Theaterspektakel

Vaganten, Passanten, Migranten

Von Barbara Villiger Heilig, 29.08.2018

Teilen0 Beiträge

Die Republik ist ein digitales Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur – finanziert von seinen Leserinnen. Es ist komplett werbefrei und unabhängig. Überzeugen Sie sich selber: Lesen Sie 21 Tage lang kostenlos und unverbindlich Probe:

Die meisten meiner Bekannten gehen nicht ans Theaterspektakel, um sich eine Aufführung anzuschauen. Sie gehen «einfach so»: um über die Landiwiese zu spazieren, Freunde zu treffen, Spritz zu trinken.

Zürich, wie man es sonst gar nicht kennt. Alles wirkt so entspannt.

Einen Sommer wie diesen erlebte ich nie. Abends, bevor es eindunkelt, ziehen Farben auf über dem See, der grün leuchtet oder den Himmel reflektiert. Ins schimmernde Hellblau mischt sich Zuckerwattenrosa. Ein Schauspiel für sich – fast schade, es im Theater zu verpassen.

Gross und Klein tummelt sich auf der Wiese. Im Kreis um die Strassenkünstler sitzen Kinder am Boden, ihre Grosseltern stehen weiter hinten, passen auf, applaudieren. Woher kommen eigentlich die schlauchartigen Ballone, die sich zu Figuren verknoten lassen? Die beiden Akrobaten in der Mitte sehen ihnen ähnlich. Ihre Körper scheinen zu verwachsen. Viel Gelächter. Ich ziehe trotzdem weiter, sobald ich die roten Clownnasen sehe. Nicht mein Fall.

Berühmt ist das Spektakel für sein kulinarisches Angebot. Pizza aus dem Holzofen im «Lido» oder lieber Kartoffeln im «Patata»? Dort schreckt mich ein gut sichtbares Schild ab: «Ordnig mues sii ...» Stimmt zwar, aber warum der Befehlston? Gleich daneben liest man in herrischen Versalien: «ABRÄUMEN BITTE!» Zürich, wie man es kennt.

Glücklich, wer nach längerem Schlangestehen beim Chinesen (offiziell «Tao Yuan») oder bei der Crêperie gegenüber einen Platz am Ufer findet. Die schönste Restaurantterrasse der Stadt. Glühbirnen schweben als Deko zwischen Lampions und bunten Wimpeln, die das Auf und Ab der plätschernden Wellen imitieren. Alles wie irreal! Ein Bilderbuchszenario.

Aber zu viel süsses Nichtstun passt dann doch nicht hierher. Die Leute sollen auch etwas lernen. Unter flanierende Passanten und Theater-Vaganten mischen sich deshalb Migranten einer besonderen Spezies: Pflanzen. Was die ZHAW Wädenswil im Stil von Urban Gardening unter dem Titel «Eingewandert» präsentiert, nennt sie «Ein Projekt des Bachelor-Studiengangs Umweltingenieurwesen des Institutes für Umwelt und Natürliche Ressourcen». Poetische Ausdrucksweise steht nicht auf dem wissenschaftlichen Lehrplan. Egal: Die Wunder der Natur sprechen für sich.

Wobei es leider auch um unnatürliche Wanderschaften geht, bedingt durch den Klimawandel. Die Vegetation schliesst sich der globalen Fluchtbewegung an. Und auch die Gletscher fliehen. Seeaufwärts öffnet sich der Blick zu den Bergen hin: eine graue Mauer aus Fels.

Neben der Schiffsanlegestelle steht ein offener Container. «Fluchtpunkt» ist ein Projekt, das Facts and Figures zur politischen Weltlage vorstellt. «Konsumgüter und Ausbeutung» heisst eine Sektion. Ich berühre den Touchscreen unter dem schwarzen Buchdeckel, ein Smartphone erscheint. Dazu der Hinweis auf die menschenunwürdigen Bedingungen, unter denen Edelmetalle abgebaut werden. Seltene Rohstoffe, ohne die auch der Touchscreen nicht funktionieren würde, auf dem ich das lese.

Verwirrt von diesem Widerspruch und obendrein mit schlechtem Gewissen tippe ich vor dem Einsteigen ins Schiff eine SMS-Nachricht an einen Kollegen. Sie endet mit folgendem Lapsus: «Grüsse von der Handywiese!»

Impressionen und Rezensionen von der Landiwiese

Kulturredaktorin Barbara Villiger Heilig schreibt vom 16. bis zum 31. August übers Zürcher Theaterspektakel. Ihre Kolumne erscheint unter der Woche um die Mittagszeit. Hier gehts zur Sammlung der bisher erschienenen Beiträge.

Sie sind sich immer noch nicht sicher, ob die Republik etwas für Sie ist? Dann testen Sie uns! Für 21 Tage, kostenlos und unverbindlich: