Happening

Kinder, Soldaten

Der portugiesisch-angolanische Film «Nação valente» führt in Locarno die Sinnlosigkeit von Kriegen vor. Am besten gelingt das durch eine Idee, die man nicht verraten darf.

Von Theresa Hein, 10.08.2022

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Synthetische Stimme
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Angola 1974, ein Jahr vor der Unabhängigkeit von der portugiesischen Kolonial­macht. Der Krieg zwischen Unabhängigkeits­kämpfern und Besatzungs­macht dauert schon mehr als ein Jahrzehnt an. Eine Einheimische wird mit einem Sack Mehl zur «weissen Frau» geschickt, einer katholischen Ordens­schwester. Die junge Frau muss dafür mitten durch ein Gebiet, in dem sie beinahe sicher den portugiesischen Soldaten begegnen wird, die Ordens­schwester ist schon lange geflohen, aber das weiss die junge Frau zu diesem Zeit­punkt nicht. Also macht sie sich auf den Weg.

Stopp.

Warum sollte man sich für einen Film interessieren, der vor beinahe fünfzig Jahren in Angola spielt, zur Zeit des Unabhängigkeits­krieges?

Weil Kriege nur zu Ende gehen, «damit irgendwo ein neuer anfangen kann», wie es im Film heisst.

Dem angolanisch-portugiesischen Regisseur Carlos Conceição ist ein Lehr­stück über die Sinnlosigkeit, Absurdität und Idiotie von Kriegen gelungen und über die Menschen, die sie anführen. Er erreicht das nicht nur durch eine Idee am Schluss, die man hier keinesfalls verraten darf und die im Zusammen­spiel mit seiner Erzählung einen brillanten, trotz vermeintlicher Vereinfachung gelungenen Zirkel­schluss ergibt. Sondern auch durch seine Bilder.

Conceição teilt seinen Anti-Kriegs-Kriegsfilm in zwei Teile. Er beginnt mit einem etwa zwanzig­minütigen Prolog über die junge schwarze Frau und ihre lose Verbindung zur weissen alten Ordens­schwester. Neben einem exemplarischen Verbrechen der Besatzer an der einheimischen Bevölkerung macht dieser Prolog vornehmlich zum Thema, dass Frausein im Krieg einfach nicht die beste Rolle ist, egal ob jung oder alt, schwarz oder weiss.

Dann geht der Rest des Filmes los. Wir sehen eine Truppe junger Rekruten und einen gnadenlosen Offizier beim Drill. Die Idee von einigen jungen Soldaten und einem strengen bis wahnsinnigen Offizier klingt ausgelutscht, weil sie schon so oft, angelehnt an die Urerzählung von Joseph Conrads «Heart of Darkness», verfilmt wurde, ob von Francis Ford Coppola («Apocalypse Now») oder Stanley Kubrick («Full Metal Jacket»).

Aber «Nação valente», wie der Regisseur seinen Film getauft hat – «mutige Nation», der Titel mit voller Ironie der portugiesischen, blutigen National­hymne entlehnt –, erzählt anders als die grossen, alten Namen, in deren Fuss­stapfen er sich begibt. Das liegt nicht nur an den Untoten, die auftauchen.

In «Nação valente» sind die jungen Soldaten schon so lange Teil des Krieges, dass sie sich an ein Leben ohne kaum mehr erinnern können. Die Morde an der einheimischen Bevölkerung, die zu Beginn angedeutet oder gezeigt werden, suchen Zé, einen der jungen Soldaten, in seinen Träumen heim, bis er irgend­wann nicht mehr sagen kann, ob die toten Menschen, die lebendig vor ihm stehen, nicht vielleicht doch real sind.

Es stellt sich heraus: Sie sind mindestens so echt wie die Verbrechen, die er begangen hat.

Neben dem Kniff, eine Traumwelt aus dem Traum heraus­zuholen, und neben diesem verflixt guten, einfachen Finale, das wie kein anderer Einfall beweist, was für eine entsetzliche Schnaps­idee Kriege darstellen, hat der Regisseur es ausserdem geschafft, einige bekannte Kriegsfilm­klischees darzustellen und ihnen die Klischee­haftigkeit zu nehmen. Auf andere, wie romantische Landschafts­aufnahmen oder den schablonen­haften Offizier, fällt er selbst herein.

Aber bleiben wir mal bei den Klischees, die Conceição entlarvt. Sex in der Militär­unterkunft zum Beispiel. Eine selbst­bestimmte Sexarbeiterin, die der Offizier einmal zu seinen jungen Soldaten beordert, steht nur scheinbar für Lust. Sie offenbart schnell, welche Frauen­figur den jungen Männern, die fast noch Kinder sind, fehlt. «In der Szene geht es nicht zuallererst um Erotik», sagt bei der Presse­konferenz die Darstellerin Anabela Moreira, die unter einem strengen, von den Erfahrungen im portugiesischen Kolonial­krieg traumatisierten Vater aufwuchs. «Da geht es um Nähe.» Ausserdem sei ihre Figur inmitten der Kriegs­umgebung die einzige, die nichts mit Krieg zu tun habe, was sie über das Geschehen stelle.

In einer anderen Szene schlüpft Zé, nachdem er von einem Albtraum erwacht ist, zu einem seiner Kameraden unter die Bettdecke. Auch hier geht es nicht um sexuelle Annäherung, Conceição reduziert die Handlung auf das, was sie eben auch darstellt: ein Kind, das nachts Angst hat und Schutz sucht.

Dass der Krieg seine Kämpfer einsam werden lässt, ist nicht die Haupt­botschaft dieses Films, sondern nur ein Neben­produkt. Das ist klug, weil er sonst Gefahr laufen würde, auf eine verquere Art romantisiert zu werden. Die Kamera von Vasco Viana, der gnadenlos auf die kindlichen Gesichter der Soldaten hält, wird jedoch im richtigen Moment zum gelungenen Verstärker der Einsamkeit.

Es lohnt sich, diesen Film anzusehen, vor allem wegen der Erinnerung an das, was wir, besonders im Sommer bei dreissig Grad, häufig verdrängen: Krieg findet statt, genau jetzt, in dem Moment, in dem du den Kinosaal verlässt und deine Augen sich an die Helligkeit gewöhnen.

Zum Festival

75. Locarno Film Festival. Noch bis zum 13. August. Alle Informationen finden Sie hier.

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