Das Ende einer Affäre

Die Geschichte von Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz ist auch eine Mediengeschichte: Keinem anderen Manager liess die Schweizer Presse mehr durchgehen. Wie konnte ihm eine ganze Journalisten-Generation so hörig werden?

Von Beat Schmid (Text) und Chrigel Farner (Illustration), 13.04.2022

Synthetische Stimme
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Am Anfang war ein Tipp. Ein Redaktions­kollege erzählte mir, dass in der Tiefgarage der Raiffeisen-Zentral­genossenschaft in St. Gallen teure Autos stehen würden: Bentley Continental, Aston Martin, kostspielige Audis. Es würde sich vielleicht lohnen, der Sache nachzugehen.

Ein paar Tage später stand ich vor der Tiefgarage. Der Zugang war versperrt, durch die Gitterstäbe konnte ich einige teure Autos sehen – jedoch keinen Aston Martin und auch keinen Bentley.

Ich setzte mich vor dem Raiffeisen-Hauptsitz auf eine Bank und sinnierte eine Weile vor mich hin. Der Platz war von Künstlerin Pipilotti Rist grossflächig mit einem Raiffeisen-roten Tartanbelag überzogen worden, selbst Sitz­gelegenheiten und Skulpturen sind mit dem weichen Gummi­granulat bedeckt. Zürich hat den Paradeplatz, dachte ich, St. Gallen den Raiffeisen-Platz.

Dann tauchte eine dunkle Limousine auf und rollte langsam vor den Eingang der Bank. Aus dem Fond stieg Pierin Vincenz, er verabschiedete sich beim Chauffeur und verschwand im Hauptsitz.

Die Szene mit dem Chauffeur, die Autos – das war Anlass, mit den Recherchen zu beginnen. Ich traf mich mit damaligen und ehemaligen Raiffeisen-Mitarbeitern, mit Bekannten von Vincenz und Ostschweizer Wirtschafts­insidern. Bald war mir klar, dass das Image des bodenständigen Bankers nicht viel mit der Realität von Pierin Vincenz zu tun hatte. Das war im Herbst 2008.

Zum Autor

Beat Schmid ist Finanzjournalist und Gründer des Wirtschafts-Onlinemediums «Tippinpoint». Er war während 17 Jahren bei Tamedia, Ringier und CH Media angestellt, wo er sich hauptsächlich mit dem Schweizer Finanzplatz beschäftigte. Ende 2008 schrieb Schmid in der «SonntagsZeitung» erstmals darüber, dass sich Pierin Vincenz als Chef einer Genossenschafts­bank «Privilegien wie ein Grossbanker» leiste.

Damals schrammte die UBS am Bankrott vorbei und musste vom Staat gerettet werden. Gleichzeitig startete Vincenz als Banker durch und schickte sich an, aus der biederen Bauernbank Raiffeisen die drittgrösste Banken­gruppe der Schweiz zu formen. Er verkörperte für viele die Antithese zum abgehobenen Banker vom Paradeplatz. Vincenz war nahbar, er war fassbar, er war «einer von uns».

Das machte ihn unglaublich populär. Und zum Darling der Medien.

Doch diese glänzende Seite steht im starken Kontrast zu den düsteren Kapiteln, die Vincenz als Raiffeisen-Chef zwischen 1999 und 2015 schrieb. Die Anklageschrift der Zürcher Staats­anwalt­schaft umfasst 364 Seiten und dokumentiert in allen Details, wie Vincenz Beteiligungen verschleierte, mit Spesen überbordete, das Inventar eines Hotelzimmers im Streit mit einer Tänzerin zerstörte – und den Schaden mit der Firmen­kredit­karte beglich.

Die acht Verhandlungs­tage vor Gericht, das heute Mittwoch sein Urteil verkündet, waren ein Medienspektakel. Seit Anfang Jahr wurden fast 2000 Artikel zu Pierin Vincenz publiziert. In allen Details wurde die Anklage­schrift ausgebreitet, bis zu 25 Journalisten begleiteten den Prozess im Zürcher Volkshaus. Die grossen Redaktionen richteten Live-Ticker ein, wie man sie von Fussball­übertragungen oder Corona-Medien­konferenzen kennt.

Dass die Presse sich kritisch mit Pierin Vincenz auseinander­setzt, war nicht immer so. Im Gegenteil: Jahrelang war er für sie eine unfehlbare Instanz.

