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Die andere Welle

26.11.2020

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Liebe Leserinnen und Leser

Seit Beginn der Corona-Pandemie sehen sich viele Menschen mit erhöhtem Stressempfinden oder psychischen Schwierigkeiten konfrontiert. Das zeigt auch ein Bericht des Bundes zur psychischen Gesundheit der Schweizer Bevölkerung.

Wohin wendet man sich, wenn man psychisch nicht mehr weiterweiss? Republik-Journalistin Cinzia Venafro hat sich bei einer Beratung umgehört, die nun alle Hände beziehungsweise Ohren voll zu tun hat.

«Er liegt nur noch im Bett», sagt die Frau weinend am Telefon. «Jetzt waren seine Depressionen doch endlich besser geworden. Doch diese Pandemie zerstört seine Psyche. Er hat nur noch Angst. Ich weiss nicht mehr, wohin mit ihm.»

Sie hat die Beratungsnummer der Stiftung Pro Mente Sana gewählt. Seit Corona klingelt das Telefon unaufhörlich – an sechs Stunden pro Tag hören acht Festangestellte und ein Pool an Aushilfen verzweifelten Menschen zu.

Verzweifelt ist auch die 72-Jährige, die regelmässig die Nummer der Stiftung wählt. Ihr Mann ist an Corona gestorben, sie ist gehbehindert und fürchtet sich jetzt vor jedem Mitmenschen, der ihr zu nahe kommt. Als sie endlich die Kraft findet – wie vor Corona –, für einen Kulturanlass das Haus zu verlassen, erwartet sie ein Taxifahrer ohne Maske. Der Mann ist Corona-Leugner und sagt ihr ins Gesicht, die Pandemie sei eine Lüge. Ihre Angst: grundlos. Ihre Verzweiflung: bilde sie sich nur ein.

«So werden Menschen mit psychischen Problemen in dieser Pandemie doppelt und dreifach ausgegrenzt und stigmatisiert», sagt Sozialarbeiterin Bianca Indino. «Ihre schon vorhandenen Ängste werden durch reale Bedrohungen geschürt und verstärkt.» Und wenn dann noch jemand komme, der diese Ängste als lächerlich abtue, «brechen geschwächte Menschen erst recht zusammen».

Die 42-Jährige mit einem ungebrochenen Willen, den Schwächeren beizustehen, appelliert darum jetzt an alle: «Nur überleben allein reicht nicht. Die Menschen müssen auch erfahren, dass sie nicht alleingelassen werden.» Ein Drittel häufiger als noch vor Corona suchen die Menschen Rat bei Indino und ihren Kollegen. Jetzt klagt die Ostschweizerin an: «In der ersten Welle haben die Behörden die Psyche der Menschen vergessen. Man dachte, Hauptsache, sie überleben. Jetzt wissen wir, wie verheerend das war. Das dürfen wir jetzt auf keinen Fall wiederholen.»

Und so helfen Indino und ihre Kollegen nicht nur am Telefon, sondern schliessen täglich die Eingangstür des sozialen Treffpunkts «Nordliecht» in Zürich-Wipkingen für Menschen mit psychischen Problemen auf. Hier hilft man mit dem sogenannten «Recovery»-Ansatz. «Wir begegnen den Menschen, egal, was für eine Verletzbarkeit sie auch mitbringen, auf Augenhöhe. Wir respektieren ihre Autonomie und nehmen ihnen keine Verantwortlichkeiten ab», sagt Indino.

An diesem Mittwochabend, als die Republik dem «Nordliecht» einen Besuch abstattet, ist jeder Tisch besetzt. Immer um 17.30 Uhr gibts Znacht, heute sitzen rund zehn Männer, jeder für sich und doch nicht allein, über einem Teller Hacktätschli mit Bratensauce. Mehr Gäste dürfen wegen des Schutzkonzepts nicht gleichzeitig im «Nordliecht» sein.

«Zu uns kommen Menschen, die im Frühjahr sechs Wochen lang das Haus nicht verlassen haben, nur noch Fertiggerichte assen und 15 Kilo zunahmen. Alles auch, weil unser Treff am Anfang der Pandemie fast geschlossen war und es keine Mahlzeiten gab», erzählt Indino. «Vor Corona waren diese Menschen stabil, jetzt müssen wir alles tun, damit sie sich wieder fangen.»

Darum hat Pro Mente Sana ihren Zürcher Treffpunkt mitten im Lockdown ausgebaut: Neu täglich von 9 bis 21 Uhr können Menschen, die psychisch belastet sind, Zugehörigkeit und Verständnis erfahren, sich gegenseitig stärken und unkompliziert fachliche Unterstützung erhalten. Die Menschen, die Bianca Indino begleitet, seien traumatisiert vom Frühjahr. «Einsamkeit und Isolation führen zu einer unaufhaltsamen Abwärtsspirale. Man soll ja so wenig Leute wie möglich treffen – gleichzeitig ist die Angst, überhaupt rauszugehen, ein eindeutiges Symptom. So kommen die Menschen ins Dilemma. Und wenn sie keine Anlaufpunkte haben, ziehen sie sich noch mehr zurück.»

Was also tun, wenn einem alles zu viel wird?

«Uns anrufen. Versuchen, wenigstens einmal pro Tag rauszugehen. Und wenn möglich nicht ständig die Corona-Zahlen verfolgen», rät Indino. Auch bisher psychisch gesunde Menschen suchen Rat bei Pro Mente Sana. Schlafstörungen, häusliche Gewalt, Niedergeschlagenheit, soziale Phobie, Konzentrationsstörungen: Die Pandemie bedroht nicht nur die Psyche bereits geschwächter Menschen.

