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Die Qualitäne

29.12.2020

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Liebe Leserinnen und Leser

Am Wochenende liess sich einmal mehr ganz gut beobachten, wie in der Eidgenossenschaft die Verantwortlichkeiten für die Pandemiemassnahmen verteilt sind: nämlich so, dass am Ende niemand richtig schuld ist, wenn es eine Panne gibt. Über Nacht sind in Verbier Hunderte britische Skigäste aus ihrer verordneten Quarantäne verschwunden. Im Dorf fühlt man sich alleingelassen. Der Walliser Regierungsrat kritisiert das BAG. Und der Bundesrat verweist auf den Kanton.

Geht das auch anders mit der Quarantäne? Ja. Die Autorin und Journalistin Katharin Tai hat im Mai in der Republik aufgezeigt, wie das gehen kann, am Beispiel von Südkorea, Taiwan und China. Fazit: «Dazu braucht es Strategien, die in der Schweiz noch nicht einmal diskutiert werden.» Unterdessen hat sie selber erlebt, wie Taiwan mit Menschen umgeht, die ins Land einreisen. Hier ist ihr Erfahrungsbericht.

«Wer schon fast vergessen hat, wie es ist, in einer Welt ohne Covid-19 zu leben, kann in viele Länder der Welt ausserhalb Europas schauen – eines davon ist Taiwan. Der Inselstaat hatte seit April mehr als 250 Tage lang keinen einzigen lokal übertragenen Fall von Covid-19 verzeichnet. Kurz vor Weihnachten gab es den ersten Fall seit Monaten, nachdem ein Pilot kurz nach seiner Rückkehr eine Freundin angesteckt hatte, doch die Seuchenbekämpfungsbehörde kümmerte sich sofort darum und konnte bisher einen neuen Ausbruch verhindern.

Das Leben im Land geht weitgehend seinen normalen Lauf.

Ein Grund für diesen Erfolg ist eine strikte Regelung an den Grenzen: Seit März müssen alle Einreisenden in eine zweiwöchige Quarantäne, bevor sie sich durch den Rest des Landes bewegen dürfen. Nachdem Taiwan mehrere kleine Ausbrüche des Coronavirus im Frühjahr durch effiziente Kontaktverfolgung ganz ohne Lockdown schnell unter Kontrolle gebracht hat, gilt es jetzt, zu verhindern, dass das Virus aus dem Ausland zurück nach Taiwan kommt. Denn für Taiwan ist die ganze Welt ein einziges grosses Hochrisikogebiet – auch Deutschland, von wo aus ich Ende November eingereist bin.

Schon bei der Einreise in Taiwan habe ich schnell das Gefühl, dass das Coronavirus hier deutlich ernster genommen wird als in Europa. Bevor ich überhaupt zur Passkontrolle darf, muss ich das digitale Einreisesystem des Gesundheitsministeriums ausfüllen: Woher ich komme, wo ich meine zweiwöchige Quarantäne verbringe, was meine taiwanische Telefonnummer ist.

Wer keine taiwanische Nummer hat, kann sich an extra dafür aufgebauten Ständen der verschiedenen Mobilfunkanbieter eine SIM-Karte für die zweiwöchige Quarantäne holen. Für das Ausfüllen des Formulars gibt es eine separate Station, bei der Flughafenangestellte in Maske, Schutzbrille und Handschuhen freundlich in mindestens drei verschiedenen Sprachen alle Fragen der Ankommenden aus aller Welt beantworten. Alle Personen, die hier ankommen, müssen vor ihrer Abreise ausserdem einen negativen Covid-19-Test aus den 72 Stunden vor ihrem Abflug vorzeigen. Das befreit allerdings niemanden von der Quarantänepflicht.

Mein Eintrag ins System wird noch zweimal überprüft, bevor sich überhaupt jemand mein Visum anschaut, dann darf ich in einem speziell gekennzeichneten Taxi zu meinem Quarantänehotel in der Innenstadt von Taipeh fahren. Durchs Fenster kann ich aus dem Taxi das ganz normale Leben auf den Strassen der Stadt sehen, das sich kaum von der Zeit vor der Pandemie unterscheidet.

Bevor ich daran teilhaben darf, muss ich allerdings in Quarantäne. Und zwar so richtig: Die ersten 14 vollen Tage nach meiner Einreise verbringe ich in einem Hotelzimmer, das ganze 17 Quadratmeter misst. Das Fenster kann ich nicht öffnen, auch für Spaziergänge kann ich nicht raus. Dreimal am Tag hängt mir eine Hotelangestellte meine Mahlzeiten aussen an einen Haken an meiner Tür, die ich dann kurz öffne, um mir warme Nudelsuppe, gedämpfte Teigtaschen oder gefüllte Reisrollen mit grünem Tee zu holen. Der letzte menschliche Kontakt vor diesen zwei Wochen war der Hotelangestellte in voller Schutzmontur, der mich eingecheckt hat, nachdem er meine Hände, Füsse, mein Gepäck und das Taxi gründlich desinfiziert hatte.