Warum flog Vincenz nicht schon viel früher auf? Wie ist dieses Versagen des Schweizer Wirtschafts­journalismus zu erklären?

Ihn haut man nicht in die Pfanne

Für Wirtschafts­führer ist die Nähe zu Journalisten und Medien ein gefährliches Spiel. Zwar lieben sie schöne Porträts und grosse Interviews. Aber sich so richtig tief einlassen mit Journalisten und pikante Informationen ausplaudern, wie dies Vincenz tat, das gilt als verpönt. Stattdessen halten sich Topmanager lieber spin doctors, die für sie die Medien beeinflussen.

Vincenz war sich nicht zu schade, sich die Hände quasi selbst schmutzig zu machen. Er wusste wohl, dass er mit dem direkten Kontakt zu einzelnen Journalisten einen viel grösseren Nutzen erzielen konnte, als wenn er Kommunikations­berater engagieren würde. Er war sich selbst sein bester.

Berührungs­ängste kannte er nicht. Jungen Journalistinnen, die sich mit Recherchen profilieren mussten, steckte er seine Nummer zu. Wenn sie ihn anriefen, nahm er sich Zeit und plauderte. Daraus wurden Geschichten, oft auch exklusive. So wurde er zu einer «zuverlässigen» und «hochrangigen» Informations­quelle.

Zwischen ihm und den Medien entwickelte sich eine symbiotische Beziehung. Seine Nähe war äusserst wirkungsvoll. Für Vincenz war klar: Kein Journalist schlägt die Hand ab, die ihn mit Geschichten füttert. Und den Journalisten war klar: Wenn sie Vincenz in die Pfanne hauen, versiegt er als Quelle.

Vincenz war so geschickt, dass er selbst kritische Journalisten für sich vereinnahmen konnte. Ein Ex-Kollege sagte mir einmal: «Vincenz erzählt mir manchmal etwas …» Er war unter anderem im Vorstand der Bankier­vereinigung. Das machte ihn zu einem zuverlässigen Geschichten­lieferanten. Im Wettbewerb zwischen Redaktionen und Medien­häusern und in Zeiten schwindender Auflagen waren seine Inputs vielen Journalisten mehr als willkommen.

Raiffeisen veranstaltete regelmässige Mittagessen in Zürcher Nobelhotels. An solchen Zusammen­künften konnte es vorkommen, dass Privates mit Geschäftlichem vermischt und nebenbei über die Hypothek einer Ferien­wohnung in den Bündner Bergen diskutiert wurde. Auch ich war an solchen Essen dabei. Meist sass man zu viert am Tisch. Vincenz und sein Sprecher auf der einen Seite. Chef­redaktorin und Ressortleiter auf der anderen. Man plauderte, diskutierte. Der Inhalt des Gesprächs: off-the-record, nicht für die Publikation gedacht.

Zum Anbandeln mit Chefredaktoren nutzte Vincenz auch die Networking-Anlässe der Bankier­vereinigung. An seinem Tisch herrschte die beste Stimmung. Nach dem Essen ging es in die Bar. Dabei zeigte er Stehvermögen und verliess die Runde in der Regel als Letzter. Alle anderen Bankchefs schlichen früher ab.

Sponsor und Kolumnist

Kontakte gab es auch auf Verlagsebene. Raiffeisen ist einer der grössten Sponsoren im Schweizer Sport- und Unterhaltungs­geschäft mit einem Budget von über 30 Millionen Franken. Die Unterstützung reicht vom Kinderspital in Zürich über das Casinotheater Winterthur bis zu den Bergbahnen in Andiast-Brigels, wo Vincenz’ Familie herkommt.

Vincenz nutzte den Einfluss, um enge Verbindungen zu Verlagshäusern zu knüpfen. So unterstützte er als Leading Sponsor das «Swiss Media Forum», das 2011 von Patrik Müller, Chefredaktor der Zentralredaktion des CH-Media-Verlags, initiiert wurde. Für die «Bilanz» schrieb Vincenz zwischen Herbst 2015 und 2017 eine Kolumne.

