Moderatorin des «RT Deutsch»-Formats «Der fehlende Part»: Jasmin Kosubek. Moritz Gebhardt

Was stimmt denn jetzt?

Alternative Fakten, Fake News, Nebelkerzen: Wahr und Falsch sind Glaubens­sache geworden. Eine Reise an drei Orte, wo gerade verhandelt wird.

Von Anina Ritscher, 03.03.2020

Synthetische Stimme
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Florian Warweg hat wenig Zeit an diesem Freitag, er muss seinen Sohn von der Kita abholen. Seine spitzen Leder­schuhe passen nicht recht zur Langhaar­frisur und der selbstsichere Gang nicht zur zittrigen Stimme. Von sich selbst sagt Warweg, dass er etablierte Narrative hinterfragen und kritischen Journalismus machen will. Das steht in starkem Kontrast zu seiner öffentlichen Rolle: Florian Warweg ist Online­chef bei «RT Deutsch».

Er möchte die Wahrheit aufdecken. Aber seit Warweg bei «RT Deutsch» arbeitet, steht er als Lügner da. Seine selbst ernannten Gegner sind Fakten­checkerinnen und Fake-Jäger, die sich der Verwirrung entgegen­stemmen. Zum Beispiel zwei Männer in Wien, die sich eifrig durch die Lügen auf Facebook graben. Oder eine Journalistin, die in Rostock Schülerinnen und Schülern erklärt, wie sie Lügen im Netz erkennen – und selber nicht weiss, wo die jungen Menschen sich online rumtreiben.

Dies ist eine Reise zu den selbst ernannten Aufklärern unserer Zeit. Sie alle ringen um die Wahrheit – mehr und weniger erfolgreich.

Berlin: Die Graumaler

«RT Deutsch»-Onlinechef Florian Warweg ist Mitte dreissig, hat in Tübingen studiert – umgeben von «Links­liberalen». Nach dem Studium gründete er den Nachrichten­blog «amerika21»; 2015 fing er als einer der ersten Redaktoren bei «RT Deutsch» an. Weil er «das Projekt ganz spannend fand», wie er sagt.

Redaktion und Fernseh­studio von «RT Deutsch» sind in Berlin-Adlershof, in einem ehemaligen Lager für Fotovoltaik­anlagen. Die Mieten sind niedrig, die Stadt franst hier aus in Lager­hallen, vierspurige Strassen und Grund­stücke voller Unkraut. Drinnen stehen weisse Schränke ohne Inhalt, schwarze Falschleder­couchs und überdimensionale graue Pflanzen­töpfe. Warweg führt durch die Fabriketage.

Die Stimmung ist locker, zum Mittag­essen kocht jemand Chili. Die entspannte Stimmung verfliegt nur, wenn Chef­redaktor Ivan Rodionov auftritt. Ein Mann mit stechenden Augen und Ohrring, der im Eiltempo durch den Raum stürmt. Auch Warweg verspannt sich dann.

Bei «RT Deutsch» trägt man Jeans und Turnschuhe. An die zwanzig Leute arbeiten hier, inklusive Social-Media-Redaktoren, Layouterinnen und Webdesignern. Ein Social-Media-Redaktor säubert die Facebook-Seite von «RT Deutsch» gerade von den allermiesesten Kommentaren. Er selber informiere sich am liebsten bei «KenFM» und den «Nachdenkseiten», sagt er. Zwei Plattformen, die immer wieder Verschwörungs­theorien verbreiten.

Ein Mann sitzt an seinem Schreib­tisch, angelt saure Gurken aus einem Glas und beisst hinein, während er sich ein ZDF-Dokudrama über Angela Merkel und ihre Asylpolitik anschaut. Im Schrank hinter ihm steht ein weiteres Gurken­glas. Auf dem Schrank liegt eine russische Fellmütze. Kürzlich hat Florian Warweg auf Twitter ein Bild davon rumgeschickt – und gewitzelt, er sei ein russischer Geheim­agent, der Putins Befehlen folge.

