Caspar David Friedrich aus dem schwarzen Amerika: Noah Davis, «Painting for My Dad», 2011. Noah Davis

Abschied vom Underground

In Los Angeles schliesst das Underground Museum, das den Macht­strukturen der Kunstwelt den Mittel­finger zeigte. Über das Ende einer Ära, die von schwarzen Künstlerinnen geschrieben wurde.

Von Nana Bahlmann, 10.05.2022

Synthetische Stimme
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Es ist Nacht. Ein einsamer Mann steht an einem Abgrund und schaut hinab in die unergründliche Finsternis. Eine schummrige Öllampe in seiner linken Hand spendet kaum Licht. Sein Kopf und seine entblössten Arme verschmelzen mit der Dunkelheit. Die Rückenfigur – ein Caspar David Friedrich aus dem schwarzen Amerika – droht zwischen den Welten zu versinken.

Im Jahr 2011 hat der Künstler Noah Davis dieses Andenken an seinen verstorbenen Vater mit dem Titel «Painting for My Dad» gemalt. Und wie vor vielen anderen seiner Gemälde verfällt man sofort der verträumten Zerrissenheit, die das Leben ihrer Figuren zu bestimmen scheint.

Ein anderes seiner Bilder zeigt einen Pianisten an einem Flügel, der mitten auf einer Strassen­kreuzung in Pueblo del Rio steht. Führender Architekt der 1941 in South Central Los Angeles errichteten Siedlung, die hauptsächlich von afro­amerikanischen Fabrik­arbeitern bezogen wurde, war Paul Revere Williams, der als erster schwarzer Architekt überhaupt in die amerikanische Architekten­kammer aufgenommen wurde. Über 3000 zum Teil ikonische Gebäude in und um Los Angeles hat er entworfen, ohne zu seinen Lebzeiten dafür je die Anerkennung erfahren zu haben wie andere, weisse Architekten ähnlicher Grösse.

Der Maler Noah Davis erklärte dieses Denkmal der Rassen­trennung zum Konzert­saal für einen schwarzen Klavier­spieler. «Pueblo del Rio: Concerto» heisst der Titel, die Poesie von Gegensätzen.

Glorreiche Heimkehr

Bis vor kurzem waren beide Bilder in einer ergreifenden Retrospektive des Künstlers im Underground Museum in Los Angeles zu sehen. Noah Davis, der 2015 mit nur 32 Jahren an den Folgen einer Krebs­erkrankung starb, gilt als einer der wichtigsten Maler der jüngeren amerikanischen Kunst­geschichte. Roberta Smith, die Kunst­kritikerin der «New York Times», reiht ihn ein unter die ganz grossen der zu jung verstorbenen Künstlerinnen wie Paula Modersohn-Becker, Jean-Michel Basquiat oder Egon Schiele. Oft wird Davis’ Stil mit dem von Marlene Dumas, Peter Doig oder Luc Tuymans verglichen. In der diesjährigen Biennale in Venedig ist er als einer der wenigen männlichen Künstler zu sehen.

Nach zwei Jahren Lockdown und Zwangs­pause wurde die Ausstellung als langersehnte Wieder­eröffnung des Underground Museum gefeiert – und zugleich als eine glorreiche Heimkehr der Bilder. Noah Davis hatte das Museum nämlich zehn Jahre zuvor gemeinsam mit seiner Frau Karon Davis selbst gegründet, in seinem eigenen Atelier. Auf einer selbst gebauten Holzbar stand immer noch ein Foto­porträt von ihm, daneben ein Kristallstein. Und auf dem Boden konnte man Reste der Farben entdecken, die während seiner Malarbeiten auf den Boden gekleckert waren. Doch dann wurde aus heiterem Himmel Mitte März die sofortige Schliessung des Museums bekannt gegeben.

Nur sechs Wochen nach der Wieder­eröffnung wurden Davis’ Gemälde abgehängt, verpackt und an ihre Leihgeber zurück­geschickt. Der Schock und die Bestürzung über dieses abrupte Ende waren nicht nur in der Kunst­szene von Los Angeles zu spüren. Mit der Schliessung des Underground Museum geht nämlich auch ein Kapitel – um nicht zu sagen: das jüngste Kapitel – schwarzer Kunst­geschichte in den Vereinigten Staaten von Amerika zu Ende.

Die Gründe für die plötzliche Schliessung werden in einem Statement von Karon Davis auf Instagram nur vage angedeutet. Sie erwähnt die nicht verarbeitete Trauer der Familie nach Davis’ Tod und das unerwartete Wachstum seines Vermächtnisses. Aber auch die Pandemie und Black Lives Matter hätten ihre aller Blicke auf das Museum und die jeweiligen Rollen, die sie darin übernehmen, verändert.

