«Das einzige Ziel eines Konservativen muss die Abwahl von Donald Trump sein»

Stuart Stevens war in der Republikanischen Partei der Mann fürs Grobe, fast vierzig Jahre lang. Zweimal hat er George W. Bush zur Wahl verholfen. Jetzt kämpft er für Joe Biden. Wieso?

Ein Interview von Elia Blülle, 08.10.2020

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Der Republikaner, der nun mit aller Kraft für den Demokraten Joe Biden kämpft: Stuart Stevens. Gregg Segal

Stuart Stevens galt als einer der erfolgreichsten Top-Strategen der Republikanischen Partei. Er war Mitt Romneys wichtigster Berater, als dieser 2012 Präsident werden wollte. Doch das ist alles vorbei. Heute unterstützt er den demokratischen Präsidentschafts­kandidaten Joe Biden und ist Teil des Lincoln Project, einer Gruppe von Republikanern, die Donald Trump ablehnen und seine Wieder­wahl mit aggressiver Negativ­werbung verhindern wollen. Die Republik hat kurz nach der ersten TV-Debatte zwischen Trump und Biden mit Stevens gesprochen.

Herr Stevens, in der ersten US-Präsidentschafts-Debatte sagte Donald Trump, dass er eine knappe Wahl von Joe Biden nicht akzeptieren würde. Wie gefährlich ist das für die amerikanische Demokratie?
Seit dem Sezessionskrieg war unsere Demokratie nie mehr so in Gefahr wie in diesen Wochen. Dass Donald Trump die Legitimität der Wahlen infrage stellt, ist grässlich; es erinnert mich an die Methoden von Wladimir Putin oder der früheren Sowjet­union. Und das Schlimmste ist: Wir können in einem Streitfall auch nicht auf die Vernunft der Republikanischen Partei hoffen. Wenn das Resultat so knapp werden sollte wie im Jahr 2000, als George W. Bush mit wenigen Stimmen Vorsprung gegen Al Gore gewann, wird sich die Partei hinter Trump stellen. Wir können nicht darauf vertrauen, dass die Republikaner im Krisenfall die Demokratie hochhalten. Das macht mich traurig.

Sie haben nach der Wahl von Trump mit der Partei gebrochen. In Ihrem neuesten Buch schreiben Sie, es sei ein komisches Gefühl, 65 Jahre alt zu werden und zu realisieren, dass ein grosser Teil Ihrer Arbeit bedeutungslos gewesen sei.
Ich arbeitete über drei Jahrzehnte für die Republikaner. Dann aber wurde Trump Präsident, und fast alle stellten sich hinter ihn. Stattdessen hätte dasselbe passieren sollen wie 2017 in Frankreich: Obwohl viele Emmanuel Macron hassten, unterstützten sie ihn gegen die rechts­extreme Marine Le Pen. Aber das ist in den USA nicht passiert. Und dann fragte ich mich: Wie kommt es, dass Menschen ihre fundamentalsten Werte innert so kurzer Zeit verraten?

Ihre Antwort?
Diese Werte waren gar nie da. Das Einzige, wofür sich diese Leute interessieren, ist Macht – und diese Macht hat Trump ihnen gegeben.

Was für eine Person ist Donald Trump?
Ein Narzisst. Ein gestörter Mensch. Ich hätte 2016 nie gedacht, dass ein gescheiterter Casino-Besitzer, der öffentlich anzügliche Bemerkungen über seine Tochter macht, von der Republikanischen Partei nominiert würde; geschweige denn, dass er die Wahlen gewinnen könnte. Ich habe damals auch mit keinem einzigen gewählten republikanischen Amtsträger gesprochen, der Trump für qualifiziert genug hielt, um die Präsidentschaft zu übernehmen.

Es gibt den Spruch, dass sich alles, was Trump anfasst, automatisch in Scheisse verwandelt. Wo liegen die grössten Scheiss­haufen seiner bisherigen Präsidentschaft?
Trump hat Rassismus und Nationalismus legitimiert. Er macht die Menschen nicht rassistischer, aber er macht es akzeptabler, rassistisch zu sein. In einem Land mit unserer Geschichte ist das gefährlich. Ausserdem hat Trump den Konservatismus zerstört, ihm seine Bedeutung geraubt – und dem Land seine Führungs­rolle in der Welt genommen. Nun führt Deutschland die «freie Welt» an.

Würden Sie sich selbst immer noch als Konservativen bezeichnen?
Ich weiss nicht mehr, was Konservatismus überhaupt sein soll. Früher setzte man sich als Konservativer in den USA für den Freihandel ein, für die legale Einwanderung und für eine harte Linie gegenüber Russland. Wir glaubten, dass persönliche Verantwortung und Charakter wichtige menschliche Eigenschaften seien. Aber das ist jetzt alles bedeutungslos. Darum glaube ich auch, dass Amerika heute eine Mitte-links-Regierung braucht. Jemand wie Elizabeth Warren kann eine eigene politische Vision artikulieren. Manche mögen sie, manche hassen sie. Aber sie ist wenigstens kohärent. Die Konservativen können das nicht mehr bieten.

Sie vergleichen die Republikanische Partei mit einem Freund, dem man zuschauen müsse, wie er sich langsam in den Tod trinkt. Wann haben Sie realisiert, dass Ihre Partei ein Alkohol­problem hat?
Im Dezember 2015, ein Jahr vor seiner Wahl, hat Donald Trump das erste Mal ein Einreise­verbot für Muslime verlangt, ohne dass ein Aufschrei durch die Partei gegangen wäre. Nach dieser verfassungs­widrigen Forderung haben die Republikaner nur noch versagt. Sie dachten, Trump würde niemals gewinnen; sie dachten, man könne mit Trump verhandeln. Aber wenn man mit Trump verhandelt, verhandelt man mit dem Bösen – man verliert immer, wenn man mit dem Bösen verhandelt. Aber eigentlich wusste ich bereits vor Trump, dass es in dieser Partei eine dunkle Seite gibt. Man bedenke, wie gut sich der durch­geknallte Newt Gingrich bei den Vorwahlen 2012 gegen Mitt Romney schlug. Das war bereits ein deutliches Omen.

Wie sieht diese dunkle Seite aus?
Sie besteht aus Menschen, die sich als Opfer sehen und die glauben, dass man als weisser Amerikaner mehr Rechte hat als die anderen. Gleichzeitig sind diese Menschen überzeugt davon, dass die weissen Amerikaner langsam in Unter­zahl geraten, weil das Land diverser wird. Diese rassistische Über­zeugung treibt sie an.

In einem Interview mit dem Fernsehsender PBS sagte der ehemalige Trump-Chefstratege Steve Bannon, dass Donald Trump für ihn immer ein unvollkommenes Werkzeug gewesen sei, aber eine gute Panzer­granate, um die Republikanische Partei zu knacken. Wieso war das so einfach?
Erstens: Ich kenne Steve Bannon seit Jahren. Bannon ist eine lächerliche Figur, ein Freak – er ist, was sich eine dumme Person unter einer smarten Person vorstellt. Vor Trump hat er es nie in die Politik geschafft, weil ihn niemand wollte – und jetzt glaubt er, dass Trump wegen seiner Genialität Präsident geworden sei. Zweitens: Trump hat die Partei nicht geknackt, sondern die Partei ist immer mehr wie Donald Trump geworden.

Das müssen Sie erklären.
Wenn du ein italienisches Restaurant eröffnest und die Leute deine Gerichte mögen, liegt es höchst­wahrscheinlich nicht an deiner grossartigen Koch­kunst. Es liegt schlicht daran, dass deine Gäste italienisches Essen schon vorher mochten. Trump hat den Republikanern das serviert, was sie bereits mochten. Und sie hätten es zurück­weisen können – sie taten es aber nicht.

