Covid-19-Uhr-Newsletter

Heartbreak Hotel

09.04.2020

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Liebe Leserinnen und Leser

Klausel. Auch so ein Wort, das in Pandemie-Zeiten an Wucht gewinnt.

Weil die Versicherungspolice von Fabian Forster keine Klausel kennt, kann der Hotelier aus Zermatt, mit dem wir für diesen Newsletter gesprochen haben, etwas optimistischer als so mancher Kollege in die Zukunft blicken.

«Den Hotels geht das Geld aus», warnte der oberste Schweizer Hotelier kürzlich. «Die Existenzängste sind gross

Doch Forster, 35, der seit acht Jahren das Viersternhotel Sonne führt, glaubt sogar an eine gesunde Drosselung des Wachstums. Aber lesen Sie selbst:

«Etwas Vergleichbares habe ich noch nie erlebt. Niemand in meiner Familie hat das, seit meine Grossmutter in den 1950er-Jahren das Hotel Sonne übernahm. Der Börsencrash 1987, 9/11, die Finanzkrise 2008, der Frankenschock vor fünf Jahren: Immer wieder hatten wir schwere Phasen zu überstehen. Aber den Betrieb von einem Tag auf den anderen schliessen, das mussten wir bis zum Coronavirus nie.

Seit dem 18. März stehen unsere fünfzig Zimmer leer. Im Fonduestübli isst niemand, genauso wenig in unserer Tapasbar oder im Restaurant. Der finanzielle Schaden für unseren Familienbetrieb ist schon jetzt immens. Von Mitte März bis Ende April entgeht uns ein Umsatz von fast einer Million Franken.

Schwerer als das Geld aber wiegt die Ungewissheit. Ich habe keine Ahnung, wann wir zum Normalbetrieb zurückkehren können. Selbst wenn die Sonne schon im Mai wieder öffnen sollte, können wir nicht wissen, wie die Touristen reagieren werden. Kehren sie rasch nach Zermatt zurück?

Im Winter kommen zwei Drittel unserer Gäste aus der Schweiz. Im Sommer aber wendet sich das Verhältnis ins Gegenteil: Dann kommen 60 Prozent der Gäste aus dem asiatischen Raum und je etwa 20 Prozent aus der Schweiz und dem restlichen Ausland. Sollte es in zwei Monaten noch immer kaum Flüge aus Bangkok, Tokio, New York und aus dem europäischen Raum geben, haben wir ein Problem.

Von den 121 Zermatter Hotels haben inzwischen nur noch zwei kleine geöffnet, ein kleines Zwei- und ein kleines Dreisternhaus. Über Ostern hätten zehn Stammgäste bei uns übernachten wollen. In der aktuellen Situation möchten wir sie jedoch nicht zum Reisen animieren. Sie sollen kein Risiko eingehen.

Für grössere Hotels wie die Sonne würde sich der Betrieb zurzeit so oder so nicht lohnen. Den Fitness- und den Massageraum müssten wir absperren, genauso das Schwimmbad und den Spa. Und weil alle Restaurants geschlossen sind, müssten wir unseren Gästen ein Abendessen kochen und ins Hotelzimmer liefern. Selbst für solch einen Minimalbetrieb bräuchte ich mindestens sieben Mitarbeiterinnen.

Andere Zermatter Hotels nutzen die erzwungene Auszeit für Renovationen. Wir haben da keinen Bedarf, haben wir doch 2018 gerade erst neun Millionen Franken investiert. Wie wir an Weihnachten den jeweils zum Jahresende hin fälligen Kredit für den Umbau zurückzahlen wollen, weiss ich zurzeit noch nicht.

Immerhin: Mit unserer Versicherung haben wir Glück. Sie kommt für den Teilausfall auf, der uns wegen der Restaurantschliessung entsteht. Befreundete Hoteliers, die Verträge mit anderen – grösseren – Versicherungen abgeschlossen haben, gehen komplett leer aus. In irgendeiner Klausel haben diese Konzerne festgeschrieben, dass sie im Falle einer weltweiten Pandemie nichts bezahlen müssen.

Die ausbleibenden Hotelübernachtungen aber bezahlt uns niemand, da wir ja geöffnet haben könnten, wenn wir wollten. Es ist paradox: Der Bundesrat sagt, Hotels bräuchten trotz Corona nicht zu schliessen. Gleichzeitig hat er die Landesgrenzen geschlossen und ruft alle Bewohner der Schweiz auf, von Reisen abzusehen. Den Schaden dieser widersprüchlichen Haltung haben wir zu tragen.

