wie das Banker nennen. Bei Greensill spricht man in diesem Zusammenhang von sogenannten notes. Diese notes wiederum wurden vom Asset-Management der CS in Fonds verpackt, deren Anteile vom CS-Private-Banking als sichere Anlagen vermögenden Kundinnen verkauft wurden.

Die ursprünglichen Liquiditäts­risiken wurden also verbrieft, gebündelt und verkauft. Sie wanderten vom Lieferanten zum Lieferketten­finanzierer (Greensill), zur Bank (Credit Suisse), zu den Fonds und landen zuletzt in den Depots von Bank­kunden. Insgesamt flossen 10 Milliarden Dollar Kunden­vermögen in «Credit Suisse Supply Chain Finance Funds».

Das Geschäft lief wie geschmiert.

Das Problem ist, dass hinter den notes Kredite stehen, die vor Greensill auch an Unternehmen gezahlt wurden, die über eine schlechte Bonität verfügen, wie etwa den britisch-indischen Stahl­magnaten Sanjeev Gupta. Sein Unternehmen erhielt auch dann Geld, wenn dahinter keine Rechnungen standen, sondern zukünftige Rechnungen. Man nannte das future receivables – nicht existierende Rechnungen von noch nicht existierenden Kundinnen. Gupta selbst sprach von «prospektiven» Rechnungen.

Der Punkt ist: Für die CS sind Lieferketten­finanzierungen keine Besonderheit. Im Firmen­kunden­geschäft gehören sie zum Standard. Doch der entscheidende Unterschied ist: Wenn die Bank die Kredite auf die eigene Bilanz nimmt, dann greifen professionelle Kontroll­instrumente. Die Kredit­abteilung durchleuchtet die zu finanzierenden Unternehmen und wacht über die Kredite. Eingeschliffene Risiko­prozesse sorgen dafür, dass Probleme auf dem Radar erfasst und, wenn sie auftauchen, eng begleitet werden.

Anders ist das im Asset-Management, wo die verbrieften Kredite in die Fonds abgefüllt wurden. Die Abteilung verfügt über keine vergleichbaren Sicherungs­mechanismen. In der Regel braucht sie das auch nicht, in den Fonds sind normaler­weise Aktien, Anleihen oder andere liquide Papiere, deren Bonität von einer Armada von Rating­agenturen überwacht wird.

Bei den Greensill-Papieren war das eine andere Sache, niemand schaute sich die Risiken dahinter genau an. Dieses Kontroll­manko wurde bei der Konstruktion der CS-Fonds übersehen, vergessen oder bewusst zur Seite gewischt.

Der Enforcement-Bericht der Finma wird darüber Auskunft geben. Die Köpfe hinter den Fonds sind der damalige Chef des Asset-Managements der CS, Eric Varvel, und Michel Degen, Schweiz- und Europachef der Abteilung. Eine entscheidende Rolle beim Set-up, bei der Vermarktung und dem Verkauf der Fonds spielte aber auch Iqbal Khan, der als Chef des Wealth-Managements auch das Asset-Management führte. Im Jahr 2012 wurden die zuvor getrennten Abteilungen fusioniert. Seit April 2021 wird das Asset-Management wieder als eigenständige Einheit geführt.

Ein grosses Köpfe­rollen ist nicht mehr zu erwarten. Die damaligen Verantwortlichen wurden kurz nach Auffliegen des Skandals im März 2021 suspendiert beziehungs­weise entlassen.

Iqbal Khan war zu diesem Zeitpunkt bereits bei der UBS. Auch Gottstein kann es nicht mehr treffen.

Allerdings kann das Ergebnis des Enforcement-Berichts Auswirkungen auf laufende Rechts­verfahren haben. Im April 2021 reichte das Staats­sekretariat für Wirtschaft (Seco) bei der Zürcher Staats­anwaltschaft eine Straf­anzeige ein. In der Folge führte die Oberstaats­anwaltschaft letzten Herbst Razzien im Asset-Management der CS in Zürich sowie bei vier Mitarbeitern durch. Dabei beschlagnahmten die Beamtinnen Dokumente, welche die Grossbank via Anwälte umgehend versiegeln liess. Es ist im Interesse der Staats­anwälte, auf die Erkenntnisse der Finma-Untersuchung zugreifen zu können.

