Keine halben Sachen

Dominik Waser fand, der Bundesrat und die Klimabewegung seien zu bequem geworden. Also trat er in den Hungerstreik. Dafür erntete er Hass in den Kommentar­spalten und auch Kritik von seinen Mitstreitern. Radikale gegen Gemässigte – droht der Bewegung die Spaltung?

Von Elia Blülle (Text) und Claudia Schildknecht (Bilder), 19.12.2019

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Ganz oder gar nicht: Ein Lebensmotto, das Dominik Wasers Leben nicht immer einfach macht.

Dominik Waser sieht aus, als hätte er die ganze Nacht durchgefeiert. Es ist der Morgen nach den eidgenössischen Wahlen; der Oktober neigt sich dem Ende zu. Eigentlich trinke er ja nicht, meint er, aber an einem solchen Abend wie gestern könne man sich schon ein, zwei Gläser gönnen. Schliesslich haben die Grünen historisch abgeräumt – auch ein Sieg der Klimajugend.

In der Zürcher Uni-Cafeteria drapiert er ein Gipfeli auf seiner Serviette, als wäre es die Vorspeise eines Fünfgängers. «Ich ernähre mich vegan», sagt Waser. «Beim Gipfeli werde ich aber schwach.» Um ihn herum eilen Studenten mit eingezogenen Köpfen durch die Halle; sie flüchten vor dem Regenwetter. Bevor Waser sein Studium geschmissen hat, weil ihm alles zu viel wurde, lernte er in der kalten Betonhalle der Zürcher Kunsthochschule für Prüfungen.

Heute beendet er hier seinen Hungerstreik.

Als der 21-Jährige eine Woche zuvor eine letzte Gemüsesuppe löffelte und in den Hungerstreik trat, streute sich die Nachricht schnell. Wie erwartet. Ein Journalist von der Gratiszeitung «20 Minuten» rief an, und Waser wiederholte, was er schon oft gefordert hatte: «Der Bundesrat muss dafür sorgen, dass die Schweiz bis spätestens 2030 unter dem Strich keine Treibhausgase mehr ausstösst.»

Doch Waser zog mit seinem Hungerstreik nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch Wut auf sich. Leser überfluteten die Kommentarspalte zum Onlineartikel mit so viel Hass, dass die «20 Minuten»-Redaktion sie nach wenigen Minuten wieder schliessen musste.

Auf Facebook hofften Trolle, dass Waser verhungern würde, wiederum andere bezeichneten ihn als wohlstands­verwahrloste Kröte. Aber auch viele der Klima­streikenden waren aufgebracht. Wasers Aktion war nicht abgesprochen. Am Telefon warfen ihm einige einen Egotrip vor, andere fragten sich hinter vorgehaltener Hand, ob er nun komplett durchgedreht sei.

Am Anfang war alles einfach

Dominik Waser bleibt auch noch dann freundlich, wenn er wütend wird und flucht, dass wir uns in einer «scheissverdammten Krise» befänden; wir endlich handeln müssen – und zwar radikal, «weil es uns ansonsten bald genauso scheisse ergehen wird wie dem Klima». Wenn er spricht, legt er zwischen seinen Sätzen und Wörtern kurze Pausen ein – wie Barack Obama. Mit dem Unterschied, dass er alle paar Sätze ein «fuck» einstreut.

Waser sagt, er habe mit seinem Hungerstreik provozieren wollen – extern, aber auch intern. Das sei nötig gewesen. Die Klima­jugend sei bequem geworden; der Klima­streik verharre im Still­stand; die Bewegung müsse aufwachen, ansonsten drohe ihr dasselbe Schicksal wie damals der Occupy-Wall-Street-Bewegung: der langsame Tod.

Eine Befürchtung, die nicht unbegründet ist. Seit vor einem Jahr ein paar hundert Schülerinnen das erste Mal ihre bunt bemalten Plakate in die Zürcher Winterluft gestreckt haben, ist aus dem Aufstand von Strebern eine Bewegung mit Schlag­kraft geworden. Die nationalen Wahlen im Oktober waren Zeugnis davon. Ihnen gelingt plötzlich, was zuvor zwei Generationen von Aktivisten erfolglos versucht haben: Sie katapultierten die Klima­erwärmung auf die Agenda.

Am Anfang war alles ganz einfach. Die Klima­jugend wurde mit Medien­anfragen überschüttet; die Titelseite war ihr garantiert. Doch nun ergeht es der Bewegung wie den Gewinnern von Casting­shows: So unerwartet und rasch sie ins Rampen­licht rücken, so schnell wandern die Schein­werfer auch wieder weiter. Die anfänglichen Erfolge verblassen; der Enthusiasmus nützt sich ab.

Viele der jungen Klima­aktivisten wissen angesichts der Flaute nicht mehr weiter. Sie werden ungeduldig und fragen sich: Reicht der Klima­streik? Wieso schwindet die öffentliche Aufmerksam­keit so plötzlich? Wieso greift die Politik trotz der grünen Welle nicht zu tief­greifenden Massnahmen? Müssen wir radikaler werden?

