Am Gericht

Wird heute Britneys Independence Day?

Seit bald 13 Jahren ist Popstar Britney Spears entmündigt. Jetzt kämpft sie vor Gericht um mehr Selbst­bestimmung. Ihr Fall ist ein Lehrstück über den bösartigen Umgang mit Künstlerinnen, die aus der Reihe tanzen.

Von Yvonne Kunz, 23.06.2021

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Diese Woche wird #FreeBritney wohl wieder trenden. Der Hashtag geht auf eine kleine Gruppe Fans zurück, die sich seit Jahren bei jeder Verhandlung der Sängerin vor dem Gerichts­gebäude in Los Angeles in Stellung bringt und mit selbst gemalten pinkfarbenen Plakaten fordert: «Justice for Britney!»

Zum weltweiten Thema wurde der Vormundschafts­fall um die Popikone Anfang dieses Jahres mit dem Dokfilm «Framing Britney Spears». Nun fragen nicht mehr nur ihre Anhängerinnen: Wie ist es möglich, dass eine höchst erfolgreiche Performerin nicht mal ein Happy Meal bestellen kann, ohne dass der Staat Kalifornien davon erfährt? Dass das Leben der inzwischen 39-Jährigen seit über einem Jahrzehnt unter der Kontrolle ihres Vaters ist?

Vielleicht wird die Situation klarer, wenn heute der Rechts­streit zwischen Vater und Tochter weitergeht. Und dieses Mal will sich Britney Spears erstmals selbst dazu äussern.

Ort: Los Angeles County Superior Court, Stanley Mosk Courthouse
Zeit: 23. Juni 2021, 1:30 PT
Fall-Nr.: BP108870
Thema: Vormundschaft

«Oh baby baby» … und man hat sie im Ohr: Britney Spears mit ihrem Überhit «… Baby One More Time», der sie 1999 zum globalen Superstar machte. Jahrelang lieferte sie danach zuverlässig Pop-Perfektion: «Oops! … I Did It Again», «I’m a Slave 4 U», «Toxic». Für Fans wurde sie zur Göttin, The Holy Spearit. Für die Medien das perfekte All-American-Girl.

Keine zehn Jahre später ein völlig anderes mediales Bild: Britney raucht. Britney feiert mit Paris Hilton. Britney ohne Unter­wäsche. Britney drischt mit Regen­schirm auf Paparazzo-Auto ein. Britneys Hund kackt bei Fotoshooting auf 7000-Dollar-Kleid. Alles reich bebildert. Bilder, mit denen sich viel Geld verdienen liess, als die Celebrity- und Klatschpresse-Kultur auf ihrem Höhepunkt war. Oder, rückblickend: auf dem Tiefpunkt.

Als sich Britney Spears Anfang 2007 den Schädel kahl schor, titelte die britische «Daily Mail»: «Britney Shears» (to shear: scheren). Das «New York Magazine» kommentierte, die Glatze sei das Faszinierendste, was sie je vollbracht habe – und spekulierte, ob die gefallene Pop-Prinzessin bald an einer Überdosis sterben oder sich doch eher umbringen würde wie Marilyn Monroe.

Zu diesem Zeitpunkt war Spears gerade mal 25 Jahre alt. Sie hatte kurz zuvor, 2005 und 2006, innerhalb eines Jahres zwei Kinder bekommen. Von ihrem Mann, dem Tänzer Kevin Federline, war sie bereits wieder getrennt, und schon hatten sich die beiden in einen bitteren Sorge­rechts­streit verkeilt. Derweil sie sich auf den Release ihres nächsten Albums «Blackout» vorbereitete, also Vollzeit arbeitete.

