Die Superbank des Viktor Orbán

Zuerst die Politik, dann die Medien und die Justiz – der ungarische Minister­präsident bringt einen Bereich nach dem anderen unter seine Kontrolle. Nächste Etappe: die Wirtschaft.

Von Martin Dunai (Text), Stephan Pörtner (Übersetzung) und Peter Puklus (Bilder), 23.06.2022

Synthetische Stimme
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Schlichter Eingang: Eine Niederlassung der MKB Bank in Budapest.
Mit Geld spielen macht Spass: Einladung zum ungarischen Monopoly.

Ein kalter Wind blies diesen April durch Budapest, als Ungarns Regierungs­chef die Bühne betrat. Gerade hatte Viktor Orbán zum vierten Mal in Folge einen Erdrutsch­sieg errungen. Er strahlte, als er vor dem Whale, einem mondänen fischförmigen Kongress­zentrum an der Donau, vor einer kleinen Gruppe von Gefolgs­leuten zu seiner Siegesrede ansetzte.

«Wir sind in ausgezeichneter Verfassung», sagte er unter Gelächter und Beifall. «Unser Sieg ist so gross, dass man ihn vom Mond aus sehen kann.»

Nicht weit davon entfernt verspürte eine Gruppe von Bankern, die dem Führungs­zirkel des Premier­ministers nahestehen: Erleichterung. Orbán, dienstältester Regierungschef Europas, hatte jahrelang ihre Bemühungen unterstützt, drei der grössten Banken des Landes zu einem einzigen Institut zu vereinen. Die Hoffnung: Damit wäre sowohl den politischen Zielen der Regierung als auch den Kunden gedient.

Orbáns Wahlsieg bedeutete, dass das Projekt Magyar Bankholding – Ungarische Bankholding – nun definitiv umgesetzt werden konnte.

Tatsächlich war der Prozess bereits in vollem Gange, als Orbán seine Siegesrede hielt. Noch in derselben Nacht wurden die ersten Schritte für die Fusion unternommen. Nun war der Moment, um einige der Systeme von zwei der Unternehmen, der Budapest Bank und der MKB Bank, zusammen­zulegen. Die Takarékbank als dritte Partnerin wird voraussichtlich 2023 beitreten.

Die Fusion von Budapest Bank und MKB Bank verlief reibungslos, die Systeme sind nun einsatzbereit und funktionsfähig. Orbán bleibt für mindestens vier weitere Jahre im Amt: Das dürfte genügend Zeit sein, die neue, sogenannte «Superbank» gedeihen zu lassen. Die Ungarische Bankholding soll Orbáns politischem System ein solides finanzielles Rückgrat verleihen.

Als Orbán 2010 an die Macht kam, erklärte seine Partei Fidesz, sie werde in einem «Nationalen System der Zusammenarbeit» (NER) regieren, in dem alle gesellschaftlichen Gruppen an einem Strang ziehen, um gemeinsame Ziele zu verfolgen. In der Praxis hat sich das NER nach und nach zu einem Netzwerk staatlicher Institutionen und ausgewählter Unternehmen entwickelt, die in der Regel von Orbáns Freunden und Verbündeten geführt werden, die sich laut Bürgerrechts­organisationen gegenseitig unterstützen, um das autoritäre Regime des Minister­präsidenten zu stärken.

Führende europäische Politiker haben Orbán vorgeworfen, diesem Netzwerk EU-Fördermittel und öffentliche Aufträge zuzuschanzen, um Loyalität zu fördern und sein Regime zu festigen. Seine Regierung bestreitet das. Gleichzeitig leidet sie aktuell aber unter einem finanziellen Engpass, weil die EU wegen Vorbehalten hinsichtlich Korruption und Rechts­staatlichkeit Gelder im Wert von 7,2 Milliarden Euro zurückhält, die für den Wiederaufbau nach der Pandemie vorgesehen wären.

Eine private Grossbank wie die Ungarische Bankholding könnte zur Ankurbelung der ungarischen Wirtschaft beitragen. Laut der Regierung soll mit der Fusion eine «strategisch wichtige» Bank geschaffen werden, die mithelfen soll, den ungarischen Banken­sektor sicherer und effizienter zu machen.

Bloss: Eine Bank, die eng mit der Regierung zusammenarbeitet und vielleicht sogar Weisungen von ihr erhält, würde auch die Entwicklung der staatlich-privaten Wirtschaft beschleunigen, die für das NER-System charakteristisch ist, sagen führende ungarische Bankfachleute.

«Abgesehen von den direkten Gewinnen und Finanzierungs­möglichkeiten für ihre Unternehmen geht es [Orbán und der Regierung] vor allem um Einfluss», sagt ein Bankmanager, der anonym bleiben möchte.

«Sie wollen eine Grossbank, was ein gutes Geschäft ist, aber es ist auch eine Frage der Macht», meint eine Führungs­kraft aus dem Finanzsektor. Diese Grossbank könne «ihnen helfen, den Aufbau des Nationalen Systems der Zusammen­arbeit zu finanzieren».

In seinen drei aufeinanderfolgenden Amtszeiten seit 2010 hat Orbán einen nahezu unüberwindbaren politischen Apparat geschaffen. Das sicherte ihm Wahlerfolg nach Wahlerfolg. Nun kann er das umsetzen, was Bankerinnen und andere Beobachter als sein Wunsch­vermächtnis bezeichnen: die Sicherung der wirtschaftlichen und ideologischen Vorherrschaft, unabhängig davon, wer formell an der Macht ist.

Die Bankholding wird es Orbán erleichtern, eine robuste lokale Wirtschafts- und Gesellschafts­elite zu schaffen, prophezeien Personen, die mit seinen Ansichten vertraut sind. Sie könnte ihm auch helfen, seine nationalistische Strategie der Schwächung oder Verdrängung ausländischer Konkurrenten durchzusetzen. Und sie könnte ihm sogar ermöglichen, Verbündete in anderen Ländern zu finanzieren. Marine Le Pen vom rechtsextremen Rassemblement National erhielt für ihre Wahlkampagne einen Kredit von der MKB Bank. Einer der Banken also, die sich nun zur Holding zusammen­geschlossen haben.

Die Bankholding reagierte nicht auf mehrfache Anfragen um Stellungnahme, doch die ungarische Regierung bestreitet, dass die neue Superbank Orbáns politischer Agenda dienen soll. Die Tatsache, dass der Staat nur 30,35 Prozent der Bankholding besitzt, bedeute, dass es «keinen politischen Einfluss auf den täglichen Betrieb gibt und geben kann», sagt ein Regierungs­sprecher. Die Bankholding «unterliegt demselben strengen Rechts­rahmen und denselben Betriebs­standards wie alle inländischen Banken».

Genau darin liegt aber das Problem. Dutzenden Interviews mit ungarischen Finanzexperten zufolge liegt eine der grössten Schwachstellen dieser Bank darin, dass ihre Bilanz bereits voll ist mit Krediten für Personen und Unternehmen, die dem Orbán-Regime nahestehen. Sollte Orbán jemals fallen, könnten viele dieser Unternehmen ihre üppigen Staatsaufträge verlieren und die Kredite nicht mehr zurückzahlen – was wiederum die Bank in Mitleidenschaft ziehen würde.

Das heisst aber nicht, dass eine ungarische Superbank grundsätzlich eine schlechte Idee wäre.

Ein Finanz­institut, das in der Lage ist, in grösserem Volumen Kredite zu vergeben, könnte ein Segen für die Wirtschaft des Landes sein – meinen mehrere Personen, die mit der Situation vertraut sind, aber meist anonym bleiben wollten. Das wäre allerdings nur der Fall, wenn dieses Institut frei von politischem Einfluss ist und es die Möglichkeit erhält, seine Abhängigkeit von Orbáns System zu überwinden.