«Die Revolution findet draussen statt»

Dominik Waser ist in Tann bei Rüti aufgewachsen, rund eine halbe Stunde Zug­fahrt von der Stadt Zürich entfernt, wo er heute lebt. Der Vater arbeitet als Galvaniker, die Mutter ist Kauf­frau. Keine Ökos, wie er sagt. Eher so CVP. Seine Eltern schätzen zwar sein Engagement, finden aber, er sei zu radikal.

Den Versuch, ihn von seinem eingeschlagenen Weg abzubringen, haben sie längst aufgegeben. Sie hoffen, dass er sich irgendwann wieder normalisiert. Doch Waser macht, was er will – entweder mit hundert­prozentigem Einsatz oder er lässt es bleiben. Das war schon immer so.

Bereits als Kind will Waser Landschafts­gärtner werden. Ein anderer Beruf kommt nicht infrage. In seinem ersten Lehrjahr als Landschafts­gärtner häuft er freiwillig über 150 Über­stunden an. Aber sein Enthusiasmus wird im Garten­zentrum auf die Probe gestellt. Trotz seines Einsatzes ist er in seiner Firma nicht sonderlich beliebt; viele Kollegen meiden ihn. Es komme einfach niemand mit ihm klar, meint sein Chef. Er sagt zu ihm: «Du wirst weiter­gereicht wie eine heisse Kartoffel.»

Waser verlangt im Garten­zentrum, dass man Kundinnen nicht empfiehlt, Dünger auszubringen, ihnen davon abrät, Pflanzen zu spritzen, und ihnen statt ausländischen einheimische Gewächse verkauft. Die bringen zwar weniger Geld ein und sind weniger exotisch, dafür sind sie nachhaltiger. Doch seine Forderungen und Ratschläge verpuffen. Es ändert sich nichts.

Man müsse schliesslich Geld verdienen, heisst es bei den Vorgesetzten.

Trotzdem bleibt Waser nach der Lehre noch ein paar weitere Jahre in der Firma. Weil man Teil der Gesell­schaft bleiben müsse, wenn man etwas verändern wolle, wie er sagt: «Die Revolution findet draussen statt – nicht im Vorlesungssaal.»

Doch irgendwann mag er nicht mehr. Waser kündigt und bricht auch das kurz zuvor angefangene Studium als Umwelt­ingenieur wieder ab. Im Gegensatz zum Bachelor-Zeugnis lässt die Klima­krise nicht auf sich warten. Seine Aufmerksam­keit gilt nun ganz dem Aktivismus – und dem eigenen Unternehmen.

Im Sommer vor zwei Jahren hat er mit seinem Verein «Grassrooted» 28 Tonnen über­schüssige Tomaten gerettet und zu tiefen Preisen weiter­verkauft. Waser war in allen Zeitungen; sie tauften ihn den «Essensretter». Mittlerweile ist aus dem Ehrenamt ein Job geworden und aus dem Verein ein Unter­nehmen, das überschüssiges Gemüse im Abo anbietet.

Vor kurzem hat sein Team 7 Tonnen getrocknete Ananas aus Togo angeworben, weil sie keinen Abnehmer fanden – ohne Waser und seine Firma wären die Früchte verdorben.

Gefangen in der Aufmerksamkeits­spirale

Ganz oder gar nicht. Damit stösst Waser nicht nur im Garten­zentrum Menschen vor den Kopf. Den Hunger­streik finden viele der jungen Klima­aktivisten übertrieben. Jonas Kampus, so was wie der inoffizielle Medien­sprecher und das gute Gewissen der Streikenden, schrieb im Chat der Bewegung, dass es für sie alle schwer sei, mit all dem umzugehen, was gerade passiere. «Wir investieren so viel Kraft und Mühe in die Lösung der Klima­krise, und es passiert gleichzeitig so wenig. Dies kann dazu führen, dass sich manche Menschen für extreme Varianten des Protests entscheiden, so wie dies Dominik tut.»

Dominik Waser ernährt sich vegan, bei Gipfeli wird er schwach: während des Gesprächs in der Zürcher Uni-Cafeteria.

Der Hungerstreik sei eine tief­greifende Entscheidung, die nicht einfach so getroffen werden könne; man dürfe nicht vergessen, dass ein Hunger­streik bei jungen Menschen im Wachstum schwere Schäden hinterlasse. «Tragt Sorge zu euch und euren Körpern, nur so sind wir bereit für diesen langen Kampf, der uns noch bevorsteht.»

Waser selber entgegnet, dass es immer radikale und umstrittene Aktionen brauche, um Wandel zu bewirken; die Geschichte habe das gezeigt – mit dem Klima­streik könne die Bewegung nichts mehr erreichen.

