Kunst

Meister der Angstlust

Kunstmuseum Basel: «Füssli. Drama und Theater»

In Zürich geboren, in London gestorben: Johann Heinrich Füssli (1741–1825) gilt als Maler des Fantastischen. Eine grosse Basler Ausstellung rückt die Theatralik seiner Kunst ins Licht.

Von Manfred Koch, 30.11.2018

Teilen0 Beiträge

Die Republik ist ein digitales Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur – finanziert von seinen Leserinnen. Es ist komplett werbefrei und unabhängig. Lösen Sie jetzt ein Abo oder eine Mitgliedschaft!

Attraktiver Höllenfürst: «Satan flieht, von Ithuriels Speer berührt», 1779. Staatsgalerie Stuttgart

Was für ein schöner Teufel! «Satan flieht, von Ithuriels Speer berührt» heisst eines der Gemälde in der grossen Ausstellung, die das Kunstmuseum Basel derzeit dem «wilden Schweizer» Johann Heinrich Füssli widmet (noch bis 10. Februar 2019). Wer ahnungslos vor das Bild tritt und einen Satan der üblichen Art sucht, wird nicht fündig.

Füsslis Höllenfürst ist kein geschwänzter Finsterling; nein, wir sehen einen imposanten nackten Athleten mit prachtvollen Gliedmassen, die zudem ganz überwiegend in strahlendes Licht getaucht sind. Verschattet sind nur Teile der linken Körperseite sowie der Kopf, dessen harmonische Gesichtszüge an die Anmut griechischer Heldenstatuen erinnern. Aus ihm aber stechen zwei riesengrosse, blendend weisse Augen hervor, die so entsetzt wie drohend den Angreifer Ithuriel fixieren.

Dieser Blick ist das einzig Dämonische an dem attraktiven Teufel, einschüchternder als die Lanze, die er schwingt (von der wir sowieso am oberen Bildrand nur noch die Spitze zu sehen bekommen), kriegerischer als der Schild in seiner weit nach oben ausgestreckten linken Hand.

Höllische Mächte im Paradies

Füssli ist ein Maler, bei dem es sich in besonderem Mass lohnt, der Neugier, die ein Bild weckt, nachzugehen und Informationen zu seiner Entstehung, zum Sujet und zu den spezifischen Maltechniken einzuholen.

Wir erfahren im vorzüglichen Katalog, dass Satans Kampf mit Ithuriel keine biblische Geschichte ist. Füsslis literarische Vorlage war vielmehr John Miltons Versepos «Paradise Lost» von 1674, jahrhundertelang eine Art Bibel der englischen Literatur. Dort unternimmt Lucifer, der oberste der von Gott abgefallenen rebel angels, mehrere Anläufe, um das erste Menschenpaar zur Sünde zu verführen.

Das Gemälde zitiert einen gescheiterten Versuch, in dem Satan sich in Krötengestalt an Eva herangemacht hat und gerade noch rechtzeitig von den Wächterengeln Zephon und Ithuriel aufgespürt und verjagt wird. Füssli gestaltet exakt den Augenblick, in dem, so die Kuratorin Eva Reifert, «die Berührung durch Ithuriels Speer ihn schlagartig in seine wahre Form zurückverwandelt», aus der Kröte also – wie im Märchen – der schöne Mann wird, der nun allerdings in rasantem Tempo nach oben entweicht.

In einer Vorstudie Füsslis hatte der enttarnte Satan noch schneeweisse Flügel. Im Ölgemälde sieht es fast so aus, als stosse er sich allein mit der Kraft seiner gewaltigen Oberschenkel zur rettenden Auffahrt ab. Ithuriel pikst ihn in die Zehen des rechten Fusses, was zugleich die Verwandlung in die Urgestalt und die dynamische Aufwärtsbewegung auslöst.

Adam und Eva bekommen von alledem nichts mit; splitternackt, eng umschlungen lagern sie mittig am unteren Bildrand, und in paradiesischer Unschuld liebkost er mit dem Mund ihre effektvoll beleuchteten Brüste.

Der Maler als süchtiger Leser

Füssli war ein durch und durch literarischer Maler, ein süchtiger Leser, der seine Inspiration nicht aus der Natur, sondern aus Texten bezog. Seine Lieblingsdichter waren Homer, Dante, Shakespeare und ebenjener Milton, den er schon in seiner Zürcher Jugendzeit auf ideale Weise kennengelernt hatte. Denn einer seiner Lehrer – auf Wunsch des Vaters musste Füssli Theologie studieren – war Johann Jakob Bodmer, der 1742 eine epochemachende «Paradise Lost»-Übersetzung vorgelegt hatte.

Diese Übersetzung ist, wie man trotz des englischen Autors formulieren muss, ein Hauptwerk der deutschen Literatur, denn sie war ein Meilenstein auf dem Weg zur Entwicklung einer neuen, kraftvollen deutschen Literatursprache im 18. Jahrhundert. Von ihr angeregt, schrieb Klopstock seinen «Messias», das deutsche religiöse Epos, das völlig neue Dimensionen emotionsgeladenen, ekstatischen Sprechens erschloss.

Unter Anleitung von Bodmer und seinem Zürcher Mitstreiter Johann Jakob Breitinger wurde der junge Füssli zum Ästhetik-Rebellen. Er verwarf die starre Regelpoetik der Aufklärung und setzte stattdessen auf die Qualitäten des «Wunderbaren» und des «Erhabenen» in der bildenden Kunst und in der Literatur.

So entwickelte er sich vom Leser und Kunsttheoretiker zum späteren Maler des Fantastischen, dessen Bilder übernatürliche Wesen der verschiedensten Art bevölkern: Engel, Teufel, Nixen, Feen, Faune, Elfen, Trolle, Schrate, Tierdämonen. Kurz: all das, was man eben in der Natur nicht sieht, sondern innerlich imaginiert, meist in Bewusstseinszuständen, in denen die Vernunft ausgeschaltet ist, seis durch Müdigkeit (Halbschlaf, Traum), seis durch Drogen (Alkohol, Opiate) oder Krankheit (Wahnsinn).

«Ruhender Frauenakt und Klavierspielerin», 1799/1800. Kunstmuseum Basel
«Percival befreit Belisane aus der Bezauberung durch Urma», 1783. Tate London

In einem aufschlussreichen Katalogbeitrag zeigt der Basler Germanist Alexander Honold, dass Füssli bei Milton wohl auch gerade solche Stellen herausgriff, in denen es um die faszinierende Freisetzung der «Einbildungskraft» geht. Der krötengestaltige Satan hat sich nämlich, heisst es im 4. Gesang des «Verlorenen Paradieses», «an Evas Ohr angebaut», um «mit Teufelskunst die inneren Sinne ihrer Fantasie» zu berücken, «Illusionen, Träume, hohe Einbildungen» in ihrem Geist zu erwecken.

Die Menschen im Garten Eden waren ursprünglich zufrieden, aber halt auch völlig einfallslos. Wenn sie auf Satans Einflüsterungen hin anfangen, sich auszumalen, was alles sein könnte, ist es mit der paradiesischen Ruhe vorbei. Dafür werden sie aber auch zu Erfindern und Künstlern. Kein Wunder, dass Füsslis Malerfreund William Blake von Milton sagte, er sei eigentlich «ein Parteigänger des Teufels» gewesen. Als erhabener Engel, dem wir unsere unheimliche Kreativität verdanken, erscheint Satan auch auf Füsslis Bildern.

Acht Jahre, von 1770 bis 1778, hat der 1741 geborene Füssli in Rom gelebt und sich autodidaktisch zum Maler ausgebildet. Schon dort las er aber vor allem Milton und Shakespeare, verquickte Szenen aus deren Werk mit der Bildsprache seines grossen Idols Michelangelo.

Man vermutet, dass seine Darstellung der Engelslanze, die die Teufelszehen berührt, eine eigenwillige Umsetzung jener berühmten Geste ist, mit der Gottvater auf dem Fresko der Sixtinischen Kapelle Adam über den subtilen Kontakt der Zeigefinger zum Leben erweckt.

Theatralisches Pathos

Italiens Schönheiten werden gleichsam aufgesogen von der nordischen Geisterwelt und nehmen dort bisweilen bizarre Erscheinungsformen an. Es war nur konsequent, dass Füssli nach einem unglücklichen Zwischenaufenthalt in Zürich 1779 nach London ging und sich dort endgültig niederliess. Aus Heinrich Füssli wurde Henry Fuseli, ein englischer Nationalmaler nicht zuletzt dadurch, dass er die englischen Nationaldichter Milton und Shakespeare wie kein anderer auszuschlachten verstand.

In Bezug auf Shakespeare war für Füsslis Inspiration schon seit dem ersten Londoner Aufenthalt (1765–1770) auf dem Weg vom Text zum Bild eine Zwischeninstanz besonders wichtig: das Theater.

Füssli war ein emsiger Theatergänger. Und er hatte das Glück, den Starschauspieler des 18. Jahrhunderts, David Garrick, als Macbeth, Hamlet oder Richard III. zu erleben. Fasziniert von der pathetischen Körpersprache des neuen englischen Theaters, wählte Füssli für seine Bilder vor allem die hochemotionalen Momente, die ihm dank Garricks Kunst des leidenschaftlichen Sich-Gebärdens aus Shakespeares Stücken im Gedächtnis blieben.

Siebzehn Gemälde zu Shakespeare-Szenen versammelt die Basler Ausstellung und entfaltet so ein Spektakel von füsslischen Geisterwesen, schaurigen (die Hexen aus «Macbeth») wie erheiternden (die Feen und Kobolde aus dem «Sommernachtstraum»). Und immer wieder stösst man auf die exaltierten Gebärden und die panisch geweiteten weissen Augen der Figuren, die die unheimlichen Gespenster erblicken: Hamlet vor dem Geist seines Vaters, Macbeth vor dem «bewaffneten Kopf».

Panisch geweitete Augen: «Lady Macbeth, schlafwandelnd», um 1783. Louvre Paris

Bei Lady Macbeth ist der Dämon ganz im Inneren eingekehrt. Ihr Irrsinnsblick sieht niemanden mehr, sondern kündet nur noch vom Spuk der rasend gewordenen Einbildungskraft in ihrem Kopf. Noch eindringlicher, weil direkt auf den Bildbetrachter gerichtet, ist der Blick der «wahnsinnigen Kate» – der Weg zu Munchs «Der Schrei» ist hier nicht mehr weit.

Auch Füsslis berühmtestes Gemälde, «Der Nachtmahr», ist in Basel zu sehen, allerdings in einer bereits ins Komisch-Groteske übergehenden Variante von 1810. Das Albtraum-Pferd hat hier nicht mehr die gruseligen Glühbirnen-Augen der Fassung von 1790/91. Aber auch so begreift man, wie dieser Maler der extremen Kontraste – zwischen Hell und Dunkel, Bewegung und Erstarrung, Grauen und Komik – seine Zeitgenossen in Bann schlug, indem er ihnen das Gefühl des delightful horror vermittelte.

Es bedarf, sagen seine Bilder, nur eines Nickerchens der Vernunft, und schon umschwirren uns die animalischen Ungeheuer der Seele. Die Künstler kennen sie besonders gut und sind deshalb wohl stets gefährdet. Aber diesen Dämonen verdanken sie eben auch ihre höllische Kreativität.

Zum Autor

Manfred Koch ist Literaturwissenschaftler, Essayist und Literaturkritiker. Er unterrichtet deutsche Literaturgeschichte an der Universität Basel.

«Füssli: Drama und Theater»

Die Ausstellung im Kunstmuseum Basel dauert noch bis zum 10. Februar 2019. Alle Informationen finden Sie hier. Der Katalog wurde von Eva Reifert mit Claudia Blank im Prestel-Verlag herausgegeben (242 Seiten, 48 Franken).

Unterstützen Sie unabhängigen Journalismus mit einem Monatsabonnement oder einer Jahresmitgliedschaft!