Am Gericht

Unter Männern

Ein Soldat schlägt im Dienst zu und findet das normal. Sein Opfer nicht. Deshalb muss die Militärjustiz jetzt entscheiden, wie viel Männlichkeit in der Armee zu viel ist.

Von William Stern, 17.03.2021

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Am 8. März war Weltfrauentag. Die Forderungen nach sozialer Gleichheit, gleichen Löhnen, Anerkennung von Sorge­arbeit und einem Ende sexueller Übergriffe fanden weitherum Widerhall.

Und wie sieht es bei den Männern aus? Wie verhält man sich als Mann unter seinesgleichen? Die Frage steht nicht erst seit der Diskussion um toxische Männlichkeit auf der Tages­ordnung. Die Armee bot schon immer ein besonders gutes Untersuchungs­feld – und tut das auch im 21. Jahr­hundert, sind doch noch immer bloss 0,9 Prozent der Militär­dienst­leistenden Frauen, der Rest, zumindest auf dem Papier: Männer.

Über einen dieser Männer und sein Verhalten in der Armee hatte das fünfköpfige Richter­gremium des Militär­gerichts 2 (vier Männer, eine Frau) zu urteilen. Einem Nachschub­soldaten wird Körper­verletzung, Drohungen, Tätlichkeiten, sexuelle Belästigung vorgeworfen – ein ganzer Strauss an happigen Vorwürfen. Für den Beschuldigten aber war das meiste «bloss Spass». Oder eben: wie man Dinge «unter Männern» klärt.

Ort: Kantonsgericht St. Gallen
Zeit:
9. März 2021, 9 Uhr
Fall-Nr.:
MJ 19.000966 und MJ 19.001491
Thema:
Mehrfache Drohung, Tätlichkeit, Beschimpfung, sexuelle Belästigung, versuchte schwere Körperverletzung

Am Militärgericht 2, das an einem bitterkalten Dienstag­morgen Anfang März in St. Gallen tagt, wird ein Fall verhandelt, der im Corona-Frühling letztes Jahr eskalierte. Damals befand sich der Zug, um den es in diesem Militär­strafverfahren gehen soll, seit sechs Wochen in Quarantäne.

Im Zentrum des Geschehens stehen eine Handvoll Soldaten; wir haben für diesen Bericht ihre Namen geändert. In den Hauptrollen: Soldat Wullschleger und Soldat Dubrov.

Dubrov ist Kampfsportler, Boxer, Führungs­hand links, in drei Sekunden habe er jemanden ausgeknockt, sagt er. Dubrov macht gerne Spässe, will etwas Abwechslung in den tristen Armee­alltag bringen. Schon in der Rekruten­schule 2019 fällt er auf: Eines Abends stellt er sich hinter den Kameraden Kostic, öffnet den Reiss­verschluss, schiebt die Hüfte nach vorne, und legt – je nachdem, welchen Aussagen man Glauben schenken will, – den Finger oder den Penis in Kostics hinter dem Rücken verschränkte Hände.

Kostic dreht sich um, sagt ihm, er sei ein respektloser Hund. Dubrov droht, ihn kaputt zu schlagen.

Ein andermal, nach einer Übung, an der sich Dubrov an der Leiste verletzt hat, stochert er mit seiner Krücke wiederum beim Abend­verlesen dem Kameraden Yildirim in den Rücken und ins Gesäss. Als Yildirim sagt, er solle damit aufhören, wird Dubrov zornig und sagt gemäss Anklage­schrift: «Wir ziehen die Krawatten aus und klären das im Ausgang.»

Nach dem Abtreten stürzt sich Dubrov tatsächlich mit den Krücken auf Yildirim, Kameraden aus einem anderen Zug können ihn zurückhalten. Später am Abend, nach dem Ausgang, taucht Dubrov, vermutlich alkoholisiert, im Zimmer von Yildirim auf, packt ihn mit beiden Händen, nimmt seinen Kopf in den Schraubstock, verpasst ihm eine Ohrfeige und droht ihm mit einer Tracht Prügel, wenn er nochmals das Maul aufmache.

Dubrov sagt bei der Befragung durch Gerichts­präsident Oberstleutnant Armin Bossart, das habe man halt so gemacht in ihrer Kompanie, das sei gang und gäbe gewesen. Völlig normal. Unnormal sei es, dass man sich gegen diese Spässe, dieses Getrieze, wehre. Kostic habe damit nicht umgehen können, und Yildirim habe «aus einer Mücke einen Elefanten gemacht». Er, Dubrov, habe Pech gehabt, dass er mit seinen Spässen ausgerechnet an zwei sensible Gemüter geraten sei.