Wieso nicht?
Die Republikanische Partei funktioniert wie ein Kartell, und sie wird nicht von einer Ideologie zusammen­gehalten. Man muss kein Rassist sein, um Donald Trump zu unterstützen. Aber man muss daran glauben, dass es etwas Wichtigeres gibt, für das es sich lohnt, einen rassistischen Präsidenten zu tolerieren: die eigene Macht.

Auf die neue Legislatur hin werden zahlreiche Republikaner aus dem Kongress zurück­treten. Sie hätten mehrmals die Möglichkeit gehabt, sich gegen Donald Trump zu stellen – zum Beispiel, als es um das Amts­enthebungs­verfahren ging. Sie taten es aber nicht. Was hatten diese Politiker denn noch zu verlieren?
Sie wollen zum Club gehören, und darum schweigen sie. Überrascht mich das? Natürlich. Ich kenne viele dieser Leute. Glauben Sie mir, das sind keine schlechten Menschen. Aber sie sind schwach. Das sind schwache Menschen.

Sie sagen, dass Sie sich nicht mehr wundern, wie geschehen konnte, was 1938 in Deutschland geschah.
Damals taten viele Leute Dinge, von denen sie wussten, dass sie falsch waren. Aber sie glaubten, ihre Unter­stützung für Hitler würde am Ende einem höheren Zweck dienen. In seinen 1952 erschienenen Memoiren verteidigte Franz von Papen, preussischer Aristokrat und der letzte Reichs­kanzler der Weimarer Republik, die Macht­ergreifung von Adolf Hitler – sieben Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Von Papen schrieb, sie hätten die Bolschewiken abwehren müssen – und dazu hätten sie Hitler gebraucht, weil er einen Draht zu den Arbeitern hatte und Antikommunist war. Deshalb sei es richtig gewesen, ihn zu unterstützen. Ach, wirklich? Geriet ja dann alles ein wenig ausser Kontrolle, und 20 Millionen Menschen starben. Ich glaube nicht, dass es den USA ergehen wird wie Deutschland in den 1930er-Jahren. Aber heute rechtfertigen viele Republikaner ihre Unter­stützung für Trump immer noch, obwohl sie genau wissen, was er in den letzten vier Jahren für einen Schaden angerichtet hat. [Anmerkung der Redaktion: In einem Punkt irrt Stevens, von Papen war vor Kurt von Schleicher der vorletzte Reichs­kanzler der Weimarer Republik. Danke für den Hinweis aus der Verlegerschaft.]

Die Journalistin Anne Applebaum fragt in ihrem Essay «History Will Judge the Complicit» («Wen die Geschichte bestrafen wird»), was es bräuchte, damit sich die Republikanerinnen eingestehen würden, dass Trumps Loyalitäts­kult das Land zerstöre, das sie zu lieben behaupten. Applebaum findet darauf keine Antwort. Und Sie?
Ich glaube nicht, dass es eine rote Linie gibt. Die Republikaner schwiegen, als in den letzten Monaten über 200’000 Menschen an Covid starben. Mit einer klugen Politik hätten davon wahrscheinlich 160’000 nicht sterben müssen. It’s all about winning and losing. Diese Feiglinge werden sich erst dann von Trump abwenden, wenn er verliert.

Wie war es denn für Sie, der Grand Old Party den Rücken zu kehren?
Oh, you know, schmerzhaft war das nicht. Es wäre schmerzhafter gewesen, in der Partei zu bleiben. Ausser Geld hat es mich nichts gekostet. Vor eineinhalb Jahren habe ich meine Consulting-Firma verlassen, die wir in den 1990ern gegründet haben – und die vielen Republikanern zum Sieg verholfen hat.

Haben Sie Freunde verloren?
In der Politik hatte ich nie Freunde, also hatte ich auch keine zu verlieren. Viele meiner Freunde lernte ich durch den Sport kennen, aber die wissen wahrscheinlich nicht einmal, wer der aktuelle Präsident ist. Mit der Politik habe ich mein Geld verdient; sobald die Arbeit vorbei war, wollte ich mich nicht mehr darüber unterhalten. Darum habe ich auch nie in Washington D. C. gewohnt.