Entspannte Stimmung in der «RT Deutsch»-Redaktion. Moritz Gebhardt
Der Onlinechef bei «RT Deutsch»: Florian Warweg. Moritz Gebhardt

RT, früher Russia Today, ist ein russischer Fernseh­sender und wird vom Kreml finanziert. RT sendet auf der ganzen Welt auf Englisch, Französisch, Spanisch, Arabisch und Deutsch. Die Botschaft des Senders lautet: Die anderen verschweigen euch etwas. Hier bekommt ihr die ganze Wahrheit. Die Stoss­richtung ist oft: Die EU scheitert, die USA wollen die Welt unter­jochen, der Westen hasst und benachteiligt Russland.

Wobei RT durchaus subtil vorgeht. Der Sender feiert nicht blind die russische Regierung. Eher sät er da Verwirrung, wo es eh schon unüber­sichtlich ist: wenn es um den Ukraine­krieg geht etwa. Und er vertieft Gräben, wo sie schon vorhanden sind: in der Asyl­debatte zum Beispiel. Sodass am Ende oft nicht mehr ganz klar ist: Von wem werden wir eigentlich belogen?

Florian Warweg, was ist ihr journalistisches Selbstverständnis?

«Es gibt viele Realitäten», sagt der Online­chef. «Als Journalist muss ich alle abbilden. Und dann ist es die Eigen­verantwortung der Medien­konsumenten, sich daraus ein eigenes Bild zu machen.»

Im Bücherregal der Redaktion stehen Bücher über das «Beuteland» Deutsch­land, gemeint sind damit die Reparations­zahlungen, die Deutsch­land nach dem Zweiten Welt­krieg leisten musste. Über die «Annektierung Europas durch die USA» – Washington befiehlt, Brüssel spurt. Über den «Fall Ken Jebsen», den Verschwörungs­theoretiker hinter «KenFM». Auf dem Couch­tisch liegt ein Bericht: Der menschen­gemachte Klima­wandel sei eine Lüge. Und am Pinnbrett hängt eine Mail des linken Bundestags­abgeordneten Alexander Neu: «Liebe Redaktion von RT Deutsch, danke für die gute Zusammen­arbeit im letzten Jahr.»

Aushängeschild von RT Deutsch ist «Der fehlende Part», eine wöchentlich erscheinende Nachrichten­sendung, die via Youtube und soziale Netzwerke verbreitet wird – eine Sende­lizenz hat RT in Deutschland nicht.

Mittags um 12 Uhr startet die Aufnahme für «DFP». Moderatorin Jasmin Kosubek hat ihre Turn­schuhe unter einen Stuhl gestellt und gegen High Heels eingetauscht. Sie rückt ihren Rock zurecht und blickt in die Kamera. «Und bitte!», tönt es durch eine Sprech­anlage aus der Regie. «Hallo und herzlich willkommen», sagt Kosubek. Die Themen an diesem Tag: die Wahlen in Sachsen, die Angst eines jungen AfD-Wählers vor der «wirtschaft­lichen, kulturellen und demografischen Demontage Deutschlands». Und der rechtsnationale frühere CDU-Politiker Willy Wimmer über Angela Merkels Asyl­politik als «fort­währenden Verfassungs­bruch» – unkommentiert und ohne Unter­brechung. Unlängst drehte sich eine Sendung um Ufos.

Danach: Gespräch mit Redaktor Warweg im «Konfi», einem ovalen Raum mit Wänden aus Plexiglas. «Wir greifen die Themen auf, die von anderen Medien liegen gelassen werden», sagt er. Zum Beispiel war da ein Konzert des ehemaligen Pink-Floyd-Sängers Roger Waters, mit dem er Solidarität mit Julian Assange gezeigt hat – eine Sensation, sagt Warweg, aber niemand habe darüber geschrieben, ausser RT.

Themen, über die andere Medien berichten, lässt «RT Deutsch» gerne weg. Eine Explosion beim Test einer nuklearen Rakete in Russland im August 2019 beispiels­weise wurde von «RT Deutsch» mit einem kurzen Text abgehandelt. Man übernahm die spärliche Kommunikation der russischen Regierung und meldete: «Spezialisten arbeiten unter Bedingungen, die bei allen Tests ein potenzielles Risiko darstellen.» Fünf Menschen starben bei dem Unfall – den Russland mehrere Tage verschwieg.

«Es ist nicht immer alles schwarz oder weiss. Bei ‹RT› malen wir die Welt grau», sagt Warweg.