Ob sie damit meint, dass das Underground Museum seine institutionelle Relevanz verloren habe, es nicht mehr so dringlich sei, sein Programm weiter­zuführen; oder ob es Zwistigkeiten hinter den Kulissen geben könnte, darüber kann man in diesen Tagen nur spekulieren – für weiter­führende Kommentare oder Erklärungen stand auf Nachfrage der Republik niemand zur Verfügung. Und so muss man, wenn man den hohen Stellenwert dieser Institution jenseits des Atlantiks einführen will, zugleich ihren Nachruf schreiben.

Hollywood im Under­ground

Zehn Jahre sind kein langer Zeitraum, schon gar nicht für ein Museum. Trotzdem weiss man vor den geschlossenen Toren dieser einst ziemlich herunter­gekommenen Schaufenster­läden in Arlington Heights, einem hauptsächlich von Afro­amerikanerinnen und Latinos bewohnten Arbeiter­viertel mitten in Los Angeles, nicht genau, wo man eigentlich anfangen soll. Für Europäerinnen vielleicht mit den ganz grossen Namen aus dem Film­geschäft, die zu den Stamm­gästen zählten?

Barry Jenkins zeigte seinen mit einem Oscar prämierten Film «Moonlight» einen Tag nach der Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA im Garten des Museums, die hoch emotionale Diskussion im Anschluss an den Film bezeichnete er als «Gruppen­therapie­sitzung». Und Raoul Peck präsentierte hier seinen einfluss­reichen Dokumentar­film «I Am Not Your Negro» über James Baldwin und die Ikonen der Bürger­rechts­bewegung der 1960er-Jahre – Medgar Evers, Malcolm X und Martin Luther King Jr.

Superstars wie John Legend und Solange Knowles stellten hier ihre neuen Alben vor. Und dann waren da noch Patrisse Cullors, Mitbegründerin von Black Lives Matter, und Angela Davis, Philosophin, Bürger- und Frauen­rechts­aktivistin, die das Underground mit Vorträgen und Workshop-Reihen aufmischten.

Wichtiger und bewegender war jedoch die beharrliche Förderung von weniger sichtbaren Leuten, die Noah Davis an diesem Ort zwischen einem Tattoo­studio, einer Karosserie­werkstatt und einem Händler für Rasen­mäher mit aller Kraft in Angriff nahm. «Niemand soll sich aus seiner Nachbarschaft hinaus­bewegen müssen, um Kunst von Weltrang zu sehen oder von führenden Denkerinnen, Lehrerinnen, Köchinnen und Künstlerinnen zu lernen», lautet Davis’ Credo. Mit gerade mal 28 Jahren nahm er deshalb ein kleines Erbe seines Vaters in die Hand und mietete die maroden Räume in dieser Kultur­wüste von Los Angeles an.

Der Bruder: Kahlil Davis im Garten des Underground Museum. Jake Michaels/NYT/Redux/laif

Noah Davis’ Vater, Keven Davis, war Anwalt im Sport- und Entertainment­bereich und vertrat unter anderen die Tennis­spielerinnen Venus und Serena Williams. Er lebte seinen Söhnen einen unmissverständlichen Sinn für ausser­gewöhnliche Leistung vor, aber auch für die unverzichtbare gegenseitige Unter­stützung und den Rückhalt in der Black Community. Schon mit 17 Jahren soll Noah, geboren 1983 in Seattle, unablässig mit einem Skizzen­block unterwegs gewesen sein. Kurz besuchte er die berühmte Cooper-Union-Kunstschule in New York. Es heisst, er sei dort rausgeflogen. In Los Angeles hielt er sich dann mit einem Job in einem Kunstbuch­laden finanziell über Wasser, bis er als Nachwuchs­künstler Fuss fasste und anfing, vielerorts auszustellen und auch gut zu verkaufen.

Von dem Vorhaben, ein neues Museum zu gründen, rieten ihm seine Freunde trotzdem alle ab. Zu gross, zu riskant sei das Projekt, er sei eigentlich Maler, werde sich finanziell übernehmen. 2012 bezog er zusammen mit seiner Frau, der Bild­hauerin Karon Davis, und seinem damals erst eineinhalb­jährigen Sohn Moses die Räume am Washington Boulevard.

