Covid-19-Uhr-Newsletter

Winter is coming

13.01.2021

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Liebe Leserinnen und Leser

Heute hat der Bundesrat in der unterdessen bald ein Jahr dauernden Corona-Geschichte den Faden wiedergefunden.

Mittwochmorgen in Bern. Ein holzvertäfertes Zimmer, Parkettboden, goldener Kronleuchter, Ledersessel, Bücherwand. Im Oval, alle auf Abstand, alle maskiert, sitzen die Bundesrätinnen. In der Mitte, ein bisschen verloren, steht ein Blumenstrauss. Es ist die erste reguläre Sitzung im neuen Jahr.

Traktandiert sind zwei Fragen:

  • Verlängern wir die Corona-Massnahmen, die wir vor Weihnachten beschlossen haben, bis in den Februar?

  • Gehen wir noch mal deutlich weiter? Machen wir die meisten Läden zu? Verpflichten wir die Firmen dazu, wen auch immer sie können zurück ins Homeoffice zu schicken? Muss die Schweiz in den zweiten Shutdown?

Frage Nummer eins – Bundesratssitzungen sind geheim – dürfte unbestritten gewesen sein. Die Massnahmen werden bis Ende Februar verlängert. Immer noch sind zu viele Menschen im Spital, immer noch stecken sich jeden Tag etwa 3000 Menschen an. Immer noch: zu viel Virus im Land, um zu lockern.

Bei Punkt Nummer zwei dürften die Gespräche länger gedauert haben.

Tatsächlich hat sich nämlich die Lage seit Jahresbeginn eigentlich ganz leicht entspannt. Der Worst Case, dass sich über die Festtage im kleinen Kreis ganz viele Menschen anstecken würden, der ist ausgeblieben. Und gerade eben wurde der zweite Impfstoff zugelassen, die Kampagne kommt in die Gänge. Nur: Da ist eben auch die Virusmutation aus Grossbritannien. Sie ist deutlich ansteckender, sie ist seit Wochen in der Schweiz – und aktuell verdoppelt sich die Zahl der Nachweise Woche für Woche.

In Irland und Grossbritannien sehen wir gerade, was diese Mutation anrichten kann. Eine Fallkurve, die praktisch senkrecht gen Himmel schiesst. Und das, obwohl in beiden Ländern schon länger strenge Massnahmen gelten.

Der Bundesrat hat heute – wahrscheinlich zum ersten Mal seit dem ersten Shutdown im März – proaktiv und entschieden gehandelt. Er hat nicht nur die Lage verwaltet, die gerade besteht. Er versucht stattdessen zu verhindern, was bald sein könnte. Statt einen Kompromiss auszuhandeln, hat er alle Anträge von Gesundheitsminister Berset angenommen. Und offenbar ziehen jetzt auch die Kantone mit.

Jetzt sei es noch möglich, die kommende dritte Welle abzuschwächen, sagte Berset. Trotzdem befürchtet er, dass sie die bisher stärkste wird. Die Frage sei nicht mehr gewesen, ob man etwas tun müsse, sagte Alain Berset. Es ging nur noch um das Wann.

Ab Montag, also dem 18. Januar, gilt:

  • Sie werden wie im Frühling nur noch das Nötigste einkaufen gehen können: Lebensmittel, Haushaltsbedarf, Medikamente. Anders als im vergangenen Frühling aber auch noch Blumen und Baumarktartikel. Dafür dürfen Läden wieder nach 19 Uhr offen bleiben – und der Sonntagsverkauf ist wieder erlaubt.

  • Alles, was jetzt schon zu ist, bleibt es auch bis mindestens Ende Februar: also Restaurants, Freizeitbetriebe, Kultur und Sportanlagen. Anders als im Frühling dürfen aber Coiffeure, Tattoostudios und dergleichen offen bleiben.

  • Unternehmen müssen jetzt alle Angestellten ins Homeoffice schicken, die sie können. Konkret gilt die Pflicht: «Wo dies aufgrund der Art der Aktivität möglich und mit verhältnismässigem Aufwand umsetzbar ist.» In allen Innenräumen gilt Maskenpflicht ab 2 Personen, auch in Autos.

  • Privat dürfen sich draussen wie drinnen noch 5 Personen treffen, Kinder mit eingerechnet.

  • Betroffene Unternehmen kommen nun einfacher an Geld. Restaurants, Fitnesscenter und Läden – sie alle gelten jetzt quasi automatisch als Härtefälle. Das heisst: Sie müssen nicht mehr nachweisen, dass sie wegen der Massnahmen Geld verloren haben – wenn sie seit 1. November 40 Kalendertage geschlossen bleiben mussten. Die Details finden Sie hier auf dieser Website des Bundes.

  • Die Schulen und Krippen bleiben vorerst offen. Der Präsenzunterricht geht also weiter. Für die Unis und Hochschulen ändert nichts, hier gilt der Fernunterricht.

Es wird ein harter Winter werden, das wussten wir, seit wir den Covid-19-Uhr-Newsletter im Oktober wieder aufgestartet haben. Und es wird ein hellerer Frühling folgen, davon sind wir immer noch überzeugt.

Passen Sie auf sich auf.

Und nun:

Weitere wichtige Nachrichten des Tages

Die Einreise nach Deutschland wird schwieriger. Künftig gilt die Testpflicht nicht nur bei der Einreise aus Ländern mit hohen Infektionszahlen, sondern auch für Länder, in denen neuartige Virusmutationen aufgetaucht sind. Weiterhin bleiben die Quarantäneregeln nach der Ankunft bestehen. Verstösse werden mit Bussen geahndet. Das Kabinett billigte gemäss Regierungskreisen den Verordnungsentwurf des Gesundheitsministeriums.

