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Ende Dividende

20.04.2020

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Liebe Leserin, lieber Leser

Magdalena Martullo-Blocher hat das ganz gut gelöst. Die Sache mit der Dividende. Die Chefin der EMS-Chemie hat für ihre Angestellten in der Schweiz keine Kurzarbeit angemeldet. Hätte sie es getan, hätte es mit grosser Sicherheit einen Shitstorm gegeben. Denn jedes Jahr zahlt sich die SVP-Nationalrätin eine irrsinnig hohe Dividende aus. Und Firmen, die Kurzarbeit anmelden und dennoch eine Dividende auszahlen, die schwächen den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Die Diskussion darum ist inzwischen zu einer Art Corona-Klassenkampf mutiert. Dabei ist die Dividende im Prinzip eine tolle Sache. Unternehmen, die Gewinne schreiben, bedanken sich damit bei den Investoren für ihr Vertrauen. Bezahlt werden sie aus einem Teil des Gewinns. Gerade in Null-Zins-Zeiten wie diesen sind Dividenden eigentlich super.

Allerdings missbrauchen auch viele Unternehmer das Mittel, um sich übermässig zu bereichern. Wenn sie selber eine hohe Anzahl der Aktien besitzen, können sie sich damit einen Grossteil des Gewinns auszahlen. Gewinn, der nach Ansicht der Angestellten besser in die Firma und in das Personal investiert worden wäre. Auch Magdalena Martullo-Blocher hört diese Kritik regelmässig. Letztes Jahr zahlte sie sich und ihren beiden Schwestern, Rahel und Miriam, 322 Millionen Franken Dividende aus. Die Blocher-Schwestern besitzen 70 Prozent der EMS-Chemie-Aktien.

Für Dividenden-Profiteure kommen nun in der Corona-Krise zwei ungünstige Dinge zusammen:

  1. Wegen des Lockdown brechen die Umsätze und die Gewinne weg.

  2. In diesen Wochen werden die Dividenden für das letzte Geschäftsjahr ausbezahlt.

Viele Angestellte fordern, dass die Dividenden dieses Jahr zurückbehalten werden. Da müsse man jetzt solidarisch sein. Einige Firmen haben darauf reagiert. Etwa der Autozulieferer Autoneum oder die Flughafen Zürich AG. Beide haben ausserdem Kurzarbeit angemeldet.

Kurzarbeit gibt es auch bei den Medienunternehmen TX Group (unter anderen «Tages-Anzeiger», «20 Minuten») und bei der «Neuen Zürcher Zeitung». Doch beide bestehen darauf: Ihre Aktionäre erhalten eine Dividende. Bei der TX Group sind es 37 Millionen Franken. Ein Unternehmenssprecher sagt: «Diese Dividende betrifft das Geschäftsjahr 2019 und hat deshalb keinen direkten Zusammenhang mit Covid-19 und dem laufenden Geschäftsjahr.»

Da hat er nicht ganz unrecht. Schliesslich wurde das Geld im letzten Geschäftsjahr ehrlich erwirtschaftet. Das heisst, ohne Staatshilfe oder zinslose Darlehen. Und trotzdem greift das zu kurz. Denn die Medienhäuser leiden seit Jahren unter einer schwindenden Haupteinnahmequelle: Es werden immer weniger Inserate geschaltet. Anstatt die Gewinne in die Zukunft des Journalismus zu investieren, werden Stellen gestrichen und Dividenden ausgezahlt. Immer und immer wieder.

Das geht nun auch vielen Politikern zu weit. Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) des Ständerats empfiehlt dem Bundesrat, eine Regelung zu prüfen, «die Unternehmen mit Kurzarbeit die Ausschüttung von Dividenden verbietet».

Magdalena Martullo-Blocher betrifft das alles nicht. Sie darf unbesorgt weiterpoltern. «Der Bundesrat muss aufhören, jedem genau sagen zu wollen, was er wie zu tun hat», schimpfte sie kürzlich in einem Interview. Im gleichen Gespräch fragten die Journalisten auch, ob sie als EMS-Chefin dieses Jahr eine Dividende auszahlen werde. Ihre Antwort: «Davon gehe ich aus.»

