Der Fall Worldline oder: Kurzarbeit trotz Arbeits­überlastung

Der französische Kreditkarten­dienstleister Worldline, in der Schweiz als SIX Payment Services bekannt, schickte sein Schweizer Personal in Kurzarbeit – obwohl alle mehr als genug Arbeit hatten. Der Konzern dürfte damit kein Einzelfall sein.

Eine Recherche von Philipp Albrecht, 24.06.2020

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«FINANCIAL STRESS» steht auf der Präsentation Anfang April. Es ist eine Warnung. Die Worte erscheinen in grossen weissen Buchstaben mit einem leuchtend pinken Quadrat hinterlegt. «Finanzielle Belastung»: Darunter leidet nach eigenen Angaben der Kreditkarten­dienstleister Worldline – ein börsen­kotierter französischer Konzern, dessen Aktivitäten in der Schweiz unter dem Namen SIX Payment Services bekannt sind. Die Firma vertreibt unter anderem die Karten­zahlgeräte in Geschäften und Restaurants. Trotz Übernahme vor zwei Jahren blieb der alte Name in der Schweiz bestehen, Sitz der Schweizer Tochter ist die Hardturm­strasse in Zürich.

Ausgelöst worden sei die «finanzielle Belastung» von der Corona-Pandemie, wie man den 700 Schweizer Angestellten mitteilt. Aus dem Home­office verfolgen sie die Live-Präsentation ihres Chefs Marc Schluep. Der Schweiz-CEO erklärt, was die meisten seiner Leute längst wissen: Wegen des Lockdown ist fast alles geschlossen, es gibt weniger Kreditkarten­transaktionen, einige Läden könnten für immer geschlossen bleiben, und die Fixkosten des Konzerns sind nun zu hoch. Das führt zu «FINANCIAL STRESS».

Also schickt Worldline seine Leute in Kurzarbeit.

Doch der Entscheid legt zwei Probleme offen:

  1. Eigentlich haben die Angestellten mehr als genug Arbeit. SIX Payment Services strich bereits nach 2017 im grossen Stil Stellen. Seit der Übernahme durch Wordline leidet die Belegschaft nach eigenen Aussagen unter Personal­mangel, hat unzählige Überstunden angehäuft und kann längst nur noch die wichtigsten und grössten Kunden seriös bedienen. Trotzdem müssen sie nun zwangs­läufig einen Tag pro Woche freimachen – bezahlt vom Staat.

  2. Steuergelder fliessen in einen potenziell profitablen und kern­gesunden Konzern. Seit 2014 hat sich der Worldline-Umsatz mehr als verdoppelt, der Aktienwert knapp vervierfacht. Auch in den ersten drei Monaten des Jahres wuchsen die Einnahmen.

Kurzarbeit trotz Arbeits­überlastung: Ein grosser Teil der Belegschaft befürchtet, dass ihr Arbeit­geber auf ihrem Buckel mit Geld vom Staat das finanzielle Ergebnis schönen will. Vieles deutet auf einen zumindest grosszügigen Umgang mit der Kurzarbeits­entschädigung hin. Ein Instrument, das spezifisch dafür geschaffen wurde, in Krisen Entlassungen zu verhindern – und nur dafür.

Bei Kurzarbeit übernimmt die Arbeitslosen­versicherung (ALV) vorüber­gehend einen Teil des Lohns von Angestellten, damit diese über die Krise hinweg weiter­beschäftigt und danach wieder wie gewohnt in ihren Job einsteigen können. Das nimmt Arbeit­nehmerinnen die Angst vor einem Jobverlust in wirtschaftlich schwierigen Zeiten und Unter­nehmen die Mühsal, in einer Krise entlassenes Personal später wieder rekrutieren zu müssen. Und es schützt den Staat vor den harten Folgen einer Massen­arbeitslosigkeit. Grundsätzlich beziehen Firmen mit Kurzarbeits­entschädigung Gelder, die sie zuvor selber mit ihren Beiträgen in die ALV einbezahlt haben, also keine Steuergelder.