Wien: Die Anarcho-Factchecker

Andre Wolf zoomt an seinem Bildschirm einen Fleck auf Google Maps heran. «Volltreffer!», ruft er und wirft die Hände in die Luft.

Wolf, ein Mann mit Sidecut­frisur und Brille, starrt in seinen Bild­schirm. «Hier, auf dieser hölzernen Terrasse, läuft er lang, hier kommt er dann um die Ecke, und da kommt der Spielplatz ins Bild.» Wolf fährt den Weg auf dem Satelliten­bild mit dem Finger ab. In einem anderen Fenster lässt er ein Handy­video laufen. Darin sieht man die Terrasse, die Ecke, den Spielplatz. Wolf grinst. Er hat gerade ein Fake auf Facebook aufgedeckt.

Ihm gegenüber sitzt Tom Wannen­macher, ein Mann mit breitem steirischem Akzent. Neben ihnen an der Wand kleben ausgedruckte Fotos: ein Selfie von Wolf mit dem Satiriker Jan Böhmer­mann. Eines mit Fernseh­komiker Joko Winter­scheidt. Am Computer­bildschirm ein Sticker: Unicorns aren’t real, Einhörner sind nicht echt.

Die beiden sitzen im Haupt­quartier von Mimikama, dem «Verein gegen Internet­missbrauch». Und heute ist ein guter Tag. Das Handy­video mit dem Spiel­platz ist ein klassischer Fall für die «Fake-Jäger», wie sich Wolf und Wannen­macher in ihrem auto­biografischen Buch nennen.

Die «Fake-Jäger» von Mimikama: Andre Wolf und Tom Wannenmacher (rechts). Moritz Gebhardt

In dem Video führt eine unbekannte Stimme durch eine Asyl­unterkunft, die gerade geschlossen wurde. In einem Raum stehen Dutzende Wasch­maschinen, die angeblich entsorgt werden. Der Filmer kommentiert: «Hier seht ihr mal, was mit unseren Steuern passiert.» Die Terrasse vor der Unter­kunft ist mit Holz­böden verlegt, «natürlich vom Allerfeinsten».

Ein Facebook-Nutzer hat das Video geteilt mit dem Kommentar: «Wer so etwas veranlasst, ist respektlos dem eigenen Volk gegenüber, das dies alles mit den Steuer­geldern, die es erwirtschaftet, finanzieren muss, ob es will oder nicht!!» Es wurde über 4000-mal angeklickt. Unter dem Video kommentierte ein Nutzer: «Danke, Mama Merkel.»

Nur eines im Wasch­maschinen-Video stimmt, finden die beiden Mimikama-Leute an diesem heissen Nach­mittag im Juli allmählich heraus: Es wurde tatsächlich in einer Asyl­unterkunft gedreht. Alles andere ist falsch.

Per Google-Satelliten­bild findet Andre Wolf heraus, dass das Video nicht in Friedland in Nieder­sachsen aufgenommen wurde, sondern auf dem Tempel­hofer Feld in Berlin. Und der Holz­boden auf der Terrasse ist kein Luxus­parkett, sondern schlichtes Holz – so will es eine Vorschrift des Denkmal­schutzes der Stadt Berlin. In einer Video­einstellung entdeckt Wolf einen Liefer­schein der Firma, welche die Unter­kunft betrieb. Ein Anruf, und er weiss: Die Wasch­maschinen werden gespendet und nicht weggeworfen.

Wolf schreibt einen Beitrag über seine Recherche, und Wannenmacher bastelt ein Beitrags­bild. Dann geht der Artikel online auf der Website von Mimikama. Die beiden posten ihre eigene Richtig­stellung nie unter dem Original­post – «das machen unsere Leser». Und tatsächlich: Kurz darauf postet jemand den Mimikama-Link unter das Video und kommentiert «Es ist ein Fake. Diese Einrichtung gibt es doch gar nicht in Friedland! Hier kannst du nachlesen.»

Der Kommentar geht unter. Kaum jemand bemerkt ihn. Die Welle von empörten «Was ist los in diesem Land?»-Kommentaren türmt sich ungehindert weiter auf. Als wollten die Nutzer nur das sehen, was sie eh schon glauben. Falsch­nachrichten aus dem rechten Spektrum überwiegen in den sozialen Netzwerken deutlich: AfD-Wählerinnen sind statistisch die Gruppe, die sich am ehesten in sozialen Netzwerken informiert und die den etablierten Medien am wenigsten Vertrauen entgegenbringt.