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

Die neuesten Fallzahlen: Gemäss dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zählt die Schweiz heute mindestens 27’944 positiv auf Covid-19 getestete Personen. Bis Anfang April kamen täglich neue Fälle im vierstelligen Bereich dazu. Mittlerweile liegt die Zahl im niedrigen dreistelligen Bereich.

(Vielleicht ist es Ihnen aufgefallen: In den vergangenen Wochen haben wir an dieser Stelle auf die Daten des Statistischen Amts des Kantons Zürich verwiesen. Das Amt hatte die Zahlen, welche die Kantone jeweils kommunizierten, addiert. Doch nicht alle Kantone haben die Fallzahlen jeden Tag vor Redaktionsschluss aktualisiert. Die Daten des Bundesamtes sind deshalb, wie die IT-Abteilung der Republik verglichen hat, inzwischen meist aktueller.)

Ein Silberstreifen für die Gastronomie: Erstmals äusserte sich der Bundesrat heute konkret zu den Wiedereröffnungen von Restaurants und Bars. Alain Berset geht davon aus, dass die Gastronomie am 8. Juni wiederbelebt werden könne. Dafür müsse das Virus jedoch weiter unter Kontrolle gebracht werden. Die Gastrobranche blieb bisher unerwähnt im Exit-Szenario des Bundesrates.

Schlechte Prognosen für Touristiker: Die Nachfrage in der Tourismusbranche – beispielsweise bei den Bergbahnen oder der Hotellerie – ist in der Schweiz um 80 bis 95 Prozent eingebrochen. Das gab Eric Jakob, Leiter der Direktion für Standortförderung, heute bekannt. Das Seco rechnet damit, dass sich die Situation erst 2022 wieder vollständig normalisieren wird.

Keine Noten für Zürcher Kinder: Schülerinnen in den Primar- und Sekundarschulen im Kanton Zürich werden für das zweite Semester keine Zeugnisnoten erhalten. Stattdessen wird in den Zeugnissen auf die Corona-Pandemie verwiesen, wie die Zürcher Bildungsdirektion mitteilte. Seit Mitte März werden Prüfungen an den Volksschulen im Kanton nicht mehr benotet.

Rekordanstieg in Singapur: Über 900 Neuinfektionen vermeldete das Gesundheitsamt in Singapur am Samstag – so viele wie noch nie an einem einzelnen Tag seit Ausbruch von Sars-CoV-2. Der Stadtstaat in Südostasien galt im Kampf gegen das Virus lange Zeit als vorbildlich. In den vergangenen Wochen sind die Fallzahlen jedoch wieder stark gestiegen auf inzwischen über 8000. Mehr als drei Viertel der Erkrankten sind ausländische Gastarbeiter, die in überfüllten Wohnheimen leben.

Die besten Tipps und interessantesten Artikel

Staat versus Wissenschaft: Noch bevor das Virus Europa erreicht hatte, wollten die Epidemiologen Marcel Salathé und Christian Althaus ihre Erkenntnisse mit dem Bund teilen. Die beiden sind international bestens vernetzt und haben wichtige Erkenntnisse zum Coronavirus gesammelt. Doch das Bundesamt für Gesundheit lehnte ab. Die NZZ erzählt die Geschichte nach, wie die beiden Wissenschaftler zu Regierungskritikern wurden.

Der Homeoffice-Index: Wussten Sie, dass in der Schweiz 56 Prozent aller Jobs problemlos von zu Hause aus erledigt werden können? Das haben drei (angehende) Ökonomen ausgerechnet. Der Kanton mit dem höchsten Homeoffice-Potenzial ist übrigens Basel-Stadt mit einem Wert von 67 Prozent.

Folgenreicher Notfall: «Jede kennt den Satz, bei dem einem das Herz am schnellsten in die Hose sinkt: ‹Weisst du, der Patient, den du neulich untersucht hast? Nun, er kam zurück, und …›» Helen Ouyang ist Notfallärztin. Für das «New York Times Magazine» hat sie eine detaillierte, bedrückende Chronik von Covid-19 in ihrem New Yorker Spital geschrieben. Vom ersten Patienten bis zur kompletten Erschöpfung.

