Im Reich des Zollfreikönigs

Die Flughäfen bevölkern sich wieder – und mit ihnen die Duty-free-Shops von Juan Carlos Torres Carretero. Der Spanier hat sich beim Schweizer Unternehmen Dufry ein Imperium aufgebaut, das ihn trotz Milliarden­verlust reich beschenkt.

Von Philipp Albrecht (Text) und Christina Baeriswyl (Illustration), 08.07.2021

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Faulenzen auf Kreta, Prosten in Cannes, Schlemmen in Apulien: Mit der Impf­quote sind auch die Chancen auf Sommer­ferien am Mittelmeer gestiegen. Der Zauber kehrt zurück, das Flugzeug wartet schon. Neues Leben strömt in die Flughäfen. Und auf dem Weg zum Gate passieren die Menschen eine verführerische Welt aus Produkten. Willkommen im Reich des Zollfreikönigs.

Er trägt den Namen eines richtigen Königs: Juan Carlos. Auch er ist Spanier, mit einem stolzen Familien­namen: Torres Carretero. Seit 72 Jahren ist er auf der Welt, die letzten 17 davon als Präsident des Verwaltungs­rats von Dufry, einer weltweit tätigen Laden­kette mit Sitz in Basel. Sein Thron ruht auf vier Säulen: Parfüm, Süssigkeiten, Spirituosen und Zigaretten.

Diese Dinge gibt es auch anderswo zu kaufen, aber im Reich von Juan Carlos muss man für die meisten davon keine Zoll­gebühren zahlen. Duty-free heisst das Phänomen.

Von Basel aus lenkt Juan Carlos Torres Carretero sein Imperium mit 2300 Shops in 64 Ländern auf sechs Kontinenten. Keiner verkauft mehr Duty-free-Waren als er. Wenn die Menschen vor dem Flug ein Geschenk oder ein Souvenir kaufen, fliesst ein Teil des Preises, den sie dafür zahlen, in seine Tasche.

Nicht wenige Leute sagen, dass sein Anteil unanständig hoch sei. Besonders jetzt. Die von der Pandemie hart getroffene Dufry schrieb 2020 einen historischen Verlust von 2,5 Milliarden Franken. 13’000 Menschen, das ist jeder dritte Angestellte, verloren ihre Stelle.

Juan Carlos Torres Carretero aber verdiente königlich: 4,5 Millionen Franken liess er sich im schlechtesten Geschäfts­jahr aller Zeiten auszahlen. 11 Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Was es dazu brauchte, waren ein paar Kniffe bei den Vergütungs­regeln – und eine unvergleichliche Macht­konzentration.

Das Geschäft bricht ein

Irgendwann im letzten Jahr, man weiss nicht genau wann, schmiedete der Zollfrei­könig einen Plan, um seinen beachtlichen Lohn zu sichern.

Er sass zu diesem Zeitpunkt seit bald 17 Jahren als Verwaltungsrats­präsident an der Spitze von Dufry. (Wir kommen noch dazu, wie er dorthin gelangte.) Die Corona-Pandemie legte ab März 2020 fast den gesamten internationalen Flug­verkehr lahm. Die Flughäfen verwaisten, und die Shops hinter der Sicherheits­kontrolle mussten ihre Türen schliessen.

Auf den radikalen Umsatz­einbruch folgte der Absturz an der Börse. Der Wert des Unternehmens sackte innerhalb von nur fünf Wochen auf ein Viertel des ursprünglichen Werts zusammen.

Um die Angestellten vor sofortigen Entlassungen zu schützen, zahlten 30 Länder dem Unternehmen Staats­hilfen und Kurzarbeits­gelder in der Höhe von insgesamt 73 Millionen Franken aus. Viele Flughafen­betreiber weltweit liessen sich ausserdem zu Miet­reduktionen bewegen. Und das an der Börse praktisch über Nacht pulverisierte Kapital stockte Dufry unter anderem mit Bank­krediten und der Heraus­gabe neuer Aktien an die US-Investment­firma Advent und den chinesischen Online­konzern Alibaba auf.

Zugegeben, viel Aufräum­arbeit für Torres Carretero und seinen CEO Julián Díaz González, den er kurz nach dem Firmen­einstieg 2003 aus Spanien in die Schweiz geholt und auf den Chefsessel gesetzt hatte.

Arbeit, die er sich königlich zu entlohnen gedachte. Doch dafür musste er sich erst etwas einfallen lassen.