Doch danach sieht es zurzeit nicht aus.

Neben dem ungarischen Staat selbst hält Orbáns engster Verbündeter und Jugendfreund Lőrinc Mészáros rund 40 Prozent der Anteile an der Bank. Weitere wichtige Beteiligungen hält eine Investoren­gruppe mit Verbindungen zum Sohn des Gouverneurs der Zentralbank György Matolcsy. Auch er: ein enger Verbündeter Orbáns.

Solange sich das nicht ändert, wird die Ungarische Bankholding – deren Bilanz­summe im Jahr 2020 etwa ein Sechstel des ungarischen BIP ausmachte – «das grösste Einzelrisiko für die ungarische Wirtschaft sein», wie es eine unserer Quellen ausdrückte.

Der Aufbau der Superbank

Orbán ist seit langem davon überzeugt, dass wirtschaftlicher Einfluss die politische Macht untermauern muss, damit er sein Regime auf Dauer erhalten kann. Diese Lektion hat er gelernt, als seine erste Amtszeit 2002 trotz einer soliden wirtschaftspolitischen Leistung in einer Wahl­niederlage mündete. Bei seiner Rückkehr an die Macht im Jahr 2010 versuchte er von Beginn weg, die Kontrolle über die Wirtschaft zu übernehmen.

Das Bankensystem war zu diesem Zeitpunkt tatsächlich reform­bedürftig. Mit einem Marktanteil von über 20 Prozent dominierte die staatliche OTP Bank einen fragmentierten Markt. Tochter­gesellschaften mehrerer ausländischer Banken hielten jeweils etwa 10 Prozent, daneben gab es eine Reihe von Kleinkredit­instituten.

Die Mehrzahl dieser Tochter­gesellschaften erwirtschaftete keinen nennenswerten Gewinn, doch die ausländischen Mutter­häuser beliessen sie in ihren internationalen Vertriebs­netzen. «Trotz Schocks und langsamer Entwicklung hat niemand aufgegeben», sagt eine Bankerin mit jahrzehnte­langer Erfahrung auf dem ungarischen Markt. «Bis Orbán auf den Plan trat.»

In seinem Wahlkampf­programm von 2010 machte Orbán die Banken zu Sündenböcken. Er versprach, gegen die meist ausländischen Kreditgeber vorzugehen, denen er vorwarf, die Ungarn abzuzocken. «Es ist ein System, das darauf ausgelegt ist, die Menschen zu übervorteilen, auch wenn es vorgibt, es würde Wettbewerb herrschen», schrieb er damals. «Dagegen muss der Staat vorgehen. Wo immer möglich, müssen kartellähnliche Strukturen zerschlagen werden, auch indem man neuen Wettbewerbern den Markt­eintritt ermöglicht.»

Orbán stopfte ein klaffendes Loch im Staats­haushalt mit Steuer­erhöhungen für grosse Unternehmen, die meist in ausländischem Besitz waren, unter anderem die Banken. Nachdem er einen Staats­bankrott abgewendet hatte, begann er, den gesamten Banken­sektor zu sanieren. Er ging hart gegen die Vergabe von Fremdwährungs­krediten vor, führte zusätzliche Steuern auf Finanz­transaktionen ein – und, am wichtigsten: Er überführte viele Unternehmen in die Hände seiner ungarischen Vertrauten.

«Wir haben uns vorgenommen, ein neues Wirtschafts­system zu schaffen: ein ehrgeiziges Ziel», sagte Orbán im Sommer 2012 auf einem Wirtschafts­forum und signalisierte damit eine Abkehr vom westlichen Modell der sozialen Marktwirtschaft. «Teil des neuen Modells ist, dass sich die Hälfte des Banken­systems in ungarischer Hand befindet.»