«Haben Sie Yildirim mit Gewalt gedroht?», fragt Gerichtspräsident Bossart.

«Nein, das war eine ganz normale Heraus­forderung. Wie man das unter Männern halt regelt.»

«Was bedeutet ‹unter Männern regeln›?»

«Eins gegen eins halt, wie beim Boxen oder bei UFC-Fights, im Käfig.»

«Was heisst das, ‹eins gegen eins›?»

«Man läuft aufeinander zu, die Fäuste erhoben. Manchmal steht auch ein Schiedsrichter daneben.»

«Was war Ihr Ziel?»

«Eben, die Sache wie ein Mann regeln. Mehr kann ich dazu nicht sagen.»

Etwas sagt er dann doch noch: Ja, er habe «ein bisschen Aggressions­probleme», antwortet Dubrov auf eine dahin zielende Frage des Gerichtspräsidenten.

Eine Lektion erteilen

Vor Gericht gelandet ist Dubrov nicht wegen dieser Attacken gegen Kostic und Yildirim. Sondern wegen eines Vorfalls, der sich ein knappes Jahr später, im Frühling 2020, ereignete. Die Kompanie von Nachschub­soldat Wullschleger und Dubrov befand sich da seit sechs Wochen in der Corona-Quarantäne. «Wir alle waren angespannt, reizbar, mit den Nerven am Ende», sagt Dubrov am Prozess.

Am Morgen des 20. Mai, nach einer Zwami-Übung (Zwangsmittel­ausbildung), erteilen die Vorgesetzten den Befehl, die Splitter­schutz­westen anzuziehen. Kurz darauf kickt Dubrov unvermittelt Soldat Wullschleger auf Brusthöhe in die Weste. Wullschleger lässt es über sich ergehen. Auch die Vorgesetzten treten manchmal gegen Rekruten in Splitter­schutz­westen – angeblich um zu demonstrieren, dass die Weste schützt.

Doch dann tritt Dubrov Wullschleger auch noch in die Beine. Wullschleger, einen Kopf grösser als Dubrov, aber halb so breit, sagt: «Hör doch uf mit dem Scheiss, du Aggro-Chind!» Daraufhin zieht Dubrov Wullschleger von hinten auf den Boden.

An diesem Abend, gegen 19 Uhr, ist es im Schlafsaal laut. Dubrov kommt aus seiner Ecke, beschwert sich bei einer Gruppe um Wullschleger über den Lärm, sie sollten alle Ruhe geben: «Vor allem du, Wullschleger.»

Wullschleger, der bäuchlings auf dem Bett liegt, antwortet: «Echt jetzt, du figgsch usgrechnet mich a?!» Dubrov streicht ihm mit der Hand über den Kopf, Wullschleger stösst ihn weg, dann schlägt Dubrov blitzschnell zu, drei-, viermal. Wullschleger kann sich nur noch an einen Schlag erinnern, dann wird er bewusstlos.

Ein paar Sekunden später kommt er, am Boden liegend, wieder zu sich. Er hat Blut im Mund und Schmerzen im Kiefer.

Natürlich sei das im Nachhinein eine Dummheit gewesen, sagt Dubrov bei der Befragung durch das Gericht. Aber nachdem Wullschleger ihn geschubst habe, sei er in einen Schock­zustand versetzt worden. Einfachstes physisches Gesetz, «Aktion, Reaktion». Ausserdem habe er sich zurückgehalten; richtig zugeschlagen habe er nicht, nur so, dass Wullschleger «die Lektion erhalten hat, die er brauchte». Auf seine didaktischen Methoden lässt Dubrov nichts kommen: «Ich weiss, wie ich jemandem wehtun kann. Und ich weiss, wie man jemanden einschüchtert.»

Ein paar Tage lang verspürt Wullschleger Schmerzen beim Kauen. Bleibende Schäden hinterlassen die Faustschläge nicht.

Die Armee wird Dubrov später ein «vernichtenden Zeugnis» ausstellen. Ein Aufgebots­stopp wird verfügt, das Sturmgewehr entzogen, weil er eine Gefahr sei für die Truppe. Gefährlich wirkt der 21-Jährige nicht, der sich vor dem Prozess an der Eingangstür des Gerichts bei einem der Richter noch dafür entschuldigt, dass er keine Uniform trage.

