Eine Liste, zwei Namen – und die Bündner Luft stinkt nach Schiesspulver

Ein Dokument belegt eine direkte Verbindung zwischen Baukartell und möglicherweise begünstigten Personen, die wiederum mit zwei Behörden­mitgliedern von Polizei und Sozialdienst eng verbunden sind. Und die bei den Polizei­einsätzen gegen Quadroni eine entscheidende Rolle spielten.

Eine Recherche von Anja Conzett, 27.11.2019

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Wir kennen sie, die Listen, mit denen das Baukartell die Offerten festlegte, die die Unternehmen abzugeben hatten. Alles von Hand geschrieben, die Tabelle mit Lineal gezogen. Etwas ist anders an dieser Liste aus dem Jahr 2006: Es stehen keine Aufträge drauf, sondern Namen. Und zwei Namen sind aktuell besonders brisant.

Es sind die Namen der Partner von zwei Haupt­akteuren bei den Polizei­einsätzen von Adam Quadroni – der Mann der Mitarbeiterin des Sozialdiensts, Claudia Staffelbach, und die Frau von Regionen­polizeichef Marco Steck. Ein Architekt und eine Bauleiterin.

Adam Quadroni sagt, dass die Partner von Steck und Staffelbach nicht nur vom Kartell gewusst, sondern auch profitiert haben.

«Die meisten gaben Geld»

Schon vor anderthalb Jahren hat Adam Quadroni der Republik Listen zur Verfügung gestellt, auf denen nicht nur die Namen der Kartell­unternehmen standen, sondern auch Namen von Firmen und Personen, die nicht direkt Teil des Kartells waren. Namen von baunahen Betrieben. Von Beamten und Politikern. Und auch: von Architekten und Ingenieuren. Über die Existenz solcher Listen berichteten auch schon «Beobachter» und «NZZ am Sonntag».

Die Republik hat diese Listen, die damals für eine Folge­geschichte zur Kartell­serie gedacht waren, nicht verwenden können, weil Adam Quadroni nichts mehr über das Kartell sagen wollte. Zumindest nicht bis die Untersuchungen des Parlaments und der Regierung abgeschlossen seien. Und auch jetzt spricht er explizit nur über diese beiden Namen – der Rest sei Angelegenheit der PUK und der Staatsanwälte.

Aber er erklärt – wie auch schon bei den Bauabsprachen – das System dahinter.

Ein Kreuzchen für jedes Geschenk: Links die Architekten, Ingenieure und Sonstigen, die mutmasslich vom Kartell begünstigt wurden. Oben die Baufirmen.

Oben in den Spalten die Bauunternehmer, links in den Zeilen die Namen von Architekten und Ingenieuren. Ein Kreuz bedeutete, dass das Kartell empfahl, sich bei der Person oder Firma für die «gute Zusammen­arbeit» zu bedanken.

Dieser Dank bedeutete oft mehr als ein Händedruck, sagt Quadroni: «Die meisten gaben Geld.» Oft seien vor allem am Bau beteiligte Firmen prozentual zur Grösse des Auftrags bezahlt worden. «Es wurde teilweise erwartet.» Er selbst habe immer nur Geschenk­körbe gebracht, im Wert von mehreren hundert Franken pro Korb. Bis zu 10’000 Franken im Jahr habe ihn das gekostet, sagt Quadroni.

Auf der Liste aus dem Jahr 2006 stehen beide Partner von Steck und Staffelbach: Der Architekt und die Bauleiterin. Die Kreuze bedeuten: Sie sollen von acht der neun Baufirmen auf der Liste «Geschenke» erhalten.

Die Liste ist noch keine smoking gun. Aber die Luft stinkt nach verbranntem Schiesspulver.

Denn Steck und Staffelbach spielten nicht nur wichtige – sondern auch fragwürdige Rollen bei den laut PUK teilweise «unrechtmässigen» und «unverhältnis­mässigen» Polizei­einsätzen gegen Adam Quadroni.