Im «Nordliecht» hofft man nun inständig, dass die Schweiz ohne zweiten Lockdown durch diese Welle kommt. «Jetzt aber können wir vieles besser machen als bei der ersten Welle», sagt Indino. «Wir strecken die Hand aus und sagen: Wir sind hier. Egal, was passiert. Egal, wie schlimm Corona noch wird. Wir helfen und hören zu.»

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Am Flughafen Zürich sind nun auch Schnelltests für Passagierinnen verfügbar. Neu können Reisende, die ein negatives Resultat für ihr Zielland brauchen, dieses innert einer Viertelstunde erhalten. Die nasalen Abstriche werden im ehemaligen Ausweisbüro im Check-in 2 gemacht. Wer sich testen lassen will, muss sich telefonisch anmelden. Zudem sollten sich Reisende erkundigen, ob das Zielland einen Schnelltest akzeptiert oder ob es einen PCR-Test braucht.

Deutschland will erreichen, dass der Skitourismus europaweit bis zum 10. Januar unterbunden wird. Ihre eigene Wintersportsaison wollen auch Frankreich und Italien limitieren oder verschieben. Österreich stellt sich dagegen, bisher sieht es auch in der Schweiz nicht nach einer Verschiebung aus.

Frankreich bereitet sich auf etappenweise Lockerungen vor. Zudem wurden den Bewohnerinnen des Landes weitere finanzielle Hilfen zugesagt. Es sei jedoch zu früh, von einem Ende des Lockdowns zu sprechen, sagte Premier Jean Castex, das Winterwetter und die Feiertage seien zwei Hauptrisikofaktoren. Seit Oktober gelten im Land strenge Ausgangsbeschränkungen, die am 15. Dezember durch nächtliche Ausgangssperren ersetzt werden sollen. Frankreich verzeichnete Anfang Monat rund 45’000 neue Fälle pro Tag, zurzeit liegt die Zahl bei rund 17’000.

Zwischen Atlanta (USA) und Rom (I) sollen künftig Flüge angeboten werden, bei denen Passagiere mehrfach getestet werden. Damit sollen sie auf die Quarantäne nach der Ankunft verzichten können, so die US-Fluggesellschaft Delta. Ab dem 19. Dezember soll das neue System für die Transatlantikflüge erprobt werden.

Südkorea erlebt derzeit die dritte Welle von Sars-CoV-2. Erstmals seit mehr als acht Monaten ist die Zahl der erfassten Neuinfektionen um mehr als 500 pro Tag gestiegen, die meisten davon im Grossraum der Hauptstadt Seoul. Bisher wurden etwas über 500 Todesopfer in dem Land mit 52 Millionen Einwohnerinnen gemeldet.

Und zum Schluss: Wann ist ein Fall ein Härtefall?

Gestern hatten wir hier berichtet, dass der Bundesrat die sogenannte Härtefallverordnung angepasst habe.

Doch wann gilt eine Firma eigentlich als Härtefall? Bundesbern-Deutsch ist ja nicht immer ganz einfach. Wir versuchen es aufzudröseln.

Grundsätzlich gilt: Wenn eine Firma dieses Jahr als Folge der Corona-Pandemie weniger als 60 Prozent Umsatz als sonst (also im Durchschnitt der vergangenen Jahre) macht, ist sie ein möglicher Härtefall. Dies besagt das Covid-19-Gesetz unter Artikel 12.

Doch Obacht: Damit ein Unternehmen Härtefallbeiträge beantragen kann, muss es vor Corona mindestens 100’000 Franken Umsatz erwirtschaftet haben. Mit dieser Untergrenze soll laut Bundesrat verhindert werden, dass die kantonalen Administrationen mit Anträgen von Kleinstunternehmen überflutet werden. (Ab 100’000 Franken Umsatz ist auch grundsätzlich ein Eintrag im Handelsregister obligatorisch.)

Wir wären natürlich nicht in der Schweiz, wenn es auch hier nicht kantonale Unterschiede gäbe. Es gelten unterschiedliche Unterstützungen je nach Kanton (auch wenn sich alle Kantone nach der Härtefallregelung des Bundes richten müssen). Die Kolleginnen von SRF haben sich die Mühe gemacht und aufgedröselt, was in jedem (Deutschschweizer) Kanton gilt.

Bleiben Sie umsichtig. Bleiben Sie freundlich. Und bleiben Sie gesund.

Marguerite Meyer und Cinzia Venafro

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

PPS: Wir würden uns freuen, wenn Sie diesen Newsletter mit Freundinnen und Bekannten teilten. Er ist ein kostenloses Angebot der Republik.

PPPS: Vorgestern haben wir Ihnen ein Update zur Lage in Schweden gegeben. Wir haben geschrieben, dass es sehr selten sei, dass «sich der Präsident mit einer Ansprache an die Bevölkerung wendet». Stellt sich raus: Das hat der schwedische Präsident noch gar nie getan. Und zwar deshalb, weil es das Amt nicht gibt. Schweden hat nur einen Ministerpräsidenten. Wir bitten um Verzeihung.

Rund 27’000 Menschen machen die Republik heute schon möglich. Lernen Sie uns jetzt auch kennen – 21 Tage lang, kostenlos und unverbindlich: