Ein goldenes Ordensband mit der Aufschrift Republik hängt an einem Nagel.

Preis der Republik

And the winner is ...

Geehrt wird zum Auftakt ein grosser Anthropologe und Anarchist. No Bullshit!

13.09.2018

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Preis der Republik: And the winner is ...
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Lieber Preisträger

Liebe Verlegerinnen und Verleger

Meine sehr geehrten Damen und Herren

Der erste Preis der Republik wird auf einstimmigen Beschluss der Jury dem Anthropologen David Graeber verliehen – für die immer wieder aufregenden theoretischen Impulse, die er uns zu geben weiss, für sein anarchistisches Engagement, für seine furchtlose Art, die Dinge beim Namen zu nennen.

Alle diese Qualitäten, David Graeber, sind auch in Ihrem jüngsten Buch «Bullshit Jobs: Vom wahren Sinn der Arbeit» auf bestechende Weise zum Tragen gekommen. Der Republik-Preis zeichnet jede Woche eine Persönlichkeit aus, die durch ihr Werk, ihre Tätigkeit und manchmal auch durch ihre blosse Wesensart einen besonders tiefsinnigen, besonders bemerkenswerten oder auch besonders schrillen Beitrag zum öffentlichen Leben liefert. Ihr wissenschaftliches Werk, Herr Graeber, ist ohne Zweifel bemerkenswert und relevant – und vor schrillen Tönen schrecken Sie gelegentlich ebenfalls nicht zurück. Es ist uns eine besondere Ehre, mit Ihnen die Ahnenreihe der Republik-Laureaten beginnen zu lassen.

Schon mit dem Weltbestseller «Schulden: Die ersten 5000 Jahre» hat David Graeber einen der interessantesten Beiträge zur geistigen Bewältigung der Finanzkrise geliefert. Graeber hat darin den Beweis erbracht, dass es sich lohnt, in langen Zeiträumen zu denken; er ist zurückgegangen an die Anfänge der abendländischen Zivilisation, um daraus noch für das Heute – und gerade für das Heute – relevante Erkenntnisse über die Geldwirtschaft zu gewinnen. Gemäss der klassischen Nationalökonomie ist Geld eine rationalisierte Form des Tausches – der Gegenwert, den man gegen alles eintauschen kann und der deshalb durch das Netzwerk wirtschaftlicher Geschäfte fliesst wie das Blut durch unseren Körper. Graebers Wirtschaftsarchäologie kommt zu einem anderen Ergebnis: De facto entstanden Geldsysteme nicht aus Tauschverhältnissen, sondern aus Schuldsystemen. Eine Münze ist ein in Erz gegossener (und transportabler) Schuldvertrag.

Schulden sind jedoch nicht dasselbe wie Tauschbeziehungen. Sie müssen vollstreckt werden können. Sie sind gebunden an Machtstrukturen. Es ist nicht der spontane Handel, der am Anfang unserer Geldwirtschaft stand, sondern Schuldsklaverei und feudale Hierarchien. Wirtschaftssysteme gehorchen nicht der autonomen Logik rein ökonomischer Kräfte. Sie sind Ausdruck von sozialen Machtverhältnissen.

Aber Sie, David Graeber, sind nicht nur ein origineller Theoretiker – Sie sind auch ein politischer Aktivist. Es heisst, Sie seien der Erfinder des Slogans «Wir sind die 99 Prozent» – auch wenn Sie diese Autorschaft nie für sich reklamiert haben. Immer wieder sind Sie auf die Strasse gegangen, zum Beispiel bei den Protesten gegen das World Economic Forum in New York. Und Sie haben über diese Erfahrungen nicht nur eine ethnologische Studie geschrieben, sondern es zustande gebracht, Ihren damaligen Arbeitgeber, die Yale University, so zu verärgern, dass er Sie trotz Ihrer wissenschaftlichen Auszeichnungen seinerseits auf die Strasse setzte. Auch das ist eine Leistung, die honoriert werden will!

Und jetzt also «Bullshit Jobs». Es ist die bestgelaunte Kapitalismuskritik seit langem. Ein wunderbares Lesevergnügen. Und eine Theorie, die so bestechend ist, dass selbst in der «Financial Times» zu lesen war: «Eine zum Nachdenken anregende Beschreibung des Arbeitslebens.»

Was ist ein Bullshit-Job? Eine berufliche Tätigkeit, deren Sinnlosigkeit dem Ausübenden vollkommen bewusst ist, die keinen erkennbaren Mehrwert erzeugt, häufig sogar Schaden anrichtet – und die dennoch im real existierenden Spätkapitalismus absolut unverzichtbar geworden ist.

Bullshit-Jobs dürfen – darauf insistieren Sie mit Nachdruck – nicht verwechselt werden mit Shit-Jobs. Shit-Jobs, also harte, schlecht bezahlte Arbeiten wie Müllmann, Fliessbandarbeiter, Kellner, sind zwar unattraktiv und undankbar – aber sinnlos sind sie nicht. Bullshit hingegen ist die Domäne des mittleren Kaders.

In Umfragen sagen erstaunlicherweise knapp 40 Prozent der Angestellten, sie hätten einen Bullshit-Job. Und wer würde das Phänomen nicht aus seinem Berufsleben kennen: all die Berater, HR-Fachleute, Juristen in Rechtsabteilungen, Marketingspezialisten, Controller, IT-Support-Leute und Verwaltungsmenschen, bei denen man sich immer wieder fragt, was genau ihre Funktion ist, warum genau sie von einem verlangen, dass man ein Formular, eine Umfrage oder einen Antrag ausfüllt, und was man mit den Konzeptpapieren und Berichten anfangen soll, die aufgrund offenbar höherer Fügung von ihnen verfasst werden müssen. Mit einer reichen Materialvorlage sezieren Sie das Phänomen und räumen auf mit so manchem Vorurteil. Bürokratischer Bullshit, so herrscht der Glaube, wird vornehmlich in öffentlichen Verwaltungen produziert, nicht da, wo vermeintlich effiziente Marktkräfte herrschen. Ihr Befund, lieber Preisträger, ist ein ganz anderer: Der Bullshit-Champion der heutigen Welt ist eindeutig der Privatsektor.

Erneut kommen Sie zum Schluss, dass Machtbeziehungen die Erklärung liefern: Bullshit-Jobs haben nichts zu tun mit wirtschaftlicher Effizienz (sie haben keine), sondern sorgen dafür, dass die Durchschnittsbevölkerung beschäftigt bleibt – und nicht auf subversive Gedanken kommt. Und sie befriedigen die Repräsentationsbedürfnisse des spätkapitalistischen Kastensystems, des «Manager-Feudalismus», wie Sie, David Graeber, das nennen.

Es ist in der Tat eine zum Nachdenken anregende Lektüre, die Sie uns mit «Bullshit-Jobs» geschenkt haben. Es ist die stringente Fortsetzung eines faszinierenden wissenschaftlichen Werks. Aus all diesen Gründen ist es uns – no bullshit – eine Ehre, David Graeber den ersten Preis der Republik zu verleihen.

Die Jury

Illustration: Doug Chayka

David Graeber in Zürich

David Graeber ist am kommenden Freitag (14. September) zu Gast im Schauspielhaus. Zur Eröffnung der Reihe «Zürcher Gespräche» unterhält sich der amerikanische Anarchist über sein Buch «Bullshit Jobs» mit dem Schriftsteller Lukas Bärfuss. Die Veranstaltung beginnt um 20 Uhr, alle Informationen erhalten Sie hier.

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