Verrat in der Moschee

Eine verdeckte Recherche in Winterthurs Islamistenszene fliegt auf. Der Informant fürchtet um sein Leben, die jungen Muslime wittern eine Verschwörung. Was geschah an einem Novemberabend vor zwei Jahren in der An’Nur-Moschee?

Von Elia Blülle, Carlos Hanimann (Text) und Benjamin Güdel (Illustrationen), 22.11.2018

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Vorgelesen von Christian Liniger
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Pure Angst. Die Polizistin sah sie in seinem Gesicht, seinen Augen, seiner Gestik. Noch nie, sagt sie später, habe sie jemanden so eingeschüchtert und verängstigt gesehen wie an jenem Dienstagabend des 22. November 2016, als sie mit ihren Kollegen zur An’Nur-Moschee ausrückte und dort auf den 30-jährigen Karim stiess.

Es war kurz nach 22 Uhr, sie sassen zu viert im Polizeiwagen: Karim und sein Freund auf der Rückbank, die Polizistin auf dem Beifahrersitz, ihr Kollege am Steuer. Die Polizistin fragte die beiden Männer, ob sie nicht Anzeige erstatten wollten. Sie schwiegen.

Karim wollte weg. Weg von der Moschee, in der er festgehalten worden war. Weg von den Leuten, die ihn gedemütigt hatten. Weg von Winterthur, wo er zuletzt so viel Zeit verbracht hatte. Er weinte. Das runde Gesicht war ganz rot und nass.

Karim, der in Wirklichkeit anders heisst, brauchte eine Zigarette. Am Kopf seines Freundes sah er eine dicke Beule. Dann fragte er die Polizistin: «Wieso hat es so lange gedauert, bis ihr gekommen seid?»

Der Einsatzbefehl kommt kurz vor 20 Uhr. Die Polizistin und ihr Kollege sind gerade beim Abendessen. Die Einsatzzentrale meldet, es sei brisant. In der Moschee fürchte jemand um sein Leben.

Die Polizisten funken zurück: Eine Patrouille reicht nicht. Zu gefährlich. Man kennt die berüchtigte Moschee aus der Presse: An’Nur – Treffpunkt junger Islamisten, die von Winterthur nach Syrien in den Jihad ziehen; die Moschee, in der ein Imam in seiner Predigt zum Mord an Ungläubigen aufgerufen hat.

Die Polizisten rufen Verstärkung. Eine Stunde dauert es, bis alles organisiert ist: Drei Patrouillen der Kantonspolizei und zwei Patrouillen der Stadtpolizei Winterthur versammeln sich in einer Strasse neben der Moschee.

Um 21.11 Uhr stürmen sechs Polizisten die Treppe zur Moschee hinauf. Die Tür ist verschlossen. Mit der Faust schlägt der vorderste Polizist dagegen. Ein Mann öffnet. Die Polizisten betreten den Gebetsraum. Neunzig Minuten nachdem Karims Freund sich auf der Toilette eingeschlossen und per SMS die Polizei um Hilfe gebeten hat:

«Dringend Winterthur Moschee Bitte. Dringend. Sie wollen meinen Freund töten»

Was an diesem Novemberabend vor zwei Jahren geschah, darüber verhandelte im Oktober das Bezirksgericht Winterthur. Neun Besucher der Moschee waren im An’Nur-Prozess angeklagt. Sechs erhielten bedingte Freiheitsstrafen, einer eine bedingte Geldstrafe, und zwei wurden freigesprochen; das Gericht will zwei der Beschuldigten ausweisen. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig.

Es konnte der Eindruck entstehen, dass sich der Rechtsstaat Schweizer Islamisten vorknöpft, die mit Terror und Gewalt sympathisieren. Die Wahrheit ist komplizierter.

Das Urteil ist nur der vorläufige Abschluss dieser Geschichte, der kein Gericht gerecht werden kann. Die Republik hat die Untersuchungsakten studiert und Beschuldigte und Opfer dazu bewegt, erstmals ihre Version der Ereignisse zu erzählen. Und so die ganze Geschichte rekonstruiert: was an diesem Abend geschah und warum es so weit kam.

Das ist die Geschichte von zwei Freunden, einem Journalisten und einem Studenten, die mit besten Absichten recherchierten. In ihrer festen Überzeugung, im Recht zu sein, bewegten sie sich am Rand des Erlaubten, deckten einiges auf – und fürchten heute um ihr Leben.

August 2011, Tripolis, Libyen. Die Rebellen schiessen in die Luft. Aus Freude – oder aus Leichtsinn. Gefährlich ist das nicht, solange man die eine Regel nicht vergisst: Jede nach oben geschossene Kugel fällt irgendwann auch wieder runter.

Kurt Pelda weiss das. Er wartet, bis die Gewehrsalven verklungen sind, es aufhört, Blei zu regnen. Häufig klettert er erst nach Mitternacht auf das Dach des Schulhauses, wo er seinen Schlafsack ausgelegt hat. Und schläft für ein paar Stunden.

Die Rebellen haben gerade den libyschen Diktator Muammar al-Ghadhafi entmachtet und aus der Hauptstadt vertrieben. Eine bessere Unterkunft als dieses Schulhausdach hat der Schweizer Kriegsreporter in Tripolis nicht gefunden. Nach über vierzig Jahren Ghadhafi befreit sich Libyen von seinem Diktator. Und taumelt ins Chaos.

Pelda weiss, wie man sich als Journalist in wirren Zeiten und Gegenden bewegt. Er hat jahrelang als NZZ-Korrespondent in Afrika recherchiert, häufig in der Gefahrenzone.

Er berichtete über entführte Kinder in Uganda, über Massaker in Darfur, über bekiffte Rebellen in der Elfenbeinküste. Er hat fast sein ganzes journalistisches Leben lang nichts anderes gemacht, als sich in Gefahr zu begeben.

Seine erste Story schrieb Pelda über den Kampf der Mujahedin gegen die Sowjets – direkt von der Front in Afghanistan. Das war 1984, Pelda war 19 Jahre alt.

Zwei Jahre später war er wieder in Afghanistan und beschrieb, wie er einem Kommandanten der Gotteskrieger bei einer heiklen Operation das Gewehr hinterhertrug, weil dieser zu faul war. Solche Episoden ziehen sich durch Peldas ganzes journalistisches Leben: Er geht an die Grenzen – und manchmal darüber hinaus.

«Ich schreibe immer noch am liebsten über Konflikte, wo sich das Risiko lohnt, weil es um eine gute Sache geht», hat Pelda vor ein paar Jahren in einem Interview gesagt. Er ist gern auf gefährlicher Mission.

2011 in Tripolis findet er einen, der ihm dabei hilft. Er heisst Karim, weiss sich im Chaos zu bewegen und kennt die Gefahren.

Karim sagt heute über Kurt: «Ich habe ihm damals in Tripolis schon ein bisschen den Arsch gerettet.»

Karim trifft sich mit einem Freund in Winterthur. Es ist 14 Uhr, acht Stunden bevor er aufgelöst auf der Rückbank des Polizeiautos sitzt. Sie setzen sich ins «Jack & Jo» beim Bahnhof und bestellen ein Bier.

Karims Freund ist Koch und arbeitet an einer Bewerbung für einen neuen Job. Schwierig für den 32-jährigen Tunesier, der zwar gut Französisch und Italienisch spricht, aber kaum Deutsch. Anders als Karim.