Der unerhörte Lohn-Kniff

Dazu muss man wissen: Der Zollfrei­könig besitzt nicht die bedingungslose Entscheidungs­gewalt. Denn Dufry gehört nicht ihm, sondern vielen verschiedenen Aktionären. Darunter Investment­firmen, Staats­fonds, Vermögende, Banken und sehr viele grosse und kleine Pensions­kassen. Auch Torres Carretero und sein CEO haben einige Aktien, aber das reicht bei weitem nicht, um alles allein bestimmen zu können.

Wie alle Verwaltungs­räte und Topmanager von Aktien­gesellschaften muss auch der Zollfrei­könig den Besitzern regelmässig erklären, weshalb er seine Entscheidungen so und nicht anders getroffen hat. Und er muss Rechen­schaft über seinen Lohn ablegen. Im Jahr vor Corona verdiente er 4 Millionen Franken.

So viel Geld lassen sich in der Schweiz und in den meisten anderen Ländern der Welt sonst nur Präsidenten von deutlich grösseren Unter­nehmen oder Finanz­häusern auszahlen – zum Beispiel jene der beiden Schweizer Gross­banken CS (4,7 Millionen) und UBS (5,2 Millionen). Vergleicht man aber Dufry mit ähnlich grossen Firmen, so zeigt sich, dass der Zollfrei­könig mit Abstand am meisten verdient.

Vor allem aber will er auf einen solch hohen Lohn auch in der Krise nicht verzichten.

Bei Mitgliedern der Firmen­spitze besteht die Vergütung immer aus verschiedenen Teilen. Die zwei grössten sind der Fixlohn und der Bonus. Der fixe Teil machte 2020 für Torres Carretero 1,9 Millionen Franken aus. Er schrumpfte ein bisschen im Vergleich zum Vorjahr, weil der Präsident und seine Kolleginnen im Verwaltungs­rat aus Solidarität mit den Angestellten drei Monate lang auf 30 Prozent des Lohns verzichteten. So steht es im Vergütungs­bericht.

Spannender ist der Bonus. Der heisst so, weil er an den Erfolg des Unternehmens geknüpft ist, im Fall von Dufry vor allem an Umsatz­wachstum und Gewinn. Doch im Krisen­jahr 2020 – fast ohne Einnahmen und mit einem Milliarden­verlust – hätten diese Kriterien natürlich keinen Bonus eingebracht. Darum liess der Präsident mitten im Spiel die Regeln ändern. Von nun an zählten für seinen Bonus: die Höhe des im Geschäfts­jahr eingesammelten Kapitals, der Gewinn neuer Gross­aktionäre und der gelungene Abschluss der Übernahme von Hudson, einer amerikanischen Duty-free-Kette.

Selbstverständlich erreichte er alle drei Ziele und erhielt damit den gesamten Bonus. Der bei Dufry – anders als bei den meisten heutigen Unternehmen – nur aus Bargeld und nicht aus kurzfristig unveräusserbaren Aktien des eigenen Unter­nehmens besteht. So brauchen den Empfänger auch allfällige Krisen in unmittelbarer Zukunft nicht zu kümmern.

Juan Carlos Torres Carretero lehnte eine Interview­anfrage der Republik ab.

Ich will es genauer wissen: Wie beurteilen Expertinnen die Dufry-Vergütungen?

Letztes Jahr schrieb Dufry einen Verlust von 2,5 Milliarden Franken. Gleichzeitig verdiente Präsident Juan Carlos Torres Carretero 4,5 Millionen Franken (2019: 4 Millionen) und CEO Julián Díaz González 5,7 Millionen (2019: 4,8 Millionen).

Von der Republik angefragte Experten kritisieren dieses Verhalten: «Das Obligationen­recht schreibt den Chefs eine Treue­pflicht vor», erklärt Monika Roth, Expertin in Unternehmens­führung. «Das heisst, es war ihre Pflicht, das Unter­nehmen zu retten. Wer sich dann noch einen höheren Lohn auszahlt, der plündert die Firma.» Ethos-Direktor Vincent Kaufmann, der Aktionäre berät, die nachhaltig investieren wollen, sagt: «Wer Verlust macht, soll sich keinen Bonus auszahlen dürfen.» Ethos lehne aber auch in guten Jahren an den General­versammlungen die Vergütungs­berichte von Dufry ab, weil die Löhne viel zu hoch seien.

Vergütungs­experte Urs Klingler findet es durchaus nachvollziehbar, dass Dufry sein Lohn­system umgestellt hat («Man kann ihnen keine Fehler vorwerfen, Corona hat sie schachmatt gesetzt»), stört sich aber am variablen Anteil: «Dass der Bonus bar ausbezahlt wird, ist kritikwürdig. Ich hätte Aktien vorgezogen, die die Manager erst in ein paar Jahren zu Cash machen dürfen. Das hätte eine nachhaltige Wirkung auf ihr Tun. Aber wahrscheinlich hatte der Verwaltungsrat Angst, dass die Manager das Unternehmen sonst verlassen.»

Diese These stellt Marc Possa, Fondsmanager und CEO der Zuger VV Vermögens­verwaltung, infrage: «Dieses Argument zählt nicht. Wo hätten denn die Leute mitten in der Krise hingehen sollen?», fragt er. Possa, der als aktiver Fondsmanager nach eigenen Angaben nie Dufry-Aktien kaufen würde, stört sich vor allem am fehlenden Unternehmertum: «Präsident Torres Carretero dominiert das Unternehmen und bringt im Verwaltungsrat alles durch, obwohl ihm Dufry nicht gehört. Wäre er Unternehmer und müsste er mit seinem eigenen Geld wirtschaften, würde er sich anders verhalten. Stattdessen hat er auf Teufel komm raus Risiken aufgebaut und ist damit grobfahrlässig vorgegangen. Es scheint so, als habe es die Pandemie gebraucht, um diese Disziplin­losigkeit zu strafen.»

Plündert die Unternehmens­führung von Dufry die Firma aus? Ein Sprecher nimmt schriftlich Stellung. Etwa zum Bonus für das Management. Dieser «wurde genehmigt, um ausser­gewöhnliche, individuelle Leistungen zu honorieren und die Kontinuität und das Engagement der relevanten Mitglieder des Global Executive Committee zu gewähr­leisten. Diese Personen sind für die Bewältigung der Krise und die Wieder­eröffnungen der Geschäfte unerlässlich und treiben derzeit die Umsetzung zukunfts­orientierter Projekte zur Erholung des Geschäfts und zur Ankurbelung des Wachstums im Jahr 2021 und darüber hinaus voran.» Der Präsident habe seinen Leistungs­bonus erhalten, weil er im Covid-Jahr 2020 noch stärker ins Tages­geschäft involviert gewesen sei.

Ob Dufry möglicher­weise «ein Selbst­bedienungs­laden» sei, der nebenbei ein zollfreies Shopping­paradies betreibe, fragte daraufhin die Anleger­­zeitung «Finanz und Wirtschaft». Eine Antwort war nicht nötig.

Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen?

Der lange Weg zum Zollfrei-Imperium

Dass der Zollfrei­könig keine Konsequenzen befürchten muss, liegt an seiner fantastischen Macht­position. Er hat etwas geschafft, was es in börsen­kotierten Firmen eigentlich gar nicht geben darf: Er dominiert das gesamte Haus.

Möglich ist das, weil er schon seit 2003 in dieser Funktion ist. Es gibt nicht viele Betriebe, in denen ein Präsident so lange an der Spitze bleibt, ausser vielleicht Familien­unternehmen. In vielen Firmen müssen Verwaltungs­räte zurück­treten, wenn sie 12 Jahre im Amt waren oder 70-jährig geworden sind. Nicht bei Dufry.

Als junger Mann hatte Juan Carlos, der 1949 geboren wurde, noch kein Interesse an Zollfrei­ware. Damals wollte er wissen, was die Welt im Innersten zusammen­hält. In Madrid machte er den Master in Physik und spezialisierte sich später auf Geophysik, die Lehre der Erdkruste, der Ozeane und der Atmosphäre. Wann genau sich bei ihm das Interesse am Geld­verdienen durchsetzte, ist nicht dokumentiert, aber bald schon stand er im Sold von Ölfirmen.

Mit 30 Jahren schloss er eine Management­ausbildung ab und heuerte beim Beratungs­unternehmen McKinsey & Company an. 1988 kam er schliesslich zu Advent, einer Investment­firma mit Sitz in Boston, USA. Dort lernte er auch seine spätere Frau kennen, mit der er heute drei Töchter hat. Advent ernannte ihn bald zum Partner und schickte ihn 1995 nach Mexiko City, von wo aus er sämtliche Latein­amerika-Investments verantwortete.