Doch in der Corona-Krise floss das Kurzarbeits­geld in einem Ausmass, wie es das in der Geschichte noch nie gegeben hat. Rund 2 Millionen Menschen, 37 Prozent aller Angestellten in der Schweiz, waren zeitweise auf Kurzarbeit. Wegen dieser enormen Belastung musste der Bund ausnahms­weise Steuer­gelder in Höhe von 25,5 Milliarden Franken in die ALV einschiessen – etwas mehr als die Hälfte davon nachträglich im Mai. Alternativ hätten künftig allen Arbeit­geberinnen über Jahre die Beiträge angehoben werden müssen, um das Riesen­loch zu stopfen.

Mit anderen Worten: Dieses Mal geht es um öffentliches Geld. Und damit erst recht um die Frage, ob die grosszügig ausgeschütteten Kurzarbeits­gelder so eingesetzt werden, wie das gedacht ist.

Bezieht ein Unternehmen Kurzarbeits­gelder, obwohl seine Angestellten eigentlich mehr als genug zu tun hätten, kann das von den Behörden als Missbrauch bewertet werden. Laut Bundes­gesetz über die obligatorische Arbeitslosen­versicherung und die Insolvenz­entschädigung (AVIG) wäre im Falle eines solchen Missbrauchs ein «Betrag bis zum Doppelten der erhaltenen Leistungen zu bezahlen».

Ein lukratives Geschäft

Bei Worldline dauerte die Kurzarbeit sieben Wochen. Sie begann am 17. April und endete für die meisten am 7. Juni. Für die betroffenen Angestellten hiess das, dass sie im Durchschnitt 20 Prozent oder einen Tag pro Woche weniger arbeiteten. Für diesen einen Tag bekamen sie trotzdem 90 Prozent des «Tages­lohnes». 80 Prozent bezahlte der Staat, 10 Prozent der Arbeitgeber.

Nach Gesprächen mit mehreren Quellen aus dem Unter­nehmen und mit Angestellten, die Worldline unlängst verlassen haben, zeigt sich, dass die Frustration über die verordnete Kurzarbeit unter den Mitarbeitern gross war und noch immer ist. Sie halten den Entscheid für unnötig, weil sie schon in der normalen Arbeits­zeit mehr als ausgelastet sind. Aber aus Angst vor einem Jobverlust in unsicheren Zeiten nahmen die verbliebenen Angestellten die Anordnung weitgehend hin.

Worldline ist ein Finanz­dienstleister. Er agiert als Binde­glied zwischen Verkaufs­stellen und Kreditkarten­herausgebern, stellt die Karten­terminals zur Verfügung, an denen Kunden an der Kasse bargeldlos bezahlen, fordert das Geld bei den Kreditkarten­herausgebern ein und überweist es den Detail­händlern, Restaurants, Coiffeur­salons oder Club­betreibern. Geld verdient die Firma vor allem mit ihren Terminals – in der Schweiz sind es aktuell 155’000 Stück – und einer Transaktions­gebühr: Bei jedem Kauf zieht sie einen tiefen Prozent­satz des Preises ab.

Das Geschäft ist lukrativ und wurde früher von den Banken abgewickelt. Später lagerte man es an eine Firma aus, die dann wiederum von der SIX Group, der Betreiberin der Schweizer Börse, übernommen wurde. Sie verkaufte es schliesslich 2018 für 2,75 Milliarden Franken an Worldline, weil sie sich auf ihr Kern­geschäft fokussieren will. Mit dem Erlös übernimmt die SIX Group nun den spanischen Börsenbetreiber BME.

Überforderte Verkäufer im Homeoffice

Die Folgen der Kurzarbeit bekamen laut Aussagen der Angestellten in erster Linie kleinere und mittelgrosse Worldline-Kunden zu spüren. Zum Beispiel Händlerinnen, die ihren physischen Laden vorüber­gehend nicht mehr öffnen durften und stattdessen einen Online­shop einrichten wollten. Dazu ist ein digitales Zahlungs­fenster nötig, damit die Kunden ihren Einkauf begleichen können.

Doch bei ihrem Karten­abwickler SIX Payment Services (SPS) wurden die Händler von überforderten Kunden­beraterinnen wochen­lang hingehalten. Die sonst schon am Anschlag arbeitenden Abteilungen hatten nun noch weniger Zeit für die Kunden, weil sie mindestens einen Tag pro Woche die Arbeit ruhen lassen mussten. Vor allem KMU-Kundinnen warteten wochen­lang auf Dienst­leistungen, und Lieferanten bekamen Rechnungen nicht mehr bezahlt. «Einige Mitarbeiter schalteten im Homeoffice irgendwann ihr Handy aus, weil sie mit der Arbeit nicht mehr nachkamen», erzählt eine Quelle.