Besonders weit geöffnet waren die Türen zum Verlagshaus Ringier. Wie eng die Beziehungen waren, zeigte sich an einem Deal, den Vincenz mit Ringier-CEO Marc Walder durchzog. Es ging um den Kauf des Ticketing-Unternehmens Ticketcorner. Den Kaufpreis konnte Ringier nicht aus eigener Kasse finanzieren. Wie die Zeitung «Der Sonntag» im Juli 2011 schrieb, soll Raiffeisen 47 Millionen Franken zum Kauf beigesteuert haben. Einen Betrag, den die Bank damals mit Verweis auf das Bankgeheimnis nicht bestätigen wollte.

Raiffeisen stellte den Kredit mit der Bedingung, das Ticket­geschäft zugunsten der Kundschaft im grossen Stil nutzen zu können. Unklar ist, wie weit Raiffeisen dem Verlagshaus bei der Höhe des Zinses entgegenkam. Eine meiner Quellen bei Raiffeisen sprach von einem konkurrenzlos tiefen Zins, der in keiner Weise risikogerecht berechnet war. Dafür profitierte die Bank, indem sie ihren Genossen­schafterinnen privilegierten Zugang zu Konzertbesuchen ermöglichen konnte.

Trotz der grossen Nähe zu Vincenz soll die Unabhängigkeit der Ringier-Redaktionen «absolut gewährleistet» gewesen sein, hielt damals das Verlagshaus fest, genauso wie bei allen Unternehmen und Wirtschafts­führern, mit denen Ringier regelmässig in geschäftlichen Beziehungen steht.

Doch schon vor Bekanntgabe des Deals publizierte die «Schweizer Illustrierte» ein grosses Interview mit Pierin Vincenz, in dem dieser die News verkündete. Zwei Tage später lud die Bank zum Konzert von Kylie Minogue.

Pierin Vincenz wusste: Journalisten, Chefredaktionen und Verlage waren ihm etwas schuldig. Sie zeigten sich mit wohlwollenden Medienbeiträgen erkenntlich. Für Vincenz ging die Rechnung auf. Auf doppelte Weise: Er konnte die Berichterstattung zu seinen Gunsten beeinflussen, und er baute sich so eine Art Unantastbarkeit auf. Zwischen Vincenz und den Medien entstanden Abhängigkeiten.

Ist die grosse Nähe zu den Redaktionen und Verlags­häusern eine mögliche Erklärung, warum die Medien jahrelang kaum je eine kritische Zeile über den Bündner Bankenchef schrieben?

Helikopter, Privatjets, Millionensalär

Die unkritische Haltung fiel mir zum ersten Mal Ende 2008 auf. Bei der «SonntagsZeitung» hatte ich damals einen ersten kritischen Artikel über Vincenz publiziert, nachdem ich ihn vor dem Raiffeisen-Hauptsitz mit Chauffeur gesehen und anschliessend in seinem Umfeld recherchiert hatte. Titel: «Pierin Vincenz hebt ab».

Es ging um Helikopter­flüge, um seinen Chauffeur-Spleen, Reisen im Privatjet, seine riesige Villa in Niederteufen in Appenzell Ausserrhoden, die gegen 12 Millionen Franken gekostet hatte, und um sein geheimes Salär von 3 bis 4 Millionen Franken.

Später schrieb ich über eine obskure private Beteiligungs­firma, die Varaplan AG, die sich am Wohnsitz von Vincenz befand und deren einziger Verwaltungsrat Eugen Mätzler war – ein Freund und der Vertrauens­anwalt von Vincenz. Ich stiess auf das kuriose Salärsystem von Raiffeisen, das die Löhne der gesamten Geschäfts­leitung über einen externen Anwalt auszahlen liess – über ebendiesen Freund des Raiffeisen-Chefs.

Schon damals thematisierte ich die Beziehung zu seiner Frau Nadja Ceregato, die er im Unternehmen kennengelernt hatte. Vincenz machte sie zu seiner Rechtschefin. Das löste Frustrationen in der Raiffeisen-Zentrale aus. Kaderleute befürchteten, dass Rechts­probleme, die sie vielleicht mit einem Kunden hatten, direkt am Frühstücks­tisch in der Villa in Niederteufen besprochen wurden. Eine Mitarbeiter­umfrage zu jener Zeit fiel schlecht aus.

