Happening

Wie Angela Merkel auf ihr erstes Ruhestands­projekt kam

Über die verbindende Kraft der Elektrizität: ein Abend in Düsseldorf mit der deutschen Bald-Alt-Kanzlerin und der nigerianischen Autorin Chimamanda Ngozi Adichie.

Von Daniel Graf, 10.09.2021

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Strom-Metaphern sind nicht immer ganz vermeidbar. Es war jedenfalls ein Knistern in der Luft an diesem Mittwoch­abend vor dem frisch sanierten Düssel­dorfer Schauspiel­haus. Schlangen an den Eingängen, Menschen hielten «Suche Karte»-Schilder in der Hand wie sonst vor dem Stadion. Vorfreudige Hoch­spannung also, mit Anflügen von Euphorie; schliesslich kamen da mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und der nigerianischen Autorin Chimamanda Ngozi Adichie zwei Welt­stars zum Gespräch zusammen.

Dann aber zeigte sich: Beim rhetorischen Runter­dimmen ist die promovierte Physikerin eben immer noch das Original und Olaf Scholz die Kopie.

Was die Kanzlerin machen werde, wenn sie bald als erste überhaupt aus freien Stücken aus diesem Amt geschieden sein wird, wollten die Moderatorinnen Miriam Meckel und Léa Steinacker wissen.

Sie lebe in der Gegenwart, meinte Merkel, was sie im Übrigen auch anderen empfehle. Sie wisse jetzt noch nicht, wolle sie dann schreiben, wandern, die Welt bereisen. Also: «Ich mache erst mal nichts und warte, was kommt.»

In Wirklichkeit war da an diesem Abend bereits was gekommen. Aber der Reihe nach.

Das Gespräch begann ein wenig kursorisch mit dem liberalen Westen, Europa, dem Spannungs­feld von Demokratie und Populismus samt dem in Deutschland an solchen Anlässen obligatorischen Böckenförde-Zitat. Weiter mit Fake News, Polarisierung, Propaganda auf Social Media. Alles richtig, alles wichtig, alles nicht so ganz neu.

Spannender wurde es, als Chimamanda Ngozi Adichie Kritik an ihrem eigenen, linken politischen Lager formulierte, wo sie eine schwindende Bereitschaft ausmachte, zunächst einmal vom guten Willen des Gegen­übers auszugehen. Und als sie mit Merkel über «Wir schaffen das» diskutierte, an Europas Verantwortung erinnerte und ihre Bewunderung für Merkels Mut zum Ausdruck brachte.

Ansonsten: erst mal langsamer Spannungs­aufbau.

Die Kanzlerin erwies sich einmal mehr als unübertroffene Meisterin des Ruhestrom­kreislaufs, wenn sie in gut abgekühlten Worten über Menschen­würde mehr Wärme aufscheinen liess als die meisten ihrer politischen Starkstrom-Kollegen.

Als die Moderatorin Léa Steinacker vielleicht eine Spur zu forciert Merkels Aufwachsen in der DDR mit der Frage nach der Meinungs­freiheit heute verschaltete, antwortete Merkel, sie solle ja auch wegen ihrer Herkunft immer wieder die hohen Zustimmungs­werte für die AfD in Ost­deutschland erklären. Sie habe allerdings «keine Lust, Expertin für AfD-Wähler zu sein, weil ich aus der DDR komme». Was wiederum Chimamanda Ngozi Adichie energisch mit dem Verweis darauf kommentierte, dass auch sie ständig Fragen nach ihrer Herkunft beantworten müsse, selbst wenn allenfalls ein kurz­schlüssiger sachlicher Zusammen­hang gegeben sei.

Und dann hat quasi Siemens noch einen Schalter umgelegt.

Der Siemens-Konzern, sagte Adichie, sei es doch gewesen, der mit grossen Plänen zur weiteren Elektrifizierung Nigerias angetreten sei. Warum denn da, wenn sie richtig informiert sei, noch immer so wenig passiert sei?

Merkel meinte, dem werde sie nachgehen, erzählte von Reisen in afrikanische Länder, ihrem Interesse für Nigeria, dass sie aber Lagos noch immer nicht kenne, weil die Zeit immer viel zu knapp gewesen sei, und dass Adichie jedenfalls zu der Siemens-Sache eine Nachricht von ihr bekommen werde.

Adichies Antwort auf die Sache mit der Zeit: Merkel werde ja in ein paar Wochen bedeutend mehr davon haben. Worauf Léa Steinacker fragte, ob das eine Einladung Merkels nach Lagos gewesen sei.

«Yes!»

Und Merkel: «Wenn Frau Adichie mich empfängt, bin ich da.»

Am Ende dann noch einmal das Thema Lesen und Digitalisierung. Ob sie Sorge habe, fragte Merkel Adichie, dass uns die Fantasie abhanden­komme, weil es heute immer zu allem kleine Filmchen gebe, wo man früher lesend Leer­stellen und Wissens­lücken gefüllt habe. Ja, meinte Adichie, aber man solle doch beides machen, auch Videos könnten wertvoll sein. Und merkte süffisant an: die von Rezo zum Beispiel. Also jenem Youtuber, der mit der «Zerstörung der CDU» allgemein bekannt wurde und kürzlich die Klima­politik der gegenwärtigen Bundes­regierung auseinander­nahm.

Da schmunzelte auch Merkel und frotzelte zurück: «Ich sehe, Sie sind tief in die deutsche Parteien­geschichte eingestiegen.»

Fortsetzung dann demnächst in Lagos.

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