Das Problem: Die Klima­jugend ist gefangen in der Aufmerksamkeits­spirale. Füttert sie die Medien nicht mit knalligem Stoff, verliert sie nicht nur ihre Präsenz in der Öffentlich­keit, sondern auch die Anziehungs­kraft einer aufmüpfigen Jugend­revolte. Eine Ressource, von der sie lebt.

Die junge Klima­bewegung kämpft aber unter­dessen nicht nur um Aufmerksamkeit, sondern vor allem auch mit sich selbst. Bei einer nationalen Klimastreik-Versammlung Mitte November verliess eine grosse welsche Delegation wutentbrannt den Saal und reiste enttäuscht nach Hause. Der Grund: Eine Minderheit lehnte es ab, sich mit dem Frauen­streik zu solidarisieren, und weil die Bewegung nur im Konsens entscheidet, fiel die Forderung durch. Sie befürchtete, es würde die Botschaft der Bewegung verwässern, wenn man auch andere Anliegen unterstütze.

In der Bewegung, die alle Entscheidungen nach Konsensprinzip trifft, herrscht Dissonanz. Ein Machtkampf ist ausgebrochen zwischen denen, die einen klaren linken Kurs verfolgen wollen, und denjenigen, die mit Banken gleicher­massen zusammen­arbeiten wollen wie mit den Gewerk­schaften. Zwischen den radikalen und den gemässigten Aktivistinnen.

Gefährliche Gedanken, kontraproduktiv und dumm

Mitte Dezember, rund zwei Monate nach Wasers Hunger­streik, ein hippes Zürcher Szenelokal. Waser trägt T-Shirt und braune Cargohosen, hat seine langen roten Haare in einem strengen Knoten nach hinten gebunden. Mit seinen Fingern klopft er nervös auf den Tisch; er strotzt vor Energie. «Wir schaffen das – und wenn nicht, haben wir es versaut und verdient, dass der Mensch ausstirbt.»

Dieser Tage wird der Schweizer Klima­streik ein Jahr alt. Waser sagt, die Stimmung sei wieder besser als noch im Oktober, als er in den Hunger­streik getreten war. Die jüngsten Ereignisse lassen Gräben zusammen­wachsen. Gerade weil er enttäuscht ist über den Verlauf der politischen Debatte, sagt er, müsse die Bewegung jetzt zusammen­halten, sich besser organisieren und durchhalten. «Das Parlament verschiebt die Beratung über das CO2-Gesetz und verweigert den grünen Bundesrats­sitz – trotz der Klimakrise», klagt Waser und fragt: «Wie weit müssen wir noch gehen, dass die endlich aufwachen?»

Für ihn ist klar: Die Klima­wende kommt zu spät, daran ändern auch zusätzliche Solar­panels und die angestrebte Klima­neutralität nichts. Die Politik rennt der Zeit hinterher. Zwar bewegte sie sich im vergangenen Jahr auf Druck der Jugend so schnell wie noch nie – trotzdem zerrinnt die Geduld der Aktivisten; ihre Ansprüche sind so hoch angesetzt, dass ihnen die Politik kaum gerecht werden kann.

«Passiert jetzt nichts, müssen wir unangenehmer werden», sagt Waser.

Radikale Massnahmen müssen her, ansonsten wird die Klima­jugend mit ebenso radikalen Aktionen um Aufmerksam­keit und Veränderungen kämpfen. In der Frage, wie weit sie dafür gehen soll, herrscht Unschlüssigkeit.

«Ich könnte mir vorstellen, dass wir auch bald versuchen, Strassen und Städte lahmzulegen, wie das die ‹Extinction Rebellion› in London getan hat», sagt Waser.

Die britische Graswurzel­bewegung strebt mit ihren Aktionen nach maximaler Aufmerksam­keit. Ihr Gründer Roger Hallam schreckt dafür vor nichts zurück. Vor drei Wochen hat er in einem Interview den Holocaust verharmlost – als PR-Strategie.

Er wisse, sagt Waser, dass es in der Bewegung auch Leute gäbe, die zu Krawallen bereit wären – um den Konzernen zu schaden, die alles kaputt machen. Jemand hat Waser im Witz erzählt, dass er am liebsten eine Bank abfackeln würde, damit man aufzeigen könne, wie klimaschädlich die Praktiken der Finanz­branche seien.

Gedanken, die Waser gefährlich findet, kontra­produktiv und dumm. Er lehnt Gewalt ab. Trotzdem kann er verstehen, dass man nach monate­langen Protesten an einen Punkt kommt, an dem man nicht mehr weiterweiss; die Grenzen seiner eigenen Macht­losigkeit und Verzweiflung akzeptieren muss.

Hat Waser Angst vor einer Radikalisierung der Klima­jugend, die gefährliche Ausmasse annehmen könnte?

«Eher Respekt. Wir müssen uns immer wieder fragen, welche Aktionen legitim sind – und ab wann wir Grenzen über­schreiten, die nicht über­schritten werden dürfen.»

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