Aber wer ihn an diesem Dienstag im Kantons­gericht St. Gallen beobachtet, kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Dieser Mann mit dem gedrungenen Körper und den glatt geschorenen Schläfen ist wohl eine Nervensäge, ein Störenfried. Während der Verhandlung zieht er demonstrativ den Rotz durch die Nase, die Ausführungen des Oberauditors – des Anklägers im Militär­strafprozess – lässt er in der Körper­haltung eines saturierten römischen Bacchus über sich ergehen. Wenn sich einer der Richter formell für die Ausführungen des Beschuldigten bedankt, antwortet er sarkastisch: «Bitte sehr!» Dazwischen schiebt er regelmässig Snus-Portionen unter seine Oberlippe.

Das Recht des Stärkeren

Der Auditor, Major Christoph Bundi, fordert in seinem Plädoyer eine Gesamtstrafe von 9 Monaten bedingt, eine ebenfalls bedingte Geldstrafe von 150 Tages­sätzen zu 30 Franken sowie eine Busse von 600 Franken. Die Gesamtstrafe ergibt sich aus der Addierung mit zwei Strafbefehlen wegen Sachbeschädigung, Beschimpfung, Drohung und mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittel­gesetzes, die Dubrov in der Zwischenzeit erhalten hat.

Dubrov bestreitet die Vorwürfe nicht, mit Ausnahme der sexuellen Belästigung und der Drohung gegen Yildirim, die stattdessen eine «Herausforderung» gewesen sei.

Einmal fragt ihn Oberleutnant Anita Mettler, die einzige Richterin an diesem Prozess: «Was für einen Lösungs­ansatz gibt es für Probleme unter Männern?»

Der Beschuldigte antwortet mit einem Dreisatz: «Bei einer leichten Sache macht man Shakehands, und man kommt wieder miteinander aus. Bei einer schwierigen Sache wird eine Herausforderung ausgesprochen, und es kommt zu einem ‹eins gegen eins›. Und dann gibt es noch die Situationen, die alles toppen. Dann sprechen nur noch die Emotionen.»

«Was wollten Sie mit Ihrem Verhalten beweisen?»

«Dass ich der Stärkere bin.»

Befehl ist Befehl

Gemäss Anklage hat Dubrov nach den Vorfällen die anwesenden Kameraden jeweils davor gewarnt, die Vorgesetzten zu informieren. Im Gegensatz zu den Soldaten Yildirim und Kostic hat sich Wullschleger dennoch entschieden, den Vorfall zu melden. Er tritt als Privatkläger auf, begleitet von seiner Freundin und seinem Vater.

Auf die Frage, warum er die Omertà gebrochen hat, sagt er in einer Gerichts­pause: «Im Ernstfall stehen wir Gewehr an Gewehr, ich muss meinen Kameraden absolut vertrauen können.»

Hat dadurch sein Ruf innerhalb der Truppe nicht gelitten? Wullschleger zögert: «Hinter vorgehaltener Hand haben sie mich manchmal Ratte genannt, aber das kümmert mich nicht.»

Viermal stehen die Prozess­beteiligten gemeinsam vor der Tür des Gerichts­saals, viermal würdigt Dubrov seinen früheren Kameraden keines Blickes. Eine Aussprache findet nicht statt; damals, in der Armee, entschuldigte sich Dubrov zwar bei ihm, und sie gaben sich die Hand. Wäre nicht der Wachtmeister daneben gestanden und hätte Wullschleger dazu aufgefordert, er hätte die Hand von Dubrov nicht ergriffen. Aber Befehl ist Befehl.

Yildirim, der von Dubrov mit der Krücke bedrohte Soldat, wurde ebenso wie Soldat Kostic als Zeuge aufgeboten. Er erzählt am Gericht, dass er gemobbt worden sei und schliesslich auf Anraten des Vorgesetzten die Kompanie wechselte, «zu meiner eigenen Sicherheit». Der Vorfall mit Dubrov sei einer der harmloseren gewesen, es seien noch viel mehr Sachen passiert, «die aber nicht hierher­gehören». Gewehrt hat er sich nie: «Ich bin einer, der Konflikten eher aus dem Weg geht, ausserdem hatte ich Angst, dass mich die Höheren ins Visier nehmen, wenn ich mich zur Wehr setze.»