Brennendes Interesse

Die PUK hat die Unterlagen von Quadroni noch nicht gesehen, da sie das Baukartell erst im zweiten Bericht untersucht. Und deshalb, weil Quadroni bis zum ersten Bericht nichts von Staffelbachs und Stecks Rolle wissen konnte – also auch keine Notwendigkeit sah, sie der PUK vor Abschluss der Untersuchung zu geben.

Bea Baselgia, Vizepräsidentin der PUK, zeigt sich entsprechend überrascht, als sie von den Listen hört – und brennend interessiert.

Auf die Frage, ob das Kapitel Polizei­einsätze nun doch noch nicht abgeschlossen sei, antwortet sie gegenüber der «Rundschau»: «Schauen Sie, wir sind am zweiten Bericht. Zum Baukartell. Wir haben keine Grundlage gehabt, um einen Zusammen­hang herzustellen.»

Die Listen liegen der SRF-Sendung ebenfalls vor, sie wird heute Mittwoch, 27. November, um 20.05 Uhr ausgestrahlt.

Im ersten PUK-Bericht kommen Steck und Staffelbach nicht gut weg.

Steck hat gemäss PUK:

– Tinet Schmidt den Auftrag erteilt, Adam Quadroni als gefährlich zu melden;

– mit der Weitergabe von zugespitzten, teilweise verfälschten Informationen den Einsatz des Sonder­kommandos ausgelöst;

– je nach Quelle die Verhaftung von Adam Quadroni an der Front geleitet;

– entschieden, dass Grenadiere, die Adam Quadroni und seine Schwester bezüglich des Vorwurfs der Gewalt und Drohung gegen Polizisten entlasteten, nicht von der Staats­anwaltschaft einvernommen werden sollen.

Claudia Staffelbach hat gemäss PUK:

– einseitige, von einer Doppelrolle geprägte Informationen über Adam Quadroni weitergegeben und damit, ohne nachvollziehbare Belege liefern zu können,

– massgeblich dazu beigetragen, bei der Polizei das Bild eines gefährlichen, gewaltbereiten Mannes zu kreieren.

Nicht abschliessend geklärt ist im Bericht die Frage, ob Claudia Staffelbach schon vor dem ersten Polizei­einsatz, also der Haus­durchsuchung, mit Tinet Schmidt in Kontakt stand, da es keine Dokumente dieses Austauschs gibt.

Schmidt und Staffelbach geben zwar beide an, erst im Nachgang zur Haus­durchsuchung wegen Adam Quadroni miteinander in Kontakt gestanden zu sein. Aber: Es gibt eine Aussage, die dieser Darstellung widerspricht.

Das Mitglied der Kesb, das in den Fall involviert ist, gibt an, «ca. am 16. Dezember 2016» – also drei Tage vor der Hausdurchsuchung – mit Claudia Staffelbach über Adam Quadroni gesprochen zu haben. Sie lässt den Mann von der Kesb in diesem Gespräch wissen, sie stünde wegen Quadroni mit der Polizei in Kontakt.

Sollte Staffelbach die Einstellung der Polizei von Anfang an geprägt haben, wäre das angesichts der Listen, für deren Echtheit sich Adam Quadroni verbürgt, ein gröberes Problem.

Denn trifft Quadronis Aussage zu, dass Claudia Staffelbachs Mann Geschenke von den Kartell­unternehmen erhalten hat, hätte sie ein persönliches Motiv.

Das Gleiche gilt für Marco Steck.

Marco Steck, Claudia Staffelbach und ihre beiden Partner haben weder auf Anfrage der Republik noch auf Anfrage der «Rundschau» Stellung bezogen. Das ist natürlich ihr gutes Recht und darf nicht als Zugeständnis gegen sie ausgelegt werden.

Aber Fragen bleiben.

