Im Sandwich der Giganten

Trump treibt die Angst vor China an – die Schweiz schliesst mit Peking Verträge ab. Der Bundesrat könnte bald vor einer heiklen Frage stehen: Auf wessen Seite bist du?

Von Joseph de Weck, 20.03.2018

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Am 23. März tritt eine fundamentale Wende der US-Wirtschaftspolitik ein: Die Einfuhrzölle auf Stahl werden um 25 Prozent, auf Aluminium um 10 Prozent erhöht. Donald Trumps Begründung: die nationale Sicherheit.

Nach der Ankündigung der Strafzölle spielte Trump die Handelspartner gegeneinander aus, ganz nach dem Rezept Teilen und Herrschen: «Ich habe das Recht, je nach Land mit den Zöllen hoch- und runterzugehen, und ich kann Länder ausnehmen oder hinzufügen. Ich will nur Fairness, da wir von anderen Ländern unfair behandelt wurden.»

Kurz: Trump sitzt auf seinem Thron und erwartet, dass man ihm den Ring küsst. Und um eine Ausnahme von den Zollerhöhungen bittet. Kanada, Mexiko, jüngst auch Australien hat er schon eine Ausnahme zugesagt. Mit der Europäischen Union laufen Verhandlungen. Und die Schweiz? Auch sie verarbeitet Stahl und Aluminium.

Im Wallis betreiben Novelis, die dem indischen Konzern Aditya Birla gehört, und die Constellium-Gruppe mit Hauptsitz in Amsterdam das energieintensive Geschäft. Beide Unternehmen nutzen Produktionsanlagen der ehemaligen Alusuisse. Sie zählen zu den wichtigsten Arbeitgebern im Bergkanton.

Drohkulisse der EU

Gleichwohl herrscht keine Panik. Denn die US-Strafzölle dürften nur vereinzelte Schweizer Firmen wirklich treffen, schreibt der Wirtschaftsverband Economiesuisse: 2017 verkaufte die Schweiz wenig Stahl (57 Millionen Franken) und Aluminium (30 Millionen) in die USA. Betroffen sind bloss 2,7 Prozent der Ausfuhren. Trotzdem: Wird auch die Schweiz bei Trump eine Ausnahme beantragen? Falls ja, bekommt sie eine? Falls nein, wird sie bei der Welthandelsorganisation WTO Klage einreichen?

Die EU baut derweil eine Drohkulisse auf. Sie streute, sie werde im Gegenzug die Zölle auf Bourbon, Orangensaft und Motorräder von Harley-Davidson erhöhen. Trump gab sich unbeeindruckt. Doch die republikanischen Senatoren aus den betroffenen US-Bundesstaaten sind nervös – sie stehen vor einer Wiederwahl.

Von ähnlichen Drohungen aus der Schweiz ist bislang nichts bekannt. Zum Ersten müsste der Bundesrat davor zu einer gemeinsamen Position finden. Zum Zweiten wären Gegenmassnahmen nicht besonders wirksam: Die Schweiz ist ein zu kleiner Markt, als dass Schweizer Strafzölle den USA schaden könnten. Bern bleibt nicht viel mehr, als auf das Verständnis des gnädigen Herrn im Weissen Haus zu hoffen.

Auf Beobachtungsliste der US-Regierung

Als er das World Economic Forum in Davos besuchte, nannte Trump unser Land «a great place»; er habe viele Freunde in der Schweiz und wir seien grossartige Investoren in den USA. Doch wirft der Präsident einen Blick auf die Handelsbilanz, könnte sich seine Stimmung verschlechtern: 2016 erzielte die Schweiz einen Überschuss von stolzen 12,3 Milliarden Franken – sie exportierte Güter im Wert von 36,4 Milliarden in die USA und importierte Güter im Wert von 24,1 Milliarden zurück. In Donald Trumps Logik ein untrügliches Zeichen, dass es unfair zugeht.

