Wer verkauft uns das beste Geld?

Bitcoin sowie Facebooks Pläne für eine eigene Währung haben die Zentral­banken aufgeschreckt: Sie denken nun ebenfalls über digitales Geld nach. Was die Folgen wären.

Von Fabio Canetg (Text) und Merlin Flügel (Animation), 04.02.2022

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Die Zentralbanken haben Angst. Sie befürchten, dass ihnen Big-Tech-Firmen wie Facebook (oder wie es neu heisst: Meta) und Krypto­währungen wie Bitcoin den Rang ablaufen. Und zwar in ihrem Kerngeschäft: der Herstellung von Geld.

Stellen Sie sich eine Welt vor, in der jeder mit Bitcoin zahlen würde. Oder eine, in der alle das Facebook-Projekt Diem als Zahlungs­mittel verwenden würden. In beiden Welten könnten die Zentral­banken ihren Auftrag nicht mehr erfüllen. Sie könnten weder für stabile Preise sorgen noch für Finanz­stabilität, so wie sie es während der Finanz­krise von 2008 und der Corona-Pandemie getan haben. Ohne die Zentral­banken hätten beide Krisen in einer wirtschaftlichen Depression geendet.

Eine der beiden Welten ist vor kurzem ein bisschen näher gerückt: El Salvador hat die Krypto­währung zum offiziellen Zahlungs­mittel des Landes erklärt. Die zweite bleibt dafür wahrscheinlich Science-Fiction. Facebooks ambitionierte Pläne sind auf erbitterten Widerstand gestossen. Vergangene Woche vermeldete «Bloomberg» den nahenden Tod von Diem: Der Konzern sei dabei, das Projekt abzuwickeln und die Mitarbeitenden auf andere Teams zu verteilen. Doch bereits sind andere Big-Tech-Firmen in den Start­löchern mit ähnlichen Projekten wie Diem.

Die Zentralbanken haben jedenfalls ihre hellsten Köpfe nach Basel geschickt, zum Hauptsitz der Bank für Internationalen Zahlungs­verkehr. Dort wird seit 2019 am BIS Innovation Hub Centre intensiv an einer Alternative zu Bitcoin, Diem und Co. geforscht.

Mit von der Partie ist die Schweizerische National­bank. Gemeinsam mit anderen wichtigen Zentral­banken entwickeln ihre Spezialisten die Grund­lagen für ein digitales Zentral­banken­geld. Die Zeit drängt: Bereits in vier Jahren werde man mit einem digitalen Euro zahlen können, kündigte Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentral­bank, 2021 an.

Der Innovations­eifer der sonst so konservativen Zentral­banken ist bemerkens­wert. Steht uns bald eine Geld­revolution ins Haus?

Warum Bitcoin und Diem als Geld infrage kommen

Um dies zu beantworten, müssen wir zuerst verstehen, was ökonomisch gesehen hinter den zwei Thron­anwärtern Bitcoin und Diem steckt. In aller Kürze:

  • Diem, so hatte es Facebook geplant, wäre ein Gutschein für US-Dollars, den man bei Facebook einlösen kann. Das Unternehmen hatte versprochen, die beiden Währungen jederzeit zu einem fixen Wechsel­kurs zu tauschen. Das soll den Wert der neuen Währung garantieren und Benutzerinnen dazu bringen, Transaktionen in Diem abzuwickeln – rascher und günstiger als über die heutigen Zahlungs­systeme, wie Facebook versprach.

  • Bitcoin ist eine Krypto­währung. Dahinter steht keine Firma, buchstäblich jeder kann Bitcoin herstellen. Zu bestehenden Währungen gibt es keinen Bezug: Sie können rechtlich von niemandem verlangen, Ihnen für Ihre Bitcoins etwas zu geben – weder Dollars noch Staubsauger noch eine andere Krypto­währung. Sie sind auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, dass Ihnen jemand Ihre Bitcoins abnimmt. Dafür verspricht Bitcoin Unabhängigkeit von staatlichen Eingriffen. Und nicht wenige Anhängerinnen rechnen damit, dass Bitcoin immer mehr an Wert gegenüber Währungen wie dem Dollar gewinnen wird.

Kurz: Der Diem wäre eine Art Bank­guthaben – ein Anspruch auf Bargeld. Bitcoin ähnelt einer der ältesten Geld­formen der Welt, nämlich Gold.