Brösmeli da, Brösmeli dort

Immerhin: Die erste parlamentarische Untersuchungs­kommission hat keine Instrumentalisierung der Polizei durch das Kartell feststellen können. Ausschliessen kann sie es auch nicht, wie sie an der Medienkonferenz am Dienstag, 26. November, sagt.

Eins ist sicher: Kartelle leben von Anonymität. Anonymität ist nicht einfach zu wahren, wenn man ein Kartell betreibt, bei dem so viele Unternehmen so viele Jahre lang so viele Aufträge untereinander verteilten wie im Unterengadin.

Es sei schwer vorstellbar, dass niemand etwas gemerkt haben soll, sagte die Wettbewerbs­kommission der Republik schon vor anderthalb Jahren.

Und dass auch Architekten vom Kartell gewusst haben, findet sich sogar in den Berichten der Weko. Zum Beispiel unter Verfügung Engadin 1, Randziffer 130, Seite 56, wo ein Architekt die Absprachen der Baumeister bestätigt.

Wenn alle Bescheid wissen – auch die, die nicht mit am Tisch sitzen –, wie verhindert man, dass das Spiel auffliegt?

Richtig: Brösmeli da, Brösmeli dort.

Doch: Dass die Bosse des Baukartells auf dem Posten in Scuol 1000er-Nötli verteilen, damit die Polizisten Adam Quadroni einsammeln, ist – auch wenn es sich nicht vollkommen ausschliessen lässt – verdammt unwahrscheinlich.

Wenn sie Quadroni von Amtes wegen schaden wollten, hätten sie das wahrscheinlich auch gar nicht nötig gehabt. Nicht solange nur genügend Leute im Tal indirekt profitiert und sich des Mitwissens schuldig gemacht haben – genügend Leute einen Groll gegenüber Quadroni hegen oder fürchten, er könne auch über sie auspacken.

Der Bericht der PUK hat gezeigt, dass die Kontroll­instanzen der Behörden so schlecht sind, dass es dazu nicht mehr als ein, zwei Leute an der falschen Stelle brauchen würde.

Und das alleine ist ein Skandal für sich.

Welche Antworten liefert die zweite PUK?

Wo Fehler nicht sanktioniert werden, wuchert der Pfusch. Gut möglich, dass Steck und Staffelbach in der Sache Quadroni einfach nur unprofessionell und verantwortungslos gehandelt haben.

Es ist möglich, dass sie aufgrund der Nähe ihrer Partner zur Baubranche viel Schlechtes und wahrscheinlich auch Falsches über Quadroni hörten und dass das ihr Handeln prägte.

Und es ist nicht ausgeschlossen, dass sie Adam Quadroni eine Lektion erteilen wollten, als sie die Gelegenheit dafür hatten. Quadroni, der das Kartell, von dem sie möglicherweise indirekt profitierten, auffliegen liess; und der den Ruf des ganzen Tals damit ruiniert hat.

Bei der Verbindung zwischen Baukartell und Polizei­einsätzen gibt die PUK die richtige Antwort auf eine richtige Frage.

Aber es gibt noch andere Fragen, die sich Graubünden im Zusammenhang mit den Polizei­einsätzen gegen Adam Quadroni stellen muss.

Hatten einzelne Beamte, die bei den Polizei­einsätzen eine Rolle spielten, ein persönliches Motiv, sich an Quadroni zu rächen?

Hatte das Kartell Druckmittel gegen ganze Gemeinden, einzelne Behörden oder Behörden­mitglieder in der Hand, die bei der Verhaftung Adam Quadronis eine Rolle spielten?

Und hätten die Behörden Adam Quadroni anders behandelt, wenn hochrangige Persönlichkeiten des Kantons und des Unterengadins die Untersuchung der Weko nicht kleingeredet hätten? Und den Whistleblower Quadroni nicht schlechtgeredet?

Vielleicht finden sich ein paar der Antworten im zweiten Bericht der PUK. Die Untersuchungen laufen.

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