Die absehbare Headline: Britney in der Psychiatrie

Nur wenige sprachen damals von einer besorgnis­erregenden persönlichen Krise. Niemand fragte: postnatale Depressionen? Im Rausch des Spektakels fiel uns auch der Sexismus nicht auf: Wenn Johnny Depp betrunken ein Hotel­zimmer zerlegte, war er ein Rockstar. Frauen, die über die Stränge schlagen, wurden öffentlich vorgeführt. Spears ist bei weitem nicht das einzige Beispiel, siehe auch Anna Nicole Smith oder Kesha, aber Spears ist das vielleicht krasseste.

In der Spielshow «Family Feud» wurden 100 Leute gefragt, was Britney Spears 2007 alles verloren habe. Richtige Antworten: ihre Haare, ihren Mann, ihre Kinder, ihre Würde, ihren Verstand. Und alle lachten. Die Häme kannte keine Grenzen.

Warum das alles im heute laufenden Gerichts­verfahren von Belang ist?

Weil dieses mediale und kulturelle Klima den Kontext dafür bildete, was dann juristisch geschah: Britney Spears wurde entmündigt, verlor also alle Bürger­rechte, alle Freiheiten. Und weil man vielleicht sogar sagen kann: Dieses Spektakel, die bösartige Demontage, die persönlichen Attacken ermöglichten es überhaupt, dass sie für unzurechnungs­fähig erklärt und während ihres Zwangs­aufenthalts in einer psychiatrischen Klinik unter die Vormundschaft ihres Vaters Jamie Spears gestellt wurde. Zunächst provisorisch – doch schon Ende 2008 wurde die Vormundschaft dauerhaft eingerichtet.

Anfangs versuchte Spears noch, die Massnahme anzufechten. Doch ein Richter entschied, sie sei geistig unfähig, einen eigenen Anwalt zu nehmen. Im MTV-Special «For the Record» sagte sie 2008: «Selbst wenn du ins Gefängnis gehst, weisst du: Du kommst da wieder raus. Aber diese Situation … sie ist nie zu Ende.»

Seither hat sie die Vormundschaft nicht mehr öffentlich kommentiert. Lange schien es, Britney Spears habe sich mit der Situation arrangiert. In der Inter­pretation der «New York Times», die auch den Dokfilm «Framing Britney Spears» produziert hat: Irgendwann empfand sie die Vormundschaft nicht mehr als Käfig, sondern als schützende Bubble, die es ihr erlaubt, sich dem zu widmen, was ihr wichtig sei: der Musik und ihren Kindern.

Die Öffentlichkeit ist auf Wunsch des Vormunds Jamie Spears von den Prozessen ausgeschlossen, und alle Gerichts­dokumente – Protokolle, Rechts­schriften der Parteien – sind unter Verschluss. Einige Informationen sickern trotzdem durch, aber was in diesem Fall wirklich läuft, bleibt weitgehend ein Geheimnis.

Klar ist nur: Etwas läuft schief

Man kann nur rätseln, auf welcher rechtlichen Basis die langjährige Bevormundung steht. Dafür müssen auch nach kalifornischem Recht klare Beweise vorliegen, dass die betroffene Person nicht in der Lage ist, für sich selbst zu sorgen und ihre finanziellen Angelegenheiten zu regeln. Wenn sie im Koma liegt zum Beispiel. Bei Spears wäre eine schwere psychische Krankheit denkbar, eine früh einsetzende Demenz etwa. Dies war tatsächlich einer der Gründe, die ihr Vater bei seinem Antrag auf Vormundschaft damals angekreuzt hatte.

Aber wäre so jemand in der Lage, mehrere internationale Top-Ten-Alben heraus­zugeben und ausverkaufte Welttourneen zu absolvieren? Millionen zu verdienen? Allein zwischen Dezember 2013 und Dezember 2017 spielte Britney Spears mit 248 Konzerten in Las Vegas fast 140 Millionen Dollar ein.

