Feuerwerk als Gesamtkunstwerk mit Akrobaten und Soundtracks: «États et empires du soleil et de la lune» der Groupe F in Versailles, 2009. Thierry Nava/Groupe F

Das Spiel mit dem Feuer

In der Silvesternacht muss es knallen – und zünden. In einem ehemaligen Weinlager unweit von Arles entwickelt das Kollektiv Groupe F seit den 1990er-Jahren seine pyrotechnischen Wunderwerke. Ein Besuch vor Ort.

Von Marc Zitzmann, 31.12.2018

Journalismus kostet. Dass Sie diesen Beitrag trotzdem lesen können, verdanken Sie den rund 27’000 Leserinnen, die die Republik schon finanzieren. Wenn auch Sie unabhängigen Journalismus möglich machen wollen: Kommen Sie an Bord!

Wenn den Himmel über Dubai heute Nacht zwei Grossfeuerwerke erhellen, dann leuchten da Milliarden Funken aus Frankreich. Denn für beide Spektakel, das über dem segelförmigen Superluxushotel Burj al Arab und jenes beim Burj Khalifa, dem höchsten Bauwerk der Welt, zeichnet das französische Kollektiv Groupe F verantwortlich.

Dem Team sind beide Wolkenkratzer bestens bekannt. Den Burj Khalifa hatte Groupe F 2010 eingeweiht und danach dreimal in der Neujahrsnacht illuminiert. Den Burj al Arab schickt es bereits zum vierzehnten Mal hintereinander unter Donner und Blitz ins neue Jahr.

Dubai ist nicht allein. Auch Barcelona holt sich Groupe F zur Silvesterparty. Und zwar nicht für ein «klassisches» Feuerwerk wie in den Emiraten. Sondern für eines jener «spectacles vivants», für die das Kollektiv weltweit gefragt ist: Gesamtkunstwerke mit kostümierten Akrobaten, pyrotechnischen Effekten, schwindelerregenden Videoprojektionen und hypnotischen Soundtracks. Scott Gibbons, der «Hauskomponist» von Groupe F, unterlegt das visuelle Spektakel mit der entsprechenden Tonspur. Startschuss ist kurz nach Mitternacht am Magischen Brunnen von Montjuïc.

«L’amour, oiseau rebelle»: das Motto am 14. Juli 2018 am Eiffelturm. N. Chavence/Groupe F

Groupe F hat fast die ganze Welt bereist. Sechsmal hat die Truppe am französischen Nationalfeiertag den Eiffelturm erstrahlen lassen. Sie hat bei nicht weniger als sechzehn Eröffnungs- oder Schlusszeremonien von Olympischen oder Paralympischen Spielen den Himmel in Brand gesteckt. Sie hat mit Feuergarben und Knalleffekten den Louvre Abu Dhabi eingeweiht, eine Autorennbahn (die Kuwait Motor Town) und zwei TGV-Linien.

1990 gegründet, wurde das Kollektiv zwei Jahre später mit den Schlussfeiern der Olympischen Spiele in Barcelona bekannt. Es folgten die Fussball-WM 1998 und die Pariser Millenniums­feiern, Einladungen nach Taipeh, London und eben Dubai. Groupe F hat Shows von Johnny Hallyday und von Björk begleitet, aber auch Wrestling-Schaukämpfe und Patronatsfeste in Provinz­käffern.

Alles in edles Weiss getaucht: Feuerwerk in Doha (2008). Groupe F

Bei Nationalfeiertagen oder sportlichen Grossereignissen ist der künstlerische Handlungsspielraum nicht allzu gross.

Wie schafft es Groupe F, den kleinen, feinen Unterschied zu machen?

Nehmen wir den letzten 14 Juillet in Paris. Zu Beginn des Feuerwerks züngeln zwei flammende Herzen an den Flanken des rosa beleuchteten Eiffelturms empor, bevor aus Lautsprechern die Stimme von Maria Callas erklingt – mit der Habanera aus Bizets «Carmen». Das Thema des Abends lautet: L’amour, oiseau rebelle. Das ist universell. Aber auch etwas schräg an einem Nationalfeiertag, der dem blutigen Sturm auf die Bastille gedenkt.