Die Tage in der Quarantäne sind alle gleich: dreimal essen, zweimal Fieber messen, einmal die SMS der Seuchenbekämpfungsbehörde beantworten und bestätigen, dass ich keine Covid-19-Symptome habe, dazwischen arbeiten. 17 Quadratmeter sind nicht viel.

Aber die Aussicht, danach wieder ohne Angst um andere oder mich selbst mit Freunden Bier trinken und sogar feiern gehen zu können, die hat mir geholfen.»

Und damit zurück nach Europa.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Weitere Skigebiete öffnen: Schneesport ist ab morgen, 30. Dezember, in Appenzell Innerrhoden und Glarus erlaubt. Die jeweiligen Kantone haben den Sportbahnen eine Betriebsbewilligung erteilt – die epidemiologische Lage sowie die Spitalkapazitäten würden dies erlauben. Auch Uri, Ob- und Nidwalden öffnen die Pisten am Mittwoch. Es gelten jedoch Kapazitätsbeschränkungen. In Luzern und Schwyz sollen die Bahnen frühestens am 8. Januar öffnen, die jeweiligen Kantone erteilten keine Bewilligung über Silvester. (Wir bleiben bei der Empfehlung: Überlegen Sie sich bitte gut, ob es im Moment wirklich sein muss.)

Das Unispital Zürich kriegt eigene Impfstation: Ab 5. Januar können sich besonders gefährdete Patienten und Patientinnen am Universitätsspital impfen lassen. Bei freien Kapazitäten wird die Station dann aber auch Risikopersonen impfen, die nicht in einer Spitalbehandlung sind.

Italiens Tourismus am Boden: Knapp 69 Prozent weniger ausländische Touristen im zu Ende gehenden Jahr – einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren unseres südlichen Nachbarn ist am Tiefpunkt angelangt. Besonders in den Städten ist es leer.

Und zum Schluss: Mutationen in der Schweiz

Er trat sichtlich müde vor die Medien. Patrick Mathys, Leiter der Sektion Krisenbewältigung beim BAG, erinnerte sich heute an den Tag vor einem Jahr, als er erstmals vom neuen Coronavirus gehört habe. Damals hat China die WHO über die Existenz eines neuen Virus informiert. Und der Experte des Bundes widersprach Bundesrat Berset, der gestern angesichts der Zahlen Zuversicht verbreitete. «Es ist kein Grund für Optimismus. Wir sind auf einem ähnlich hohen Niveau wie vor Weihnachten», stellte Mathys klar. Sorgen bereiten den Experten des Bundes die zwei neuen Virus-Mutationen aus England und Südafrika. Sie sind in der Schweiz bei sieben Patienten nachgewiesen worden. Auch deshalb appelliert der Leiter der wissenschaftlichen Taskforce, Martin Ackermann, an die Bevölkerung: «Wir bleiben bei der dringenden Empfehlung, eine Halbierung alle zwei Wochen anzustreben und alles dafür zu tun, dass dieses Ziel erreicht wird.» Man gehe derzeit davon aus, dass die neuen Varianten 40 bis 70 Prozent ansteckender sind. Es sei auch darum jetzt wirklich nicht angebracht, sich an Silvester mit Küsschen zu überhäufen, sagte Mathys. Zudem brauche es einen Extra-Effort, fordert die wissenschaftliche Taskforce: Die Varianten müssten gezielt eingedämmt werden. Etwa durch zusätzliches Testen in Gebieten, wo sie vermutet werden.

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Katharin Tai und Cinzia Venafro

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

PPS: Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Newsletter mit Freundinnen und Bekannten teilten. Er ist ein kostenloses Angebot der Republik.

PPPS: Es gibt ja verschiedenste Krisengewinnerinnen. Die sympathischste Gattung dieser Art sind Pechvögel, die in diesem Jahr von der Vogelwarte Sempach gerettet wurden. Rund 1700 verletzte, geschwächte oder verwaiste Vögel hat die Tierrettungsstation in der Luzerner Gemeinde aufgenommen und gepflegt. So viele wie noch nie! Die Menschen hätten sich besonders im Frühjahr während des ersten Lockdowns vermehrt mit den gefiederten Freunden beschäftigt – und so wurden mehr Tiere gerettet, heisst es bei der Vogelwarte. Auch das Informationstelefon lief heiss. So fanden vor allem Jungvögel und Haussperlinge, Amsel, Mauersegler und viele mehr Hilfe bei den Vogelexperten.

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