Nun ist Diem wahrscheinlich bereits Geschichte, aber deshalb nicht minder interessant. Denn wenn es nicht Facebook wird, dann wahrscheinlich einfach ein anderer Tech-Riese, der irgend­wann in den nächsten Jahren eine Währung lanciert. Sie können darum in Ihrem Kopf für den Rest dieses Beitrags den Namen Diem einfach durch Bezos-Coins, iDollar oder Microsoft MONEY ersetzen, wenn Sie mögen.

Dass beide Systeme als konkurrenz­fähiges Zahlungs­mittel infrage kommen, liegt daran, dass sie die wichtigsten Eigenschaften aufweisen, die Geld haben muss: Sie sind homogen und in grossen Mengen verfügbar. Nicht homogen sind beispiels­weise die Bilder von Leonardo da Vinci: Sie taugen nicht als Geld, weil sie alle verschieden aussehen. Bitcoin und Diem verfaulen auch nicht wie beispiels­weise Erdbeeren im Kühlschrank.

Am wichtigsten aber ist: Bitcoin und Diem sind knapp. Bei Bitcoin ist das so, weil schon heute klar ist: Es wird nie mehr als 21 Millionen davon geben. Zudem wird es immer kostspieliger, neue Bitcoins herzustellen. Die Menge an Diem ist knapp, weil Facebook für jeden heraus­gegebenen Diem einen Dollar in den Tresor legen muss. Solange der Dollar knapp ist, ist auch Diem knapp.

Sowohl Bitcoin als auch Diem haben also das Potenzial, künftig ein weit­verbreitetes Zahlungs­mittel zu werden.

Weshalb forschen die Zentral­banken trotzdem an einer Alternative? Wäre es nicht besser, wenn sich eine private Währung wie Bitcoin oder Diem durchsetzen würde?

Konkurrenz der Währungen

Private Währungen, die um die Gunst der Konsumentinnen buhlen: Das ist der libertäre Traum des «Free Banking». In einer solchen Welt gäbe jede Geschäfts­bank ihre eigene Währung aus, und die (wert-)stabilste davon würde sich etablieren. Wenn ein Coiffeur demnach lieber den UBS-Batzen annimmt als den Migros-Bank-Taler, würde er seine Haarschnitte in UBS-Batzen günstiger verkaufen als in Migros-Bank-Talern. Die Folge: Kundinnen würden tendenziell mit UBS-Batzen beim Coiffeur aufkreuzen.

Denkt man das im grossen Stil weiter, führt es dazu, dass alle nur noch in UBS-Batzen bezahlen wollen und alle nur noch UBS-Batzen annehmen. So setzt sich der UBS-Batzen gegen alle anderen Währungen durch.

Dass wir im Alltag nicht über Batzen und Taler nachdenken müssen, verdanken wir dem Noten­monopol der Zentral­banken. Die Schweizerische National­bank hat es geschafft, dass in der Schweiz seit über hundert Jahren nur mit ihrem Geld, dem Schweizer Franken, bezahlt wird. Ähnlich hat die US-Zentral­bank Federal Reserve den US-Dollar als amerikanisches Zahlungs­mittel etabliert.

Sollten sich nun Bitcoin oder Diem gegenüber dem Schweizer Franken oder dem US-Dollar durchsetzen, wäre das aus mehreren Gründen problematisch.

Die Nachteile von Bitcoin …

Zunächst zu Bitcoin. Schon bei der Lancierung 2009 wurde festgelegt, wie viele Bitcoins jedes Jahr auf den Markt kommen werden. Es ist also nicht nur die Gesamt­menge, die beschränkt ist, sondern auch die jährliche Zunahme.

Das ist bei staatlichen Währungen anders. Hier nimmt die Zentralbank wesentlichen Einfluss darauf, wie viele Einheiten der Währung zirkulieren.

Das kann ein Vorteil sein. Beispielhaft zeigte sich dies beim Ausbruch der Corona-Krise im März 2020. Damals herrschte Panik an den Märkten. Viele Banken und Hedgefonds verkauften ihre US-Staats­anleihen, um an Bargeld zu kommen. Die Folge: Die Zinsen stiegen. Das ist genau das Gegenteil davon, was die Wirtschaft in einer solchen Krise brauchen kann. Die US-Zentral­bank reagierte darauf, indem sie die US-Staats­anleihen kaufte. Und zwar mit neu gedruckten Dollars. So blieben die Zinsen tief. Das beruhigte die Märkte und half der Wirtschaft.