Zehn Jahre später kam heraus, dass Ceregato ihrem Mann geheime Unterlagen weitergegeben hatte. Sie wurde wegen Verletzung des Geschäfts­geheimnisses rechtskräftig verurteilt.

Andere Medien gingen kaum auf die Recherchen ein. Journalisten­kollegen interessierten sich mehr für meine Quellen als für die Geschichte. Dabei lag vieles ausgebreitet auf dem Tisch, gerade für Boulevard­medien. Doch der «Blick» griff die Geschichten nicht auf. Den Grossbanker­lohn thematisierte der «Blick» erst vier Monate später, als die Raiffeisen-Zentrale auf Druck aufmüpfiger Delegierter sich genötigt sah, den Lohn von Vincenz zu deckeln und dies im Rahmen der Medien­konferenz transparent machte.

Gab es eine Order im Verlagshaus, nichts Negatives über Vincenz zu schreiben? Mehrere angefragte Journalisten, die damals bei Ringier angestellt waren, verneinen das. Allerdings sei den Journalisten die Nähe von CEO Walder zu Vincenz durchaus bewusst gewesen, was zu Beiss­hemmungen geführt habe, bemerkt einer der Angefragten. «Blick»-Gruppe-Chefredaktor Christian Dorer lässt auf Anfrage ausrichten: «Weder Marc Walder noch andere Mitglieder des Ringier-Managements haben Einfluss genommen auf die Bericht­erstattung rund um Pierin Vincenz.»

An beiden Seiten des Verhandlungstischs

Zu dieser Zeit war ich mit dem heikelsten Teil meiner Recherche beschäftigt. Im Frühling 2009 hatte ich erfahren, dass sich Vincenz mit seinem Freund und Geschäfts­partner Beat Stocker über eine verdeckte Struktur – eine Zuger Finanz­gesellschaft namens i-Finance Management – an einer Firma beteiligt haben soll, die er später mit Gewinn an die Kreditkarten­firma Aduno verkaufte, wo er als Präsident amtete. Die Firma hiess Commtrain und stand später im Zentrum des Verfahrens gegen Vincenz und Stocker.

Die beiden sollen ein klassisches Frontrunning-Geschäft betrieben haben, verboten oder zumindest verpönt in dieser Zeit. Frontrunning betreibt ein Investor, wenn er sich vor einer Transaktion, die er selbst initiiert oder davon weiss, bei der Ziel­gesellschaft beteiligt. Dies mit dem Zweck, sich zu bereichern.

Sass Pierin Vincenz an beiden Seiten des Verhandlungs­tischs? Dass er an i-Finance beteiligt gewesen wäre, sei ein Gerücht, entgegnete er damals. Der Deal sei sauber abgelaufen. Expertisen würden das belegen. Damit meinte er ein umstrittenes Gutachten des bekannten Wirtschafts­juristen Peter Forstmoser, das der damalige Raiffeisen-Präsident Franz Marty in Auftrag gegeben hatte.

Obschon dieses Parteigutachten im Grunde die Recherchen bestätigte, dementierten Vincenz und die Raiffeisen-Medienstelle die Erkenntnisse und drohten mit Klagen, falls eine solche Geschichte je publiziert würde. Sie wussten: So würden sie die Publikation verhindern können.

Denn: Publiziert man, ohne handfeste Beweise zu haben (ich hatte keine Transaktions­belege oder Kontoauszüge), und wird man anschliessend vom Unternehmen eingeklagt, sind die Erfolgschancen vor Handelsgericht für Journalisten gering.

Andere Stellen wie die Finanz­markt­aufsicht (Finma) oder Aduno-Verwaltungsräte reagierten ungläubig und distanziert auf die Anfragen, die ich ihnen in diesem Zusammen­hang stellte. Die Finma legte sich das gleiche Wording zurecht wie bei anderen Anfragen, die Raiffeisen betrafen: Wenn dieser Deal im Einklang mit den Governance-Regeln der Bank stehe, dann sei das aus Sicht der Finma in Ordnung.

Auch dass Vincenz seine Frau in die erweiterte Geschäfts­leitung geholt hatte, stellte aus Sicht des Banken­regulators kein Problem dar, solange die internen Governance-Regeln dabei eingehalten würden. Ebenso sei es okay, wenn Vincenz’ Lohn über einen befreundeten Anwalt ausbezahlt werde.