Der Ministerpräsident handelte sehr schnell. Noch im Jahr 2012 erwarb der Staat von der deutschen DZ Bank einen grossen Anteil an der Takarék­bank, einem genossen­schaftlichen Spar- und Kreditverbund. Im Jahr 2013 erhöhte er seinen Anteil und wurde Mehrheits­aktionär. 2014 kaufte der Staat die MKB von der Bayerischen Landesbank. Im Jahr darauf verkaufte General Electric die Budapest Bank an die Regierung.

Diese reprivatisierte die MKB im Jahr 2016, und innerhalb von 12 Monaten kaufte einer der engsten Freunde Orbáns einen grossen Teil der Bank. Der bereits erwähnte Lőrinc Mészáros, ein ehemaliger Gas­installateur, der im selben Dorf wie Orbán aufgewachsen war, stieg dank der zahlreichen staatlichen Aufträge für seine Unternehmen zu einem der reichsten Menschen des Landes auf.

Seinen kometenhaften Aufstieg erklärte er einmal jovial so: «Gott, Glück und Viktor Orbán.»

Mészáros, der auf eine Anfrage um Stellungnahme nicht reagierte, erwarb 2019 nicht nur grosse Anteile an der MKB, sondern auch an der Takarékbank. Entscheidende Teile der damals erst geplanten Superbank befanden sich damit in den Händen von Orbán-Getreuen und waren in vielerlei Hinsicht das perfekte Vehikel für das Nationale System der Zusammenarbeit, NER.

«Das NER hatte verschiedene Gründe, die Eigentums­verhältnisse des Banken­sektors neu zu ordnen», sagte József Martin, Direktor von Transparency International Ungarn, einer NGO, die gegen Korruption kämpft. «Sie wollten ausländisches Kapital loswerden und die Anteile an regierungsnahe Wirtschafts­kreise und letztlich an Mészáros übertragen.»

Die Weichen waren gestellt, und im Dezember 2020 nahm die Ungarische Bankholding im Vorfeld der geplanten Fusion ihre Tätigkeit als Holding­gesellschaft auf.

Die drei Kreditinstitute, die ihre Kräfte bündelten, hatten bis dahin sehr unterschiedliche Profile. Die MKB war stark bei Unternehmens­krediten und im Privatkunden­geschäft. Die Budapest Bank war eine moderne Universalbank mit Dienstleistungen für Privatkunden, Unternehmen und Anleger.

Die Takarékbank hingegen war ein Flickenteppich aus einem modernen Kern und Überbleibseln ländlicher Spar­genossenschaften aus der Zeit des Kommunismus. Die typischen Kundinnen vertrauten ihr ihre bescheidenen Ersparnisse an – und hoben einmal im Monat Bargeld ab. Kredite wurden oft auf der Grundlage von Ad-hoc-Berechnungen vergeben und in karierte Notizbücher eingetragen. Laut der Bankholding wird diese dritte Bank zu einem späteren Zeitpunkt, möglicherweise im nächsten Jahr, mit den beiden anderen fusioniert.

Die Finanzierung des Imperiums

Noch ist die Fusion nicht abgeschlossen, aber in den Bilanzen der Bankholding türmen sich bereits Kredite an Orbáns Verbündete, Freunde und Familien­mitglieder des NER-Netzwerks, wie uns Quellen bestätigen, die mit den Details vertraut sind.

Das genaue Ausmass des NER-Engagements ist zwar nicht bekannt, einige Projekte sind jedoch an die Öffentlichkeit gedrungen. Wie aus Börsen­berichten hervorgeht, kaufte im August letzten Jahres die Tochtergesellschaft einer Firma von Orbáns Jugendfreund Mészáros das ostungarische Strom­einzelhandels­netz Titász: mit einem 130-Millionen-Euro-Kredit von der MKB Bank und der Takarékbank, beide Teil der Bankholding.