Zusätzlich verordnete die Geschäfts­leitung einen Ausgabe­stopp: «Wir bekamen nach dem Lockdown den Befehl, keine Rechnungen über 5000 Franken mehr zu bezahlen», erzählt eine Worldline-Quelle. Das bekommen vor allem kleinere Partner negativ zu spüren, darunter regionale Dienst­leister, die für SPS arbeiten. Man schiebe finanzielle Verpflichtungen um Wochen und Monate hinaus, um letztlich schönere Quartals­zahlen zu erhalten, erklärt die Quelle: «Aus dem gleichen Grund hat man Kurzarbeit angemeldet. Es geht einzig um Gewinn­maximierung.»

Worldline bestätigt auf Anfrage, dass während der Krise «striktes Kosten- und Liquiditäts­management das Gebot der Stunde» sei. Aber es liege auf der Hand, «dass dies die Beziehungen zu langjährigen Lieferanten nicht gefährden soll».

Den Vorwurf, mit Steuer­geldern die Betriebs­rechnung zu verbessern, weist das Unter­nehmen deutlich von sich: «Dies ist ein Vorwurf ohne jegliche Substanz. Kurzarbeit dient zur Sicherung von Arbeits­plätzen.» Wie viele davon konkret gesichert wurden, teilt Worldline nicht mit.

Unklar ist auch, wie viele Angestellte überhaupt von Kurzarbeit betroffen waren. Laut einer Sprecherin musste «etwa die Hälfte unserer rund 700 Mitarbeitenden» weniger arbeiten. Also 350. Drei voneinander unabhängige Quellen aus dem Unter­nehmen sprechen aber von rund 600. Fast alle Angestellten sind auf die beiden Abteilungen Merchant Services (ca. 600) und Financial Services (ca. 100) verteilt. Bei Merchant Services seien «praktisch alle in Kurzarbeit» gewesen, bestätigen die Quellen. Darauf angesprochen, schreibt Worldline: «Unsere Angaben sind fundierte Zahlen – direkt von der Personal­abteilung.»

Über die Gründe dieser Diskrepanz lässt sich im Moment nur spekulieren. Möglich wäre, dass Worldline im April zwar für 600 Leute Kurzarbeit anmeldete, am Ende dann aber nur für 350 Leute Kurzarbeits­geld einfordert. Das Gesetz sieht einen solchen Ablauf explizit vor, falls die Krise ein Unter­nehmen doch nicht so hart getroffen hat wie befürchtet. Dann wird einfach weniger Geld ausbezahlt. Allerdings verliert Worldline unnötig Geld, wenn ein Teil der Belegschaft zwar in Kurzarbeit war, aber dafür anschliessend vom Staat kein Geld bekommt. Die drei Quellen widersprechen deutlich den Aussagen des Unter­nehmens: Es steht Aussage gegen Aussage.

Fakt ist, dass Worldline auch in Belgien Kurzarbeit beantragte und in den Genuss von Steuer­geldern kam. Dort intervenierte allerdings eine Gewerkschaft und reichte Anfang Mai eine Anzeige ein. Es sei «ein Skandal», dass sich ein Unter­nehmen, das letztes Jahr über 400 Millionen Euro Gewinn gemacht habe und über entsprechende Reserven verfüge, an die Sozial­versicherung wende, begründete der Sekretär der Gewerkschaft BBTK den Schritt gegenüber der Wirtschaftszeitung «De Tijd».

Laut zwei Quellen, die in Kontakt mit der Schweizer Geschäfts­leitung sind, habe diese sich gegen die Einführung von Kurzarbeit in der Schweiz ausgesprochen, wurde aber von der Konzern­leitung in Paris überstimmt.

Nur die Spitze des Eisbergs

Worldline strebt nichts Geringeres an als die Welt­herrschaft im digitalen Zahlungs­verkehr. In den letzten fünf Jahren schluckte der Konzern acht Unternehmen. Denn wer hier langfristig überleben will, braucht Grösse und geografische Reichweite. Nach dem Kauf von SPS kündigte Worldline bereits im Februar 2020 die nächste Übernahme an: Die Franzosen wollen den Konkurrenten Ingenico für 8 Milliarden Euro schlucken. Damit wird sich die Mitarbeiter­zahl auf 20’000 verdoppeln, es entsteht der grösste europäische Markt­player und weltweit die Nummer vier.

Der Wachstumswahn war mit ein Grund, warum bei den Schweizer SPS-Angestellten seit der Übernahme der Missmut wuchs. Die Fluktuation ist seither nach ihrer Wahrnehmung gestiegen, und die meisten Abgänge wurden wegen eines Einstellungs­stopps nicht ersetzt. Das liess wiederum die Arbeits­last ansteigen, was die Unzufriedenheit wie in einem Teufels­kreis weiter verstärkte.

Spricht man mit Worldline-Insidern, so ist die Sache mit der Kurzarbeit nur ein weiteres Symptom dessen, was sie als eine extreme Zahlen­fixiertheit des Mutter­konzerns empfinden. So etwas wie die Spitze des Eisbergs. «Die Stimmung ist gekippt», sagt eine Quelle, «Paris bestimmt, und Zürich hat sich dem unterzuordnen.» Mehrere langjährige Mitarbeitende schmissen hin. «Ich konnte morgens nicht mehr in den Spiegel schauen», berichtet eine ehemalige Mitarbeiterin, die unlängst kündigte. Dass loyale Kundinnen wochen­lang auf eine Antwort warten mussten, habe sie nicht mehr verantworten können.

Die meisten Entscheide werden inzwischen in Paris getroffen: «Nach der Übernahme fühlte es sich an, als wäre es dem neuen Besitzer nicht wichtig, ob wir einen guten Job machen», sagt eine weitere Quelle, «Hauptsache, die Zahlen stimmten.» Obschon das Schweizer Geschäft hocheffizient und profitabel ist und inzwischen 15 Prozent der gesamten Worldline-Einnahmen liefert, wurde hier nicht mehr investiert. Mehrere Stellen wurden nach Frankreich oder Polen ausgelagert.

Der Qualitätsabbau sei in Paris wohl in Kauf genommen worden, heisst es. Denn die Konkurrenz­situation spricht weitgehend für Worldline: In der Schweiz hat das Unter­nehmen ein Quasi­monopol. Mit Concardis gibt es heute nur noch einen einzigen Konkurrenten, der bezüglich Ressourcen und Infra­struktur annähernd mit Worldline mithalten kann. Die deutsche Firma beschäftigt in der Schweiz nur drei Dutzend Leute, für die im Übrigen keine Kurzarbeit beantragt worden ist, wie ein Sprecher bestätigt. Worldline herrscht in der Schweiz über einen geschätzten Markt­anteil von 85 Prozent.

«Sie sind der Marktdominator, und sie spielen das aus», kommentiert ein mittelgrosser Händler und Worldline-Kunde. Man spüre vor allem bei Vertrags­anpassungen, dass alles komplexer und unflexibler geworden sei, weil wohl alles erst noch durch die Anwälte in Paris bearbeitet werden müsse. Auch bei der Swiss Retail Federation, wo unter anderem Aldi, Lidl und Manor angeschlossen sind, steigt der Missmut. Der Verband ist mit Worldline durch einen Rahmen­vertrag verbunden, der den Mitgliedern bessere Bedingungen bringt: «Wir werden noch dieses Jahr eine Ausschreibung machen für einen neuen Rahmen­vertrag», sagt Geschäfts­führerin Dagmar Jenni. «Wir haben festgestellt, dass es bei SIX Payment Services viele personelle Wechsel gegeben hat. Die Reaktions­zeit auf Anfragen ist aus unserer Sicht optimierbar.»

15 Tage Zwangsferien

«FINANCIAL STRESS»: Die Worte aus der CEO-Präsentation wirken in den Köpfen einiger Angestellten nach. Wegen der drohenden Konsequenzen nahm die Mehrheit auch hin, dass sich Paris in die Ferien­planung einmischte. Denn bis Ende Juni müssen alle Mitarbeitenden zwischen 11 und 15 Tage Ferien genommen haben. Einem Angestellten war die Direktive suspekt. Er leitete die Info an den Schweizerischen Bank­personal­verband weiter. Das sei zu viel, urteilte dieser. «Obligatorische» Ferien müssten nach aktueller Recht­sprechung mindestens drei Monate im Voraus angekündigt werden, damit die Mitarbeitenden diese planen können, schrieb der Verband in einer Mail an seine Mitglieder bei Worldline. Konsequenzen hatte die kleine Intervention jedoch keine.