Zeuge Kostic, der für Dubrovs Penis-Spass herhalten musste, schied, nachdem er sich bei einem Truppen­arzt gemeldet hatte, wegen psychischer Probleme aus der Armee aus. Er möchte «das alles am liebsten hinter mich bringen». Ein weiterer Zeuge, Soldat Faruq, hat sich für den Prozess krankschreiben lassen.

Wird hier nur der Fall von Soldat Dubrov verhandelt? Oder sitzt zusammen mit Dubrov auch der Mann als solcher und sein speziell in der Armee mit allen Mitteln verteidigter Habitus auf der Anklagebank? Informelle Seilschaften, Männer­bünde, Rituale, Mutproben, Schweige­gelübde. Ein System, das auf Macht­ausübung, Unterdrückung und Rohheit beruht und Empathie, Unsicherheit und Empfindsam­keit als Schwäche geisselt.

Peter Bichsel hat einmal geschrieben, «die Armee kann keine Rücksicht nehmen auf Gefühle, sie ist unmenschlich, sie ist tödlich, sie nimmt einem die Väter und macht sie hart». 1989 war das, vor der Abstimmung über die Abschaffung der Armee. Dreissig Jahre später beteuern die Armee-Apologeten unermüdlich, die Zeit der Hamburgertaufen und der Kollektiv­strafen sei längst vorbei. Die Armee jetzt modern, divers, einer aufgeklärten, progressiven Gesellschaft würdig. Diversity-Programme, Gender-Perspektive, queere Offiziers­gesellschaften. Und wer nicht will, der muss nicht.

Aber beruht die Armee, zumindest für die, die sich nicht drücken können oder wollen, nicht noch immer auf dem gleichen Zwang wie einst? Hat man es nicht mit einem Apparat zu tun, der, wenn man ihn von allem Brimborium, dem antiquierten Kopfschmuck und den rassigen Youtube-Rekrutierungs­videos freilegt sowie das Schwadronieren von der Lebens­schule stumm stellt, den Zweck hat, Menschen zum Töten auszubilden?

Dubrov ist ein junger Mann, und seine Hände sind merkwürdig glatt für jemanden, der aus dem Stegreif aufzählen kann, welche Verletzungen er damit zufügen kann: Nasenbein­bruch, Jochbein­bruch, Kieferbruch, Augenschäden, Schäden am Gehirn. Aber vielleicht darf man sich an einem Gericht, an dem die Hälfte der Anwesenden Uniform trägt, nicht von Äusserlichkeiten täuschen lassen.

Die Fragen zu seiner Person und seinen Lebens­verhältnissen beantwortet der junge Mann mit knappen, harten Sätzen und einer nur scheinbar offensiven Ehrlichkeit. «War Ihre Lehre erfolgreich?» – «Nein.» – «Warum nicht?» – «Ich wurde aus der Bude geschmissen.» – «Warum?» – «Wegen unentschuldigten Absenzen.» – «Wir haben hier andere Informationen: eine Schlägerei und Handbruch.» – «Ja, das war ein Grund. Aber man kann es auch anders nennen.» – «Drogen?» – «Ja, Marihuana-Konsum, aber schon länger nicht mehr.» – «Im Polizei­bericht vom letzten Herbst gaben Sie an, zwei bis drei Gramm pro Woche zu konsumieren.» – «Ja, aber jetzt nicht mehr.»

Dubrov, der Wahrheits­schwurbler? Am Militär­strafprozess ist die Rede von Schlägereien, von Drogen- und Alkohol­konsum, von mehreren tausend Franken Schulden, von einem zweiwöchigen Gefängnis­aufenthalt, weil er Betreibungen nicht bezahlen konnte. Seine Handy­rechnung lässt er sich von der Freundin – «nichts Offizielles!» – bezahlen. Er glaubte, im Militär den idealen Ort gefunden zu haben, um Dampf abzulassen.

Und doch könnte man das Bild auch anders, nuancierter, zeichnen. Dubrov, der seinem kleinen Bruder bei den Haus­aufgaben hilft, der Mutter beim Kochen unter die Arme greift und sich oftmals allein durchs Leben kämpft.

Warum er, im Gegensatz zu Wullschleger und dem Zeugen Yildirim, ohne Unterstützung durch die Familie erschienen sei, fragt ihn Gerichts­präsident Bossart an diesem Vormittag irgendwann. Dubrov sagt nach kurzem Zögern: «Das ist meine Scheisse, dafür muss ich alleine geradestehen.»