Im Kanton Zürich werden ab nächster Woche auch Hausärzte impfen können. Mit der erwarteten Zulassung des Impfstoffs von Moderna würden die Möglichkeiten erweitert, so die kantonalen Behörden in einer Medienmitteilung. Der Impfstoff von Moderna sei einfacher zu handhaben und aufzubewahren. Die Hausärzte werden ihre Kontingente selbstständig an ihre Risikopatientinnen abgeben. Welche Praxen den Impfstoff bekommen werden, wählt die Gesundheitsdirektion zusammen mit der Ärztegesellschaft des Kantons aus.

Der Wintersportort Wengen ist ein Corona-Hotspot. Allein 28 Ansteckungen gab es über den Jahreswechsel in einem einzigen Hotel, vermutlich via einen britischen Gast. Im weiteren Verlauf sei es zu vielen Übertragungen auch mit der mutierten Version des Virus gekommen, so der Kanton Bern. Am Montag war deswegen das Lauberhornrennen abgesagt worden. Die Schulen bleiben geschlossen. Der Kanton will die Testkapazitäten erhöhen und ruft dazu auf, sich auch symptomlos testen zu lassen – und wenn Gäste den Ort verlassen. Die Ansteckungsketten seien noch nicht unterbrochen, schreibt die Gesundheitsdirektion des Kantons Bern. Laufend kämen neue Fälle hinzu.

Österreich schliesst 45 kleinere Grenzübergänge zu Tschechien und zur Slowakei. An diesen werde der Grenzverkehr gänzlich eingestellt, so die Verordnung des Innenministeriums. Aufgrund der hohen Infektionszahlen in den beiden Nachbarländern kontrolliert Österreich bereits seit Samstag die Grenzen.

Und zum Schluss: Nach all den Nachrichten – ein Ausflug nach Sardinien

Kennen Sie Alghero? Eine wunderhübsche mittelalterliche Stadt auf Sardinien. Das Meer leuchtet in den schönsten Türkistönen vor den Stadtmauern. Die Gässchen winden sich zwischen den Häuserzeilen hindurch, und im Hafen schaukeln die Boote vor sich hin.

Ein Teil der Bewohnerinnen der Stadt – auch L’Alguer genannt – spricht einen katalanischen Dialekt, ein Hinweis auf die reiche Geschichte des Ortes. Doch die Stadt hat auch ihre dunklen Zeiten erlebt: Sie war im Jahr 1582 das, was man heutzutage einen Hotspot nennen würde – das Epizentrum einer furchtbaren Pestwelle. Alghero hatte eine denkbar schlechte Ausgangslage: eine armselige sanitäre Infrastruktur und schlecht ausgebildetes medizinisches Personal.

Doch obschon die Pest in Alghero viele Menschenleben kostete, dehnte sie sich nicht ins Umland aus, sie konnte in der Stadt innert acht Monaten in den Griff gebracht werden. Und das dank Quinto Tiberio Angelerio. Der Arzt hatte einige Jahre zuvor die Pestwelle auf Sizilien erlebt – und wusste sogleich, was zu tun war, als er in Alghero die ersten Menschen mit Symptomen sah.

Es folgte: ein Ränkespiel mit der lokalen Politik. Angelerio wollte zunächst die Patienten in Quarantäne schicken – doch lokale Entscheidungsträger waren dagegen. Apokalyptische Visionen seien seine Bedenken. Angelerio war verzweifelt. So nahm er seinen Mut zusammen, und er wandte sich an den Vizekönig (Sardinien stand damals unter der spanischen Krone) – und dieser gab ihm die Erlaubnis, seinen Plan umzusetzen. Die Stadt umgab sich mit einem dreifachen Cordon sanitaire und verbot den Handel mit der Aussenwelt.

Und nun kommt der Clou der Geschichte: Die Massnahmen waren zu Beginn äusserst unbeliebt – und manche Stadtbewohner wollten Angelerio gar lynchen. Als jedoch mehr und mehr Menschen starben, wurde er quasi mit der Projektleitung der Pandemiebekämpfung betraut.

Was tat die Stadt? Die Mittel sind den heutigen erstaunlich ähnlich: Es gab Lockdowns und physical distancing, Lebensmittel wurden vor dem Verzehr gewaschen, eine Art «Gesundheitsausweis» für Reisende sowie streng umgesetzte Quarantänebestimmungen. Warum wir das heute wissen? Angelerio schrieb die umfassende Anleitung mit 57 Massnahmen im Detail nieder – in einem Büchlein namens Ectypa Pestilentis Status Algheriae Sardiniae. (Mehr lesen Sie drüben bei der BBC im schönen und spannenden historischen Lesestück.)

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Oliver Fuchs und Marguerite Meyer

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

PPS: Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Newsletter mit Freundinnen und Bekannten teilten. Er ist ein kostenloses Angebot der Republik.

PPPS: Macht euch die Erde untertan! So lautet das göttliche Gebot. Und so orientierten sich Aufklärung, Industrialisierung und Kolonialismus an diesem Glauben. In der SRF-Sendung «Sternstunde Philosophie» geht Historiker und Philosoph Philipp Blom der Frage nach: Brauchen wir ein neues Lebensmodell für die Zukunft? Wir Menschen – so Bestsellerautor Blom – stehen nicht über der Natur, sondern sind ein abhängiger und verletzlicher Teil von ihr. Vielleicht zeigt das die aktuelle Pandemie schmerzlicher, aber auch klarer denn je. Und warum das, was gerade passiert, gar nicht so aussergewöhnlich ist: «Menschen lernen nicht aus der Geschichte, aber sie reagieren auf Traumata», so Blom. Wir finden diese Sendung anregend!

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