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Böse Männer da draussen, die dem Land Schlimmes antun

Dass Wolodimir Selenski mal einen Präsidenten spielte, bevor er Präsident wurde, ist mittler­weile bekannt. Jetzt kann man sich die Serie «Diener des Volkes» auf Arte ansehen. Ihr Humor ist dort am stärksten, wo er gar nicht geplant war.

Von Theresa Hein, 05.03.2022

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Wer Wolodimir Selenski in diesen Tagen genauer beobachten will, der kann ihn in gleich zwei Rollen sehen: als Schau­spieler, der in einer beliebten Fernseh­serie den Präsidenten der Ukraine gespielt hat. Und in der realen Rolle des ukrainischen Präsidenten, der sich in flehentlichen Appellen an die Welt­öffentlichkeit wendet.

Selenski, Präsident eines Landes, das sich in Teilen schon jahre­lang im Krieg befindet und vergangene Woche komplett überfallen wurde, hat wohl ein Recht auf pathetische Ansprachen. Für viele Ukrainerinnen und Europäer ist er der Mann der Stunde. Ein Mann, der im Schmerz ruhig und entschlossen zu führen scheint. Historikerinnen werden schon sehr bald analysieren, wo Selenskis Inszenierungen nützen und was sie tatsächlich bewegt haben werden.

Bis das passiert, kann man sich ebenjene Fernseh­serie ansehen, «Diener des Volkes». Das ist die andere, die erste grosse Rolle Selenskis gewesen, die ihn über die Grenzen der Ukraine hinaus berühmt gemacht hat.

In der Satireserie aus dem Jahr 2015 spielt Selenski den braven Geschichts­lehrer Wassil Holoborodko. Nachdem seine Schüler ihn aufgefordert haben, sich als Präsident der Ukraine zur Wahl zu stellen, wird er völlig überraschend tatsächlich gewählt. Nun steht er vor der Aufgabe, den korrumpierten ukrainischen Macht­apparat aufzuräumen – und besetzt sein Kabinett mit alten Schul­freunden und seiner Exfrau. Halluzinationen, in denen Plutarch, Julius Cäsar, Che Guevara und ja, auch Iwan der Schreckliche auftreten, helfen ihm dabei, den Anstand nicht zu verlieren.

Wer braucht Feinde, wenn er so eine Familie hat?

Obwohl die Serie kluge Ideen hat, kommt sie nicht an das Ränke­spiel in «House of Cards» heran, mit dem sie oft verglichen wurde. Denn wer zu den Guten und wer zu den Bösen gehört, macht die Serie jeweils beim ersten Auftritt der Figuren mehr als deutlich. Wenn der ukrainische Präsident etwas richtig gemacht hat, spielen beschwingte Bläser im Hinter­grund; wenn er übers Ohr gehauen wird, krächzt eine hohe einzelne Geige; wenn er Ansprachen an die Nation hält, setzt ein Orchester ein. Nach einer starken Pilot­folge leiden sowohl die Serie als auch die Zuschauerinnen des Öfteren an der fehlenden Subtilität.

Sehr geschickt gemacht ist dagegen, dass die bösen Strippen­zieher im Hinter­grund, die Holoborodko die Präsidentschaft eingebrockt haben, gar nicht gross in Erscheinung treten müssen. Denn der ehemalige Lehrer braucht keine Feinde ausser seiner eigenen Familie. Sie bildet die Stimmung im ukrainischen Volk im Kleinen ab, das viel erträgt, hart arbeitet und erst so richtig die Schnauze voll hat, als Holoborodko die Steuer auf Alkohol massiv erhöht.

Am unterhaltsamsten ist «Diener des Volkes» aber deswegen, weil die Serie erst im Nachhinein, durch die realen Ereignisse, ihre stärksten Pointen gewinnt. Der grösste Witz, dem die Serie ihre Berühmtheit verdankt, ist natürlich der, dass der Schau­spieler Selenski 2019 im echten Leben zum Präsidenten der Ukraine gewählt wurde. Wie bei seiner Figur Wassil Holoborodko geschah das ohne politische Vorerfahrung.

Und auch der zweit­grösste Witz der Serie schafft ungewollt eine Verbindung zur Wirklichkeit: zu Selenskis Vergangenheit. Angesichts der realen Verwicklungen in Offshore-Steuer­geschäfte des ukrainischen Präsidenten – wie durch die weltweite Recherche «Pandora Papers» enthüllt wurde – entsteht eine besondere Komik, wenn sich Holoborodko in der Serie aufrichtig bemüht, den Beamten­apparat von Korruption zu befreien. Holoborodko kämpft in mehreren Folgen gegen den Steuer­betrug im Land, am Ende allerdings erfolgreich und ohne selbst auch nur in Versuchung zu geraten. «Steuer­betrug ist etwas, das in den USA verachtet wird, während die Ukrainer stolz darauf sind», sagt der Serien-Präsident einmal witzelnd. Im wirklichen Leben hatte Selenski bis kurz vor seinem Amts­antritt im Jahr 2019 Anteile an einer Briefkasten­firma auf den Britischen Jungfern-Inseln.

Plötzlich ein Kommentar zur Gegenwart

Dem braven Holoborodko in «Diener des Volkes» wäre so etwas nicht im Traum eingefallen. Mit freundlichen Hunde­augen verkündet er, dass er eine Bildungs­initiative durchsetzen wird, er kümmert sich liebevoll um seinen Sohn, hält seine Reden spontan und beherzt. Der Diener des Volkes, und das betont diese Serie leider etwas zu stark, hat das Herz auf dem rechten Fleck.

Aber auch da, wo die Serie nicht versucht, lustig zu sein, erhält sie durch die aktuellen Ereignisse eine neue Tragweite. Im Gespräch mit seinem Sohn Dima erklärt Wassil Holoborodko einmal: «Es gibt böse Männer da draussen, die dem Land Schlimmes antun.» 2015 klang das noch kitschiger. Heute ist der Satz ein schneidender Begleit­kommentar zur Gegenwart.

Man kann «Diener des Volkes» langweilig finden oder platt. Allerdings hat die Serie auch abseits der nach­träglichen Aufladung mit Bedeutung einige sehr gut gesetzte Pointen. Darunter diese hier:

Einmal erhält Holoborodko einen Anruf. Wladimir Putin ist als Präsident abgetreten. Eine Fiktion, ein Traum, so absurd, so unvorstellbar, dass Selenski und seine Drehbuch­autoren sie ans Ende der letzten Folge gesetzt haben. Der absolute Clou.

Zur Serie

«Diener des Volkes». Politsatire in 23 Episoden, jeweils 24 bis 44 Minuten. Ukraine, 2015. Staffel 1 (Original mit deutschen Unter­titeln) auf Arte.

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