Zu sehen bekam das Personal in der CEO-Präsentation auch eine Grafik, die den Rückgang der Karten­transaktionen im Lockdown zeigt. Sie soll als Beweis dienen, wie dramatisch der Einbruch für das Unter­nehmen sei. Zwar sieht man eine abstürzende Linie, die auch unter dem Wert des letzten Jahres liegt. Die Rede ist von einem «signifikanten» Rückgang. Eine konkrete Prozent­zahl des Rückgangs fehlt aber. Sie würde einen Hinweis darauf geben, wie stark das Geschäft von SPS tatsächlich getroffen wird.

Inzwischen zeigen Zahlen des Verbands Swiss Payment Association, dass Mitte März, als der Lockdown in Kraft trat, die Transaktionen um 37 Prozent einbrachen. Doch sie erholten sich sofort wieder, sodass die Transaktionen schon acht Wochen nach Beginn des Lockdown wieder das Niveau von Ende Februar erreichten. Die meisten SPS-Leute mussten aber bis zum 7. Juni in Kurzarbeit ausharren.

Eine andere Auswertung der Swiss Payment Association zeigt, wie sich das kontaktlose Bezahlen seit dem Lockdown verändert hat. Sie ist ein Beleg dafür, dass ein Unter­nehmen wie Worldline langfristig von der Corona-Krise profitieren wird: Zwischen dem 9. April und dem 14. Mai haben sich demnach die kontaktlosen Kreditkarten­transaktionen verdoppelt. Bei Worldline sei allen Beteiligten längst klar gewesen, dass eine Pandemie der perfekte Treiber für das kontaktlose Bezahlen mit Karte oder Handy sein würde, heisst es im Unter­nehmen. «Wir werden als Gewinner aus dieser Krise heraus­gehen, weil die Menschen weniger mit Bargeld bezahlen werden», sagt eine Quelle.

Seit dem Lockdown wird immer öfter mit Kreditkarte bezahlt

Anzahl kontaktloser Kreditkarten-Transaktionen, Präsenzgeschäft im Inland

2. Jan16. Mrz27. Apr4. Jun0123 Mio. Ausserordentliche Lage1,727 Mio. Erste Lockerung2,224 Mio.

Swiss Payment Association

Worldline sieht das gegenüber der Republik anders: «Es muss sich erst zeigen, ob sich das Zahlungs­verhalten der Konsumenten dauerhaft verändert und ob die Wirtschaft gesamthaft an den bisherigen Wachstums­pfad anknüpfen kann», schreibt eine Sprecherin.

Doch im jüngsten Quartals­bericht, kürzlich präsentiert von CEO Gilles Grapinet, spricht das Unter­nehmen selber erfreut davon, Covid-19 sei «ein Beschleuniger für den Trend zur Bargeldlosigkeit». Man beobachte einen massiv beschleunigten Wandel der Zahlungs­gewohnheiten, etwas, das sich sonst nur langsam verändere. Dabei wird die Schweiz mit den drastisch gestiegenen Karten­zahlungen gar spezifisch als einziges Land hervorgehoben.

Darunter steht der Satz: Man erwarte, dass dieser Wachstums­trend auch über die Krise hinaus anhalte.

Geprüft wird erst im Nachhinein

Verordnet ein Unternehmen Kurzarbeit, obwohl Angestellte keinen Job­verlust zu befürchten haben und die Firma volle Auftrags­bücher hat, so kann dies ein potenzieller Missbrauch von Kurzarbeit sein.

Für Bruno Sauter, der bis September 2019 das Zürcher Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) leitete, könnte das bei Worldline zutreffen, wenn die Vorwürfe nach einer Prüfung weiter bestünden. Dann müsste der Sache von Amtes wegen nachgegangen werden.

Dazu könnte es bei vielen Unternehmen angesichts der Ausnahme­situation der letzten Monate Anlass geben. Hohes Tempo war angesagt, weil der Lockdown Mitte März so plötzlich kam. Darum konnten die kantonalen Arbeits­ämter die Gesuche nur noch «plausibilisieren statt kontrollieren», wie es das Staats­sekretariat für Wirtschaft (Seco) nennt. Die Kantone mussten teilweise die hundert­fache Anzahl an Anträgen bearbeiten. «Die Zahlen sind richtig­gehend explodiert», erzählte die Basler Amtschefin Nicole Hostettler Radio SRF. Damit die Leute in den Arbeits­ämtern nicht kollabierten, hatte der Bund den Zugang zum Kurzarbeitsgeld bis Ende Mai vereinfacht. So wurde etwa die Anmelde­frist aufgehoben, die Bewilligungs­dauer von drei auf sechs Monate verlängert und das Formular für die Abrechnung vereinfacht.

