
Porträt des Horrorclowns als junger Mann
Seit Jahrzehnten treibt der Joker sein Unwesen – nicht nur im Batman-Universum. Mit Todd Phillips’ Verfilmung bekommt der Oberschurke nun seine Vorgeschichte – und neue politische Brisanz. Ab heute läuft sie in Schweizer Kinos.
Von Ekkehard Knörer, 10.10.2019
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Der Clown hat ein Imageproblem. Jahrhundertelang war er Inbild des Komischen mit traurigen Seiten. Dann kam John Wayne Gacy, der berüchtigte Serienkiller, der in seiner Freizeit vorzugsweise als Clown Pogo im Kostüm auftrat. Und es kam Pennywise, das Monster aus «Es» von Stephen King, das ebenfalls das positive Bild des Clowns nutzt, um Kinder in die Falle zu locken: Der Roman erschien 1986, Teil zwei der jüngsten Neuverfilmung kam Anfang September ins Kino.
Seit ein paar Jahren macht vor allem um Halloween das Phänomen der Horrorclowns von sich reden, mit einem Höhepunkt 2016. Als Clowns verkleidete Menschen verübten brutale Überfälle auf offener Strasse, Gerüchte und Falschmeldungen kamen dazu, die Sache ist halb real und halb urbane Legende.
Im Gegenzug kam es zu Angriffen auf harmlose Clowns, der Berufsverband der Clowns hatte die unglückliche Idee, unter dem Hashtag #ClownLivesMatter für sich zu werben. Ein Clown-Friedensmarsch, der in Tucson, Arizona, geplant war, musste wegen Todesdrohungen abgesagt werden. Als dann kurz nach Halloween 2016 Donald Trump die US-Wahlen gewann, schien manchem Kommentator klar: Nun sitzt auch noch ein Horrorclown im Weissen Haus.
Zwei Jahre vor Geburt des Serienmörders Gacy wurde eine andere Tradition des bösen Clowns begründet: der Joker, Oberschurke und wichtigster Gegner des Superhelden Batman, schon in Batman-Heft Nummer eins vom 25. April 1940. Der ikonische Ursprung ist, der Name sagt es, eher der jester, also der Hofnarr aus dem Kartenspiel, nicht der Clown aus dem Zirkus.
Um ein Haar wäre es mit dem Joker gleich wieder vorbei gewesen, seine Erfinder Bill Finger, Bob Kane und Jerry Robinson wollten ihm schon beim ersten Auftritt den Garaus machen. Weil der Redaktor von DC Comics das verhinderte, spielt der Mann mit dem grünen Haar und dem fratzenhaften, bleichen Gesicht bis heute eine wichtige Rolle im Batman-Universum: in den Comics, der Fernsehserie und den vielen Verfilmungen. Im ersten grossen «Batman»-Film neuer Zeitrechnung, den Tim Burton 1989 gedreht hat, stellte Jack Nicholson als Joker mit seiner Erstnennung in den Credits sogar die von Michael Keaton gespielte Titelfigur in den Schatten – und blieb mit seiner flamboyanten Interpretation das Vorbild für spätere Darsteller.
Das heisst vor allem: für Heath Ledger.
Als mit Christopher Nolan einer der wichtigsten Hollywoodregisseure der Gegenwart die Batman-Franchise übernahm, stand fest: Nun wird die Sache Ernst. Denn im Gegensatz zu Joel Schumacher, der mit seinen Fortsetzungen des Burton-Films den Stoff zunehmend in eine lächerliche Kitsch-Ästhetik überführt hatte, bezog sich Nolan ganz direkt auf die Comics von Frank Miller. Dieser hatte mit seiner «The Dark Knight»-Serie in den Achtzigerjahren das Gotham-Universum politisiert und stark dystopisch verdüstert – nach begründeter Ansicht mancher Kritiker mit deutlich rechtem Spin.
Nolan machte den von Christian Bale gespielten Titelhelden in «Batman Begins» (2005) ganz klar zum Vigilanten, der das Recht in die eigene Hand nimmt. Und Joker, der in der Fortsetzung «The Dark Knight» ins Zentrum rückt, wird zum unberechenbaren Virtuosen des Bösen. Heath Ledger gelang es, die Figur trotz aller maliziösen Manierismen und einer fast hysterischen Performance nicht überschiessen zu lassen – und bekam 2009, gut ein Jahr nach seinem Tod, dafür den Oscar verliehen.
An diese Verdüsterung und Hysterisierung der Figur in Nolans Film schliesst «Joker» nun an – keineswegs jedoch an das Genre. Todd Phillips hat alles andere als einen regulären Superheldenfilm gedreht, eher etwas wie ein sehr niedrig budgetiertes Independent-Spin-off der Batman-Saga. Batman selbst kommt gar nicht vor, jedenfalls nicht als Fledermausmann: Bruce Wayne taucht zwar auf, jedoch nur als Kind, das durch den Tod seines Vaters erst noch auf den Pfad des Rächertums gebracht werden muss.