Die drei lebten und arbeiteten zwischen eingerissenen Wänden, Werkzeugen, Farbtöpfen und Bau­materialien – und immer zahlreicher werdenden Gästen. Bald richtete sich Davis’ Bruder Kahlil Joseph ein Büro ein und begann, inspiriert von der Umgebung und von Davis angespornt, nicht nur Musik­videos für Kendrick Lamar und Kanye West zu drehen, sondern an eigenen künstlerischen Installationen zu arbeiten.

Der Ort wurde zum lebhaften Treffpunkt für Familie, Künstlerinnen und Kreative, zum Atelier, Wohn- und Ausstellungs­raum für die eigene Kunst und die Kunst von Freunden.

Der Staubsauger von Jeff Koons

Aber Davis wollte erklärter­massen mehr. Er hatte sich Ausstellungen von «Museums­qualität» in den Kopf gesetzt. Nur erklärte sich niemand bereit, seine wertvollen Meister­werke herzugeben – weder Museen noch Privat­sammler. Zu unsicher die Gegend, zu underground der Ort. Davis machte sich deshalb ungeduldig und mit einer beeindruckenden Unverfrorenheit daran, die Arbeiten, die er gerne in seinem Museum sehen wollte, selbst zu produzieren.

Die erste richtige Ausstellung, «Imitation of Wealth» im Jahr 2013, enthielt unter anderem einen Staubsauger, den Davis für gerade mal 70 Dollar gekauft hatte, um ihn als Werk von Jeff Koons zu präsentieren. Eine selbst gebastelte Kies-Spiegel-Ecke, wie sie der Land-Art-Künstler Robert Smithson realisiert hatte, ein falscher Flaschen­ständer von Marcel Duchamp und ein selbst gemalter On Kawara aus der «Today»-Serie waren auch dabei. Im Vergleich zu den Originalen von On Kawara war das Bild zu gross und das Datum nicht das Datum seiner Entstehung, sondern der Geburtstag von Davis’ Vater: «OCT. 7, 1957».

Aber darin lag ja gerade der springende Punkt: Davis’ trotzige Hommage führte die Macht­strukturen der Kunstwelt vor. Er zeigte den Tempeln der Gegenwart mit ihren Ein- und ganz besonders ihren Ausschluss­mechanismen elegant den Mittel­finger.

Selbst gebauter Treffpunkt für alle Hautfarben, alle sozialen Klassen, alle Alters­gruppen: Die Holzbar im Underground Museum. Nana Bahlmann
Noah Davis: «1975 (8)», 2013 (links), und «Pueblo del Rio: Concerto», 2014. Nana Bahlmann

Anfang der 2010er-Jahre spielte Kunst von Schwarzen noch so gut wie keine Rolle in einer ausschliesslich von Weissen dominierten Kunstwelt. Kunstmuseen waren traditionell Orte von, für und über Weisse. Und diese Ausgrenzung war schockierend sichtbar. Oft konnte man schwarze Gesichter auf Eröffnungen an einer Hand abzählen, kannte man die wenigen Akteure, die sich in dieser segregierten Welt bewegten, beim Namen. Kuratorinnen der Kunst­institutionen waren fast ausnahmslos weiss, wie auch mithin die ausgestellten Künstler. Es gab kaum schwarze Besucherinnen. Black Lives Matter wurde zwar im selben Jahr wie das Underground Museum gegründet, die breite Bevölkerung und erst recht den Kunst­betrieb erreichte seine existenzielle Botschaft aber noch nicht.

Der Museums­deal

«Imitation of Wealth» war eine Sensation. Das Underground Museum wurde sofort zum Insidertipp für junge und etablierte Künstler, für Kuratorinnen und Besucher aus den gesamten Vereinigten Staaten. Zeitgleich wurde Davis erstmals mit einer seltenen Krebsart diagnostiziert und musste sich schwer­wiegenden Operationen und Behandlungen unterziehen. Bereits im Folgejahr, 2014, besuchte ihn Helen Molesworth in seinem Atelier, die damals gerade als neue Chefkuratorin im Museum of Contemporary Art, kurz MOCA, angefangen hatte.

Es muss Liebe auf den ersten Blick gewesen sein. Davis und Molesworth einigten sich nämlich rasch auf einen ziemlich beispiel­losen Deal: Das MOCA würde dem Underground Museum Zugang zu seiner hervorragenden Sammlung gewähren und für eine Reihe von Ausstellungen jene Leihgaben zur Verfügung stellen, die von anderen verwehrt worden waren. «No more trying to change things slowly from the inside. Fuck it. … let’s just make this shit ourselves», sagte Molesworth – und überliess Davis zwei Ordner mit einem Sammlungs­verzeichnis aller Werke, die sogenannte Bibel des MOCA.