Zwar blieb etwas eigentlich unverändert: die Bedingung der Schadens­begründung. Eine Arbeit­geberin muss «glaubhaft darlegen, weshalb die im Betrieb zu erwartenden Arbeits­ausfälle auf das Auftreten des Corona­virus zurückzuführen sind», schreibt das Seco. Kann sie das nicht, hat sie eigentlich kein Anrecht auf Kurzarbeit. Wer beim Schummeln erwischt wird, muss mit einem Verwaltungs­verfahren rechnen. Zusätzlich kann das Seco eine straf­rechtliche Verfolgung einleiten. Für die Untersuchungen müssen sich die Behörden nicht einmal sputen: Die Sache verjährt erst, wenn das Unter­nehmen die Daten der Arbeits­zeit­erfassung vernichten darf – in fünf Jahren. Doch jemand muss die Angaben überprüfen – bei zeitweise fast 2 Millionen in Kurzarbeit gemeldeten Angestellten.

Noch ist es zu früh, um abzuschätzen, wie viele Firmen die Ausnahme­situation ungerecht­fertigt ausgenutzt haben. Das Seco rechnet selber damit, dass es einige Missbrauchs­fälle geben könnte. «Dem Seco war von Beginn an bewusst, dass die Ausweitung der Kurzarbeit zu Missbrauchs­fällen führen könnte», sagt Sprecher Fabian Maienfisch. Allerdings seien «angesichts der historischen Anzahl von bewilligten Gesuchen die bisherigen Verdachts­fälle gering». Auch der frühere Zürcher AWA-Chef Sauter sagt, die Kurzarbeits­entschädigung werde in der Schweiz nicht systematisch ausgenutzt. «Den meisten Firmen ist durchaus bewusst, dass ein Missbrauch schwer­wiegende Folgen nach sich zieht.»

Das sehen manche Beobachter anders: Die «Handelszeitung» kommt in einer Hochrechnung zum Schluss, das Seco müsste landesweit wohl geschätzte 3800 Fälle von potenziell missbräuchlich bezogener Kurzarbeit überprüfen. Bei der Whistleblower-Stelle des Bundes wurden bis Mitte Juni 65 Meldungen behandelt, die mit den Corona-Massnahmen zu tun haben, 51 davon betreffen die Kurzarbeits­entschädigung. Mehr verrät die dafür verantwortliche Eidgenössische Finanz­kontrolle nicht.

Ob Worldline es geschafft hat, seinen Anspruch auf Kurzarbeit «glaubhaft darzulegen»? Dazu gibt es vom Seco keine Antwort. Es äussert sich nicht zu einzelnen Fällen. Nur: «Das Seco kontrolliert – nicht nur bei gemeldeten Verdachts­fällen – und ahndet Verstösse mit allen Mitteln.»

Bei Worldline wähnt man sich auf der sicheren Seite. «Wir haben das Instrument der Kurzarbeit für eine teilweise Reduktion der Arbeits­zeit von Mitarbeitenden beansprucht, die aufgrund des stark rückläufigen Geschäfts­volumens nicht mehr vollständig ausgelastet waren», richtet das Unternehmen aus.

Wie viele Arbeitsstunden insgesamt vergütet wurden, will Worldline nicht offenlegen. Geschätzt nach der Anzahl der Angestellten dürften die eingesparten Stunden bei einem Durchschnitts­lohn von 7000 Franken zwischen 500’000 und 900’000 Franken eingebracht haben. Das wäre etwa 1 Prozent von dem Betrag, den Worldline in der Schweiz während der gleichen Zeitspanne im letzten Jahr eingenommen hat. Damit lässt sich das leicht eingebrochene Geschäft etwas korrigieren.

Dem Staat sei Dank. Und die Aktionäre werden sich freuen, wenn die Corona-Spuren im Jahres­ergebnis vernachlässigbar bleiben.

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