Das ist die origin story des Superhelden. «Joker» aber erzählt vor allem die Ursprungsgeschichte des Schurken. Sie bedient sich einer zentralen Idee aus den offiziellen Batman-Narrativen. Seit Alan Moores Graphic Novel «The Killing Joke» von 1988 gehört eine spezielle Kränkung zur psychischen Grundausstattung des Jokers: Er hat sich als Stand-up-Comedian versucht und ist dabei kläglich gescheitert.
Kreatur aus der Gosse
So ergeht es in «Joker» auch Arthur Fleck, von Joaquin Phoenix gespielt. Den bürgerlichen Namen des Jokers gibt es im offiziellen Batman-Universum allerdings nicht. Und dieser Arthur Fleck ist auch noch lange nicht der Superschurke, als den man die Titelfigur seit Batman #1 kennt. Er ist buchstäblich ein zunächst ganz harmloser, von einer dubiosen Agentur vermittelter Clown. Im Kostüm schlägt er sich mehr schlecht als recht durch, indem er in der Kinderabteilung des Krankenhauses seinen Slapstick vorführt oder auf den Strassen von Gotham mit einem Werbeschild paradiert (was ihm nur Prügel einbringt).
Dann verliert er seinen Job. Ein Kollege, dem das am Ende nicht gut bekommt, hat ihm einen Revolver zugesteckt, und dieser fällt Arthur bei einem Auftritt aus der Clownshose. Tief ist der Absturz nicht, denn Arthur Fleck war zuvor schon ziemlich am Boden. Er lebt in einem Rattenloch mit seiner Mutter zusammen, ist wie sie psychisch krank, depressiv, schluckt sieben Medikamente am Tag und hat eine irritierende Störung, die ihn dazu bringt, in krankhaftes Gelächter auszubrechen. Vor allem dann, wenn weder ihm noch irgendjemandem sonst zum Lachen ist. Gerade auf der Bühne kommt das als Beginn seines Stand-up-Programms gar nicht gut an.
Todd Phillips war bislang vor allem als Regisseur der «Hangover»-Komödien-Trilogie bekannt, wo es trotz des Genres auch schon nicht gerade harmlos-heiter zuging. Aber mit seinem Joker-Film wollte er es offenbar so düster wie möglich. Das Gotham/Manhattan der 1970er-Jahre, das er mit Gusto entwirft, ist von riesigen Ratten durchseucht, Müll stapelt sich und qualmt an allen Ecken, man glaubt den Gestank fast zu riechen.
Auch die Menschen qualmen, was das Zeug hält, ein schöner Kontrast zum New York der Gegenwart, in dem die Schachtel Zigaretten 15 Dollar kostet und seit einem Erlass von Bürgermeister Bill de Blasio kein Zubehör für Selbstgedrehte mehr verkauft werden darf. Und während die Batman-Filme von Christopher Nolan sich vorzugsweise durch die Lüfte und auf Augenhöhe mit den Wolkenkratzern Manhattans bewegen, bleibt «Joker» auf der Strasse, in der Abluft. Phillips zeigt nicht Höhenflug, sondern Absturz.
In Alan Moores Comic «The Killing Joke» hat der Joker in seinem bürgerlichen Leben Frau und Kind. Arthur Fleck dagegen ist Single und nur stalkermässig in die hübsche Nachbarin verliebt, zu der er sich ziemlich creepy in eine Liebesbeziehung hineinfantasiert.
Vor allem diese sexuelle Zurücksetzung hat in den USA schon im Vorfeld heftige Kontroversen entfacht: Warum macht man einen solchen Horrorclown, der auf Kränkungen nur mit Gewalt und Hass und Mord reagiert, zum Helden? Wird er im Film als blosses Opfer der Gesellschaft entschuldigt? Ist «Joker» gar eine Verteidigung der sogenannten Incels, jener «unfreiwillig Zölibatären» (involuntary celibates), die behaupten, sie hätten gerne Sex, würden ihn aber nicht bekommen – und deshalb als selbst ernannte Rächer des männlichen Geschlechts Frauen ermorden?
Andererseits: Bei den Festspielen von Venedig erhielt der Film zur Überraschung aller den Goldenen Löwen, von einer Jury unter Vorsitz der Autorenfilmerin Lucrezia Martel – höhere Weihen von ernst zu nehmender Seite scheinen kaum möglich.