Das Finanzministerium in Washington beobachtet die Schweiz seit längerem mit Misstrauen. Nicht nur die Handelsbilanz, sondern vor allem die Art und Weise, wie die Nationalbank den Franken gegenüber dem Euro schwächt. Die Schweiz figuriert darum auf einer «Beobachtungsliste» der US-Regierung in Sachen Währungspolitik. In einem Bericht vom Oktober 2017 an den Kongress empfiehlt das Finanzministerium, der Bund solle anstelle der Milliardeninterventionen auf dem Währungsmarkt lieber auf die Fiskalpolitik setzen. Die Schweiz solle also die Steuern senken oder die Ausgaben erhöhen, um die eigene Wirtschaft zu stützen.

Die Schweiz hat den Nachteil, dass sie mit den USA zwar freundschaftlich verbunden, aber nicht ihre Alliierte ist. Trump deklarierte nämlich, für Länder mit einer «Sicherheitsbeziehung» zu den USA bei den neuen Zöllen eine Ausnahme zu machen. Er präzisierte: «Wir werden sehen, wer uns fair oder unfair behandelt. Ein Teil der Fairness wird auch militärisch sein. Wer zahlt die Rechnung? Wir subventionieren viele reiche Länder mit unserem Militär … und das sind sehr reiche Länder.» So twitterte Trump am 9. März, Australien stehe zu einer fairen und reziproken Beziehung in Fragen des Militärs und des Handels. Man arbeite unter Hochdruck an einem Sicherheitsabkommen, um Australien von den Strafzöllen zu befreien. Die neutrale Schweiz hingegen ist nicht einmal Mitglied der Nato.

Rivalität zu Peking als Kernthema

Dazu kommt das Freihandelsabkommen mit China. Die Rivalität zu Peking ist das Kernthema von Trumps Aussenpolitik: Sie ist der entscheidende Grund für seine Hinwendung zum Protektionismus.

So warnt die Trump-Regierung in ihrer ersten nationalen Sicherheitsstrategie vom Dezember 2017 vor dem wachsenden Einfluss Chinas in Europa dank «unfairen Handelspraktiken und Investitionen in Schlüsselindustrien mit sensitiver Technologie und Infrastruktur». Mit den Europäern wolle man deshalb «zusammenarbeiten, um Chinas unfaire Handels- und Wirtschaftspraktiken und den Kauf sensitiver Technologien anzufechten».

Trump schiesst zwar gern auch gegen Brüssel, aber im Duell gegen die Chinesen will er die EU an seiner Seite. Um den Druck auf Peking zu erhöhen, haben im Kongress die Republikaner – mit den Demokraten – eine Reform der amerikanischen Politik punkto ausländische Direktinvestitionen aufgegleist. Seitdem prüft in den USA ein Komitee die Übernahme von US-Unternehmen durch ausländische Firmen (oder entsprechende Fusionen). Am Hebel sitzen Vertreter des Finanz-, Handels- und Aussenministeriums. Plus Fachleute für die innere Sicherheit.

Trump fürchtet China im Silicon Valley

Auf Empfehlung dieses Komitees hat Trump 2017 den Verkauf des Chipherstellers Lattice Semiconductor an chinesische Investoren untersagt – erneut lautete die Begründung «nationale Sicherheit». Letzte Woche hat Trump nachgedoppelt und den Verkauf des Chipherstellers Qualcomm gestoppt.

Blockierungen von Firmenübernahmen sind in den USA zwar schon lange möglich. Aber gemäss einem Gesetzentwurf soll nun die Prüfung von Verkäufen und Fusionen weiter verschärft werden. Dies gilt besonders für Unternehmen aus oder mit Verbindungen zu Ländern, gegen die Washington «spezielle Bedenken» hegt – sprich China. Die USA fürchten, dass die Chinesen ihren technologischen Rückstand durch gezielte Zukäufe aufholen: mit der Übernahme von Konzernen oder Start-ups im Silicon Valley.

