Ritter der ungeschminkten Wahrheit
Der britische Botschafter in Washington, Sir Kim Darroch, berichtete seiner Regierung das, was niemand anzweifelt. Jetzt muss er dafür seinen Posten räumen.
Von der Republik-Jury, 18.07.2019
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Sehr geehrter Preisträger respektive Eure Exzellenz
Verehrte Verlegerinnen und Verleger
Geschätzte Anwesende
«Neue Kommunikationsformen und neue Akteure verändern die internationalen Beziehungen.» Dieser Satz stammt vom Schweizer Alt-Botschafter Paul Widmer, der das Buch «Diplomatie» geschrieben hat. Das Werk gehört zu jenen, bei denen man den Klappentext überfliegt. Danach stellt man sie ihres klingenden Titels wegen prominent ins Regal.
Trotzdem steckt in diesem Satz – der übrigens im Klappentext steht – viel Wahres. Kein Wunder, er ist ja auch allgemeingültig und ziemlich banal. Aber, sehr geehrter Herr Botschafter Kim Darroch: Hätten Sie in Ihren Depeschen nur Sätze wie diesen gebraucht, müssten Sie nun Ihren Stuhl als US-Botschafter des Vereinigten Königreichs von Grossbritannien und Nordirland nicht räumen.
Stattdessen haben Sie sich zu einem riskanten Unterfangen hinreissen lassen: Sie haben in vertraulichen Memos an die Regierung in London Ihre Einsichten und Meinungen über den amtierenden US-amerikanischen Präsidenten abgegeben. Mit anderen Worten: Sie haben die Dinge so geschildert, wie sie sich Ihnen dargestellt haben.
Dabei hätten Ihnen Alt-Botschafter Widmers Worte eine Warnung sein können. Kaum hatte Donald Trump die Wahl zum Präsidenten – wir setzen hier Anführungszeichen – «gewonnen», da hat er auch schon neue Kommunikationsformen in die Diplomatie getragen: Der neue Akteur empfahl auf Twitter Grossbritannien, den damaligen Ukip-Chef Nigel Farage als Botschafter in den USA einzusetzen.
Die Regierung Ihrer Majestät sah sich umgehend dazu veranlasst, die Öffentlichkeit wissen zu lassen, dass sie bereits einen sehr fähigen Botschafter in Washington habe: nämlich Sie, Sir Kim.
Nein, das war wohl kein richtig gelungener Start für die Beziehungen zwischen dem amerikanischen Staatschef und dem höchsten diplomatischen Vertreter des Königreichs in Washington – aber was sind unter der Trump-Präsidentschaft noch die Massstäbe für «gelungen»? Wir könnten es Ihnen jedenfalls nicht verübeln, wenn Sie fürderhin Gift und Galle über den Mann im Weissen Haus gespien hätten.
Haben Sie aber gar nicht. Werfen wir doch einen Blick auf das, was Ihnen zur Last gelegt wird. Auf Ihre Worte aus den geheimen Depeschen, die eine britische Zeitung veröffentlicht hat:
Donald Trump sei – ich zitiere – unfähig, unsicher und inkompetent.
Das Weisse Haus sei uniquely dysfunctional, also einzigartig dysfunktional.
Es gebe harte Kämpfe innerhalb des Weissen Hauses, sogenannte knife fights.
Trump könne möglicherweise bei zwielichtigen Russen verschuldet sein.
Die wirtschaftspolitischen Entscheidungen des Präsidenten würden potenziell das weltweite Handelssystem zerstören.
Die skandalgeschüttelte Präsidentschaft könne zusammenbrechen, was möglicherweise der Beginn einer Abwärtsspirale wäre, die in Blamage und Untergang enden könnte.
Und: Es werde gemunkelt, dass Trump den Iran angreifen könnte.
Nun, das ist der Moment, wo wir alle das Bedürfnis verspüren, leise zu hüsteln. Es ist ja nicht so, dass Sie brandschwarz gelogen hätten. Sie haben ja nicht geschrieben, Trump … sagen wir, zeige Geschick im Umgang mit geopolitischen Herausforderungen.
Im Gegenteil, Sie haben im Wesentlichen die «New York Times» und die «Washington Post» zusammengefasst. Sprich: Sie haben das gemacht, was Diplomaten seit Jahrhunderten getan haben, bevor das Internet erfunden wurde. Nämlich die öffentlich bekannten Tatsachen zusammengefasst und nach Hause an die eigene Regierung geschickt.
Etwas befremdet uns aber, geschätzter Herr Botschafter: Ihren Uni-Abschluss machten Sie vor vielen Jahren in Zoologie. Hätte Ihnen das nicht das nötige Rüstzeug für den Umgang mit einem nicht rational denkenden und ausschliesslich von Primärinstinkten geleiteten Präsidenten mitgeben müssen? Vielleicht ist das einfach zu lang her.
Die cables, wie die Depeschen auf Englisch heissen, wurden also öffentlich. Die Welt wusste davon. Und der Mann im Weissen Haus hat, wie so oft, getobt. Dabei war er es doch, der Ihre Königin befummelt hat. Trotzdem gilt der Vorwurf der Majestätsbeleidigung jetzt Ihnen, Exzellenz.
Nun sind Sie also nicht mehr länger tragbar. Weil Sie Ihren Job gemacht haben. Weil Sie – unter widrigen Umständen – Ihrem Land gedient haben.
Wir wünschen Ihnen von Herzen, dass dieses Land auch in ein paar Monaten noch eine zurechnungsfähige Regierung hat. Und Sie bei Ihrer Heimkehr nach England in Ten Downing Street nicht auf einen Wiedergänger des US-Präsidenten treffen werden.
Wir Journalisten haben ähnliche Aufgaben wie Sie, die Diplomatinnen. Auch wir wollen die Wahrheit wiedergeben. Bloss suchen wir ein grosses Publikum, während Sie ein solches vermeiden. Uns verbindet die Hoffnung, dass beide Berufsstände nicht demnächst durch Twitter ersetzt werden.
Ein Ratschlag noch, auf den Weg. Falls auch die eigene Regierung Sie fallen lassen sollte, schreiben Sie ein Buch. Und nennen Sie es «Diplomatie». Dann werden wir es kaufen und an diejenige Stelle im Regal stellen, wo derzeit der Widmer steht.
Nehmen Sie erhobenen Hauptes den Preis der Republik entgegen, Sir Kim. Wir schlagen Sie hiermit zum Ritter der ungeschminkten Wahrheit.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Der Preis der Republik – vorgelesen
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Illustration: Doug Chayka