11 Prozent der Dufry-Aktien gehören heute dieser Firma, die seit 17 Jahren bei Dufry mit im Boot sitzt und auch jetzt in der Not neues Geld nachschoss. Advent kommt aus der Welt der Private Equity. Der Ausdruck steht für Gesellschaften, die Firmen kaufen, die, vereinfacht gesagt, in ihrer Entwicklung etwas stehen geblieben sind. Sie sanieren die Firmen sehr zielbewusst und verkaufen sie später weiter oder bringen sie an die Börse. (Wenn sie ihren Job besonders rücksichtslos machen, werden Private-Equity-Firmen oft «Heuschrecken» genannt – weil diese über ein Feld herfallen und es danach gesättigt wieder verlassen.) 2005, also nur ein Jahr nach dem Einstieg, ging Advent mit Dufry bereits an die Börse, behielt aber die Mehrheit der Aktien und damit die Kontrolle.

Es war seine Arbeit bei Advent, die Juan Carlos Torres Carretero den Weg zum Thron bereitete.

Auf den Thron gehebelt

Mit Mitte fünfzig wagen viele männliche Manager etwas Neues: Sie stecken ihr Erspartes in ein Start-up, werden Vollzeit­verwaltungs­rat oder kaufen ­sich ein teures Motorrad. Juan Carlos Torres Carretero entdeckte mit 54 in Basel eine Perle. Er packte sofort zu.

Im Jahr 2003 wurde das Basler Familien­unternehmen Weitnauer, dessen Geschichte bis ins Jahr 1865 zurück­reicht, in Dufry umbenannt. Die Besitzer hatten keine Idee mehr, was sie mit ihren 300 Duty-free-Läden noch anstellen könnten. Also gaben sie der Firma einen neuen Namen und suchten Käufer.

Torres Carretero hatte zu diesem Zeitpunkt in Latein­amerika und Spanien viel Erfahrung mit diesem Reise­handels­geschäft gesammelt. Um Dufry übernehmen zu können, überzeugte er seinen Arbeit­geber Advent, ihn mit Kapital und Kompetenzen auszustatten. Bald einigte er sich mit den Käufern und gründete in der Schweiz eine Firma namens Sintres Holding. Sie diente als Übergangs­vehikel, um – beladen mit Kapital – Dufry einfacher übernehmen zu können.

Nach dem Kauf holte er Weggefährten aus Spanien und Mexiko in die Unternehmens­leitung, viele von ihnen aus dem Advent-Universum und seit Jahren im Business tätig. Sie wussten genau, welche Konkurrenten Potenzial für eine Übernahme boten und zu Verhandlungen bereit waren.

In der Welt des Private Equity geht es immer um Möglichkeiten. Ihre Vertreter stellen sich fortlaufend die Frage: Welche Firma, welches Business hat das Potenzial für hohe Gewinne? Hat man ein Ziel anvisiert, braucht man Kapital für die Übernahme. In seiner Zeit bei Advent lernte Torres Carretero einen Effekt kennen, mit dem er Dufry zum grössten Zollfrei­händler der Welt machen konnte: die Hebelwirkung.

Den Ausdruck kennt man in der Investoren­welt vor allem in der englischen Variante: leverage. Bei einer Firmen­übernahme, einem Leveraged Buy-out, kann sie zu einem erfolgreichen Abschluss verhelfen, ohne dass man selber das gesamte nötige Kapital dazu besitzt. Man leiht stattdessen Geld von verschiedenen Akteuren, etwa Banken oder Vermögenden, und nutzt es als Hebel, um das eigene Kapital zu verstärken. Wichtig dabei ist, dass der Gewinn, den man später mit der übernommenen Firma verdient, höher ist als der Zins, den man für das geliehene Geld zurück­zahlen muss. Weil seit einigen Jahren die Zinsen historisch tief sind, ist das Risiko für solche Übernahmen entsprechend tief. Was das Risiko zusätzlich reduziert: Der Käufer kann seinen Kredit mit dem Vermögen der gekauften Firma absichern.

Auf diese Weise – kombiniert mit der Herausgabe neuer Aktien – schluckte Dufry einige Konkurrenten. Die zwei grössten kaufte Torres Carretero 2014 und 2015: zuerst die frühere Swissair-Tochter Nuance und dann die noch grössere World Duty Free.