Ein «klassisches Platzhirsch-Verhalten»

Nachdenken über Hierarchien, Hinter­sinnen der Macht­strukturen, das sehen die Anwesenden an diesem Dienstag am Kantons­gericht St. Gallen nicht als ihre Pflicht. Das Gericht beschränkt sich auf tadelnde Worte, und Walter Wagner, der Verteidiger Dubrovs, ortet das Problem im Aufeinander­prallen einer verweichlichten Generation mit einer Machokultur.

«Vor einem Tag wurde der Frauen­kampf­tag begangen, das Zeichen dieses Tages ist die Mimose», beginnt er sein Plädoyer. Nachschub­soldaten seien nun einmal keine Kombattanten. Sowieso habe man es hier mit einer speziellen Kompanie zu tun, einer, in der Gewalt­tätigkeiten und Drohungen an der Tages­ordnung seien, in der Penisse gezeigt werden – «ein klassisches Platzhirsch-Verhalten halt».

Und man müsse sich auch den kulturellen Hintergrund vor Augen halten: «Soldat Wullschleger war der einzige ohne Migrations­hintergrund. Wir alle hier kennen diese Kultur des ‹eins gegen eins› nicht.» Sein Mandant sei von allen Vorwürfen freizusprechen und einzig wegen der Faustschläge gegen Soldat Wullschleger und des Schrauben­griffs an Soldat Yildirim und zusammen mit den zwei Strafbefehlen zu einer kombinierten bedingten Gesamtstrafe von 150 Tages­sätzen à 30 Franken zu verurteilen.

Dieser Ausflug in kultur­relativistische Gefilde bleibt am Gericht unwidersprochen. Nur auf der Zuschauer­tribüne sieht man den Vater von Wullschleger heftig den Kopf schütteln. Nachdem sich die Richter zur geheimen Urteils­beratung zurückgezogen haben, enerviert er sich im Foyer weiter: «Das mit dem kulturellen Hintergrund ist ein völliger Blödsinn, wer in der Armee ist, ist Schweizer. Da spielt es keine Rolle, ob er einen Migrations­hintergrund hat oder nicht!»

Nach einer eineinhalb­stündigen Beratung verkündet der Gerichts­präsident das Urteil: 6 Monate Freiheits­strafe bedingt, eine bedingte Geldstrafe von 70 Tages­sätzen à 30 Franken und eine Busse von 400 Franken. Mit den Faust­schlägen gegen das Gesicht habe der ausgebildete Boxer eine schwere Verletzung von Wullschleger in Kauf genommen. Von den Vorwürfen der sexuellen Belästigung und der Tätlichkeiten wird Dubrov freigesprochen.

Aus der Armee wird Dubrov ausgeschlossen. «Das Verhalten, das Sie an den Tag gelegt haben, hat nichts zu suchen in der Armee, das ist Unfug», sagt Oberst­leutnant Armin Bossart. «Im Militär ist die Kameradschaft das A und O.» Dubrov nickt während der Urteils­ausführung ergebenst. Auch wenn er an diesem Morgen noch beteuert hat, er möchte unbedingt im Militär weitermachen, scheint er nicht übermässig getroffen vom Verdikt.

Es bleibt der Eindruck, dass man es hier mit einer Win-win-Situation zu tun hat: Der Organismus Militär hat sich einer unangenehmen, weil unkontrollierbaren Zelle entledigt, Dubrov muss sich nicht länger mit humorlosen und feinfühligen Kameraden herumschlagen.

In seinem Schlusswort entschuldigt sich Dubrov etwas halbherzig bei Wullschleger. Es tue ihm leid, was dem Herrn Wullschleger passiert ist. «Ich habe nicht vor, so etwas nochmals zu machen.»

Gerichtspräsident Bossart entlässt Dubrov mit einem Zitat des ehemaligen Profiboxers Mike Tyson: «Disziplin heisst, die Dinge, die man hasst, mit der gleichen Leidenschaft anzugehen wie die Dinge, die man liebt.» Ob Tyson, der wegen Vergewaltigung drei Jahre im Gefängnis sass, einem Gegner im Ring ein Stück des Ohrs abbiss und einem anderen den Arm brechen wollte, das richtige Vorbild ist, um das Leben des 21-Jährigen wieder auf die Spur zu bringen, sei dahingestellt.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Illustration: Till Lauer

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