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«Nicht die Leute auf der Redaktion müssen sich ändern – die Aufgabe muss es»

Der Brief einer Journalistin zum Abschied vom linksliberalen US-Fernseh­sender MSNBC. Ein Gedankenanstoss.

Von Ariana N. Pekary, 07.08.2020

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Seit 1996 ist der US-Fernseh­sender Fox News auf Sendung. Seit fast einem Viertel­jahrhundert treibt der Haus­sender der Konservativen die Politik vor sich her – und hat seinen Anteil an der Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft. Hierzulande weniger bekannt ist MSNBC, gewisser­massen das programmatische Gegenstück zu Fox News und mediale Heimat der Demokraten. 2013 wechselte Ariana Pekary nach einer Karriere beim Radio als Produzentin zu MSNBC. Vor kurzem hat sie den Sender verlassen – und einen aufsehenerregenden Abschiedsbrief veröffentlicht. Wir haben ihn mit Erlaubnis der Autorin übersetzt.


«Kündige einfach.»

Das hat mir Alec vor andert­halb Jahren geraten, als ich ihm von meinen Bedenken gegenüber meiner Arbeit erzählte.

«Du kündigst. So einfach ist das.»

«Bleib bei MSNBC, mindestens bis zu den Midterm-Wahlen», sagte Jeffrey vor ein paar Jahren. Er riet mir dazu, mal abzuwarten. Zu schauen, wie sich die Dinge entwickelten.

«Halte durch … du wirst gebraucht», empfahl Elizabeth letzten Winter. «Als ich jünger war, war ich in derselben Situation. Aber ich habe durchgehalten.»

Vor anderthalb Jahren kam mir der Gedanke noch ziemlich radikal vor, einfach meinen Job zu kündigen, ohne zu wissen, was ich als Nächstes tun würde. Also habe ich noch etwas länger durch­gehalten, bis wir mitten in einer Pandemie steckten, um den Schritt auch wirklich so radikal zu machen.

Der 24. Juli war mein letzter Tag bei MSNBC. Ich weiss nicht, was ich jetzt machen werde – aber weiter dort bleiben, das konnte ich einfach nicht mehr. Das liegt nicht an meinen Kolleginnen, alles sehr kluge Leute mit guten Absichten. Das Problem ist der Job selbst. Er zwingt erfahrene Journalisten dazu, jeden Tag schlechte Entscheidungen zu treffen.

Dieses Problem betrifft Sie – auch wenn Sie vielleicht MSNBC gar nicht konsumieren. Denn alle kommerziellen Netzwerke funktionieren gleich – und zweifellos landen ihre Inhalte auf die eine oder andere Weise auch bei Ihnen, in Ihrem Social-Media-Feed.

Gut möglich, dass ich – aufgrund meiner Erfahrungen im öffentlichen Rund­funk, wo keine Entscheidung, die ich jemals miterlebt habe, davon abhing, wie gut ein Thema oder ein Gast Quote machen würde –, sensibler reagiere, wenn es um den Redaktions­prozess geht. Doch je länger ich bei MSNBC arbeitete, desto öfter sah ich solche quoten­getriebenen Entscheidungen – sie sind praktisch fest in den redaktionellen Prozess eingebacken. Und diese Entscheidungen wirken sich jeden Tag auf die Nachrichten­inhalte aus. Gleichzeitig ist es tabu, darüber zu diskutieren, wie diese Quoten­logik den Inhalt verzerrt, oder es wird einfach als selbst­verständlich hingenommen, weil jeder in der kommerziellen Nachrichten­branche genau dasselbe tut.

Hinter vorgehaltener Hand werden die Branchen­führer allerdings zugeben, welchen Schaden das anrichtet.

«Wir sind ein Krebs­geschwür, und es gibt keine Heilung», sagte mir einmal ein erfolg­reicher und kenntnis­reicher Fernseh­veteran. «Aber wenn Sie ein Heil­mittel finden könnten, das würde die Welt verändern.»

So wie die Dinge stehen, schürt dieses Krebs­geschwür die Polarisierung im Land – auch mitten in einer Bürgerrechts­krise. Dieses Modell verhindert, dass die Zuschauerinnen eine Vielfalt von Stand­punkten und Inhalten sehen. Stattdessen haben die Sender den Anreiz, die Stimmen an den äussersten Rändern zu verstärken und irrelevante Ereignisse hervor­zuheben – allein deshalb, weil es die Einschalt­quoten in die Höhe treibt.

Dieses Krebsgeschwür gefährdet Menschen­leben – sogar mitten in einer Pandemie. Der absolute Haupt­fokus der Bericht­erstattung wurde schnell auf das gerichtet, was Donald Trump alles (Schlechtes) tat, um die Krise zu bewältigen. Auf Kosten der Wissenschaft. Wenn neue Informationen über Anti­körper, über einen Impf­stoff oder darüber, wie Covid-19 tatsächlich übertragen wird, bekannt werden, konzentrieren sich die Fernseh­produzentinnen trotzdem voll auf das politische Hickhack. Wichtige Fakten oder Studien landen auf dem Ausschussstapel.

Dieses Krebsgeschwür gefährdet unsere Demokratie – mitten in einer Präsidentschafts­wahl. Jede Diskussion über die Wahl konzentriert sich in der Regel auf Donald Trump, nicht auf Joe Biden. Das ist die Wieder­holung von 2016, Trump verdrängt jede andere Bericht­erstattung. So wäre es zum Beispiel wichtig, dafür zu sorgen, dass die Bürgerinnen in diesem Jahr brieflich abstimmen könnten – aber ich habe mehrfach erlebt, wie dieses Thema ignoriert oder abgeschossen wurde.