Dieser kam 1986 in Kroatien als Sohn libyscher Eltern zur Welt. Die Jugend verbrachte er in Bonn und ging dort zur Schule. Er spricht noch heute besser Deutsch als die meisten Schweizer.

Seit eineinhalb Jahren reist Karim jede Woche nach Winterthur. Besucht die Moschee im Aussenquartier Hegi und betet. Heute aber will er nicht allein gehen. Er hat ein mieses Gefühl. Die Stimmung in der Moschee ist umgeschlagen: zu viel negative Presse.

Seit einigen Wochen ist die Moschee schlecht besucht. Und Karim hat in den letzten Tagen Nachrichten erhalten, die ihn misstrauisch stimmen. Etwas liegt in der Luft. Nur was?

Karim weiss, er braucht einen Beschützer. Jetzt allein dorthin zu gehen, wäre fahrlässig. Er schreibt für seinen tunesischen Freund die Bewerbung und fragt ihn, ob er ihn begleite.

Ich tu dir einen Gefallen, dafür tust du mir einen.

Kurt und Karim lernen sich im Spätsommer 2011 kennen. Am Pool des Radisson Blu Hotel in Tripolis. Nicht beim Baden, sondern beim Waschen.

Nach Ghadhafis Sturz ist die Wasserversorgung der libyschen Hauptstadt zusammengebrochen. Das Hotel mit Swimmingpool wird zum Treffpunkt für ausländische Journalisten, denn dort können sie ihre Kleider waschen.

Karim nimmt Kurt mit in seine Unterkunft. Führt ihn umher und zeigt ihm die Schauplätze des Umsturzes: ausgebombte Gebäude, Wände mit Graffiti der Rebellen, den grossen schwarzen Fleck, wo einst Ghadhafis Beduinenzelt stand.

Karim erweist sich als unverzichtbare Hilfe. Er kennt sich aus, spricht nicht nur Arabisch und versteht die verschiedenen Dialekte, sondern auch sehr gut Deutsch.

2009 kam Karim in die Schweiz und schrieb sich an der ETH Zürich ein, um Geomatik zu studieren. Als zwei Jahre später der Arabische Frühling ausbrach, schob er das Studium beiseite. Wichtiger waren ihm die Bewegungen in Libyen. Er glaubte an den Aufbruch in seiner Heimat und wollte mit dabei sein. Wochenlang wartete er in der tunesischen Wüste, bis er endlich gemeinsam mit den Rebellen in sein Heimatland reisen konnte. Als die Revolutionäre Tripolis eroberten, klopfte er um 3 Uhr morgens an die Haustür seiner Eltern.

Mit Kurt ist er in Tripolis unterwegs, reist in die libysche Sahara zu Menschenschmugglern, später auch nach Syrien, in die Türkei und mit Flüchtlingen auf der Balkanroute bis Belgrad.

Hautnah erleben die beiden die Gefechte im Krieg, einmal stehen sie direkt hinter einem Panzer von Milizen, die eine IS-Zentrale bombardieren. Die extremen Erfahrungen verbinden. Kurt und Karim werden enge Freunde.

Eingepfercht zwischen Bahngleisen und Autogaragen befindet sich die An’Nur-Moschee im oberen Stockwerk eines farblosen Gewerbegebäudes, wie sie tausendfach in Schweizer Vororten herumstehen.

Die Moschee ist als Nest der Schweizer Islamistenszene bekannt geworden. Immer wieder sind in den vergangenen Jahren junge Winterthurer in das syrische Kriegsgebiet gereist, um sich dort radikalislamistischen Gruppierungen anzuschliessen. Gemäss Medienberichten waren es mehr als ein Dutzend.

Sicher ist, dass mindestens drei junge Winterthurer getötet wurden. 2015 starben ein 19-jähriger Leichtathlet, ein Lehrling aus Wülflingen und der Thaibox-Weltmeister Valdet Gashi im syrischen Bombenhagel. Für mindestens einen der «Märtyrer» halten die Gläubigen in der An’Nur-Moschee danach eine Schweigeminute ab.

Andere Winterthurer werden an einer Ausreise gehindert, gegen den mutmasslichen Rekrutierer der Winterthurer IS-Sympathisanten läuft noch immer eine Strafuntersuchung der Bundesanwaltschaft. Die Jihad-Reisenden haben eine Gemeinsamkeit: Sie sind Teil der sogenannten Jugendgruppe der An’Nur-Moschee.

Das ist ein Netzwerk von rund dreissig Jugendlichen und jungen Männern, die sich in der Moschee treffen. Sie nennen sich Brüder, tragen Bärte und krempeln die Hosenbeine hoch wie der Prophet Mohammed, der mit freien Fussknöcheln durch die Wüste gestampft sein soll.

Bevor Karim und sein Freund an diesem Dienstagabend im November die Moschee betreten, steckt ihm Karim eine Handynummer für Notfälle zu. Es ist die Privatnummer von einem Polizisten: Zürcher Kantonspolizei, Strukturkriminalität, Feldweibel mit besonderen Aufgaben.

Kurz vor 19 Uhr betritt Karims Freund die Moschee. Er selber wartet noch draussen. Ab sofort kennen sich die beiden nicht mehr. Karim ist nervös. Er wartet fünf Minuten, bis er selber die Treppe zur Moschee hochsteigt.

Karim zieht die Schuhe aus, geht vorbei am Büro durch den Gebetsraum in die Toilette. Dort spült er die Hände, wäscht sich das Gesicht und die Füsse und befeuchtet die Ohren – wie immer vor dem Abendgebet.

Die geräumige Gebetshalle ist leer. Sein Freund betet bereits auf dem türkisfarbenen Teppich im Licht der Neonröhren, die am nackten Blechdach befestigt sind. Karim setzt sich auf das Sofa an der Wand und zückt sein iPhone. Zwei neue Messages auf Threema, einer verschlüsselten Nachrichtenapp.

Sein Kontakt «Wasseem Deutsche» schickt Fotos aus Belgrad. Eines zeigt ein Hotel, das andere einen Coiffeursalon. «Remember?»

«how can i forget», tippt Karim und sendet seinen Standort: Winterthur. «lets talk later».

Karim albert mit dem Handy rum. Er schiesst ein Foto von seinem Freund, obwohl das in der Moschee verboten ist, und sendet es an Wasseem Deutsche.

Karim schreibt dazu: «brav am beten».

«allahu akbar», antwortet Wasseem scherzhaft.

Karim schickt ein Emoji zurück: eine Hand mit gestrecktem Zeigefinger. Das Erkennungszeichen des IS. Ein kleiner Witz unter alten Freunden. Es ist 19.03 Uhr.

Zwanzig Minuten später schickt Karim plötzlich mehrere kurze Nachrichten an Wasseem Deutsche.

«Jetzt kommen leute»
«Tarek ist da»
«Amir auch»
«Jetzt ist Bozan auch eingetrodfen»

In schneller Folge schickt er eine Reihe von Fotos: von seinem Freund, aber auch von einem jungen Mann, der zur sogenannten Jugendgruppe der An’Nur-Moschee gehört. Dann bricht der Kontakt ab.

Wasseem Deutsche fragt im Chat: «Wie sind sie mit dir? Und Abu M?»

Karim antwortet nicht.

Wie überlebt man einen Krieg? Kurt Pelda sagt, indem man nur mit Leuten arbeitet, denen man blind vertraut. Karim ist so jemand. Pelda vertraut ihm sein Leben an.