Man darf das durchaus als subversiv verstehen: «Unsere Show unterlief den fahnenschwenkenden Ungeist, den viele gern mit dem 14 Juillet verbinden», sagt Christophe Berthonneau, der künstlerische Leiter von Groupe F, und er grinst dabei. Ein Ungeist, der im Text der «Marseillaise» widerhallt und dessen Echo an jenem Vorabend des WM-Finales auch in der testosteron­geladenen Einmütigkeit um die Bleus mitschwang. Berthonneau: «Die dreizehn Titel unseres Soundtracks wurden entweder von Frauen gesungen oder von Männern, deren Image nicht gerade dem des hypermännlichen Supermachos entspricht: Mathieu Chédid, Jacques Higelin, Arthur H, Prince ...» Und wenn schon die «Marseillaise» erklingen muss, wählt Groupe F die britisch-ironische Beatles-Version – den Anfang von «All You Need Is Love».

Eröffnung des Louvre in Abu Dhabi, 2017. Groupe F

Groupe F arbeitet laufend in Ländern wie China, Aserbaidschan oder den Golfmonarchien. Wie kann man da seine Schaffensfreiheit wahren, wie vermeiden, sich durch autoritäre Regime vereinnahmen zu lassen?

«Es gibt überall Formen von Zensur», sagt Berthonneau – «die schlimmste von ihnen ist die Selbstzensur. Man sagt sich: Dies oder das wird nie und nimmer durchgehen, man verzichtet von vornherein auf etwas, das einem am Herzen liegt. Als Künstler muss ich mir vor dem Spiegel ins Gesicht sehen können.» Aber er sei eben auch der Unternehmenschef, und damit habe er die Verantwortung, seiner Equipe Arbeit zu beschaffen: «Wir haben uns grundsätzlich dafür entschieden, überall in der Welt aufzutreten. Im Einzelfall wird der Beschluss, einen Auftrag anzunehmen oder nicht, gemeinsam gefällt.»

Dennoch kommt es vor, dass einzelne Truppenmitglieder sagen: Ohne mich! Und zu Hause bleiben. «Es ist nicht einfach», sagt Berthonneau. «Wohin auch immer man uns einlädt: Wir sind Gäste. Wir können uns nicht breitmachen. Wir müssen mit Fingerspitzengefühl vorgehen.»

«Die kindliche Freude, tüfteln und experimentieren zu können, in Echtzeit und im Massstab eins zu eins»: La Villette, 2008. Groupe F

Auch kulturelle Codes sind dabei zu berücksichtigen. Die Symbolik – und also Wertschätzung – von Farben schwankt stark von Land zu Land. Man muss wissen, wie stark man damit spielen, Gewohnheiten durch Neues durchstrapazieren kann. Goldene Feuerwerke, in Europa sehr geschätzt, gelten in China und Japan als missglückt. Und doch, sagt Berthonneau, findet man die schönsten Goldeffekte in Japan!

Umgekehrt empfindet Berthonneau die Verbindung von Grün und Rot, die man in China liebt, als «spiessig». Er zieht ihr die Kombinationen Rot-Blau, Rosa-Türkis, Weiss-Grün vor – und macht daraus auch in China nicht immer ein Geheimnis. «Eine chromatische Nervensäge sondergleichen» sei er, gibt Berthonneau unumwunden zu.

Einweihung der Chaban-Delmas-Brücke in Bordeaux, 2013. Thierry Nava/Groupe F

Trotz allem beruht das Gelingen eines Feuerwerks auch auf Faktoren, die sich schwer bis unmöglich in den Griff bekommen lassen – nicht zuletzt das Wetter. «Für die Eröffnungs- und Schluss­zeremonien der Olympischen und Paralympischen Spiele in Rio 2016 haben wir vier Feuerwerke gezündet», erinnert sich Berthonneau. «Dreimal hatten wir Regen – sofort gab es dichten Rauch. Das vierte Mal bliesen Windböen von bis zu 100 Stunden­kilometern!»