Dass beim Popstar die Anforderungen an eine Bevormundung nicht gegeben seien, steht für die NGO American Civil Liberties Union fest. Ihr bereitet schon länger Sorge, wie leicht es ist, in die Recht­losigkeit hinein­zugeraten – und wie schwer, wieder heraus­zukommen. Wenn dies bei einer gefeierten Künstlerin schon so sei, hätten Behinderte, Obdachlose, psychisch Kranke oder Süchtige in einem solchen, von Intransparenz und Paternalismus geprägten System ohnehin keine Chance.

Britney streikt

Bei Britney Spears vermischt sich der Paternalismus mit Patriarchat. Das amerikanische Recht unterscheidet zwei Arten der Vormundschaft: jene über die Person, mit der sichergestellt wird, dass jemand isst, trinkt, seine Medikamente nimmt. Und jene über die Finanzen, mit der gewährleistet wird, dass keine hilflose Person geplündert wird. Über ein Jahrzehnt kontrollierte Britneys Vater beides, hatte somit praktisch die Allein­herrschaft über seine Tochter.

Doch seit 2019 ist Bewegung in die Sache gekommen. Jamie Spears musste wegen gesund­heitlicher Probleme seine Rolle als Privat­vormund vorüber­gehend niederlegen, blieb aber Verwalter der Marke Britney Spears. In der Folge errang die Sängerin vor Gericht einige Teilerfolge. Die zuständige California-Superior-Court-Richterin Brenda Penny folgte mehreren ihrer Anträge: dass die vorübergehende Vormundin Jodi Montgomery ihre privaten Angelegenheiten dauerhaft übernimmt. Und dass die Treuhand­firma Bessemer Trust Co. künftig ihre Finanzen mitmanagt.

Dabei geht es längst um mehr als Musik. Das Business mit Britney umfasst heute mehr als ein Dutzend ineinander verwobene Geschäfts­einheiten, profitable Lingerie-Linien zum Beispiel oder Parfüm. Auf 60 Millionen Dollar wird das Vermögen der Entertainerin derzeit geschätzt.

Einer sofortigen, vollständigen Aufhebung der Vormundschaft des Vaters gab die Richterin Ende 2020 nicht statt. Noch nicht. Die Vorzeichen im Fall haben sich grundlegend geändert, seit Britney Spears letztes Jahr durch ihren gerichtlich bestellten Rechts­beistand Samuel D. Ingham III klarstellte, dass sie die Vormundschaft durch ihren Vater strikt ablehnt. Wie der Anwalt erklärte, habe seine Mandantin Angst vor ihrem Vater und werde nicht mehr auftreten, bis er von dieser Position entfernt wird.

Jamie Spears wehrt sich, beharrt auf seiner teilweisen Kontrolle über die Marke Britney Spears. Über seine Anwältin Vivian Lee Thoreen beteuert er, stets im Interesse seiner Tochter gehandelt zu haben, und die Vormundschaft sei immer zu ihrem Schutz gewesen. Dass diese nun der Meinung sei, sie brauche Schutz vor ihm, führt er auf die Einfluss­nahme seiner Ex-Frau Lynn zurück, Britneys Mutter.

Ob die #FreeBritney-Aktivistinnen den 23. Juni 2021 dereinst als Britneys Independence Day feiern werden, steht in den Sternen. Noch ist unklar, ob Britney Spears nun die vollständige Aufhebung ihrer Vormundschaften beantragen wird. Frühere Beispiele wie Mariah Carey zeigen: Emanzipations­geschichten erfolgreicher Künstlerinnen sind keine Short Storys.

Der kulturelle Wandel seit ihrem Absturz ist jedoch bereits Tatsache. Viele mögen genervt sein über die Stimmen, die bei jeder Gelegenheit Sexismus anmahnen, patriarchale Strukturen, Macht­missbrauch, Stigmatisierung im Umgang mit psychischen Krisen und Krankheiten. Aber es ist ein Fortschritt, dass man Britney Spears nicht mehr einfach bei jeder Gelegenheit zum verrückten Wrack erklären kann.

Mal sehen, ob es nun auch juristisch vorwärtsgeht.

Illustration: Till Lauer

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