Eigentlich hätte Dufry nie an die Börse gehen sollen. Wie bei fast allen Private-Equity-Deals war vorgesehen, die Firma grösser und profitabler zu machen und sie dann mit Gewinn weiter­zuverkaufen. Am Anfang lief auch noch alles nach Plan: Nach der Übernahme 2003 fusionierte Torres Carretero Dufry mit anderen Duty-free-Firmen. Advent übernahm sämtliche Aktien, und der Name Sintres verschwand wieder. Noch 2004 schloss die Firmen­spitze einen Börsengang aus.

Es ist aus heutiger Sicht nicht so einfach, einen triftigen Grund dafür zu finden, warum Dufry nur ein Jahr später trotzdem an die Börse ging und noch heute dort ist. Damalige Beobachter vermuteten, dass es auf diese Weise einfacher gewesen sei, an Kapital für weitere Übernahmen zu kommen. Einiges deutet darauf hin, dass Advent die Firma bald weiter­verkaufen und Cash machen wollte, Torres Carretero aber an der Eigenständigkeit festhielt.

Wichtig war letztlich nur, dass alle von der weiter wachsenden Firma profitieren: Der Präsident konnte sich als eine Art Unternehmer profilieren und erhöhte schrittweise seinen Lohn, während Advent dankbar wieder­kehrendes Geld in Form einer grosszügigen Dividende einsteckte. Und als Advent 2013 die Mehrheit seiner Anteile verkaufte, spülte das fast eine halbe Milliarde Franken in die Kasse.

Schliesslich – mit der Aufnahme von Nuance und World Duty Free – katapultierte sich Juan Carlos Torres Carretero endgültig auf den Thron. Fortan regierte er ein Duty-free-Imperium, das mit 25 Prozent Markt­anteil doppelt so gross war wie die Nummer zwei der Branche. Die Übernahmen brachten Hunderte neue Shops in Dutzenden Flughäfen in sein Reich.

Und dieses gigantische Filial­netz vergrösserte auf einen Schlag seine Einkaufs­macht: Von nun an kam kein Zigaretten­hersteller, keine Whisky­marke und erst recht kein Schönheits­konzern mehr um Dufry herum. Die Geschäfts­beziehungen verbesserten sich derart, dass sich einige dieser Unternehmen sogar Dufry-Aktien kauften und so dem Zollfrei­könig noch mehr Kapital verschafften, um weitere Konkurrenten zu schlucken.

Niemand stellte die Macht des erfolgreichen Langzeit­präsidenten infrage.

Doch die Art, wie er seine Macht ausübt, erzürnt viele Kritiker. Sie prangern nicht nur seinen viel zu hohen Lohn an, sondern stören sich auch an seinem Führungs­stil. So nehmen etwa er und sein CEO an den Sitzungen teil, an denen die Löhne der Firmen­spitze bestimmt werden. Es sind die Sitzungen des Vergütungs­komitees, das aus drei Vertretern des Verwaltungs­rats besteht. Expertinnen, die sich mit guter Unter­nehmens­führung befassen, sagen, dass dieses Verhalten absolut unüblich und unverständlich sei. Es führe zweifellos zu den übertrieben hohen Löhnen. Zwar verlassen der Zollfrei­könig und sein CEO jeweils den Raum, wenn es um ihre persönlichen Löhne geht, doch das löse das Problem nicht, so die Expertinnen.

Das Zeichen des Königs an seine Verwaltungsrats­mitglieder ist klar: Ihr setzt meinen Willen um.

Die beschränkten Mittel der Aktionäre

Kehren wir also zurück in die heutige Zeit und fassen wir zusammen: Dufry schreibt 2020 das schlechteste Resultat der Geschichte, streicht 13’000 Stellen, erhält 73 Millionen Franken Staats­hilfe, erwirkt Miet­reduktionen und kratzt sich neues Kapital zusammen.

Gleichzeitig erhöht der Präsident seinen Lohn.

Eine Frage drängt sich auf: Ist das legal?

