Creddit Suisse
Nicht nur Kleinanleger, auch Grossbanken können mit Investments komplett durchdrehen. Das beweist aktuell die CS.
Von Simon Schmid, 02.04.2021
Die Republik ist ein digitales Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur – finanziert von seinen Leserinnen. Es ist komplett werbefrei und unabhängig. Lösen Sie jetzt ein Abo oder eine Mitgliedschaft!
Wenn David an der Börse einen Flashmob organisiert und Goliath finanziell in die Knie zwingt, dann muss Robin Hood seine Finger im Spiel haben.
Ungefähr so lautete das Fazit einer skurrilen Börsengeschichte, die sich ab Ende Januar abgespielt hat. Abenteuerlustige Kleinanleger schlossen sich damals auf der Plattform Reddit zusammen und beschlossen, gemeinsam die Aktie des serbelnden Videospielhändlers Gamestop hochzutreiben. Das Manöver brockte Melvin Capital – einem Hedgefonds, der gegen Gamestop gewettet hatte – einen so grossen Verlust ein, dass dieser von Konkurrenten an der Wall Street mit Milliarden vor dem Bankrott gerettet werden musste. Es provozierte ausserdem diverse Handelsstopps, eine Untersuchung der Börsenaufsicht und eine heftige Diskussion um Fairness und Finanzen.
Endlich haben es die Kleinen den Grossen heimgezahlt, frohlockten damals die einen: Da seht ihr mal, liebe Bankerinnen, wie es auf der Verliererseite ist.
Unsinn, sagten die anderen: Gamestop zeigt, wie gefährlich es für den Handel ist, wenn Amateure über Social Media zu Unsinn inspiriert werden, und dass man das Traden statt dem Fussvolk doch besser den Profis überlassen sollte.
Die Diskussion wurde irgendwann schliesslich ad acta gelegt. Und man ist geneigt zu sagen: Ja, es ist schon ziemlich irre, wenn sich arbeitslose Köche und gelangweilte Highschool-Studentinnen mitten in der grössten Wirtschaftskrise dazu hinreissen lassen, ihr bescheidenes Vermögen in eine Verliererfirma zu stecken, die kaum eine Perspektive hat (sicher keine, die einen Aktienkurs höher als eine Handvoll Franken rechtfertigen würde).
Wäre da nicht diese andere Geschichte, die sich diese Woche ereignet hat: rund um den Hedgefonds Archegos Capital Management und – in der oscarwürdigen Rolle der dümmsten Nebendarstellerin – die Credit Suisse.
Die Geschichte geht so: 2012 wird Bill Hwang, Manager eines Hedgefonds, in den USA wegen Insiderhandel verurteilt. Er bekommt Berufsverbot und darf keine Kundengelder mehr entgegennehmen. Kurz darauf gründet er eine neue Investmentfirma, Archegos, mit der er eigenes Geld an der Börse anlegt.
Hwang hat Erfolg, sein Vermögen wächst, Banken wollen mit ihm Geschäfte machen. So klopfen nacheinander Credit Suisse, UBS, Deutsche Bank, Morgan Stanley und zum Schluss auch Goldman Sachs bei Hwang an: Alle wollen Archegos als Tradingkunden bedienen und leihen ihm dafür Geld.
Das geht so lange gut, bis sich Hwang im Lauf dieses Jahres mit Aktien wie jener von Viacom, einer amerikanischen Mediengruppe, verspekuliert (der Kurs von Viacom hat sich, nicht ganz so spektakulär wie bei Gamestop, aber ebenfalls ziemlich eindrücklich, im Verlauf eines Jahres zuerst verachtfacht und ist dann innerhalb einer Woche wieder um die Hälfte abgesackt).
Als die Banken vor kurzem davon Wind bekommen, fordern sie Hwang auf, die Wertpapiere abzustossen: Er soll jetzt die Kredite zurückzahlen, die sie ihm zuvor gewährt haben. Das löst eine Kaskade von Ereignissen aus, mit Panikverkäufen und gescheiterten Verhandlungen zwischen den Banken, an deren Ende die Credit Suisse mit einem «hochsignifikanten» Verlust von 3 bis 4 Milliarden Dollar dasteht – ungefähr der Umfang eines Jahresgewinns.
Diese nicht minder skurrile Geschichte um Archegos hält die Finanzwelt derzeit in Atem. Und Journalistinnen fragen sich nicht zu Unrecht:
Warum hat bei der Credit Suisse niemand bemerkt, dass Archegos ein derartiges Klumpenrisiko ist? Warum hat niemand in der Risikoabteilung Alarm geschlagen? Und wenn jemand Alarm geschlagen hat: Warum wurden die Warnerinnen überhört? (Lag es vielleicht an den unüberwindbaren Interessenkonflikten der Investmentbanker mit ihren hohen Boni?)
