Preis der Republik

Vom Mageren oder vom leicht Durchzogenen?

Nur knapp die Hälfte der Schweizer Bevölkerung findet dünne Frauen toll. Eine Erkenntnis, die wir der Weisheit der Marktforschung verdanken.

Von der Republik-Jury, 29.08.2019

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Vom Mageren oder vom leicht Durchzogenen?
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Sehr geehrte Preis­trägerinnen und Preisträger

Geschätzte Verlegerinnen und Verleger

Verehrtes Publikum

Vergangene Woche war dieses Land sehr damit beschäftigt, die Werbung einer politischen Gruppierung zu diskutieren. Sie erinnern sich bestimmt.

Dabei sind Sie, liebe eidgenössische Markt­forschende, die wir heute auszeichnen, ungebührlich kurz gekommen. Und das, wo Ihr Plakat doch sehr viel vitaler wirkte.

Nein, Sie zeigten nicht die Frucht eines aus der Region von Kasachstan stammenden Rosen­gewächses, das offenbar die Schweiz symbolisieren sollte. Doch auch Sie haben in jenen Tagen Werbung gezeigt. Und weil es Sie womöglich wurmte, dass die Aufmerksamkeit nicht bei Ihnen war, sondern beim Apfel der Nation, widmen wir uns heute ganz Ihrem Inserat – und Ihnen.

Ihnen, verehrte Markt­forschende der Schweiz. Sie, die Sie den Inhalt der Köpfe der Menschen unseres Landes permanent vermessen und aufschlüsseln. Damit wir noch bessere, noch konziser auf unsere Konsum­bedürfnisse zugeschnittene Waren kaufen können.

Sie haben eine Anzeige geschaltet, in der Sie einen Befund verkündet haben. Und man spürt richtig, wie stolz Sie darauf sind. Auf Ihrem Inserat sind zwei Frauen abgebildet, eine links, eine rechts. Die linke sieht aus, wie uns Models in Hochglanz­magazinen und Wäsche­katalogen meistens gezeigt werden. Die rechte hingegen so, wie viele Frauen im realen Leben aussehen, die schlank sind, ohne dass sie in der Kinder­abteilung einkaufen müssen.

Und jetzt kommts: Sie haben durch Ihre wissenschaftlichen Unter­suchungen heraus­gefunden, dass eine knappe Mehrheit der Menschen in diesem Land nicht die Frau links, sondern die wirklich nur ein bisschen besser genährte Frau rechts attraktiver findet.

Also nicht BMI kleiner gleich 18, sondern irgendwo im Bereich, in dem körperliche Mangel­erscheinungen seltener auftreten.

Ich sehe es an Ihren Gesichtern, liebes Publikum, wir müssen das jetzt einblenden, damit Sie sehen, wie das tatsächlich ... vielleicht könnte die Regie ... danke.

Um Ihren statistischen Befund zu verdeutlichen, tragen die beiden Frauen sehr, wirklich sehr, sehr wenig Kleidung. Also nur Unter­höschen und BH. Weil, das ist ja wichtig, wenn man eine Frau in der Werbung abbildet, dann sollte sie möglichst nackt sein. Vor allem dann, wenn die Botschaft auf den ersten Blick eine quasi­feministische ist: Seht her, leichte Rundungen sind das Mass aller Dinge! Eine Message, ermittelt, wie es sich für alte Direkt­demokraten gehört: durch Mehrheits­entscheid.

Wir sind sicher, wäre die Nation nicht abgelenkt gewesen, wäre allerorten Freuden­taumel ausgebrochen über Ihre wissenschaftlich fundierte Erkenntnis: Da dachten wir immer, dass ausnahmslos alle Menschen nur auf Models stehen, die sich für ihren Beruf das Essen abtrainieren – und dank Ihrer Markt­forschung wissen wir nun, dass dies nur auf knapp die Hälfte der Bevölkerung zutrifft. Vor allem, wie wir lesen, auf die jüngeren.

Wissen Sie, was das Schöne an Ihrer Anzeige ist? Das Gefühl von Nostalgie. Man fühlt sich zurück­versetzt in die frühen Neunziger­jahre. Damals, als das weibliche Geschlecht seinen Platz in der Werbung entweder als Putzfrau und Köchin – sprich «Hausfrau» – oder als Sexobjekt hatte. Hauptsache, irgendwas mit Fleisch!

Hat man nicht damals einfach alles mit einer jungen, nackten Frau verkauft, von der Kranken­kasse über den Fruchtsaft bis hin zur Zahnbürste?

Und heute, in einer Zeit, in der sich selbst Unterwäsche­hersteller fragen, wie sie ihre Produkte an die Frau bringen können, ohne dass ihre Werbung wie ein Pirelli-Kalender daher­kommt, da rasen Sie einfach mal am Zeitgeist vorbei zurück in die Vergangenheit.

Was werden Sie wohl als Nächstes rausfinden? Wir hätten da eine Idee. Dazu müssen wir zurück­kehren an den Anfang dieser Preisrede. Zum SVP-Apfel und zu den vermeintlichen Maden. Bei diesen Tieren handelt es sich nämlich in Tat und Wahrheit um Larven des Mehlkäfers, lateinischer Name Tenebrio molitor. Er mag gar nicht so gerne Äpfel, lieber stärkehaltige Nahrungs­mittel wie Getreide. Der Mehlkäfer ist eines von drei Insekten, die in der Schweiz seit 2017 als Lebens­mittel zugelassen sind. Lustiger­weise ist es also nicht die Käfer­larve, die sich über die Schweiz hermacht. Sondern es sind wir Schweizerinnen und Schweizer, vor denen sich die Mehlkäfer­larve fürchten muss. Weil wir sie züchten, zubereiten und vertilgen werden.

Darum hier unser Gedanke: Machen Sie doch mal eine Umfrage, in der Sie wissen wollen, von welcher Käfer­larve auf dem Bild wir Konsumentinnen uns den besten Geschmack versprechen. Von der würzigen EU-Larve? Der milden CVP-Larve? Dem kalorien­armen FDP-Tierchen? Oder dem rezenten Sozenkäfer?

Ist wohl Geschmacks­sache. Genau wie die Art und Weise, mit der Sie Ihre Dienst­leistungen bewerben. Sie danken uns in Ihrem Inserat für unsere Meinung. Wir danken dafür, dass wir sie hiermit kundtun durften.

Ach ja, und: Glückwunsch zum Preis.

Illustration: Doug Chayka

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