Die beiden entschieden sich, als erste Kooperations­ausstellung William Kentridges Mehrkanal­installation «Journey to the Moon» zu zeigen. Da es sich hier zwar um kostspielige Technik handelte, aber eben nicht um ein teures Einzel­stück, etwa ein Gemälde mit einem millionen­schweren Versicherungs­wert, sprachen viele von einer Art Testballon.

Davis war in diesem Sommer 2015 wieder schwer krank. Trotzdem stellte er zwischen Krankenhaus­bett und Atelier Künstler- und Werklisten zusammen und überlegte sich Themen­ausstellungen, in deren Titel die politische Dimension der Ästhetik bereits zum Ausdruck kommt: «Water and Power» (2018) mit Werken von Olafur Eliasson oder James Turrell. Oder «Artists of Color» (2017–2018), eine Show über Farbe in der Kunst, in der Werke von Josef Albers, Ellsworth Kelly, Dan Flavin und Diana Thater ausgestellt wurden.

Davis und Molesworth thematisierten Rassen­trennung und -diskriminierung, unterwanderten Macht­verhältnisse oder entlarvten Vorurteile. In der zweiten Kooperations­ausstellung «Non-Fiction» (2016–2017) wurde eine Wand mit Robert Gobers Arbeit «Hanging Man / Sleeping Man» von 1989 tapeziert. Das Muster setzt sich abwechselnd aus Darstellungen eines friedlich schlafenden Weissen und eines schwarzen Lynchmord-Opfers zusammen, das an einem Baum erhängt wurde. Mitten drin hing das kleinformatige Porträt «Wife of a Lynch Victim» der Dokumentar­fotografin Marion Palfi aus dem Jahr 1949.

Die Wand mit Robert Gobers «Hanging Man / Sleeping Man», und mittendrin Marion Palfis «Wife of a Lynch Victim». Justin Lubliner/Courtesy of The Museum of Contemporary Art, Los Angeles

Aber weder diese Installation noch die Arbeiten von Kara Walker, Henry Taylor, Theaster Gates und David Hammons, die in der Schau gezeigt wurden, konnte Davis realisiert sehen. Er starb am 29. August 2015, dem Tag, an dem eine Kopie der Kopie, ein Nachbau seiner Ausstellung «Imitation of Wealth» nämlich, als Teil der «Storefront»-Ausstellungs­reihe des MOCA in dessen Schau­fenstern eröffnete.

Eine Atmosphäre der Einbindung

Seine Vision einer integrativen, lebendigen Kultur­institution lebte weiter. Im Museums­programm, klar, aber auch in einem noch von ihm präzise kuratierten Buchladen. Und vor allem in einem selbst angelegtem Garten, dem «Purple Garden» direkt hinter dem Gebäude, das mittlerweile schwarz angestrichen und zum Teil auch vergittert war. Ausschliesslich lila (die Symbolfarbe von «Pride»-Bewegungen weltweit) blühende Blumen und Sträucher verströmten hier einen intensiven, royalen Duft und lockten Schmetterlinge und Bienen an.

Inmitten von Skulpturen der südafrikanischen Künstlerin Lianne Barnes wurden regelmässig Yoga- und Meditations­kurse angeboten, Strassenfeste und Tanzpartys gefeiert. Für die allsommerlichen Filmreihen wurde die Liegewiese im Garten mit bunten Decken und violetten Kissen ausgelegt wie für ein gemütliches Picknick.

All das war kostenfrei. Jede, die an diesem Ort Zuflucht suchen wollte, war willkommen. Und daraus entstand das wirklich Ausser­ordentliche dieser Underground-Institution: diese Atmosphäre der Einbindung und die Diversität des Publikums, wie man sie an keinem anderen Ort in Los Angeles erleben konnte. Alle Hautfarben, alle sozialen Klassen, alle Alters­gruppen kamen und wurden ausnahmslos herzlich empfangen. Besonders auffallend war die Menge an Kindern, die bis spätabends bei Veranstaltungen dabei waren.