Die Sonne beschäftigt 29 Angestellte. Fast alle haben Jahresverträge, 2 sind Saisonniers. Zwar sind alle unsere Mitarbeiter seit Anfang April in Kurzarbeit und erhalten ihren Lohn vom Staat – das hilft uns enorm. Kosten haben wir aber dennoch: Wir müssen für ihre Sozialleistungen aufkommen. Das macht monatlich zwischen 30’000 und 50’000 Franken aus.

Viele Angestellte arbeiten seit Jahren, manche seit Jahrzehnten bei uns. Wenn es irgendwie geht, wollen wir niemanden entlassen. Aber wenn die Ungewissheit, wie es für uns weitergeht, über mehrere Monate hinaus anhält, wird es schwierig …

Langfristig glaube ich, dass die Corona-Krise für uns alle auch eine Chance ist. Tempo und Wachstum waren in den letzten Jahren richtiggehend ungesund. Ziehen wir die richtigen Schlüsse, wird der Tourismus nachhaltiger – in Zermatt und anderswo. Ich habe die Hoffnung, dass die Menschen die Ruhe der Walliser Bergwelt in der Zeit nach Covid-19 noch mehr schätzen werden als bisher.»

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

  • Die neuesten Fallzahlen: Gemäss Zahlen, die das Statistische Amt des Kantons Zürich aus den Daten der einzelnen Kantone zusammenstellt, zählt die Schweiz heute mindestens 23’799 positiv auf Covid-19 getestete Personen. Am 26. März waren es noch rund 12’000 – die Fallzahlen verdoppeln sich derzeit innerhalb von etwa 14 Tagen. «Auf heute wurden wieder mehr Leute getestet, deshalb gehen die Zahlen rauf. Wenn man das mit einrechnet, gehen die Zahlen aber langsam runter. Das hat mit Sicherheit mit dem Verhalten der Bevölkerung zu tun», sagt Daniel Koch vom Bundesamt für Gesundheit.

  • Kein Aufschub für Betreibungen: Man wolle aus der Geschichte lernen, sagt der Bundesrat. Darum wird für Betreibungsämter der Lockdown nicht verlängert, ab 19. April sollen Schuldner wieder betrieben werden. Hintergrund: Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 hatte man die Betreibungsfristen eingefroren. Justizministerin Karin Keller-Sutter nannte den Fristenstillstand von vor über 100 Jahren einen «Kardinalfehler», weil danach die Zahlungsmoral der Schweizer bachab gegangen sei.

  • Zürcher Kantonsarzt kündigt: Er war seit März krankgeschrieben, jetzt hat Dr. Brian Martin gekündigt. Die WOZ schrieb schon vor Wochen, Martin habe seit Mitte Januar durchgearbeitet und sei an der Belastungsgrenze. Jetzt verkündet das Gesundheits­departement von SVP-Frau Natalie Rickli: «Auf seinen Wunsch wird er per sofort freigestellt, um eine neue Herausforderung anzunehmen.»

  • Weltwirtschaft im Sinkflug: Der Internationale Währungsfonds warnt, die Pandemie könne zur schlimmsten wirtschaftlichen Entwicklung seit der Grossen Depression in den 1930er-Jahren führen. «Wir sind mit einer noch nie da gewesenen Krise konfrontiert», sagt die Direktorin. Am Mittwoch hatte das Staatssekretariat für Wirtschaft seine Konjunkturprognose für die Schweiz um zwei Negativszenarien ergänzt. Die Quintessenz: Die Rezession könnte deutlich schwerer ausfallen als bisher angenommen und die Erholung länger auf sich warten lassen.

Die besten Tipps für Ostern

Haben Sie ihn auch gespürt, diesen Hauch von Freiheit, als die Landesregierung gestern von einer Lockerung sprach? Eine Lockerung des Lockdowns. Wie schön das klingt! Aber bis dahin: durchhalten. Gerade über Ostern. Das lange Wochenende ist so etwas wie die Nagelprobe: Vermasseln wir es, verschiebt sich die Lockerung womöglich um Wochen und wir verharren noch länger in dieser starren Welt voller deprimierender Anglizismen: Homeoffice. Social distancing. Lockdown.

Lassen Sie also den Töff in der Garage und das Generalabonnement in der Schublade. Machen Sie einen Spaziergang, gehen Sie joggen und mit dem Hund raus.

Oder backen Sie Osterzöpfe für Ihre Nachbarn.

Schneiden Sie sich selbst die Haare: (Frauen), (Männer).

Verfassen Sie ein Gedicht über unseren höchsten Covid-Experten Daniel Koch. Aber tun Sie ihm den Gefallen, es ihm nicht zu schicken.

Stellen Sie eine Spotify-Playlist zusammen mit den besten Hits, die in dem Jahr erschienen, als Sie geboren wurden (Tipp: Googeln Sie Ihren Jahrgang + «Greatest Hits»).