Helden und Schurken mit Knacks
«Joker» war also schon vor dem Start heiss umkämpft und kontrovers diskutiert, was nun dazu geführt hat, dass die ersten Vorstellungen in New York nur unter Polizeischutz stattfinden konnten. Die Angst vor Incel-Attentaten war riesig, sicher auch in Erinnerung an den Amoklauf 2012. Damals tötete ein Mann in einem Kino in Aurora, Colorado, während der Vorführung von «The Dark Knight Rises» 12 Menschen und verletzte 70. Am pathologischen Charakter des Arthur Fleck besteht allerdings in «Joker» nicht der leiseste Zweifel. Der Film fügt sich damit in die durchaus stattliche Reihe der Dekonstruktionen, die das grundsätzlich Psychopathologische der Superheldencomics betonen.
Ganz unabhängig davon, ob die Figuren auch noch übermenschliche Fähigkeiten haben, sind das ja durchweg Grössenwahnfantasien, mal in der Superhelden-, mal in der Superschurkenvariante. Selbst im Marvel Cinematic Universe, das sich in seinen «Avengers»-Blockbustern dem Grössenwahn ganz bejahend hingibt, ist Platz für den Hinweis auf Versehrungen unterschiedlicher Art: Spiderman Peter Parker muss wie Bruce Wayne auf immer und ewig den Tod seiner Eltern verkraften.
Die X Men sind ohnehin Superhelden mit Knacks, woraus die in diesem Marvel-Seitenuniversum angesiedelte Fernsehserie «Legion» eine ganz besondere Schau gemacht hat. Überhaupt ist die Serie eigentlich in jeder Hinsicht interessanter als der Kino-«Joker»: Die Superhelden leben hier in der Psychiatrie, und was sie an Abenteuern bestehen, ist nichts als blühende, krachende, Welten umstürzende psychotische Halluzination. Oder ist es doch die Realität? Die Serie schwebt über diesem doppelten Boden. Sie vervielfältigt die Wirklichkeit in weitere Räume: Erinnerungsräume, virtuelle Räume, man kommt kaum hinterher, manchmal wird das noch zusätzlich in Splitscreens multipliziert.
Im Vergleich dazu ist die Machart bei Todd Phillips dann doch eher simpel. Dabei ist das Problem mit «Joker» nicht so sehr die Figur des Schurken als solche. Der Bezug zum Batman-Universum ist ohnehin ziemlich lose.
Viel eher schielt Todd Phillips in Richtung von Altmeister Martin Scorsese. Insbesondere der psychisch instabile Vietnamveteran Travis Bickle aus «Taxi Driver» ist unverkennbar ein wichtiges Vorbild für die Figur des Arthur Fleck. In der Besetzung des Talkshow-Hosts Murray Franklin mit Robert De Niro wird das augenfällig signalisiert. Nicht nur auf dieser Ebene ist die Überdeutlichkeit das eigentliche Problem dieses Films. Joaquin Phoenix macht aus seiner Figur – halb Joker, halb Bickle – eine Charge: Die grelle Überzeichnung wird, sehr viel mehr noch als bei Heath Ledger, zum Prinzip seines Spiels, bis hin zu den Krämpfen seines abgemagerten Körpers. Allerdings ohne dass diese Possen im dreckigen Hyperrealismus des Films einen Halt fänden.
«Joker» beleiht alles Mögliche: Superheldencomic, Kitchen-Sink-Realismus, Psychogramm eines Killers. Und ist am Ende doch nichts davon.
Auch politisch hat der Film kaum klare Konturen, im Positiven wie im Negativen. Nein, Phillips verharmlost seinen Protagonisten nicht, und schon gar nicht ist der Film dazu geeignet, zur Revolte oder zum Attentat anzustacheln. Trotzdem wird das Verschwommene des politischen Hintergrunds zum Problem. Wie in den Batman-Comics von Miller deutet auch «Joker» an: Hier steht eine Gesellschaft am Rande des Zusammenbruchs. Das Wie und das Warum werden aber weder genauer beschrieben noch analysiert. Das macht die Analyse mindestens ungenau, in ihrem diffusen Raunen vielleicht auch reaktionär.
In erster Linie aber hat «Joker» ein ästhetisches Problem: Er behauptet viel und kann deutlich weniger, als er will. Todd Phillips kleidet seinen Film in Kostüme, in denen nichts steckt, am Ende nicht mal ein Horrorclown.
Ekkehard Knörer ist Kulturwissenschaftler, Literatur- und Filmkritiker. Er ist Mitgründer, Herausgeber und Redaktor der Zeitschrift «Cargo», Redaktor und seit 2017 Mitherausgeber der Zeitschrift «Merkur». Unter anderem schreibt er für die TAZ, für «Kolik» sowie für wissenschaftliche Zeitschriften und Sammelbände. Für die Republik schrieb er zuletzt über den Film «Ash Is Purest White» von Jia Zhangke.