Ähnlich reagierten auch Redaktoren, die von diesen Gerüchten gehört hatten. Ein Kollege zuckte mit den Schultern und sagte: «Das mag ja alles sein. Trotzdem glaube ich, dass Grossbanker viel mehr Dreck am Stecken haben als Vincenz.» Auch dieser Journalist hatte einen direkten Draht zu Vincenz und erhielt immer wieder pikante Informationen.

«Manchmal muss man halt provozieren»

Dem Raiffeisen-Chef kam entgegen, dass ab 2008 die Finanzkrise tobte und die Grossbank UBS mit ihren Milliarden-Abschreibern dem Abgrund entgegentaumelte. Für die bodenständige Raiffeisen begann ein goldenes Zeitalter: Die kleinen Sparkassen auf dem Land mussten nicht viel mehr tun, als morgens die Schalter zu öffnen und das Geld von frustrierten Grossbanken­kunden entgegenzunehmen.

Vincenz beschleunigte den Prozess, indem er für gute Stimmung in den Medien sorgte und seine Bank als skandalfreie Alternative inszenierte.

Er forderte eine Bonussteuer, die für Gross­banken gelten sollte; er kritisierte die Nationalbank wegen verschärfter Regeln für die Hypotheken-Vergabe; er setzte sich für eine Weiss­geld­strategie ein. Und er bodigte – das war sein kommunikatives Meisterstück – quasi im Alleingang die Abgeltungssteuer, mit welcher das Schweizer Finanz-Establishment das Bankgeheimnis retten wollte. «Manchmal muss man halt provozieren, um etwas zu erreichen», sagte er 2012 in der «Schweizer Illustrierten» nach gewonnener Schlacht.

In den Jahren nach der Finanzkrise war Vincenz auf Dauersendung. Die Schweizer Medien­daten­bank zählt von 2007 bis 2014 über 450 Interviews mit Vincenz und Beiträge, die sich auf diese beziehen. «Es war die Zeit seines grossen Aufstiegs», erinnert sich ein ehemaliger Ringier-Chefredaktor an die Zeit.

Dann dauerte es nicht mehr lange, bis er verraten wurde. Von wem, ist bis heute unklar.

Am 27. Juli 2016 publizierte Lukas Hässig in seinem Blog «Inside Paradeplatz» die Geschichte, die alles ändern sollte. Hässig berichtete im Detail über die Finanz­transaktionen im Zusammenhang mit dem Commtrain-Deal. Offenbar ist es bei der Bank Bär zu einer Bankgeheimnis­verletzung gekommen, die heute noch Gegenstand eines Verfahrens ist.

Die Finanz­markt­aufsicht führte eine Vorabklärung durch. Die Befunde waren offenbar derart gravierend, dass sie ein sogenanntes «Enforcement-Verfahren» einleitete. Am 5. November 2017 teilte Vincenz mit: «Ich bin der Ansicht, potenzielle Interessen­konflikte mit der notwendigen Sorgfalt behandelt zu haben, und habe der Finma für die Untersuchung meine volle Unterstützung zugesichert.»

Eine Woche zuvor war seine «Bilanz»-Kolumne zum Thema «Ökosystem Schweiz 4.0» erschienen – es war seine letzte. Vincenz musste in der Folge aus mehreren Verwaltungs­räten zurücktreten.

Das war für ihn zwar eine Schmach, aber damit war er noch nicht erledigt. Ein Finma-Enforcement-Verfahren hat keine strafrechtlichen Konsequenzen. In der Schweiz ist es üblich, dass die Untersuchungs­ergebnisse der Finma nicht automatisch zu den Strafermittlungs­behörden wandern. Fast wäre der Fall versandet.

Aber nur fast.

Aufgrund einer Strafanzeige, die von Aduno im Dezember 2017 eingereicht wurde – sie ist eine der Klägerinnen am Prozess –, gingen nun auch Staatsanwälte den Vorwürfen nach. Nach mehrmonatigen Voruntersuchungen schnappten die Handschellen am Dienstag, 27. Februar 2018 zu. Um sechs Uhr früh wurde Vincenz in seiner Villa in Niederteufen verhaftet.

Er liess noch ausrichten: «Als die Polizei vor der Tür stand, war das für mich ein Schock.» Es waren seine letzten Worte in Schweizer Medien für eine sehr lange Zeit.

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