Machen Sie Kunst aus etwas, von dem Sie gerade mehr als genug haben: WC-Papier (etwa Origami oder so was).

Suchen Sie sich eine Investition (oder eine Spende) in Höhe des Betrags, den Sie sonst für eine Osterreise ausgegeben hätten.

Gehen Sie ins digitale Theater.

Stellen Sie ein berühmtes Gemälde nach.

Schreiben Sie Briefe an Menschen im Pflegeheim.

Oder füllen Sie endlich mal die Steuererklärung aus.

Frage aus der Community: Für Angestellte gibt es Kurzarbeit, aber wie ist das jetzt mit den Selbstständigen – kriegen die auch Geld vom Bund?

Jein. Man muss unterscheiden zwischen Selbstständigen, denen der Bundesrat die Berufsausübung vorübergehend verboten hat – zum Beispiel Coiffeure oder Betreiberinnen von Kleiderläden –, und Selbstständigen, die weiterarbeiten dürfen – etwa Gärtnerinnen oder Unternehmensberater.

Die erste Gruppe kann bei der Arbeitslosenversicherung ein Taggeld beantragen. Es beträgt 80 Prozent des bisherigen Einkommens und dabei höchstens 196 Franken pro Tag. Zu dieser Gruppe zählen übrigens auch Künstler, deren Auftritte abgesagt werden mussten.

Von der zweiten Gruppe gehen im Moment alle leer aus, die ihr Mikrounternehmen nicht als GmbH oder AG organisiert haben. Die anderen haben Anspruch auf 3320 Franken pro Monat. Allerdings können viele damit noch nicht einmal die Miete bezahlen. Erschwerend kommt hinzu, dass viele keinen Kredit bei der Hausbank aufnehmen wollen, auch wenn dieser zinsfrei ist. Die Angst, das Geld nicht zurückzahlen zu können, ist zu gross.

Will der Bundesrat diesen Unternehmern nicht helfen? Eigentlich hätte Wirtschaftsminister Guy Parmelin gestern Mittwoch eine Lösung präsentieren sollen. Doch es kam nichts. Die Sache sei «sehr komplex», teilte er mit. Offenbar arbeiten mehrere Stellen in der Bundesverwaltung daran.

Zum Schluss eine optimistische Nachricht: Schon vor 100 Jahren schafften unsere Vorfahren #flattenthecurve

Viren unterscheiden sich in ihrer Art, unsere Körper anzugreifen, und so unterscheidet sich auch der Verlauf der Krankheitswellen, die sie auslösen. Dass wir heute trotzdem aus vergangenen Pandemien lernen können, zeigt das Beispiel des social distancing. Die Methode funktioniert – das zeigen historische Daten zur Grippepandemie von 1918. Die Kurven flachten längerfristig ab, nachdem amerikanische Städte für Wochen oder Monate Veranstaltungen storniert, Schulen und Kirchen geschlossen und Kranke isoliert hatten.

Weiter lernen wir von damals, dass insgesamt weniger Menschen starben,

  • je früher eine Stadt solche Distanzmassnahmen verordnete,

  • je länger ihre Bewohner sich an die Massnahmen hielten und

  • wenn die Stadt beim Auftreten einer zweiten Welle einen weiteren Lockdown auf sich nahm.

Nun wollen wir die Nachricht auch nicht überverkaufen: Die Grippe von 1918 hat Millionen von Menschen dahingerafft. Und inzwischen haben Globalisierung und Urbanisierung dazu geführt, dass sich Viren weniger leicht eindämmen lassen. Hier trotzdem zwei Gründe für Optimismus:

  • Die Methode des social distancing funktioniert auch heute offensichtlich – mit etwas Geduld.

  • Heute müssen wir dank entsprechender Technologie lediglich physical distancing auf uns nehmen. Wer 1918 in Quarantäne festsass, konnte Familie und Freunde aus anderen Städten weder sehen noch hören.

Bleiben Sie umsichtig, bleiben Sie freundlich, bleiben Sie gesund. Und rufen Sie jemanden an!

Bis morgen

Philipp Albrecht, Dennis Bühler, Oliver Fuchs, Marie-José Kolly und Cinzia Venafro

PS: Haben Sie Fragen und Feedback, schreiben Sie an: covid19@republik.ch.

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PPPS: Die botanischen Gärten blühen, und nur die Gärtner können zuschauen: In Madrid etwa den Tulpen, die sich derzeit öffnen. Die Mitarbeiter des dortigen botanischen Gartens pflücken jetzt die Blumen und schicken sie an Spitäler.

PPPPS: Die gute Kurznachricht: In den Niederlanden ist eine 107-jährige Frau Mitte März an Covid-19 erkrankt – und mittlerweile wieder geheilt.

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