Kaffeepause. Andre Wolf und Tom Wannen­macher sitzen unter einem Aprikosen­baum auf einer Wiener Dach­terrasse. Wolf trinkt Kaffee, Wannen­macher raucht. Hinter ihnen steht ein Grill, an der Wand hängt ein Schild mit dem Schrift­zug «Biergarten» daneben eins mit «St. Pauli». Wannen­macher gründete Mimikama 2011 am schlimmsten Tag seines Lebens, wie er selbst sagt. Er hatte gerade seine Frau verlassen und soff in seinem Büro.

Wannenmacher gründete die Seite, um vor Abzocke bei Online-Games zu warnen. Dann kam der Sommer 2015, kamen Hundert­tausende Schutz­suchende nach Mittel­europa – und begann die rassistische Stimmungs­mache mit gefälschten Nachrichten.

Eine Auswahl von Fake-Nachrichten, die er schon korrigiert hat:

  • die Vermutung, Carola Rackete sei in Wahrheit Daniel Küblböck;

  • eine Meldung, die behauptet, die Begriffe «Vater» und «Mutter» sollten abgeschafft werden;

  • ein Kettenbrief, in dem steht, dass an baden-württembergischen Schulen der Ausdruck «Grüss Gott» nicht mehr verwendet werden dürfe, um muslimische Schülerinnen nicht zu beleidigen.

«Uns ist kein Thema zu schade», sagt Wolf.

Das Factchecking habe er schon im Studium gelernt, sagt Wolf. Er studierte Theologie und wollte Pfarrer werden. «Im Theologie­studium macht man im Grunde ein Fact­checking der Bibel», sagt er. Das mit der Kirche hat dann nicht geklappt – er sei einfach kein Muster­schüler gewesen. Auch Wannen­macher hat schon Kehrt­wenden in seinem Leben hingelegt: Ausbildung zum Konditor, Grafiker und jetzt eben Fake-Jäger.

Factchecking, eine Weile lang galt es als Wunder­waffe gegen Fake News. Doch eine Studie aus dem Jahr 2018 kam zum Schluss, dass eine Information umso glaub­würdiger erscheint, je öfter sie wiederholt wird – selbst dann, wenn sie gleichzeitig widerlegt wird. Eine Metastudie von 2017 ergab, dass Fakten­checks nur funktionieren, wenn die Lüge nicht einfach als solche enttarnt, sondern auch mit einer wahren Aussage ersetzt wird.

Was Mimikama von einem Fact­checking-Büro wie etwa «Correctiv» unterscheidet? «Dass wir Spass haben», sagt Wannenmacher.

Einmal kam ein Journalist vom Fernsehen und wollte einen Bericht über Mimikama machen. Da vertauschten die beiden kurzerhand ihre Namen – Wannenmacher sprach Andre als «Tom» an und umgekehrt. Und so wurde das dann ausgestrahlt.

Er und Wannen­macher sind die Anarcho­jungs des Factcheckings. «Wir schreiben nicht vor, sondern mit. Mit den Menschen da draussen. Wir gehören im Grunde dazu. Mimikama ist von Facebook-Nutzern für Facebook-Nutzer.»

Rostock: Ureinwohner und Eingewanderte

Ein Klassenzimmer, eine 9. Klasse in Rostock. «Wir haben heute Besuch», sagt die Lehrerin. Der Besuch steht hinter ihr und baut hastig einen Laptop auf, schliesst ihn an den Beamer an. Klappt nicht sofort, dann nach zehn Minuten doch.

«Ich bin Jana Schulze, und ich möchte heute mit euch über Fake News reden.»

Schulze gegenüber sitzen rund zwanzig Fünfzehn­jährige an Gruppen­tischen auf Dreh­hockern. Sie besuchen den Kurs «Medien­welten», ein Wahl­pflicht­fach hier an der Don-Bosco-Schule. Es wird getuschelt, gekichert, auf den Stühlen herumgeturnt. Die Wände der Gesamt­schule in Rostock sind eierschalen­farben, der Boden oranges, fleckiges Linoleum.