Im Greensill-Verfahren gehen die Ermittlungs­behörden dem Vorwurf des unlauteren Wettbewerbs nach. Anleger könnten beim Vertrieb der Greensill-Fonds getäuscht worden sein, weil möglicher­weise unrichtige oder irreführende Angaben gemacht worden waren. Später könnten zudem Schaden­ersatz­klagen auf die CS zukommen. Die Bank gab an, dass von den ursprünglich investierten 10 Milliarden Dollar rund 2 Milliarden sehr schwer zurück­zuholen seien.

Die Finma äussert sich nicht zu laufenden Verfahren, wie sie schriftlich mitteilt. Sie lässt auch offen, wann die Untersuchung zur CS zu einem Abschluss kommt.

Auch die CS will auf Anfrage weder zu den Einvernahmen noch zu den Sicherheits­mechanismen im Asset-Management Stellung nehmen.

Was würde Rainer E. Gut sagen?

Zurück zur Frage: Soll sich die CS – so wie die UBS – auf das Vermögens­verwaltungs­geschäft konzentrieren und das Investment­banking zurecht­stutzen?

Interessant wäre dazu eine Antwort von Rainer E. Gut, dem langjährigen CEO und Verwaltungsrats­präsidenten der Bank, der die frühere Schweizerische Kredit­anstalt (SKA) weltweit auf die Landkarte setzte. Der 89-Jährige ist Ehren­präsident der CS und lebt heute zurück­gezogen in Maur ZH. Eine Anfrage der Republik blieb unbeantwortet.

Interessant wäre seine Einschätzung, weil er und folgende Chefs wie Oswald Grübel und Brady Dougan die CS als eine Investment­bank mit angehängtem Private Banking verstanden. So funktionierte die Bank seit ihren Anfängen im Jahr 1856. Von Alfred Escher als SKA gegründet, bestand ihr Zweck darin, grosse Projekte zu finanzieren.

Escher führte ein neues Bankmodell in die Schweiz ein, das sich in europäischen Regionen, die sich industrialisierten, bereits durch­gesetzt hatte. Das Modell der Handels­banken «beruhte darauf, dass die Ersparnisse eines Landes eingesammelt wurden, um sie gezielt in die Förderung von Industrie und Eisen­bahn zu investieren», schreibt der Zürcher Wirtschafts­historiker Tobias Straumann in einem Aufsatz für die NZZ anlässlich des Escher-Gedenkjahrs 2019.

Daher überrascht es nicht, dass an der Spitze der Bank über viele Jahre Manager standen, die sehr viel vom Handels­geschäft verstanden. Gut arbeitete bei Lazard in New York, bevor er zur damaligen SKA kam. Oswald Grübel arbeitete ab den 1970er-Jahren im Anleihe­handel der SKA in London. Brady Dougan stieg im Derivate­geschäft bei Bankers Trust ein und wechselte 1990 zu First Boston, mit der die CS damals ein Joint Venture unterhielt und die sie später voll in die Bank integrierte.

Allerdings überbordete die CS in den USA. Mit der Übernahme der Investment­bank DLJ im Jahr 2000 baute die Bank ihre amerikanischen Investment­aktivitäten massiv aus. Sie legte dafür 20 Milliarden Franken auf den Tisch. Es war ein völlig überteuerter Fehlkauf: Ende 2021, also mehr als zwanzig Jahre nach der Übernahme, musste die CS Abschreiber auf dem Kaufpreis vornehmen.

Doch damals passte das. Es war die Zeit des Dotcom-Hypes. Es herrschte Gold­gräber­stimmung. Die Bank war richtig gross im Geschäft mit Börsen­gängen. Frank Quattrone, der das Technologie­team bei Credit Suisse First Boston leitete, brachte Firmen wie Amazon an die Börse. Er persönlich verdiente Unsummen dabei. Zwischen 1998 und 2000 soll er rund 200 Millionen Dollar an Boni einkassiert haben.