Zeig dich, Corona: Eine Gruppe von Schweizer Programmierern und Online-Experten hat eine spannende Non-Profit-Initiative gestartet. Sie heisst #ZeigDi und soll helfen, ein Bild von der Verbreitung und Entwicklung des Coronavirus zu zeichnen. Dazu geben Freiwillige alle paar Tage ihren Gesundheitszustand auf einer Website ein. Die Einträge werden datenschutzkonform und anonymisiert verarbeitet. Zu den Unterstützern zählt auch der Epidemiologe Christian Althaus.

Frage aus der Community: Ich habe Ferien gebucht im Sommer. Muss ich meine Pläne canceln?

Die Antwort auf diese Frage kommt leider mit vielen Verästelungen. Weltweit wird anders auf das Virus reagiert. Gewisse Länder sind dem Rest der Welt um Wochen voraus. Zudem müssen wir in jedem Fall eine Vielzahl von Faktoren beachten: Sinken die Fallzahlen? Werden die Grenzen geöffnet? Werden Urlaubsreisen erlaubt? Empfangen die Hotels wieder Gäste?

Sie sehen: Es ist kompliziert. Versuchen wir es deshalb mit einem konkreten Beispiel. Sagen wir: Sie wollen in den ersten beiden Juliwochen in die Toskana fahren.

Zuerst die schlechten Nachrichten: Der Bundesrat hält die Schweizer Grenzen bis auf weiteres geschlossen. Und in Italien hat die Regierung den Lockdown bereits zweimal verlängert. Er dauert mindestens bis zum 3. Mai.

Nun die besseren: Die Anzahl Neuinfektionen sinkt in Italien seit Wochen. Nach Ostern wurden die Massnahmen erstmals leicht gelockert. Die Situation scheint sich langsam stabilisiert zu haben. Um nun die Sommersaison irgendwie zu retten, kursieren bereits wilde Ideen für Plastikschranken an den Stränden oder in Restaurants.

Dennoch: Gemäss Tourismusexperten steht es schlecht um Ihre Reise. Die italienische Regierung hat mehrfach betont, dass sie die Massnahmen nur langsam weiter lockern werde. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat erst kürzlich von Reisebuchungen für Juli und August abgeraten. Als Erstes, sagen Experten, werde sowieso der jeweilige nationale Tourismus wieder hochgefahren. Bundesrat Alain Berset sagte heute, dass sich spätestens im Mai entscheiden werde, wie der Binnentourismus in der Schweiz diesen Sommer aussehen wird.

Zum Schluss ein Blick nach Spanien, wo sich auf der Suche nach einem Ausweg aus dem Lockdown jetzt vor allem die Kleinen freuen dürfen

Auf der Iberischen Halbinsel gab es in den letzten Wochen eigentlich keine hoffnungsvollen Aussichten. Spanien ist mit über 20’000 Corona-Toten das am härtesten getroffene Land Europas. Die allgemeine Ausgangssperre wurde inzwischen vom 26. April auf den 9. Mai verlängert. Noch nicht mal zum Joggen darf man raus. Ganz besonders leiden die Kleinen darunter. Experten sprechen von vielen registrierten Fällen depressiver Verstimmungen bei Kindern. Doch nun zeichnet sich ein Silberstreifen ab: Ministerpräsident Pedro Sánchez hat angekündigt, dass Kinder bis zu 12 Jahren ab dem 27. April wieder für eine Stunde vor die Tür dürfen. Auch wenn Parks und Spielplätze tabu bleiben und ein Erwachsener dabei sein muss: So sieht doch Hoffnung aus.

Bleiben Sie hoffnungsvoll, bleiben Sie freundlich, bleiben Sie gesund.

Bis morgen.

Philipp Albrecht, Ronja Beck und Oliver Fuchs

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

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PPPS: Haben Sie am Samstag das 8-Stunden-Corona-Benefiz-Konzert mit Lady Gaga, Elton John, Taylor Swift und den Rolling Stones verpasst? Hier können Sie den gesamten Stream nachschauen.

PPPPS: Wie demonstrieren Tausende Menschen auf einem öffentlichen Platz, ohne gegen die Abstandsregeln zu verstossen? Die Israelis zeigen es. Gestern protestierten 2000 Leute in Tel Aviv gegen Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und seine antidemokratischen Massnahmen im Kampf gegen das Coronavirus.

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