Karim hat Kurt in Libyen geholfen, aber jetzt blickt die Welt nach Syrien. Auch Kurt reist dorthin. Karim will ihn unbedingt begleiten. Er will den Krieg mit eigenen Augen sehen. Kurt ist dagegen, denn Anfänger sind im Feld eine Belastung, und Syrien ist kein Platz für Amateure. Kurt sagt dann trotzdem Ja – eine gute Entscheidung.

Karim ist niemandem verpflichtet – keiner Miliz und keiner Regierung. Er ist ein Übersetzer, der unschöne Wahrheiten nicht zensiert. Er erzählt Pelda auch, dass Leute, die dieser bislang als Beschützer und sogar Freunde gesehen hat, Frauen umgebracht und andere grässliche Verbrechen begangen hatten. Karim, dem Muslim und Araber, sagen die Leute mehr als Kurt, dem Journalisten und Europäer.

Bald beginnt Karim, auch selber für eine arabische Zeitung zu schreiben. Um Geld zu verdienen, erledigt er Gelegenheitsjobs für andere Journalisten. Kurt vermittelt. Karim übersetzt für das Schweizer Fernsehen SRF, recherchiert für die «Weltwoche» und für das deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel».

Doch der Journalismus bleibt für Karim eine Nebenbeschäftigung. Er zieht wieder in die Schweiz. Er will hier seinen grossen Traum verwirklichen: Pilot werden und Aviatik studieren. Praxis und Theorie verbinden. Ihm fehlt aber das nötige Praktikum. Darum fährt er immer wieder nach Winterthur, wo die Hochschule einen Aviatik-Studiengang anbietet, und versucht, die Zuständigen davon zu überzeugen, dass er sich auch ohne praktische Erfahrung eignet.

Er verbringt viel Zeit in Winterthur. Wenn er kann, besucht er freitags die Moschee. So landet er auch in der An’Nur. Schon als er das Gebetshaus zum ersten Mal betritt, beschleicht ihn ein schlechtes Gefühl.

Er sieht viele junge Männer mit ausgefransten Bärten. Die meisten verstehen kein Arabisch und sprechen es auch nicht. Aber sie folgen andächtig der arabischen Predigt und nennen sich gegenseitig «achi» – Bruder auf Arabisch.

Rückblickend sagt Karim, dass er schnell gemerkt habe, dass da etwas faul sei. Karim kennt diese radikalisierten europäischen Muslime von seiner Reise ins syrische Aleppo bestens. Er hat stundenlang mit ihnen diskutiert, übersetzt oder einfach nur zugehört. Er weiss, wie sie denken – und verachtet sie dafür.

Karim lernt schnell, dass viele Junge, die in der An’Nur verkehren, die Grenze zwischen einem moderaten, strengen und einem fanatischen, gefährlichen Glauben längst überschritten haben. Für ihn ist klar: Hier beten extreme Islamisten.

Karim dringt rasch tief in die Szene vor. Obwohl er keinen Platz im Aviatikstudium erhält, fährt er weiter nach Winterthur. Den Ramadan 2015 verbringt er fast durchgehend in der An’Nur-Moschee: Er knüpft Kontakte zu radikalen Islamisten, fastet, betet, isst mit ihnen. Für die Nächte leiht er sich bei seinem Freund Kurt Pelda eine Campingmatte. Er betet Tag und Nacht.

Viele der jungen Männer in der Moschee sind um die zwanzig Jahre alt, haben gerade ihre Lehre abgeschlossen. Sie sind teilweise verwandt, kennen sich aus der Nachbarschaft oder vom Fussballspielen. Einige sind arbeitslos, andere haben einen höheren Schulabschluss: Sie sind gelernte KV-Angestellte, Hausabwarte, Elektriker, Autolackierer, Maturanden – junge Männer auf der Suche nach Gemeinschaft.

Die meisten von ihnen sind in der Schweiz geboren, ihre Eltern stammen aus der Türkei, Mazedonien, Libyen, Italien oder Afghanistan. Die allerwenigsten sind Konvertiten, fast alle aber viel religiöser als ihre Eltern. Karim findet, die meisten radikalen Winterthurer seien einfältig und einfach zu manipulieren.

Karim denkt: Wenn er schon in Libyen nichts gegen diese Typen unternehmen konnte, dann wenigstens hier. Später sagt er, in seiner alten Heimat sei jede Familie betroffen von diesen radikalen Arschlöchern. Sie kommen aus Frankreich, Deutschland und der Schweiz. Konvertiten, die Sätze aus dem Koran reissen und ohne Kontext interpretieren; die Frauen versklaven und Ungläubige töten. Karim nennt sie verlorene Seelen ohne Identität, die beim IS eine Heimat gefunden hätten.

Seine Verachtung treibt ihn an. Karim fotografiert heimlich Islamisten in verschiedenen Moscheen. Er geht damit an die Grenze des Legalen, aber moralisch fühlt er sich im Recht. Er verwickelt die Leute ins Gespräch, fragt nach ihren Handynummern und Namen. Er recherchiert verdeckt, mag den Nervenkitzel, geniesst das Adrenalin. Er kennt ihre Familien, weiss, wo sie Fussball spielen, in welchem Gym sie trainieren. Seine Beobachtungen teilt Karim mit dem einzigen Journalisten, dem er vertraut: Kurt Pelda.

Abend für Abend sitzen sie zusammen vor dem Computer und gleichen Fotos ab, die Pelda aus den sozialen Netzwerken fischt. Oder die er selber schiesst. Oft sitzt Pelda mit seiner Kamera versteckt in einem benachbarten Bürogebäude und filmt die Islamisten beim Verlassen der Moschee. So sieht er ihre Gesichter.

Karim und Kurt sind von missionarischem Eifer gepackt. Sie wollen die Islamisten überführen und die Öffentlichkeit aufrühren. Pelda sagt: Über die Jahre habe er Zehntausende Fotos und Videos angesehen und einen riesigen Datensatz angelegt.

Im November 2015 töten IS-Attentäter bei koordinierten Angriffen in Paris 130 Menschen. Während in ganz Europa Polizisten mit Sturmgewehren durch die Strassen und in den Bahnhöfen patrouillieren, veröffentlicht die «Weltwoche» eine Recherche von Kurt Pelda. Der Titel: «IS-Zelle in Winterthur». Der Artikel schlägt ein.

Pelda berichtet aus dem Innern der An’Nur-Moschee: Imame, die junge Muslime für den Jihad anwürben und in Sunna-Lektionen Hassbotschaften verbreiteten; in Predigten vor kleinen Gruppen den Hass auf den Westen, auf die Schweiz und auf die Demokratie schürten.

Pelda beschreibt, wie sie sich im Innern der Moschee auf die Gebete vorbereiten, ihre langen Gewänder überziehen und sich Gel ins Haar streichen. Er schreibt von Jugendlichen, die sich auf ihren Handys gegenseitig Jihad-Videos vorspielen.

Als ideologischen Führer verdächtigt Pelda den Imam der Moschee. Einen Libyer, der in einer islamistischen Miliz gegen Ghadhafi gekämpft hatte und in der Folge von Interpol zur Fahndung ausgeschrieben war, aber seit Jahren unauffällig in Winterthur lebt.

Pelda gerät in die Kritik. Ihm wird unterstellt, zu übertreiben. Ein Extremismusexperte wirft ihm «Schreckung der Bevölkerung» vor. Der Begriff der «IS-Zelle» suggeriere, demnächst würde ein Anschlag verübt. Und einige zweifeln an Peldas Redlichkeit als Journalist: Es ist unklar, woher er seine detaillierten Informationen bezieht. Und er gibt den Personen, die er kritisiert, keine Möglichkeit zur Stellungnahme.