Die Bonuskultur schwappte auch in die Schweiz über. Ältere Banker können sich noch erinnern, wie sie bis in die späten 1990er-Jahre jedes Jahr noch eine Gratifikation erhielten, die etwa einem Monats­lohn entsprach. Doch dann, urplötzlich und ohne Grund, gab es einen halben Jahres­lohn oder auch mehr obendrauf.

Wie zäh sich die von der Wall Street übernommene Bonus­kultur in den Gross­banken hält, zeigt sich auch daran, dass selbst dann Milliarden­boni ausbezahlt werden, wenn die Banken Verluste schreiben. Die UBS hat auch nach der Rettung durch den Staat im Jahr 2008 ihren Bankern noch 2 Milliarden ausgezahlt. Die CS hat letzte Woche angekündigt, zusätzlich 300 Millionen auszugeben, um Talente bei Laune zu halten.

Warum die Schweiz auf die CS angewiesen ist

Die aktuelle Führung hat sich entschieden, die CS zu einer Vermögens­verwaltungs­bank umzubauen. Die Ausgangs­lage ist eine andere als bei der UBS vor über zehn Jahren. Als die UBS nach Staats­rettung und Adoboli-Skandal durchs Stahl­bad ging, war ihr Privat­kunden­geschäft grösser und die Investment­bank viel kleiner als bei der CS heute. Der Umbau bei der CS wird also viel drastischer ausfallen als bei der UBS.

Deshalb könnte die neue Strategie auch scheitern. Aber in der aktuellen Verfassung hat die Bank­führung keine andere Wahl. Die CS hat in den letzten Jahren zu viel Substanz verloren, fast den gesamten Immobilien­bestand hat sie verscherbelt, um Verluste zu stopfen. Und es fehlt ihr das Führungs­personal, um im Investment­banking weiterhin eine führende Rolle zu spielen. Sie droht zu einer «UBS miniature» zu schrumpfen.

Für Private spielt es keine Rolle, ob die CS gross oder klein ist, ob es sie gibt oder nicht. Doch in der Welt der Gross­konzerne, und davon hat die Schweiz über­durch­schnittlich viele, sieht das anders aus. Für sie ist es wichtig, dass es mit UBS und CS zwei Gross­banken gibt, die im Wett­bewerb stehen.

Auch für die Finanz­branche selber sind die zwei Grossen wichtig. Der Chef der Privat­bank Julius Bär, Philipp Ricken­bacher, sagte in einem Interview mit der NZZ: «Konkurrenz belebt das Geschäft. Zwei gesunde und starke Gross­banken sind wichtig für den Schweizer Finanz­platz.»

Geht es um Börsen­gänge, geht es um Platzierungen von grossen Firmen­krediten – Industrie­unternehmen können wählen: mal mit dieser, mal mit der anderen. Dass es in der Schweiz zwei Gross­banken gibt, ist ein Wettbewerbs­vorteil. In Deutschland gibt es nur eine, in Österreich gar keine.

Eine Meinung dazu hatte auch Thomas Gottstein, der Nicht-mehr-Chef der Credit Suisse. In einem Doppel­interview mit dem damaligen Präsidenten António Horta-Osório bei Bloomberg TV sagt er: «Ich würde noch hinzufügen, dass der Schweizer Finanz­platz stärker ist, wenn es zwei grosse Player gibt.» Das sei wie in der Forschung, wo es gut sei, die ETH Zürich zu haben und die EPFL in Lausanne. «Oder im Fussball, die spanische La Liga ist ein starker Wettbewerb, weil es zwei grosse Konkurrenten gibt: Real Madrid und Barcelona.»

Zum Autor

Beat Schmid ist Finanz­journalist und Gründer des Wirtschafts-Onlinemediums «Tippinpoint». Er war während 17 Jahren bei Tamedia, Ringier und CH Media angestellt, wo er sich hauptsächlich mit dem Schweizer Finanz­platz beschäftigte.

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