Tatsächlich verstösst er damit gegen kein Gesetz. Vor acht Jahren hat das Schweizer Stimm­volk mit einer Zwei­drittel­mehrheit eine Volks­initiative des Schaffhauser Unter­nehmers Thomas Minder angenommen und so das Aktien­recht erneuert. Minder hatte sich daran gestört, dass sich in grossen Schweizer Firmen immer mehr Chefs überrissene Löhne gönnten. Das überarbeitete Aktien­recht gibt seither den Aktionären mehr Rechte. Wenn sie sich bei einem Unternehmen an der Vergütung stören, können sie dem Gebaren an der jährlichen General­versammlung einen Riegel schieben.

Nur braucht es dafür theoretisch eine Mehrheit. Und die gibt es nicht sehr oft. An der letzten Dufry-GV, die im Mai wegen der Pandemie nur virtuell stattfand, stimmten 64 Prozent für die Löhne der Chefs. Das reichte dem Zollfrei­könig zwar, aber es war auch ein Denkzettel, weil es normaler­weise bei dieser Abstimmung zwischen 85 und 99 Prozent Zustimmung gibt. Es war also Unmut unter vielen Aktionären spürbar – aber eben nicht genug, um den Bericht zurück­zuweisen.

Erschwerend kommt hinzu, dass diese Abstimmung laut Aktien­recht nicht bindend, sondern nur konsultativ ist. Das heisst: Wenn eine Mehrheit der Aktionärinnen den Vergütungs­bericht ablehnt, kann sich der Verwaltungs­rat über diesen Entscheid hinweg­setzen. Allerdings sind einige Fälle bekannt, in denen das Unternehmen nach verlorenen oder knapp gewonnenen Abstimmungen reagierte und die Vergütung tatsächlich anpasste. Auch der Dufry-Verwaltungs­rat «erwägt eine nachträgliche Anpassung des Vergütungs­modells», wie das Unternehmen ausrichtet. Aber konkret ist auch sieben Wochen nach der Abstimmung noch nichts.

Besser wäre, wenn Dufry einen grossen Aktionär hätte – einen sogenannten Kern­aktionär –, der den Verwaltungs­rat in die Schranken weisen könnte. So etwas gibt es bei einigen Firmen gleicher Grösse. Bei Dufry gibt es das nicht. Stattdessen sind, wie wir bereits wissen, viele Aktionäre Verbündete des Zollfrei­königs und von Advent.

Ein kurzer Blick auf die grössten Aktionäre zeigt das Problem: Neben Advent und Alibaba sind das die Staaten Katar und Singapur, der norwegische Staats­fonds, eine amerikanische Investment­firma und der südafrikanische Milliardär Johann Rupert, der an vielen Luxus­marken und am Zigaretten­konzern British American Tobacco beteiligt ist. Abgesehen vielleicht vom norwegischen Staats­fonds sind sie nicht bekannt dafür, sich gegen überhöhte Löhne einzusetzen. In ihrer Welt sind diese Vergütungen kein Problem. Aber in vielen Ländern, auch in der Schweiz, wird das Verhalten des Zollfrei­königs selbst­verständlich als unanständig angesehen.

Das führt uns zu den übrigen Aktionären: den Schweizer Pensions­kassen. Sie verwalten einen grossen Teil des Ersparten von Angestellten, das diese nach der Pensionierung ausbezahlt erhalten. Im Moment sind das schweizweit total eine Billion Franken. In Ziffern: 1’000’000’000’000 Franken.

Etwa ein Drittel davon stecken sie in Schweizer Aktien. Nur machen das die allermeisten von ihnen nicht aktiv, das heisst, sie kaufen und verkaufen nicht laufend Aktien, sondern passiv, indem sie Finanz­produkte erwerben, sogenannte Exchange Traded Funds (ETF), in denen Aktien von börsen­kotierten Schweizer Firmen wie eben Dufry enthalten sind. Das ist aus zwei Gründen der bessere Weg: Erstens sparen sie Verwaltungs­kosten, die sonst unserem Alters­guthaben belastet würden. Zweitens bilden diese ETF die relativ gesunde und breit abgestützte Schweizer Unternehmens­welt ab, die selten heftige Einbrüche erleidet. Auf lange Sicht macht man mit diesen Aktien fast immer einen Gewinn, wenn auch nicht einen sehr hohen.

Würde sich nun eine Pensions­kasse gegen das Verhalten des Zollfrei­königs wehren wollen, kann sie nicht einfach aus Protest die Dufry-Aktie aus ihrem Portfolio rausnehmen und verkaufen. Sie ist gebunden an den ETF.