Soll der abtretende Präsident Urs Rohner, der in seiner zehnjährigen Amtszeit diesen und diesen und diesen und diesen und diesen und diesen und diesen und diesen und diesen und diesen und diesen Skandal zu verantworten hatte und derweil im Total über 40 Millionen Franken verdient hat, vielleicht auf sein diesjähriges Gehalt verzichten?
Wäre es vielleicht an der Zeit, die intransparenten Hedgefonds und die noch intransparenteren Family Offices (zu dieser Firmenkategorie zählt Archegos offiziell) einer strengeren Regulierung zu unterziehen? Dass es zu weiteren Unfällen mit diesen Finanzfirmen kommt, ist so gut wie sicher.
All diese Fragen lassen sich selbstverständlich mit Ja beantworten. Und man könnte auch noch hinzufügen: Ja, wahrscheinlich wäre es sinnvoll, Banken wie die CS gleich ganz zu zerschlagen und aus den Stücken einzelne Banken zu bilden. Weniger komplexe, weniger riskante, bescheidenere Banken.
Denn wenn die Credit Suisse es nicht schafft, ihre Geschäfte seriöser zu betreiben als die selbst ernannten «degenerierten» Anleger auf Reddit – wozu gibt es sie dann überhaupt?
Nun könnte man sagen: Gamestop und Archegos – das hat doch nichts miteinander zu tun. Doch im Grunde genommen geht es zweimal um dasselbe.
Nämlich um die Vermischung von Kreditgeschäft und Börsenhandel. Im Februar geriet deshalb die Tradingplattform Robinhood in die Schlagzeilen. Sie erlaubt Kleinanlegern, ihre Einsätze zu vervielfachen: Wer sein Geld einsetzt, um Aktien im Wert von 5000 Dollar zu kaufen, kann sich weitere 5000 Dollar ausleihen, um damit zusätzliche Aktien zu kaufen. Solche Geschäfte nennen sich Lombardkredit und wurden von vielen Gamestop-Tradern genutzt. Die Aktien dienten Robinhood als Sicherheit für den Kredit.
Probleme tauchen bei solchen Geschäften auf, wenn die Sicherheit nicht mehr als sicher erscheint. Dann passiert, was bei Gamestop passiert ist: Robinhood schraubte zuerst die Vorschriften im sogenannten margin trading (also bei Lombardkrediten) hoch, drehte dann den Kredithahn zu – und verbot seinen Kunden den Handel mit Gamestop-Aktien am Ende ganz.
Lombardkredite vergeben grosse Banken auch an Hedgefonds. Kauft ein Hedgefonds mit 500’000 Dollar an eigenem Geld Aktien, so leiht die Bank dem Hedgefonds 500’000 Dollar (oder mehr) zusätzlich aus, damit der Fonds noch mehr Trades ausführen und die Bank mehr Gebühren kassieren kann. Bei Archegos kam auf diese Weise ein achtfacher Hebel zustande. Oder anders gesagt: Mit einem Eigenkapital von rund 10 Milliarden Dollar baute der Fonds dank Krediten eine Position von 50 bis 100 Milliarden Dollar auf.
Das ist ziemlich riskant. Hebelt eine Anlegerin ihre Investments um diesen Faktor, so genügt ein Kursrückgang von 12,5 Prozent – und sie ist pleite. Das wiederum führt dazu, dass das gesamte Portfolio (das inzwischen in den Besitz der Bank gegangen ist) veräussert werden muss, was wiederum die Börsenkurse nach unten drückt und auch der Bank einen Verlust beschert.
Das Perfide daran ist: Selbst die Bank mit dem besten Risikomanagement übersieht oft, wie Lombardkredite den Markt insgesamt verzerren. In guten Zeiten weiten alle Banken den Kredit aus, das treibt die Kurse nach oben. In schlechten Zeiten schränken alle den Kredit ein, das lässt die Kurse tauchen. Niemand kann in einem solchen System überhaupt gänzlich rational agieren.
Wer im Börsenhandel auf Pump mitmischt – ob als Bank oder als Trader –, kann sich deshalb ziemlich verrennen. Und die Credit Suisse hat soeben bewiesen, dass dies nicht nur Amateurinnen passiert. Sondern auch hochdekorierten Bankern, die es eigentlich besser wissen müssten.
PS: Kleiner Tipp an Urs Rohner: Die Gamestop-Aktie ist aktuell wieder nahe dem Höchststand. Falls Sie noch investiert sind, sollten Sie jetzt verkaufen.