Spontan mehr Geld in Umlauf zu bringen, kann also stabilisierend wirken. Wäre Bitcoin zu Beginn der Pandemie die dominante Währung gewesen, hätten die Zentral­banken nichts tun können. Dann wäre nur noch die Erhöhung der Staats­ausgaben infrage gekommen, um die Wirtschaft zu stützen.

Ein zweites Problem von Bitcoin sind die relativ hohen Kosten. Wer Bitcoins überweist, zahlt eine Gebühr. Das ist so, weil andere Netzwerk­teilnehmer überprüfen müssen, ob die überwiesenen Bitcoins nicht schon einmal ausgegeben wurden. Dieser Service kostet vergleichs­weise viel, aktuell rund 4 Dollar pro Transaktion. Im vergangenen April kostete eine Bitcoin-Transaktion sogar über 60 Dollar.

Ein dritter Nachteil von Bitcoin ist, dass sie verdeckt genutzt werden können. Zwar kann jede Zahlung im Bitcoin-Netzwerk öffentlich eingesehen werden. Unternehmen und Individuen können ihre Identität aber hinter einem Pseudonym verbergen. Dies öffnet Tür und Tor für Geld­wäscherei und Steuer­hinterziehung. In China hat der Staat deshalb Transaktionen mit Krypto­währungen bereits verboten.

… und die Nachteile von Diem

Die Ausgangs­lage wäre bei Diem eigentlich viel­versprechend: Facebook hat bereits heute rund 3 Milliarden Nutzer auf der ganzen Welt. Damit könnte der Konzern rasch eine neue, privat kontrollierte Welt­währung etablieren.

Das würde zu mindestens drei Problemen führen:

  1. Facebook wüsste Bescheid über jede Transaktion, die in einer Volks­wirtschaft gemacht wird. Natürlich weiss heute auch Ihre Geschäfts­bank, wem Sie die Miete überweisen und wohin Sie in die Ferien reisen. Keine Bank ist aber gross genug, um die Transaktionen aller Schweizerinnen zu kennen. Zudem können wir alle dank dem Bargeld unsere heiklen Einkäufe anonym erledigen (es muss ja nicht jeder wissen, was Sie am Abend auf dem Balkon rauchen …). Würde Diem zur einzigen Währung, könnten wir die Privat­sphäre wohl definitiv vergessen.

  2. Facebook könnte Personen vom Zahlungs­verkehr ausschliessen. Zum Beispiel Bundesrat Ueli Maurer, weil er eine neue Gesetzes­vorlage zur Regulierung von Diem ausarbeitet. Maurer müsste auf eine andere Währung ausweichen. Das wäre für ihn mit Kosten und Einschränkungen verbunden. Diem könnte theoretisch aber auch ganze Menschen­gruppen ausschliessen, zum Beispiel alle SP-Partei­mitglieder oder alle Mitglieder der «Freunde der Verfassung». Das gäbe Facebook enorm viel politische Macht.

  3. Gesamtwirtschaftliche Ziele sind für Facebook höchstens zweitrangig. Das würde dann zum Problem, wenn viele Menschen ihre Kredite in Diem aufnehmen würden, etwa um eine Firma zu gründen. Für den Wirtschafts­gang ist es nämlich entscheidend, wie viel diese Kredite kosten. Wenn der Zins für Kredite tief ist, werden mehr Firmen gegründet; ist der Zins hoch, werden weniger Firmen gegründet.

Heute ist die Zinssteuerung das Kern­geschäft der Zentral­banken. Federal Reserve erhöhte beispiels­weise zwischen 2015 und 2018 die Zinsen, als die US-Wirtschaft zu überhitzen drohte. So wurde es teurer, eine Firma zu gründen, Investitionen zu tätigen oder auf Pump ein Haus oder Auto zu kaufen. Damit hat die Fed dafür gesorgt, dass die Konkurrenz um Güter und um Arbeits­kräfte nicht zu gross wurde. Hätte sie das nicht getan, wären Preise und Löhne möglicher­weise stark gestiegen. Eine solche Lohn-Preis-Spirale gab es zuletzt in den späten 1970er-Jahren, als die Inflation in den USA bis auf 14 Prozent stieg. Damals hatte das vor allem die ärmeren Schichten getroffen.

In einer Welt, in der alle nur noch mit Diem bezahlen würden (und die Anbindung zum Dollar keine Bedeutung mehr hätte), läge es an Facebook, eine solche Teuerungs­spirale zu verhindern. Doch hätte Facebook wirklich ein Interesse daran, die Erneuerung der Küche im Restaurant Heimat in Tschappina zu verteuern? Oder den Neubau einer Lagerhalle der Spenglerei U. Moser und Sohn GmbH? Wahrscheinlich nicht. Als privates Unternehmen hat Facebook nämlich andere Ziele (Gewinn) als die Zentral­banken (Preis­stabilität).