Hier wurde schwarze Identität gefeiert. Farbenfrohe afrikanische Muster, Ringe so gross wie Golfbälle an jedem Finger in knalligem Türkis oder aus dunklem Onyx, Turbane, Kaftane, bunt karierte Blazer mit Einsteck­tuch, gestreifter Krawatte und passendem Hut, imposante Afros und aufwendige Flecht­frisuren, übergrosse Hoodies mit Aufdrucken, Aufrufen und Insider­botschaften. Das Underground Museum wurde zu einem Forum und für viele auch zu einem Inbegriff für sogenannte black excellence. Hilton Als beschrieb sie «weniger als eine Bewegung als einen Standard»: «Anhänger legen die Messlatte hoch, nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere, besonders dann, wenn es schwarze Geschichte, schwarze Storys und schwarzen Style betrifft.»

Eines von rund 400 Kunstwerken entsteht: Noah Davis, 2009. Patrick O'Brien-Smith

Davis hatte eine Liste mit Ausstellungs­ideen und Künstler­namen hinterlassen. Nach seinem Tod im Jahr 2015 führte die Familie sein Vermächtnis mit grosser Hingabe fort. Die ersten Jahre verwirklichte sie einige der noch von Davis kuratierten MOCA-Ausstellungen. Später entwickelte sie das Programm in seinem Sinne weiter, mit faszinierenden Einzel­ausstellungen von Künstlerinnen wie Roy DeCarava, Deana Lawson oder Lorna Simpson. Zielte das Underground zu Beginn auch darauf ab, einen schwarzen Blick auf die museale Kunst von Weissen zu richten, konzentrierte es sich nun darauf, schwarze Künstlerinnen zu institutionalisieren.

Black Lives Matter

In den Jahren seit Davis’ Tod hat sich viel verändert. Die Ermordung von George Floyd durch den Polizisten Derek Chauvin in Minneapolis am 25. Mai 2020 – und die davor durch Polizei­gewalt zu Tode gekommenen Ahmaud Arbery und Breonna Taylor – lösten landesweit Proteste gegen Rassismus und Polizei­gewalt aus. Anders als bei früheren politischen Bewegungen beteiligen sich an Black Lives Matter nun auch weisse Bürger, ihre Komplizenschaft in einem durch Rassismus geprägten System konnte kaum jemand mehr ignorieren. Auch die Idee der black excellence wurde zur Kritik am Status quo, weil sie impliziert, dass Schwarze immer exzellenter sein, härter arbeiten und mehr Leistung bringen müssen als Weisse, um dieselben Erträge zu erzielen.

Das Underground Museum war wie alle anderen Institutionen in den Vereinigten Staaten während der Pandemie geschlossen. Trotzdem konnte man erahnen, dass die gesellschafts­politischen Umbrüche auch dieses Haus veränderten.

Kunstpreise, Stipendien und natürlich Ausstellungs­flächen sollten endlich an Schwarze gehen. Diese Forderung wurde nun nicht mehr nur vom Underground Museum in die Welt getragen. Seit der Wieder­eröffnung der Museen werden – jedenfalls gegenwärtig in Los Angeles – so viele Einzel- und Gruppen­ausstellungen von und mit schwarzen Künstlerinnen gezeigt wie nie zuvor. Auch kommerzielle Galerien erkannten ihr eklatantes Defizit und versuchen eiligst, diese Lücken zu schliessen. Vor allem figurative Malerei erfährt auf dem Kunstmarkt enorme Wert­steigerungen.

Diese Entwicklung erreichte auch Davis’ Erbe. Die erste Direktorin, die in enger Abstimmung mit der Familie nach seinem Tod das Programm mitaufgebaut hatte, Meghan Steinman – eine Weisse –, zog sich zurück. Inzwischen wird Davis von einer grossen New Yorker Galerie vertreten. Eines seiner Bilder wurde im vergangenen Dezember auf der Art Basel Miami Beach für rund 1,4 Millionen Dollar verkauft. Bei einem Gesamtwerk von insgesamt rund 400 Arbeiten, von denen viele noch zum Nachlass in Familien­hand gehören, kann man die finanzielle Wucht seines Vermächtnisses ausrechnen.

Erst im Dezember vergangenen Jahres waren zwei neue Direktorinnen berufen worden, alles sah also so aus, als würde das Underground Museum sich nun aus der familiären Obhut lösen und mit einer Hommage an seinen Gründer ein neues Kapitel in der Kunst­geschichte aufschlagen. Stattdessen trauert Los Angeles um Noah Davis – und um sein Museum.

Zur Autorin

Nana Bahlmann ist freischaffende Kuratorin und Autorin. Von 2010 bis 2016 hat sie am Los Angeles County Museum of Art (LACMA) gearbeitet. Zuletzt war ihre Ausstellung «all the lonely people» im silent green Kulturquartier in Berlin und bei LAXART in Los Angeles zu sehen.

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