Ein weiteres Beispiel: BDPST, ein Immobilien­konzern, den Orbáns Schwiegersohn István Tiborcz kontrolliert, erhielt im Juli letzten Jahres zwei Darlehen der Takarékbank im Gesamtwert von rund 100 Millionen Euro. Finanziert wird damit das Hotel Dorothea, ein im Bau befindliches Luxushotel im Herzen von Budapest. Dies geht aus Dokumenten des Grundbuchamtes hervor.

Eine Tochtergesellschaft der BDPST erhielt im September letzten Jahres rund 14 Millionen Euro von der Budapest Bank, um das mondäne Hotel Iberostar Grand in der Innenstadt gegenüber der Zentralbank zu kaufen. Auch das geht aus dem Grundstücks­register hervor.

Allein durch diese drei Darlehen erhöhte sich das Engagement der ungarischen Bankholding im Nationalen System der Zusammenarbeit, dem NER, um fast eine Viertel­milliarde Euro – mehr als 1 Prozent ihrer gesamten Bilanzsumme. Quellen mit direkter Kenntnis dieser Vorgänge berichten, dass zahlreiche andere grosse NER-Projekte ebenfalls Darlehen von diesen Banken erhalten haben.

Ein Sprecher der Ungarischen Zentralbank, die auch als Markt­aufsichtsbehörde fungiert, erklärt, dass die Bankholding über das Risikoprofil eines jeden Finanz­instituts hinaus keine «wesentlichen zusätzlichen Schwachstellen oder aufsichtsrechtlichen Risiken» aufweise. «Wir sind der Ansicht, dass der Zusammenschluss und die vollständige Integration in hohem Masse zur Stärkung des Risiko­managements [der drei Banken] beitragen werden.»

Der politische Einfluss der Bankholding reicht über die Grenzen hinaus. Im März, als sich die Fusion abzeichnete, wurde bekannt, dass die MKB Bank der französischen Präsidentschafts­kandidatin Marine Le Pen mehr als 10 Millionen Euro geliehen hatte. Das ging aus Dokumenten hervor, die Le Pen in Paris eingereicht hatte.

Orbán unterstützt Le Pens Politik, traf sich in den letzten Jahren häufig mit ihr und trat auch per Video­botschaft an ihren Kundgebungen auf. Als Le Pen – aufgrund der traditionellen Zurückhaltung französischer Banken, mit ihrer rechtsextremen Partei zusammenzuarbeiten – keine finanziellen Mittel beschaffen konnte, kam ihr die ungarische Bank zu Hilfe.

Es war eine Art Loyalitätstest für die Bankholding. Nach Angaben von zwei Personen, die mit der Situation vertraut sind, brauchte es eine direkte Anordnung Orbáns, bevor Le Pen der Kredit gewährt wurde. Die Leitung der Bank und selbst Mészáros hatten aufgrund der politisch heiklen Umstände Vorbehalte. Doch schliesslich setzte Orbán seinen Willen durch, und eine Mitarbeiterin der Bank­holding wurde nach Paris geschickt, um die Papiere mit Le Pen zu unterzeichnen, so berichten es diese Quellen.

Die Bank bestand den Test. Le Pen hat auf wiederholte Anfragen für eine Stellung­nahme nicht reagiert.

Auf unsere Frage, ob sie die Kreditvergabe an Le Pen untersuchen werde, erklärte die ungarische Nationalbank, eine solche Kontrolle falle nicht in ihren Zuständigkeits­bereich. «Nach EU-Recht dürfen die Marktaufsichts­behörden keine Kredite für einzelne Kunden verfolgen oder genehmigen. Die ungarische Nationalbank NBH hat keine Kenntnis von einer solchen Transaktion und prüft sie auch nicht», sagte eine Sprecherin und fügte hinzu, eine politische Partei sei ein zulässiger Kunde, solange sie angemessene Sicherheiten und Garantien vorlege.