Aber auch für die verwendeten Feuerwerkskörper gibt es keine echte Qualitätsgarantie. Zwar lässt Groupe F seine Bomben und Raketen bei renommierten Fabrikanten wie Luso in Portugal, Panzera in Italien, Lidu in China und vor allem Igual in Spanien herstellen. Das ist teurer als die gebrauchsfertige chinesische Massenware, die den Weltmarkt dominiert – aber im Gegensatz zu dieser, die unter Umständen monatelang auf einem Regal gelegen und sich dabei chemisch zersetzt hat, handelt es sich um «Frischware». Trotzdem kann man nie sicher sein, dass immer exakt die gleiche Wirkung eintritt. «Manchmal hatte man einen fabelhaften Effekt – und erhält das nächste Mal nur noch einen laschen Lichtfleck. Der Fabrikant kann nichts dafür: Sein Zulieferer hat ihm vielleicht Aluminium mit einer leicht anderen Korngrösse verkauft. Oder die Luftfeuchtigkeit während des Trocknungs­prozesses war nicht exakt die gleiche.»

Gespiegelte Farbspiele: Pont du Gard, 2008. Groupe F

Schwer zu glauben, dass die geschleckten Feuerspektakel von Groupe F zwischen den rauen Betonwänden eines ehemaligen Weinlagers aus den 1930er-Jahren entstehen. Einer der grössten Keller Frankreichs, ja ganz Europas, 24 Kilometer südöstlich des Zentrums von Arles – mitten in einem Feucht­schutz­gebiet der Camargue.

Ein Rundgang durch das gigantische Lager­labyrinth lässt Bilder aus Fellini-Filmen aufblitzen, aus Orson Welles’ «Prozess», aus Andrei Tarkowskis «Stalker». Bis auf das Tonstudio von Scott Gibbons und die Reserve für die Feuerwerkskörper sind alle Abteilungen von Groupe F hier vereint: der Holzsektor, das Elektronik­laboratorium, die Hydraulik­werkstatt … Im Kostümatelier hat die Kostümbildnerin Ann Williams feuerbeständige Anzüge aus Leder oder Aramid­fasern ausgebreitet, die mit winzigen Leuchtdioden bestickt sind. Der teuerste Anzug kostet 50’000 Euro – er ist für die Darstellerin der Königin Marie-Antoinette bei einer Show in Versailles bestimmt.

Ein Stück weiter stösst man auf die Projektoren fürs Video­mapping, mit der die Truppe grossformatige Bilder auf den Eiffelturm oder den Burj Khalifa wirft. Und da sind Stapel von Batterien für modernste Elektroboote, die völlig lautlos übers Wasser gleiten; Seilrutschen für Luftakrobatik; und Schuss­vorrichtungen für Feuerwerke in Herzform.

Superluxus mit Spektakel: Jahreswechsel am Burj al Arab, Dubai, 2006. Groupe F

Bis auf die Feuerwerkskörper stellt Groupe F sein ganzes Material selbst her. Die Entwickler der Truppe haben sogar eine Software geschaffen, um Feuerwerke am Computer zu komponieren. Allein in diese Programme wurden 400’000 Euro investiert. Und die Ingenieure des Kollektivs haben patentierte Flammen­generatoren gebaut, die alle erdenklichen Spiele mit bis zu 15 Meter hohen Feuergarben möglich machen.

Aber statt auf Teufel komm raus immer neue Patente anzumelden, hält die Truppe es lieber mit Berthonneaus Wahlspruch: «Lauf schneller als die andern und amüsier dich dabei!» Auf die Gefahr hin, in der ganzen Welt – insbesondere in China – kopiert zu werden.

«Wir massen uns nicht an, Erfinder zu sein», sagt der künstlerische Leiter von Groupe F. «Alles, was wir machen, hat ein Bastlergenie vielleicht irgendwann, irgendwo schon einmal gemacht. Unsere eigentliche Motivation, das, was uns im tiefsten Innern antreibt, ist die Freude, tüfteln und experimentieren zu können, in Echtzeit und im Massstab eins zu eins. Unsere Spiele mit dem Feuer haben etwas Kindliches!»

Zum Autor

Marc Zitzmann lebt in Paris, er ist als freier Journalist unter anderem für die «FAZ» und «NZZ am Sonntag» tätig. Für die Republik hat er bereits über die französische Internetzeitung «Mediapart» geschrieben.

Wenn Sie weiterhin unabhängigen Journalismus wie diesen lesen wollen, handeln Sie jetzt: Kommen Sie an Bord!