Bis heute polarisieren Peldas Methoden. Sie wecken Argwohn. Gerade fragte die WOZ, ob sich Pelda von seiner Rolle als Journalist entfernt habe. Die «Weltwoche» nahm ihren ehemaligen Reporter sogleich eilfertig in Schutz.

Karim weiss, dass seine Recherchen gefährlich sind. Ständig fragt er sich: Ahnt jemand etwas? Haben meine neuen Bekannten Verdacht geschöpft?

Einmal gerät Karim in eine brenzlige Situation. Eines Abends greifen ihn ein paar Mitglieder der Jugendgruppe an. Einer schubst ihn, Karim fällt und verletzt seine Handgelenke. Was genau geschieht, ist unklar. Karim will nicht darüber reden.

Die Arztrechnung für die Behandlung soll um die 1000 Franken betragen haben. Das versichert Pelda später in einer eidesstattlichen Erklärung gegenüber dem Gericht.

Der Vorfall bleibt ohne Folgen. Karim will keine Anzeige erstatten. Denn das hätte zur Folge, dass seine Identität bekannt würde: seine Adresse, sein voller Name. Zu gefährlich, findet er.

Kurt rät Karim, die Moschee nicht mehr zu besuchen. Die Winterthurer Salafisten müssen vermuten, dass sie einen Spitzel unter sich haben. Doch Karim weiss auch: Wenn er die Moschee jetzt meidet, fliegt er aus dem Netzwerk raus. Dann gilt er als Spion. Die ganze Arbeit wäre umsonst gewesen.

Karim verlangt eine Aussprache mit dem Imam. Alle versöhnen sich. Karim besucht weiterhin die An’Nur-Moschee – als wäre nie etwas gewesen.

Das geht gut bis zum November 2016. Dann publiziert Kurt Pelda die nächste aufsehenerregende Recherche über die mittlerweile verrufene Winterthurer Moschee.

Pelda berichtet über Tonaufnahmen einer Predigt, in der ein äthiopischer Imam auf Durchreise zum Mord an Ungläubigen aufruft. Ein Einzelfall. Doch die Polizei reagiert. Am Tag der Publikation fährt sie bei der Moschee vor. Razzia im Hegiquartier. Hausdurchsuchungen und mehrere Verhaftungen. Festgenommen wird auch ein Prediger aus Äthiopien. Die Moschee bleibt für mehrere Tage geschlossen.

Obwohl Karim in der Moschee viele Tonaufnahmen gemacht hat, stamme diese nicht von ihm, sagt er. Pelda habe noch andere Quellen in der Moschee. Karim sagt, er habe Fotos vom Imam geliefert und sie dann später an «TeleZüri» und den «Blick» verkauft.

Parallel zu seinen verdeckten Recherchen in der An’Nur-Moschee will sich Karim auch in das Netzwerk der Aktion «Lies!» einschleichen, Korane verteilen und sich so das Vertrauen der Schlüsselfiguren verschaffen. Seit längerem vermutet man, dass im Netzwerk junge Muslime radikalisiert und für den Jihad angeworben werden. Karim will wissen, wer das Projekt mit Geld füttert.

Dafür braucht er die Empfehlung einer Leitfigur. Diese lernt er in der An’Nur-Moschee kennen. Der Mann nennt sich Abu Medina und war ein enger Freund von Thaibox-Jihadist Valdet Gashi. Karim trifft sich mit Abu Medina in der süddeutschen Stadt Singen. Das Treffen wird ihm zum Verhängnis.

Denn am 10. November 2016, eine Woche nach der Razzia in der Moschee, schreibt Kurt Pelda wieder über «Winterthurs vernetzte Islamisten» in der «Weltwoche». Nebenbei erwähnt er auch einen jungen Familienvater aus Singen, der nach Winterthur gekommen sei. Ein harmloses Detail, denkt Pelda.

Doch kurz darauf erhält Karim ein SMS von Abu Medina, dem jungen Familienvater aus Singen: «Wir wissen, wer der Spitzel ist.»

Karim erschrickt: Meint er mich? Bin ich aufgeflogen? Warum schreibt er mir? Würde man jemanden, den man als Spitzel verdächtigt, so anschreiben?

Karim ist unentschlossen. Abu Medina hat ihm versprochen, ihm einen wichtigen Hintermann der Koranverteilaktion «Lies!» vorzustellen. Soll er dieses Treffen absagen? Oder macht ihn das verdächtig?

An’Nur-Moschee, 22. November, 19 Uhr: Karim wartet auf Abu Medina. Er schiesst ein Foto von seinem tunesischen Freund, der ihn heute ausnahmsweise begleitet. Dann tut Karim etwas, das man nur mit Übermut erklären kann: Er lichtet ein Mitglied der Jugendgruppe beim Beten ab. Ein unbrauchbares Bild: eine dunkle Gestalt, kaum erkennbar, den gesenkten Kopf gegen eine Wand gerichtet, nach Osten, die Arme vor dem Bauch verschränkt.

Der junge Mann merkt, dass Karim ihn fotografiert. Er greift zum Handy und beginnt zu telefonieren.

Ein Mitglied der Jugendgruppe betritt die Moschee. Dann noch eins. Und noch eins. 19.25 Uhr. Karim kennt sie. Grüsst sie. Aber bekommt keine Antwort. Er tippt eine Reihe von Kurznachrichten in sein Handy und schickt sie an Wasseem Deutsche:

«Jetzt kommen leute»
«Tarek ist da»
«Amir auch»
«Jetzt ist Bozan auch eingetrodfen»

Die Männer verteilen sich im Raum. Nur Abu Medina ist nicht in der Moschee aufgetaucht. Der Mann, der Karim ins «Lies!»-Netzwerk einführen soll. Der Mann, der Karim schrieb, man wisse, wer der Spitzel sei. Der Mann, den Karim heute treffen sollte. Karim steckt in der Falle.

Ein Afghane, gross und kräftig, winkt Karim mit den Fingern zu sich und sagt: «Komm mal her.»

Was in den nächsten neunzig Minuten geschieht, ist Gegenstand eines aufwendigen Strafverfahrens der Zürcher Staatsanwaltschaft. Die Untersuchungsakten in diesem Fall umfassen zwanzig Gigabyte Daten, darunter mehrere tausend Seiten Einvernahmen, Briefe, Polizeirapporte. Zwei Jahre lang ermittelten drei Staatsanwältinnen gegen zehn Winterthurer, die sich an jenem Abend in der An’Nur-Moschee befanden. Sie durchsuchten Wohnungen, beschlagnahmten Handys und Laptops, hörten Telefone ab, durchstöberten Tausende Fotos und Chats, die sie in elektronischen Geräten der Beschuldigten fanden.

Dann erhob die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Freiheitsberaubung, Nötigung, Sachentziehung, Gewaltdarstellung, Körperverletzung und Drohung.

Die Aussagen der Anwesenden gehen diametral auseinander. Die Beschuldigten unterstellen den Opfern – Karim und seinem tunesischen Freund –, massiv zu übertreiben, und bestreiten, dass es zu groben Gewaltanwendungen kam. Sie stellen die Auseinandersetzung als ein etwas ruppiges Zur-Rede-Stellen dar. Sie unterstellen den Opfern, den Medien und der Polizei, sich gegen sie verschworen zu haben. Und behaupten beispielsweise, die ärztlich festgestellten Verletzungen habe sich eines der Opfer selber zugefügt.