Die amerikanische Abwehrstrategie könnte auch Schweizer Unternehmen betreffen: Der Gesetzentwurf sieht wie bei den Stahl- und Aluminiumzöllen nur eine Ausnahme für Transaktionen der Unternehmen von «US-Verbündeten» vor.

Ist die Schweiz eine Verbündete der USA?

Das Gesetz ist noch in Arbeit. Doch jetzt schon stellt sich für die Schweiz eine heikle Frage: Ist sie in Trumps Augen ein «verbündeter Staat»? Und wenn nicht, sollte das Land Trump davon überzeugen, dass es im «Team USA» mitspielt? Und wenn, wie? Trotz Neutralität?

Die Lage ist umso heikler, als die Schweiz gern mit China gemeinsame Sache macht. Und die Schweizer Politik ist stolz darauf, als erster kontinentaleuropäischer Staat ein Freihandelsabkommen mit der Volksrepublik geschlossen zu haben.

Überdies hat die Schweiz selbst keinen Mechanismus, um Investitionen zu prüfen. Die einzige Ausnahme bilden wettbewerbsrechtliche Aspekte. Aus Sicht des Bundesrats und des Wirtschaftsdepartements von Johann Schneider-Ammann würde jede Einschränkung von Verkäufen an ausländische (auch staatsnahe) Investoren dem Standort Schweiz schaden. Dazu wäre eine derartige Prüfung «mit einem grossen administrativen Aufwand» verbunden. Diese Analyse stimmt. Nur blendet sie aus, dass ausländische Investoren mit Staatsgeld vielleicht nicht nur finanzielle Ziele verfolgen. So übernahm der chinesische Staatskonzern Chem China den Agro-Konzern Syngenta für 43 Milliarden Dollar.

Es war der grösste Kauf durch ein chinesisches Unternehmen im Ausland. Der kommunistische Staatskapitalismus trifft in der Schweiz auf keinerlei Hindernisse. Die EU dagegen plant ein System zur Prüfung ausländischer Direktinvestitionen, zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Kurz: Die Schweiz wird zu einer einsamen Insel der unregulierten Direktinvestitionen. Und könnte deshalb schnell isoliert werden.

Ohne Schutz eines Grossen

Der eigenständige Kurs der Schweiz in der Handels- und Investitionspolitik hat natürlich auch grosse Vorteile. Gerade das Freihandelsabkommen mit China ist ein Beleg. Nicht umsonst ist Bern stolz darauf.

Doch mit der neuen Politik der USA hat sich die Lage verändert. Trump pflegt mit grosser Willkür vorzugehen; die USA dürften deshalb als Garant des freien Handelssystems ausfallen; die internationale Politik wird immer stärker durch die Konkurrenz zwischen Peking und Washington dominiert. Damit steigen die Risiken für die Schweiz: Wir sind ohne Verbündete, können schnell isoliert werden, können nicht auf den Schutz eines grossen Wirtschaftsblocks zählen.

Die Strafzölle auf Stahl und Aluminium fallen für die Schweizer Volkswirtschaft kaum ins Gewicht – aber was, wenn Trump andere Branchen ins Visier nimmt, zum Beispiel die Pharmaindustrie? Bereits die von Trump angedrohten Zölle auf BMW und Mercedes könnten die Schweiz als wichtiges Zuliefererland härter treffen.

Die Schweizer Politik muss sich die Frage stellen, wie sie mit ihrer neuen Position im Sandwich zwischen den Blöcken USA, China und EU umgehen will. In einer von Machtpolitik geprägten Welt wird die Handels- und Investitionspolitik der Schweiz vielleicht bald auf eine harte Probe gestellt. Etwa wenn einer dieser Blöcke Loyalität verlangt.

Tritt der Ernstfall ein, dürfte man in Bern froh sein, auf die Schiedsgerichte der Welthandelsorganisation WTO zurückgreifen zu können: auf die «fremden Richter».

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