Man müsste also gleich das Gesetz verschärfen, wenn man Selbst­bedienung in der Teppich­etage verhindern wollte. Es gibt sonst keine Möglichkeit zum Protest.

Aber vielleicht löst sich das Problem auch bald von allein – oder es verschiebt sich, vielmehr, nach China.

Die ungewisse Zukunft des Zollfreikönigs

Dass das Geschäft schwieriger geworden ist, lässt sich auch am Dufry-Aktien­kurs beobachten. Er zeigt, wie fest die Investorinnen an die Zukunft der Firma glauben. Seit 2017 schrumpft er. Damals musste man bis zu 163 Franken für eine Dufry-Aktie bezahlen. Sie hat diesen Wert seither nicht mehr erreicht. Heute kostet sie noch rund 57 Franken.

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einer ist die Klima­krise. Das Pariser Abkommen, in dem sich die grössten Wirtschafts­nationen der Welt zu Massnahmen zur CO2-Reduktion verpflichteten, könnte dem Wachstum des Flug­verkehrs schaden. Flug­tickets dürften bald teurer werden und dadurch weniger Menschen fliegen. Das sind keine guten Aussichten für Duty-free-Läden.

Die Pandemie hat hier vielleicht noch nachgeholfen. Unternehmen haben realisiert, dass viele Geschäfts­reisen gar nicht nötig sind und durch Video­chats ersetzt werden können. Das spart Geld, und man kann damit werben, dass man CO2 eingespart hat. Und auch wenn das nicht gleich von heute auf morgen passiert und der globale Massen­tourismus wieder wachsen sollte: Selbst die Flug­gesellschaften sind überzeugt, dass erst im Jahr 2024 wieder so viel geflogen wird wie vor der Pandemie.

Was passiert mit dem alternden Zollfrei­könig, wenn das Geschäft nun schwierig wird? Die Antwort darauf könnte in China zu finden sein.

Während bei Dufry Stillstand herrscht, wächst sein chinesischer Konkurrent China Duty Free, ein Unternehmen im Besitz des chinesischen Staats, im grossen Stil. Das liegt unter anderem daran, dass die Millionen von Chinesen, die vor der Pandemie in der ganzen Welt herum­reisten, nun im eigenen Land Ferien machen. An chinesischen Flughäfen herrscht seit über einem Jahr Hochbetrieb.

Darum setzt der Dufry-Präsident jetzt ganz auf China. Das erklärt auch die Zusammen­arbeit mit Alibaba, der im Pandemie­jahr als Aktionär und Kooperations­partner dazukam. Der chinesische IT-Konzern, der auch an der Börse kotiert ist, kämpft in seinen Online­shops mit gefälschten Marken­produkten und hofft, dass er die grosse Nachfrage der Chinesinnen nach echten Luxus­marken mithilfe des Schweizer Händlers befriedigen kann.

Der Zollfrei­könig seinerseits hofft, dass Alibaba helfen kann, in China mehr Läden zu eröffnen. Bis jetzt gibt es erst eine Handvoll Dufry-Shops in Hongkong, Macao, Chengdu und Shanghai. Seine grössten Konkurrenten sind da schon viel weiter.

Es könnte das aktuelle Geschäft stabilisieren. Es wäre aber auch die perfekte Vorbereitung für einen möglichen Verkauf – und damit eine elegante Rücktritts­möglichkeit für den alten König.

Mit einer besseren Präsenz in China könnte Juan Carlos Dufry als Übernahme­kandidatin attraktiver machen für die wachstums­hungrige China Duty Free. Gegenüber diesem Riesen in Staats­hand, ausgestattet mit unerschöpflichem Geld, wäre weiteres Wachstum sowieso schwierig. In diesem zunehmend harten Geschäft, in dem langfristig nur der Grösste Erfolg hat, wäre ein Zusammen­schluss zu einem noch mächtigeren Giganten eine logische Konsequenz. Und für den Zollfrei­könig wäre es eine Möglichkeit zu einem sauberen Abgang.

Mit diesem Deal hätte auch die Schweizer Wirtschaft ein kleines Problem weniger. Dufry würde von der Börse und aus allen Aktien­portfolios der Pensions­kassen verschwinden.

Aber bis dahin werden noch viele Flug­passagiere auf dem Weg in die Ferien, unterwegs zum Gate, an einen König denken, der sich immer weiter von seinen Angestellten entfernt hat und immer noch reicher auf seinem Thron sitzt.

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