Digitale Version von Bargeld

Trotz dieser Nachteile sind Bitcoin und Diem für die etablierten Währungen eine ernst zu nehmende Konkurrenz. Künftig wollen die Zentral­banken deshalb eigenes digitales Zentral­banken­geld herausgeben, das günstig und rasch auf dem ganzen Globus hin und her geschickt werden kann.

Was hat es damit auf sich?

Digitales Zentralbanken­geld ist nichts anderes als eine digitale Version von Bargeld. Es könnte als sogenannte Token in Umlauf gebracht werden. Ein Token ist eine elektronische Münze, auf der steht: «Das hier ist 1 digitaler Franken, heraus­gegeben von der Schweizerischen Nationalbank.»

Gespeichert würden diese Token in einem elektronischen Portemonnaie: in einer App, die wie ein Tresor­fach funktioniert.

Ein Problem dabei: Ohne ausgeklügelte technische Hindernisse könnten die elektronischen Münzen vergleichs­weise einfach gefälscht werden. Es muss also jemand sicherstellen, dass Cyber­kriminelle die Token nicht kopieren. Dieser Schutz kann auf mehrere Arten gewährleistet werden.

Entweder übernimmt eine Zentral­bank selbst diese Aufgabe. In der Schweiz würde dann die National­bank die elektronischen Portemonnaies der Bürger verwalten. Darin wären unsere digitalen Münzen hinterlegt, und die SNB würde diese in unserem Namen hin und her schieben – zum Beispiel aus meinem E-Portemonnaie in den elektronischen Tresor der Dönerbude.

Allerdings wüsste die National­bank in diesem Fall jederzeit Bescheid über alle Transaktionen, die in der Schweiz getätigt werden. Sie wüsste etwa, wie häufig ich zum Arzt gehe oder bei wem ich Schulden habe. Finanzielle Transparenz in Ehren – aber das wäre vielleicht doch zu viel des Guten.

Alternativ könnten Geschäfts­banken das digitale Zentral­banken­geld verwalten. In Graubünden würde vielleicht die Graubündner Kantonal­bank einen Token­tresor für ihre Kundinnen anbieten. So wäre die Datenschutz­problematik weniger akut, weil dann eben nur die Kantonal­bank wüsste, wem die Hotel­managerin im Oberengadin ihr Geld überweist.

Welche Variante sich auch immer durchsetzt: Als Konsumenten würden wir im Alltag kaum einen Unterschied merken. Neben unseren Bank­guthaben hätten wir einfach noch ein Token­guthaben, das in einem elektronischen Portemonnaie gespeichert wäre.

Ob wir mit unserem alten Bank­guthaben zahlten oder ob wir dazu unsere digitalen Franken der SNB verwendeten, käme vermutlich auf das Gleiche heraus, besonders bei Inland­zahlungen. Allein bei Zahlungen ins Ausland wäre der digitale Franken wahrscheinlich schneller und günstiger.

Fazit

Kryptowährungen, Big-Tech-Firmen, Zentral­banken – wer hat die besten Karten im Wettstreit der Währungen, wer bietet das beste Geldsystem an?

Fassen wir zusammen:

  • Bitcoin und Diem haben Vorteile: Bitcoin etwa bietet im Vergleich zu klassischen Bank­konten ein hohes Mass an digitaler Pseudonymität. Und Diem würde voraus­sichtlich grenz­überschreitende Zahlungen günstiger machen.

  • Doch die Nachteile sind zahlreich: Gäbe es nur noch Bitcoin, könnten die Zentral­banken in einer Krise nicht mehr stabilisierend eingreifen. Zudem wären Tür und Tor noch weiter geöffnet für Steuer­hinterziehung und Geld­wäscherei. Und wenn sich eine Konzern­währung à la Diem etablierte, würde die Heraus­geberin unter Umständen mächtiger als mancher Kleinstaat.

Vermutlich werden Bitcoin und etwas wie Diem in Zukunft eine gewisse Rolle spielen. Doch sie werden etablierte Währungen wie den Franken kaum verdrängen.

Denn das 21. Jahr­hundert bringt uns keine Revolution des Geldes. Sondern eine technische Evolution der Zahlungs­systeme. Halten die Zentral­banken damit Schritt, brauchen sie sich nicht vor Bitcoin und Co. zu fürchten.

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