Oriana Fenwick

Sprachnotiz von Nicoletta Cimmino

#5: Martinis und Mojitos

Die wenigsten Ideen sind wirklich neu. Darum ist es auch nicht schlimm, wenn sich Kunst von Kunst inspirieren lässt.

Von Nicoletta Cimmino, 18.01.2022

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#5: Martinis und Mojitos
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Liebe Zuhörerinnen, liebe Leser der Republik.

Letzte Woche las ich an einem schönen Ort in einem schönen Buch, das ich zu Weihnachten geschenkt bekommen habe. Geschrieben hat es Stanley Tucci, der amerikanische Schau­spieler und Regisseur mit italienischen Wurzeln.

Sein Buch «Taste» handelt von Tuccis Beziehung zum Essen, genauer gesagt zum italienischen Essen. Es sind seine Memoiren, entlang von Rezepten. Sehr unterhaltsam.

Übrigens hat Tucci zum gleichen Thema, also dem italienischen Essen, eine mehrteilige Serie für CNN gemacht, die letztes Jahr Premiere hatte. Sie heisst «Searching for Italy» – und wenn Sie auch nur einen Hauch guten Geschmacks in sich tragen (und davon gehe ich aus) und keine Angst vor Kohlen­hydraten und Zucker und Öl und Meeres­früchten und Käse haben, rate ich Ihnen dringend, diese Serie zu schauen.

Tucci reist darin durch ganz Italien und isst.

Ja, genau – er isst. Und wir schauen ihm dabei zu. Es ist hinreissend.

Aber ich schweife ab. Was ich Ihnen eigentlich erzählen wollte: Tucci schreibt in seinem Buch über den Martini, den Drink. Und zitiert dabei die legendäre New Yorker Schrift­stellerin Dorothy Parker. Die soll mal Folgendes gesagt haben (ich lese es Ihnen vor mit meinem Bieler Akzent):

I like to have a martini,
two at the very most.
After three I’m under the table,
after four I’m under my host.

Also in etwa:

Ich trinke gerne einen Martini,
zwei, allerhöchstens.
Nach dreien liege ich unter dem Tisch,
nach vieren unter dem Gastgeber.

Ich hab das Zitat in Tuccis Buch gelesen, und gelesen und wieder gelesen, weil mir irgendetwas darin bekannt vorkam. Und dann habe ich auf Spotify meine Züri-West-Playlist geöffnet und mir das Lied «Mojito» angehört aus dem Album «Super 8». Kuno Lauener besingt dabei eine unglückliche Affäre. Ich lese es Ihnen vor mit meinem Bieler Akzent:

U derby hani mr gseit, i nime nume so ne Mojito.
U ne zwöite hani när dänkt nimeni ou.
U nach em dritte bini unger däm Tisch gläge.
U nach em vierte unger dere Frou.

Mojito statt Martini. Lauener statt Parker. Züri West statt Midtown-Manhattan. Der Liedtext ist keine Kopie oder ein Plagiat, aber man kann bestimmt sagen: Die Berner Band hat sich von Dorothy Parker inspirieren lassen.

Ich finde diesen Gedanken tröstlich und beruhigend: Kunst inspiriert sich an Kunst.

Die Chance ist gross, dass irgendwo auf diesem Planeten irgendwer schon eine Idee hatte, die meiner Idee ähnelt. Oder eine Idee hatte, die ich weiter­spinne. Es bedeutet, dass alles auf eine eigentümliche Art und Weise miteinander verbunden ist.

Das nehme ich mit aus dieser Geschichte: uns inspirieren lassen – und dann etwas daraus machen, das unverkennbar wir selbst sind.

Wir hören uns – wenn Sie mögen – in zwei Wochen wieder.

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