Schulze berichtet an normalen Tagen für den NDR aus Rostock. Und sie macht mit bei «Lie Detectors», einer Initiative, die Journalistinnen und Schul­klassen zusammen­bringen will. Kinder und Jugendliche sollen erfahren, wie Journalismus funktioniert. Wie sie Falsch­meldungen und Manipulationen erkennen.

NDR-Journalistin Jana Schulze gibt den Kurs «Medien­welten» an der Don-Bosco-Gesamtschule. Moritz Gebhardt
In diesem Kurs lernen die Fünfzehn­jährigen, wie man Fake News erkennt. Moritz Gebhardt

Jana Schulze zeigt ein Video, das ihre Arbeit näherbringen soll: ein Bericht des NDR, in dem sie in einem Golfkart über einen Camping­platz fährt und den Alltag des Camping­platz­warts begleitet. In der hintersten Reihe lacht jemand, als Schulze im Video bei der Reinigung der Camping­klos dabei ist.

«Wer hier hat ein Smart­phone?», fragt Schulze in die Klasse.

Alle Schüler strecken die Hand in die Luft.

«Welche Nach­richten konsumiert ihr und wann?»

Ein Junge am Fenster sagt, er schaue einmal am Tag auf «Tagesschau.de».

Ein Mädchen in der hintersten Reihe informiert sich auf Instagram.

«Und was schaust du dir da dann an?», fragt Schulze.

«Hm. Weiss nicht. ‹Tagesschau.de› oder so. Oder ich schau auf ‹Google News›.»

Der Junge neben ihr sagt: «Ich informiere mich auch auf ‹Google News›.»

So tun es heute die meisten Jugendlichen: Sie nutzen Youtube und Instagram. Facebook ist out, Zeitungen liest kaum jemand, und das klassische Fernsehen ist etwas für die Eltern.

Schulze zeigt vier Nachrichten aus dem Netz: Fake oder echt? Ein Werbe­spot von Burger King, der eine Zahn­pasta mit Whopper-Geschmack anpreist. «Das ist zu übertrieben, ich denke nicht, dass es das gibt», sagt ein Junge am Fenster. «Denk dran, das sind Amerikaner!», gibt ein anderer zu bedenken. Trotzdem: Fake.

Ein Foto: Hurrikan Dorian, ein Hai, der auf einen Highway gespült wurde. «Kann ich mir gut vorstellen», sagt jemand. «Das Bild ist bearbeitet», findet ein anderer. Stimmt. Ein Fake.

Eine Meldung: Trump sei eigentlich Pakistani. Der Beweis: Trump als Kind in pakistanischer Militär­uniform. Klar, ein Fake, erkennen alle.

Noch eine Meldung: «700 Euro Weihnachtsgeld für Flüchtlinge», illustriert mit einem Foto, auf dem ein Geflüchteter ein Selfie mit Angela Merkel macht. Die Geister scheiden sich. «Ja, das traue ich der Politik zu», sagt ein Junge. Jemand widerspricht: «Die Seite sieht nicht vertrauens­würdig aus.» Er hat recht: Auch das ist ein Fake.

Schulze blendet eine Folie ein, mit Tipps, um Fake News zu entlarven. Nicht nur Überschriften lesen. Nicht gleich alles teilen. Nachdenken. Verschiedene Medien konsumieren und so verschiedene Blick­winkel einnehmen.

Ob das reicht?

Die Schulglocke läutet. «Können wir gehen?», sagt ein Junge in der letzten Reihe und packt sein Zeug zusammen.

Eine Minute später ist das Zimmer leer. Schulze steht da und resümiert: «Also ich muss wirklich auch mal auf Instagram. Und was die mit ‹Google News› meinen, weiss ich nicht. Hat Google jetzt eine eigene Nachrichten­plattform?» Die digitale Einwanderin steht den digitalen Ureinwohnerinnen ratlos gegenüber.

Derweil schreibt «RT Deutsch» auf Instagram: «Greta Thunberg ist jetzt ‹Botschafterin des Gewissens›.» Darunter kommentiert jemand: «Wann hört endlich die Lügen­propaganda mit diesem Klima­wandel auf?»

Zur Autorin

Anina Ritscher ist freiberufliche Journalistin und lebt in Basel. Sie schreibt unter anderem für die deutsche Tageszeitung TAZ, die Schweizer Medien WOZ und «Das Lamm».

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