Oft heisst es, Kontext, Daten und Fakten seien zu umständlich für das Publikum. Daran mag etwas Wahres sein (unser Bildungs­system sollte tatsächlich mehr für das kritische Denken der Amerikaner tun) – aber die nackte Wahrheit ist, dass es eben gerade die Aufgabe von Journalistinnen ist, aufzuklären und zu informieren. Und das bedeutet, dass sie halt vielleicht bessere Wege finden müssen, das zu tun. Sie könnten über kreativere Möglichkeiten nachdenken, um ihr Publikum zu fesseln. So gut wie alles würde den jetzigen Prozess verbessern, der oft ziemlich einfach gestrickt ist: Was heute berichtet wird, das beruht darauf, was gestern Quote gemacht hat oder was grade im Internet trendet.

Es kommt durchaus vor, dass sich die TV-Produzenten für ein Thema oder eine Geschichte entscheiden, ohne sich darum zu scheren, welche Quote sie beim Publikum erzielen wird. Aber das ist die Ausnahme, nicht die Regel. Und der Grund dafür ist einfach die Logik dieser Branche: der Drang, immer mehr Geld für Werbe­spots verlangen zu können – und die Boni für gute Einschalt­quoten für die rang­hohen Kader. So fallen sie immer wieder in ihre alten, profitablen Programm­gewohnheiten zurück.

Ich weiss, dass der journalistische Auswahl­prozess weitgehend subjektiv abläuft und dass dabei an jedem Tag wieder andere Prioritäten geltend gemacht werden können. Aber grade darum ist es für mich erstens besonders bemerkens­wert, dass Gewichtung und Themen­wahl der verschiedenen Sendungen durch den Tag hindurch so gut wie identisch sind. Und zweitens nutzen Sende­leiterinnen diese subjektive Natur der Nachrichten, um Entscheidungen zu rechtfertigen, die eigentlich rein wirtschaftlicher Natur sind. Ich habe sogar schon von Produzenten gehört, die in Abrede stellen, dass sie eine Pflicht als Journalistinnen haben. Ein sehr fähiger Senior Producer sagte einmal: «Unsere Zuschauer betrachten uns nicht wirklich als die Nachrichten. Sie kommen zu uns, weil es sich gut anfühlt.»

Noch einmal: Ich bin persönlich nicht der Meinung, dass sich die Menschen ändern müssen. Der Job muss sich ändern – es gibt bessere Arten, ihn zu tun. Ich bin nicht so zynisch zu glauben, dass wir dem Unter­gang geweiht sind (obwohl wir uns gerade auf dem Weg dorthin befinden). Ich weiss, dass wir ein Gegen­mittel finden. Wenn wir einen Menschen auf den Mond schicken können, wenn der Fernseh­moderator Alex Trebek den Widrigkeiten eines Bauchspeichel­drüsen­krebses im Stadium 4 trotzen kann und wenn der Ex-Senator Harry Reid seinen Bauch­speichel­drüsen­krebs tatsächlich besiegen kann (er ist jetzt krebsfrei), dann können wir auch das hier in Ordnung bringen!

«Wir können nicht alles ändern, mit dem wir konfrontiert sind. Aber wir können nichts ändern, wenn wir uns nicht damit konfrontieren.»

Ich weiss, dass James Baldwin nicht an MSNBC dachte, als er 1962 diese Zeilen schrieb, aber diese Worte gingen mir im Sommer 2020 nicht mehr aus dem Kopf. Leider stehen viele der gleichen Probleme von damals auch heute noch an. Vielleicht können wir die inhärent kaputte Struktur von TV-Nachrichten nicht wirklich ändern. Aber ich weiss mit Sicherheit, dass sie sich nicht ändern wird, wenn wir uns ihr nicht stellen, öffentlich stellen, sie zumindest zu ändern versuchen.

Während der Pandemie und dieses surrealen, befremdlichen Lockdown haben viele Menschen über ihr Leben nachgedacht und hinterfragt, was sie mit ihrer Zeit auf diesem Planeten anfangen sollten. Es scheint, ich bin auch einer dieser Menschen, die nach mehr Sinn und Wahrhaftigkeit suchen. So sehr ich mein Leben in New York City liebe und wirklich nicht wegziehen möchte, so sehr bin ich auch glücklich darüber, dass ich in naher Zukunft nach Virginia zurück­kehren kann, um wieder mit meiner Familie, meinen Freunden und einer Gemeinschaft unabhängiger Journalisten zusammen zu sein. Ich bin gleichzeitig nervös und aufgeregt über diese Veränderung. Dank Covid-19 lerne ich, mit der Unsicherheit zu leben.

Vielen Dank für die Lektüre. Ich wünsche Ihnen alles Gute.

Ariana

Übersetzt von Katrin Moser und redigiert von Oliver Fuchs.

Zur Autorin

Ariana N. Pekary begann ihre journalistische Karriere 2002 beim Radio­sender NPR. Nach einem Jahrzehnt bei verschiedenen öffentlichen und privaten Radio­sendern wechselte sie 2013 zum Fernseh­sender MSNBC. Für das Doku­segment «The Hidden City» war sie 2017 für einen Emmy Award nominiert.

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