Sie waren Wahlkämpfer für George W. Bush. Wenn Sie ihn heute mit einem Finger­schnippen wieder zum Präsidenten machen könnten: Würden Sie es tun?
Sofort. Klar: Der Irakkrieg war wohl der grösste Fehler in der amerikanischen Geschichte. Aber Bush ist ein guter Mensch. Wenn man zurückgeht und sich seine Rede anhört, die er 2000 nach seiner Nomination gehalten hat, findet man sich in einer ganz anderen Welt wieder. Bush redete über Demut und Barmherzigkeit. Bush hat immer versucht, mit den Demokraten zusammen­zuarbeiten – und nach dem Terror­anschlag von 9/11 war es ihm sehr wichtig, dass die in den USA lebenden Muslime nicht pauschal verurteilt wurden.

Bush verfolgte neben dem Krieg aber auch eine desaströse Steuerpolitik.
Als Bush Präsident wurde, war der Kalte Krieg vorbei, die Kriminalitäts­rate sank und Clinton hatte das Sozial­system reformiert. Damals war die offensichtliche Frage: Wie kann ein neuer Konservatismus aussehen? Bush wollte mit seinem «mitfühlenden Konservatismus» die republikanische Politik verändern. Zum Beispiel hat er nach der Wahl als Erstes die grosse Bildungs­reform «No Child Left Behind» verabschiedet, die auch von vielen Demokraten getragen wurde. Ich bin überzeugt, dass Bush ohne 9/11 die Republikanische Partei nachhaltig hätte verändern können. Aber dann kam der Krieg – und der Rest ist Geschichte.

«Der Irakkrieg war wohl der grösste Fehler in der amerikanischen Geschichte. Aber George W. Bush ist ein guter Mensch»: Stuart Stevens (Mitte) war Berater des einstigen US-Präsidenten (rechts von ihm). Brooks Kraft LLC/Sygma via Getty Images

Wie müsste heute eine konservative Agenda aussehen?
Das einzige Ziel eines amerikanischen Konservativen muss die Abwahl von Donald Trump sein. We need to crush him. Und daraus wird hoffentlich ein sinnvoller, moralischer und kohärenter Konservatismus entstehen. Aber das wird noch lange dauern.

Mit dem Lincoln Project machen Sie nun eine Kampagne für Joe Biden, aber vor allem ist es auch eine Negativ­kampagne gegen Trump. Dabei schreckten Sie auch nicht davor zurück, Trumps Sohn als debilen Kokser darzustellen. Auf der anderen Seite werben Sie mit dem Slogan: «Es ist Zeit für Freundlichkeit. Es ist Zeit für Joe Biden.» Sehen Sie den Widerspruch?
Nein. Ist doch lustig! Das Lincoln Project besteht aus ein paar politischen Beratern, die wissen, wie Campaigning funktioniert. Wir sehen uns nicht als nobel oder heldenhaft. Wir sind auch nur eine Kreation des politischen Systems. Trump ist eine abnormale Person, die von allen anderen verlangt, dass sie sich normal verhalten. Das werden wir nicht tun.

Wo liegen die Grenzen solcher Werbeformen?
Bei rassistischen Vorurteilen oder Homophobie. Und lügen sollte man auch nicht.

Lügen war aber immer schon Teil der Politik.
Man sollte aber nicht irgendwelche Dinge erfinden, wie das Donald Trump tut.

Ist es für Sie als Konservative einfacher, gegen Trump zu kämpfen, als für die Demokraten?
Es ist einfacher für uns, weil wir nicht für Joe Biden arbeiten. Wenn wir zu weit gehen, wird niemand ihn dafür beschuldigen. Sobald man direkt für einen Kandidaten arbeitet, wird alles sehr viel komplizierter. Jedes Mal, wenn man den Gegner in der Werbung als Lügner bezeichnen will, muss man das mit dem Kandidaten zuerst besprechen, weil es auf ihn zurück­fallen könnte. Das müssen wir jetzt nicht mehr tun. Sehr befreiend.

Was macht eine gute Kampagne aus?
Eine gute Kampagne verliert nicht.

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