Was also ist an diesem Dienstagabend des 22. November 2016 in der An’Nur-Moschee wirklich geschehen?

Wenn man Karim zuhört, die Einvernahmen aller Beteiligten durch Polizei und Staatsanwaltschaft liest sowie die Berichte der Polizisten, dann ergibt sich Folgendes.

«Komm mal her», sagt ein damals 24-jähriger Afghane und winkt Karim zu sich. Es ist kurz nach 19.30 Uhr. Er verlangt Karims Handy und den PIN-Code. Karim weigert sich und fragt: Was ist los? Wir kennen uns, was willst du?

Die Antwort ist eine krachende Ohrfeige.

Karims tunesischer Freund, der die Szene aus ein paar Schritten Entfernung beobachtet, wird später sagen, der Afghane, der grösste und kräftigste der Männer, habe Karim «eine so heftige Ohrfeige gegeben, wie ich das noch nie erlebt habe». Der Afghane bestreitet diese Darstellung.

In der Moschee macht sich Unruhe breit. Einige junge Männer durchwühlen Karims Rucksack und finden eine leere Whiskyflasche. Andere telefonieren: Wir haben ihn! Wir haben ihn! Komm schnell!

Und sie kommen. Karims Handy macht die Runde. Den Code hat er längst herausgerückt. Darauf die Fotos von Gläubigen, von der Moschee, von Karims tunesischem Freund. Der merkt, dass die Situation komplett ausser Kontrolle gerät.

Er verschwindet auf die Toilette. Sperrt die Tür zu. Und tippt die Nummer in sein Handy, die Karim ihm gegeben hat: Zürcher Kantonspolizei, Strukturkriminalität, Feldweibel mit besonderen Aufgaben.

Es ist 19.37 Uhr. Karims Freund schickt drei Kurznachrichten.

«Dringend Winterthur Moschee Bitte.»
«Dringend»
«Sie wollen meinen Freund töten»

Karim wird in eine andere Ecke der Moschee geschleppt. Eine ganze Gruppe von jungen Männern stürmt auf ihn los. Karim spürt, wie er gepackt wird, wie Schläge in sein Gesicht klatschen. Sein Kopf läuft rot an. Einer spuckt ihm ins Gesicht. Schreie:

«Wie willst du sterben, du Heuchler?»

Sie springen umher, gehen auf und ab, rufen «Gott ist gross». Karim nimmt eine seltsame Euphorie wahr – als hätten diese jungen Männer endlich gefunden, was sie so lange gesucht hatten. Wieder landet Spucke in seinem Gesicht. «Sollen wir deinen Schädel zerstören, oder sollen wir dich köpfen?»

Das ist das Ende, denkt Karim. «Dein Blut ist zu dreckig für die Moschee!» Gleich bringen sie mich runter in die Garage, um mir die Kehle durchzuschneiden. Karim denkt: Jetzt sterbe ich.

Einer der Männer nimmt eine Zehnernote aus seinem Portemonnaie, steckt sie Karim in den Mund und sagt: «Du dreckiger Hund, schluck es runter. Du hast deine Religion für Geld verkauft, hier, schluck es runter.»

«Bitte, hört auf», sagt Karim. Ein letzter verzweifelter Appell. Dann gibt er auf. Jetzt ist ihm alles egal. So muss sich eine Hinrichtung anfühlen, denkt er: Man wird ganz ruhig und ergibt sich dem Schicksal.

Da öffnet sich die Tür der Moschee. Es ist kurz vor acht, rund eine Viertelstunde nachdem die Jugendgruppe Karim entdeckt und zur Rede gestellt hat. Der Imam der Moschee betritt den Gebetsraum.

Ausgerechnet: Ihn hatte Kurt Pelda in der «Weltwoche» als zentrale Figur der Winterthurer «IS-Zelle» bezeichnet, und der «SonntagsBlick» zeigte sein Porträt daraufhin mit schwarzem Balken über den Augen. In fetten Lettern bezeichneten sie ihn als «IS-Paten von Winterthur».

Doch Karim schöpft Hoffnung. Er kennt den Imam. Ein Libyer, wie er. Karim hofft, dass der Imam ihn erkennt. Er bittet ihn um Hilfe.

Der Imam geht auf ihn zu. Packt ihn bei der Hand. Führt ihn dann in das Büro der Moschee, einen kleinen, mit Stellwänden improvisierten Rückzugsraum im Eingangsbereich, der gegen oben hin offen ist. Schliesst die Tür ab.

Das Gericht wird ihm dies später als Freiheitsberaubung auslegen. Aber Karim sagt heute: «Der Imam war meine Rettung. Ohne ihn wäre ich weg. Das ist wirklich so: Der Imam hat mir mein Leben gerettet.»

Das Telefon von Kurt Pelda klingelt. Er befindet sich in Belgrad an einem Medienkongress. Ein Zürcher Kantonspolizist erzählt ihm, dass er seltsame Nachrichten von einer ihm unbekannten Nummer erhalten habe. In der Moschee in Winterthur werde jemand umgebracht.

Pelda ist sofort klar, worum es geht: Karim hat Pelda ja gerade noch geschrieben, dass er mit einem Freund in Winterthur sei. Und ihm dann in schneller Folge Fotos von Betenden in der Moschee geschickt. Danach brach der Kontakt ab.

19.37 Uhr. Karims Freund wartet drei Minuten auf der Toilette, nachdem er die Polizei per SMS um Hilfe gerufen hat. Dann greift er seinen Rucksack und stösst die Tür auf. Noch nie in seinem Leben hatte er solche Angst. Er schleicht zum Ausgang der Moschee.

Dort stellt sich ihm ein Jugendlicher in den Weg: Hiergeblieben! Er schliesst vor seinen Augen die Tür ab. Karims Freund ist gefangen.

«Du kennst Karim», sagt ihm der junge Mann. «Du bist auch ein Spion.»

Jemand schlägt ihm mit Wucht auf den Hinterkopf. Er taumelt, ihm wird schwarz vor Augen. Für eine Sekunde verliert er das Bewusstsein. Ein junger Mann packt ihn und schleppt ihn ins Büro. Dort warten Karim und der Imam auf ihn.

Um 19.52 Uhr geht bei der Einsatzzentrale der Kantonspolizei Zürich ein Anruf ein. Der Feldweibel mit besonderen Aufgaben sagt seinen Kollegen, er habe ein komisches SMS erhalten: In der An’Nur-Moschee werde jemand umgebracht.

Der Polizist in der Einsatzzentrale informiert einen Vorgesetzten. «Die Sache ist sehr brisant», heisst es im Polizeijournal. Es vergeht eine halbe Stunde, ohne dass etwas geschieht.

Viel Zeit in einer solchen Situation. Um 20.34 Uhr übernimmt die Kriminalpolizei, Abteilung Strukturkriminalität. Zehn Minuten später wird der Entscheid gefällt, dass zwei weitere Patrouillen der Stadtpolizei Winterthur hinzugezogen werden sollen. Erst dann solle man in die Moschee ausrücken.

Karim und sein Freund sitzen am braunen Schreibtisch im Büro der An’Nur-Moschee. Er trägt ein schwarzes Polohemd mit hochgeschlagenem Kragen. Sein tunesischer Freund einen schwarzen Kapuzenpullover. Hinter ihnen sind Kartonschachteln mit Büromaterial gestapelt. Vor ihnen stehen der Imam und ein Mitglied des Vorstands der Moschee. Sie hören die aufgebrachten Jugendlichen, die um das oben offene Büro streichen und an den Wänden hochspringen, um einen Blick zu erhaschen und Fotos zu schiessen.

Karim soll ein Geständnis ablegen, fordert das Vorstandsmitglied. Auf Band. Er will es aufnehmen und später der Polizei übergeben.

Auf dem Handy von Karim haben die aufgebrachten Männer gesehen, dass er häufig mit einem Wasseem Deutsche chattet und ihm Fotos schickt – nicht nur aus der An-Nur-Moschee, sondern auch von «Lies!»-Aktionen und anderen Moscheen.

Sie finden darauf Nachrichten wie diese: «Wenn du willst, dass wir weiterkommen kurt bascha, dann must du den Artikeln chillen».

Oder: «kurt, wir muessen wirklich aufpassen.. das dämpft deine arbeit, ich kanns mir nicht erlauen dummer fehlet zu zu machen».

Die Islamisten von der An’Nur-Moschee sind sich sicher, dass Wasseem Deutsche der Journalist Kurt Pelda ist. Sie fühlen sich hintergangen, verraten, ausspioniert. Sie sind aufgebracht und sehen sich im Recht. Jetzt wollen sie Beweise.

Das Vorstandsmitglied schaltet das Aufnahmegerät ein. Auf dem Band hört man, wie jemand Karim auf Arabisch befiehlt loszulegen. Seine Stimme zittert.

«Mein Name ist Karim. Ich bin Student. Ich befinde mich im Moment in der An’Nur-Moschee in Winterthur.»

Der Mann unterbricht ihn: «Sag das Datum.»

«Heute ist der 22. November 2016.» Karim macht eine lange Pause. Im Hintergrund sind arabische Stimmen zu hören.

«Welche Zeit ist jetzt?»

«Genau, gut, es ist 20.51 Uhr. Also ich wurde in der Moschee mehr oder weniger verdächtigt, dass ich halt hier ein paar Aufnahmen mache, also Fotos und Aufzeichnungen, Tonaufnahmen, und wurde auch dabei erwischt. Und ja … der Druck wurde ein bisschen zu viel.»

Karim schweigt. «Nicht unterbrechen!», sagt jemand.

«Ich wurde erwischt, und der Druck wurde ein bisschen zu viel.»

Der Imam fragt: «Wer hat dich geschickt?»

«Ich habe zugegeben, dass ich beauftragt bin, und zwar von dem Herrn Kurt Pelda; den ich in Tripolis kennengelernt habe, und zwar im Al Mahary Hotel, im Radisson Blu. Ich bereue das, was ich gemacht habe. Sie wissen auch, dass ich [von Kurt Pelda] 100 bis zu 150 Franken pro Besuch erhalten habe. Also mein Kollege, er sitzt grad neben mir, auf jeden Fall, wir haben noch Schutz von Herrn X. von der Kantonspolizei, und wir haben auch seine Nummer für, falls was schiefgeht, kann man ihn jederzeit anrufen.»

«Danke dir vielmals Bruder, dass du die Wahrheit gesagt hast.»

Die Aufnahme bricht ab.

21.04 Uhr: Wieder geht ein Anruf bei der Einsatzzentrale der Polizei ein. Diesmal aus der An’Nur-Moschee selber. Ein Mann erklärt, man halte zwei Männer fest, die in der Moschee unerlaubt Fotos gemacht, in der Moschee Alkohol getrunken und gegen ein Hausverbot verstossen hätten. Man habe sie beim Spionieren erwischt. Man brauche die Hilfe der Polizei.

21.11 Uhr: Sechs Polizisten stürmen die Treppe hoch zur Moschee und klopfen an die Tür. Als sie den Raum betreten, herrscht Chaos.

Eine Polizistin wird später sagen, es sei sehr eindrücklich gewesen. Aufgeregte Stimmung, überall stehen bärtige junge Männer. Einer herrscht die Polizisten an, den Teppich nicht mit den Schuhen zu betreten. Gott ist gross, schreien sie. Durch die Moschee hallt der Ruf, den die Polizisten nur mit Terrorismus und islamistischen Anschlägen in Verbindung bringen: Allahu akbar!

Pure Angst. In seinem Gesicht, seinen Augen, seiner Mimik, seiner Gestik. Es ist 22 Uhr. Karim und sein Freund sitzen auf der Rückbank des Polizeiwagens, und die Polizistin fragt, ob die beiden nicht eine Anzeige machen wollen.

Karim will nicht. Also schweigt er.

Ein paar Tage darauf erhält Karim ein SMS von Abu Medina, dem Mann, den er hätte treffen sollen: «Du bist es also, du Heuchler».

Karim taucht unter.

Karim ist am Ende. Er und sein tunesischer Freund suchen Schutz bei Kurt Pelda, wo Karim schon öfter übernachtet hat. Karim schläft im Wohnzimmer, sein tunesischer Freund im Kinderzimmer. Das Universitätsspital wird bei diesem später eine leichte Gehirnerschütterung feststellen.

Karim kämpft mit psychischen Problemen. Seine Psychiaterin diagnostiziert eine Woche nach dem Vorfall «einen akuten psychotraumatischen Zustand». In einem psychiatrischen Zeugnis schreibt sie: «Karim fürchtet zu recht, dass die Gewalttäter ihm nachstellen und die Androhung, ihn umzubringen, wahrmachen könnten.»

Ein Algerier soll Fotos von den beiden gemacht und dann an Moscheen in der Schweiz und im Ausland geschickt haben, sagen Karim und sein tunesischer Freund. Die Erklärung dazu: «vogelfrei» – was bedeutet, dass Gott ihre Tötung erlaube.

Beweise für diese Nachrichten werden nie gefunden. Der Algerier hielt sich am 22. November illegal in der Schweiz auf. Die Polizei kontrollierte ihn zwar in der Moschee, verhaftete ihn aber nicht. Als die Polizei mit den Ermittlungen beginnt, ist der Algerier längst über alle Berge – und postet auf Facebook Fotos aus Strassburg. Die Zürcher Ermittler gehen ihm nicht weiter nach.

Karim sorgt sich um seine Eltern. In Libyen ist zu dieser Zeit ein Leben nicht viel wert. Erst kürzlich hat er von einer Geschichte aus dem Quartier seiner Eltern gehört: Milizen entführten einen zwölfjährigen Jungen. Weil dessen Eltern kein Lösegeld zahlten, folterten und töteten sie den Jungen und warfen seinen leblosen Körper in der Strasse ab, in der er gewohnt hatte.

Karim fragt sich, ob seine Eltern in Gefahr schweben. Immer wieder hat er gehört, dass es in der An’Nur-Moschee einflussreiche Leute mit guten Verbindungen weit über Winterthur hinaus gebe. Karim riskiert nichts: Er fliegt zu seinen Eltern in Libyen und organisiert ihre Ausreise. Bis heute leben sie im Ausland.

Auch Karim braucht eine neue Unterkunft. Kurt Pelda übernimmt die Kosten: Er bezahlt Flugtickets und Hotels. In den Wochen und Monaten nach dem Vorfall gibt er schätzungsweise zehntausend Franken für seinen Freund aus – ohne zu zögern. Denn er fühlt sich für Karim verantwortlich. Pelda muss einen Bankkredit aufnehmen. Er organisiert ihm auch einen guten Anwalt. Schliesslich war Karim auch seinetwegen an diesem Abend in der Moschee.

Karim zögert noch immer, Anzeige zu erstatten. Dann ruft ihn der Imam an und bittet um ein Treffen: Als Araber kläre man so etwas untereinander. Beiläufig soll der Imam dabei den Wohnort und den Beruf von Karims Vater erwähnt haben. Für Karim eine versteckte Drohung. Er willigt in das Treffen ein.

In einem libanesischen Imbiss in Zürich besprechen Karim, Kurt und der Imam einen Deal: Karim verzichtet auf eine Anzeige; der Imam garantiert dafür die Sicherheit von Karims Familie.

Doch wieder stösst der Imam eine versteckte Drohung aus: Unter den Jugendlichen gebe es gefährliche Leute, die er nicht kontrollieren könne. Diese hätten auch die Privatadresse des Polizisten herausgefunden, den Karims Freund per SMS um Hilfe gerufen hatte, und wüssten auch, wo seine Kinder zur Schule gingen.

Kurt Pelda schreibt später in einer eidesstattlichen Erklärung an das Bezirksgericht Winterthur: «Ich hielt diese beiläufig erzählte Episode nicht nur für eine deutliche Drohung an Karims Adresse, sondern auch an meine.»

Der Deal scheitert.

Nach diesem Treffen fällt Karim einen Entscheid und erstattet Anzeige.

So schildert Karim die Ereignisse vom 22. November und deren Folgen. Die Untersuchungen der Polizei bestätigen seine Version in vielen Punkten. Doch die Beschuldigten erzählen eine ganz andere Geschichte – wenn sie erzählen.

Mit den Jugendlichen von der An’Nur-Moschee zu sprechen, ist schwierig. Entweder lehnen sie Anfragen ab, oder sie verlangen Geld für Interviews. Sie misstrauen den Medien. Zu oft wurden sie ihres Erachtens dämonisiert. Was über sie geschrieben wird, halten sie für übertrieben und gelogen.

Nur der Afghane, der Karim an jenem Abend im November 2016 zu sich gewinkt hat, erklärt sich nach einigem Hin und Her dazu bereit, einige Fragen schriftlich zu beantworten.

Der Abend in der Moschee sei anders verlaufen, sagt er. Der Afghane ist heute 26 Jahre alt und zweifacher Vater. Er hält die Schilderungen von Karim und seinem Freund für übertrieben. «Klar hatten sie Angst. Aber nicht wegen uns, sondern weil sie beim Spionieren erwischt worden waren.»

Von einer krachenden Ohrfeige will er nichts wissen. Weder habe er Karim geschlagen noch den PIN-Code seines Handys verlangt. Karim habe ihm beides freiwillig gegeben, weil er ihn schon gekannt habe.

Nachdem sich Karim und sein Freund in der Moschee für ihre Taten entschuldigt gehabt hätten, sei für ihn die Sache erledigt und vergessen gewesen.

Der 26-jährige Mann gibt sich freundlich und höflich. Er ist überzeugt, dass ihm übel mitgespielt wurde, dass er Opfer einer Verschwörung war, die an jenem Abend in der Moschee aufgedeckt wurde. Er findet, er sei zu Unrecht beschuldigt worden. «Jeder ehrliche und klar denkende Mensch sieht, dass hier vieles vertuscht worden ist.»

Was er damit meint: die Beziehungen zwischen Karim, Kurt Pelda und der Polizei. «Ein Polizist gibt seine Privatnummer zwei Leuten, die für einen Journalisten spioniert haben. Der Journalist bezahlt die zwei Leute für die Moscheebesuche. Wir erwischen sie, sie geben alles zu, wir alarmieren die Polizei, und nach drei Monaten beschliesst die Polizei, dass wir für sechs Monate in U-Haft müssen. Was will man dazu noch sagen?»

Was er nicht weiss: dass Karim sagt, er habe nur aus Angst alles «gestanden», was seine Peiniger von ihm hätten hören wollen; dass Pelda ihm die Telefonnummer des Polizisten nur gegeben hatte für den Fall, dass er als Moscheebesucher in den Fokus von Polizei oder Geheimdienst gerate. Der vielleicht wichtigste Punkt aber ist, dass Kurt Pelda mit aller Deutlichkeit abstreitet, Karim je für seine Besuche in der An’Nur-Moschee bezahlt zu haben.

Wären die Ereignisse von jenem Novemberabend in einem Jugendtreff vorgefallen und nicht in einer Moschee, hätten sie nie so grosse Wellen geschlagen. So aber ist der Fall politisch brisant. Und Karims Anzeige ist ein Glücksfall für die Strafverfolger: Endlich haben sie etwas in der Hand, um gegen das berüchtigte Winterthurer Islamistennetz vorzugehen.

Doch nach der Anzeige geschieht erst einmal: nichts.

Warum, ist bis heute ein Rätsel. War es Polizeitaktik – zuerst überwachen und dann erst zuschlagen? War der Geheimdienst im Spiel, wie die Verteidiger im Prozess behaupteten?

Drei Monate vergehen. Dann, Ende Februar, fährt die Polizei ein. Aktion Lichtblick nennt sie ihre Operation. Frühmorgens durchsucht sie die Wohnungen der Verdächtigen, nimmt neun Männer fest und steckt sie in Untersuchungshaft.

Von den neun Verhafteten sind sechs um die zwanzig Jahre alt. Der Jüngste ist noch minderjährig. Die meisten verbringen fast ein halbes Jahr in Untersuchungshaft. Einer der Beschuldigten legt seine Maturaprüfung im Gefängnis ab. Der Afghane verpasst die Geburt seiner Tochter.

Wie gefährlich sind diese Jugendlichen aus der An’Nur-Moschee wirklich? Obwohl die Polizei intensiv ermittelte und viele elektronische Geräte auswertete, fand sie kaum belastendes Material. In einigen Fällen entdeckten die Ermittler Gewaltvideos auf den Handys. Aber keinem einzigen Beschuldigten konnten Verbindungen zu verbotenen Terrororganisationen nachgewiesen werden.

2. Oktober 2018. Gerichtsverhandlung am Bezirksgericht Winterthur unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen. Karim schluckte davor eine Beruhigungstablette. Seine Ärztin hatte darauf beharrt. Trotzdem steigt jetzt die Wut in ihm hoch. Jetzt, wo Karim im viel zu engen Saal sitzt mit elf Rechtsanwälten, den zehn Beschuldigten, drei Staatsanwältinnen, einer Jugendanwältin, dem Gerichtspräsidenten, drei Gerichtsschreibern und zwei Polizisten – und er sieht, wie die Beschuldigten lächeln.

Er dachte, dass sie vielleicht die letzte Chance nützen, ein Geständnis ablegen und sich entschuldigen wollen. Aber die neun Angeklagten zeigen keine Reue. Im Gegenteil: Sie bezeichnen Karim als Lügner.

Die Verteidiger machen ihre Arbeit und bohren während der fünftägigen Verhandlung in den Lücken, die Karim in der Untersuchung offen gelassen hat: Warum liess er einen Monat verstreichen, bevor er Anzeige erstattete? Wieso hat er in der Einvernahme fast nichts über seine Geschäftsbeziehung zum Journalisten Kurt Pelda erzählt? Wie ist er an die Privatnummer des Polizisten gelangt?

Karim habe in der Darstellung der Ereignisse übertrieben und gelogen, sagen die Anwälte und später auch das Gericht. Er hält es nicht mehr aus und verlässt den Saal, als die Verhandlung noch läuft.

«Ohne Kurt Pelda hätte es diesen Strafprozess nie gegeben», sagt ein Verteidiger zu Prozessbeginn. Er meint es nicht als Kompliment, sondern als Vorwurf: Pelda habe Karim angestiftet, junge Muslime auszuspionieren. Er sei mitschuldig, dass es zur Auseinandersetzung am 22. November 2016 gekommen sei.

Kurt Pelda, preisgekrönter Journalist, wird mit Vorwürfen eingedeckt: Er habe Karim bezahlt, um für ihn zu spionieren. Er stecke mit der Polizei unter einer Decke. Vielleicht sogar mit dem Geheimdienst. Er habe Karim zu Straftaten verleitet, ihm aufgetragen, illegale Aufnahmen in der Moschee zu machen. Er habe eine eigentliche Hetzjagd auf jugendliche Muslime in Winterthur veranstaltet.

Die Beschuldigten sehen sich als Spionageopfer von Kurt Pelda, der einen fehlgeleiteten «Bruder im Glauben» für eine islamophobe Kampagne instrumentalisiert habe.

Er habe nur seine Arbeit gemacht, findet Pelda. «Ich führe keine Kampagne und habe auch nie für Informationen bezahlt», sagt er. «Es sind mindestens acht junge Menschen nach Syrien gereist. Mindestens drei sind gestorben. Ich habe mit den Eltern von einem Verstorbenen geredet, ich habe mit einer Freundin von ihm gesprochen, die bis heute nicht glauben kann, dass er ein Terrorist wurde. Das sind menschliche Tragödien. Da musste man den Behörden Beine machen, bevor noch mehr Leute sterben für so einen Wahnsinn. Das ist legitim. Und da fühle ich mich auch nicht unter Rechtfertigungszwang. Aber es ist frustrierend, wenn dann ein Richter in seinem Urteil diese Arbeit kritisiert.»

Das Urteil im An’Nur-Prozess enttäuscht alle Beteiligten. Sechs Monate Untersuchungshaft, Dutzende Stunden Verhör und Tausende Seiten Akten – und doch kommt es nur zu bedingten Strafen und zwei Landesverweisen.

Die Geschichte ist mit dem Urteil nicht zu Ende. Sie hinterlässt bei allen tiefe Spuren.

Der Afghane, der Karim eine krachende Ohrfeige verpasst haben soll, kam als kleines Kind von Flüchtlingen in die Schweiz. Ihm droht jetzt die Ausschaffung in ein Land, das er seit der Flucht vor zwanzig Jahren nie besucht hat. Angst macht ihm die drohende Ausweisung offenbar nicht. Er empfindet sie als absurd.

«Die Schweiz ist meine Heimat», sagt er. In Afghanistan warte nur der Tod auf ihn. Seine Familie sei politisch verfolgt worden, deshalb habe sie damals Asyl in der Schweiz erhalten.

Zum Urteil sagt er: «Ich glaube, dass es auf dieser Welt sehr wenige ehrliche Leute gibt und man Gerechtigkeit nicht hier erfahren wird. Doch die Zeit kommt bestimmt.»

Pelda hat schon viel gefährlichere Leute getroffen als diese Jugendlichen in Winterthur: in Syrien, in Afghanistan, in Libyen. Doch jetzt spürt er die Gefahr zu Hause in der Schweiz. Und das geht ihm näher als alles, was er bis jetzt erlebt hat.

In den Tagen um den Prozess ist Pelda angespannt. Er schläft schlecht, wacht mitten in der Nacht auf. Hautschuppen lösen sich von seiner Hand. Ein wiederkehrendes Stresssymptom. Pelda hat glaubhafte Drohungen erhalten: Seiner Familie würde etwas zustossen, fielen die Urteile zu streng aus.

Die Drohungen haben nach dem Prozess nicht aufgehört. Lange hat er sie ignoriert. Aber das fällt ihm zusehends schwer. «Ich war zu stolz. Ich wollte mich nicht von diesen Typen in die Knie zwingen lassen. Aber, gopf, ich habe zwei Kinder und frage mich: Lohnt sich das alles?»

Die Polizei hat Pelda angeboten, ihn in ein Schutzprogramm aufzunehmen. Aber Pelda kann es sich als Journalist nicht leisten, dass die Polizei immer weiss, wo er sich befindet.

Die Islamisten, sagt Pelda, würden ihn nicht nur mit Drohungen einschüchtern wollen, sondern auch juristisch unter Druck setzen. «Ich wurde in verschiedenen Kantonen angezeigt. So wollen sie mich mundtot machen.»

Mittlerweile wehrt sich Pelda und macht Gegenanzeigen. «Einfach, um denen klarzumachen: Wenn ihr mir Probleme macht, mache ich euch auch Probleme. Ich lasse mich nicht von euch fertigmachen.»

Ende Oktober. Rothaus, Zürich. Die Redaktion der Republik. Karim erscheint zum Gespräch. Er ist aufgeregt. «Ich zähle die Stunden», sagt er. Am nächsten Tag verkündet das Bezirksgericht Winterthur das Urteil. Und dann?

Karim sieht gut aus. Viel besser als damals, als er von der Staatsanwaltschaft einvernommen wurde. Auf den Videos der Einvernahmen ist ein hypernervöser Karim zu sehen, der keine Sekunde still sitzen kann, offensichtlich Mühe bekundete mit der Befragung. Es ist unklar, ob er derart unter Strom stand, etwas zu verbergen hatte oder von der Situation überfordert war.

Karim sagt heute, er habe die zwei schlimmsten Jahre seines Lebens hinter sich. «Der Vorfall in der Moschee hat meiner Gesundheit geschadet, mein Leben auf den Kopf gestellt, mich kaputtgemacht.» Karim meidet seither öffentliche Plätze und beginnt zu zittern, wenn er Männer mit nordafrikanischen Gesichtszügen sieht. Aus Furcht hat er seit zwei Jahren keine Moschee mehr besucht. Er ist ein Einzelgänger geworden und hat Mühe, Menschen zu vertrauen.

Die Polizei hat ihn in das Gewaltschutzprogramm aufgenommen. Ein massiver Eingriff zu seinem Schutz. Karim musste seine alten Freunde aufgeben, er muss alle drei Monate umziehen und steht mit der Polizei in ständigem Kontakt. An seinem Briefkasten steht ein falscher Name.

Seinen Aufenthaltsstatus hat er verloren, weil er zu lange brauchte, um sein Studium zu beenden. In der Migrationsbürokratie ist Karim ein paar Buchstaben nach hinten gerutscht: Von der B-Bewilligung zu einem F-Ausweis – vorläufig aufgenommen. Karim wird geduldet, solange man ihn nicht ausschaffen kann.

«Und wofür das alles?», fragt er. «Dafür, dass diese Leute zu ein paar Monaten bedingt verurteilt werden? Die waren in Untersuchungshaft. Sechs Monate. Das ist lang. Aber bei denen hat es nicht geklickt im Kopf. Die wurden höchstens noch radikaler und haben das als Prüfung Gottes gesehen.»

Er sieht sich als denjenigen, der es den Behörden ermöglichte, gegen Fundamentalisten im Umfeld der An’Nur-Moschee vorzugehen. Als denjenigen, der viel riskierte und jetzt teuer zahlt.

Würde er es nochmals machen?

Karim denkt lange nach. Und sagt dann: «Ich glaube nicht.»

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