Es gibt Anzeichen, dass die Zentralbank in einem Interessen­konflikt steht, wenn es um die Superbank geht. Zwei Unternehmen, Blue Robin Investments und Magyar Takarék Holding, kontrollieren laut Unternehmens­unterlagen derzeit rund 23 Prozent der Bankholding. Beide befinden sich im Besitz von Investmentfonds, die von István Száraz verwaltet werden. Und dieser Száraz ist ein Geschäfts­partner und enger Freund von Ádám Matolcsy, dem Sohn des Zentralbank­präsidenten.

Der NBH-Sprecher erklärte dazu, dass «die ungarische Nationalbank nachdrücklich dementiert, dass der Präsident der Zentralbank oder ein Mitglied seiner Familie in irgendeiner Weise an der Ungarischen Bank­holding beteiligt sind. Alle anders­lautenden Informationen sind bewusste Falsch­meldungen, die zur Irreführung der Leserschaft beitragen.»

Das Systemrisiko

Die Beziehungen der Bank zum NER-Netzwerk hielten vor den diesjährigen Wahlen den gesamten Bankensektor in Atem. Die Ungarische Bankholding war juristisch bereits Realität, wenn auch noch kein vollständig fusioniertes Unternehmen. Ihr kumulierter Marktanteil und ihre Bilanzsumme von 21,4 Milliarden Euro, die zweitgrösste des Landes, machten sie too big to fail. Im Falle eines Wahlsiegs hätte die Opposition Orbáns Verbündeten die lukrativen Regierungs­aufträge entziehen können. Und das wiederum hätte es ihnen verunmöglichen können, ihre Kredite zurückzuzahlen.

Doch nun, da Orbán sicher im Amt ist, geht die Fusion zügig voran. «Der Bankholding-Prozess ist mittlerweile unumkehrbar, und die Art und Weise, wie er durchgeführt wurde, nämlich durch die Umschichtung von Vermögenswerten durch den Staat, ist in der westlichen Welt völlig einmalig», erklärt József Martin von Transparency International. «Sie ist ein wesentlicher Bestandteil der Orbanomics und die Grundlage für die Kapitalausstattung dieses Systems.»

Aus Angst, den Ministerpräsidenten zu verärgern, war niemand aus der Bankbranche bereit, sich offen zur Bankholding zu äussern. Unter vier Augen äussern aber viele Gesprächs­partnerinnen Ängste bezüglich der systemischen Risiken des Projekts. Denn es wird erwartet, dass die NER-Kredit­vergaben weiterlaufen. In der Konsequenz könnte das Unternehmen damit in eine Falle geraten, weil Kreditnehmerinnen und Eigentümer gleichermassen Orbán verpflichtet sind. Ein führender Banker formuliert es so: «Die Welt verändert sich, und diese Unternehmen können scheitern.»

Andere sehen das Ganze gelassener und meinen, dass die Finanzierung der NER ohne grössere Probleme weiterlaufen könne. «Wenn sie genug Zeit haben, vier bis fünf Jahre, dann können sie es schaffen und Geld verdienen, mit oder ohne Unterstützung der Regierung», erklärt eine weitere Auskunfts­person.

Andere hingegen sind der Ansicht, dass diese Superbank Ungarn eine tolle Chance hätte bieten können – die aber verpasst wurde. Das Bankholding-Projekt habe «viele logische Elemente», findet ein führender Banker mit langjähriger Erfahrung. «Die Integration der Spar­genossenschaften ist klug und die Zusammen­legung von Privatkunden-, Firmen­kunden- und Kleinunternehmens­portfolios sinnvoll. Allerdings können sie sich damit kaum befassen, da sie damit beschäftigt sind, das Imperium zu finanzieren».

Zum Autor

Marton Dunai ist Südosteuropa-Korrespondent der «Financial Times». Dieser Text erschien erstmals am 30. Mai 2022 unter dem Titel «The Bank of Viktor Orbán» in der FT. Unterstützt wurde die Recherche von Leila Abboud in Paris.

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