Wie das Fernsehen wurde, was es ist – Episode II

Blick in das Wahlstudio mit Kamera und Moderator
Wie mächtig ist das Fernsehen? Sendung zu den Nationalratswahlen 1967. SRF

Die 1960er: Fernsehen wird kritisch – und die Politik wird es auch

TV-Recherchen sorgen für Aufsehen. Die Politik verfällt dem Fernsehen, behält aber trotzdem die Kontrolle. Das Fernsehen versucht, sich vom staatlichen Einfluss zu emanzipieren.

Von Christof Moser, Lukas Nyffenegger und Florian Wicki, 02.03.2018

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Das Schweizer Fernsehen zu Beginn der 1960er-Jahre: Zögerlich schält es sich aus dem Korsett der geistigen Landesverteidigung.

Am Ende dieses Jahrzehnts werden die Bildschirme farbig sein. Die Werbung kommt ins Spiel. Das junge Schweizer Fernsehen wird mutiger, offener. Und viele Fernsehmacher werden später überwacht, fichiert und sanktioniert.

Der Argwohn in der Politik ist gross. Die Gefahr des Kommunismus: riesig!

Es ist Kalter Krieg.

Die 1960er-Jahre
Gleich zu Beginn des Jahrzehnts sorgt ein TV-Duell in den USA für Aufsehen. Richard Nixon verliert die US-Präsidentschaftswahl gegen John F. Kennedy, angeblich weil er beim entscheidenden Auftritt im Scheinwerferlicht des Fernsehens zu schwitzen beginnt.

Hierzulande gehts zunächst beschaulicher zu und her.

«Das Schweizer Fernsehen versucht, vermehrt Bilder einer heterogenen und widersprüchlichen Schweiz zu schaffen», sagt Historiker Lukas Nyffenegger.

Von Halbstarken im Zürcher Niederdorf zum Beispiel.

1960: «Unter Einschluss der Öffentlichkeit» (10.06.)

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Die Halbstarken von Zürich (1960) | Jugendszenen Schweiz | SRF Archiv

Oder von Hippies mit langen Haaren: den TV-Reportern selbst, die neue Zugänge zu Themen wählten. Direkt, vor Ort, auf Augenhöhe. Investigativ.

1970: «Rundschau» (12.08.)

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Der Bericht über die «unmenschlichen Arbeitsverhältnisse» von spanischen Saisonarbeitern lässt die Arbeiter selbst zu Wort kommen und recherchiert, dass von acht untersuchten Baufirmen nur drei die Vorschriften einhalten.

Diese Aufmüpfigkeit war neu am Schweizer Fernsehen.

Seit Sendestart hatten die Zeitungsverleger durchgesetzt, dass die SRG die Bulletins der Nachrichtenagentur SDA übernehmen muss, die im Besitz der Verleger ist. Als der Bundesrat diese Auflage 1965 lockert, produziert das Fernsehen rasch die meistbeachteten Nachrichten der Schweiz. Die SRG baut die redaktionellen Eigenleistungen bei aktuellen Themen weiter aus.

1960: Erstausstrahlung «Freitagsmagazin».

Im Machtgerangel mit der Politik können Radio und Fernsehen jetzt plötzlich so etwas wie publizistisches Gewicht in die Waagschale werfen.

1961: Das «Freitagsmagazin» rüttelt das Fernsehpublikum mit einem Porträt des Prostituiertenmilieus auf. In der Anmoderation heisst es: «Dieses Bild ist Teil unseres Gesellschaftsbildes, und weil man es nicht wahrhaben will, sieht man es meistens nur bei Nacht und dort, wo die Strasse am dunkelsten ist. Man liest in der Zeitung vom sogenannten Milieu und bildet sich ein Urteil, ohne das Milieu zu kennen. Hier ist es.»

Wie das Fernsehen wurde, was es ist

Mit der No-Billag-Initiative geht es um die Zukunft des öffentlichen Fernsehens in der Schweiz. Die Geschichte des Fernsehens ist eine brutale Hetzjagd durch die Zeit. In den fünf Episoden wir diese Geschichte aufgearbeitet.

Sie lesen: Episode II

Die 1960er: Fernsehen wird kritisch – die Politik wird es auch

Episode III

Von links kritisiert, von rechts fichiert – die TV-Soap der 1970er

Episode IV

Die 1980er bis heute – endlich ein Ver­fas­sungs­ar­ti­kel

Episode V

Die Zukunft – wie weiter mit der SRG?

1961: CVP-Bundesrat Ludwig von Moos berichtet in einem Schreiben an die Bundesanwaltschaft von Vorwürfen, dass «Radio Lausanne» seinen Zuhörern das «Gift des Kommunismus» einflösse. Und will wissen, ob das Radio- und Fernsehen «laufend abgehört» werden.

Nicht nur rechte, konservative Kreise, auch das linke und liberale Spektrum in Politik und Gesellschaft reibt sich am neuen Medium.

Darf es auch Rassisten eine Plattform geben?

1963: «Antenne» (19.08.)

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Mit dem Besuch bei Albert Stocker, Gründer der neuen «Schweizerischen überparteilichen Volksbewegung zur Verstärkung der Volksrechte und der direkten Demokratie», im Volksmund kurz «Anti-Italiener-Partei» genannt, löst die «Antenne» 1963 einen kleineren Skandal aus.

Stocker zieht, unüberhörbar zum Missfallen des Reporters, über «Südländer» her. Der Fernsehdirektor wird für diese Sendung in der NZZ harsch kritisiert.

Die Frage nach dem Umgang mit rassistischen Bewegungen beschäftigt das Fernsehen ab jetzt immer wieder in verschiedenen Variationen, von James Schwarzenbach in den 1970er- bis zur SVP in den 1990er-Jahren und bis heute.

Auch das passiert in den 1960er-Jahren: Bundesbern und das Fernsehen lernen sich lieben, hassen, aneinander anpassen. Das Ende von Nixon hat den Schweizer Politikern Eindruck gemacht.

Wie mächtig ist dieses Fernsehen wirklich?

Mit seinem neuen politischen und gesellschaftlichen Gewicht fällt das TV lange vor den 1968er-Unruhen dem politischen Establishment auf die Füsse.

Der Konflikt entzündet sich insbesondere am «Freitagsmagazin», das für den Aufbruch in die thematische Differenzierung steht und die Stärkung der öffentlichen Debatte zum Ziel hat. Sendeleiter Roman Brodmann weigert sich, geplante Sendungen «von oben» absegnen zu lassen.

Doch die SRG-Journalisten spüren jetzt nicht nur den langen Schnauf der geistigen Landesverteidigung im Nacken.

Sondern auch den frischen Atem des Kalten Kriegs.

1963: Das «Freitagsmagazin» wird abgesetzt.

Geplante Beiträge über Dienstverweigerung und Antisemitismus bleiben unrealisiert. In der «Zürcher Woche» lanciert der abgesetzte Sendeleiter eine Kampagne gegen das «meinungsfreie und regierungstreue» Fernsehen.

1964: Start der Sendung «Un ora per voi», einer Sendung für italienische Gastarbeiter in Kooperation mit RAI. Später werden auch eigene Sendungen für «spanische Fremdarbeiter» produziert.

Ebenso werden Sendungen für Frauen ins Programm aufgenommen. «Wir möchten das Leitbild skizzieren, das heute bereits unter uns lebt. Die moderne Frau, der wir immer wieder begegnen: fraulich, aufgeschlossen und voll Selbstvertrauen», sagt Redaktionsleiterin Eleonore Staub.

Das Fernsehen integrierte die Frauen in die bürgerliche Öffentlichkeit. Hat es damit zur Einführung des Frauenstimmrechts beigetragen? «Vermutlich ja», sagt Historiker Lukas Nyffenegger.

Der gesellschaftliche Wandel ist unaufhaltsam im Gang.

Noch 1953 offenbarte der Bundesrat sein Verständnis von Service public, indem er bei der Erteilung der Radiokonzession «unzulässige Sendungen» auflistete. Mitte der 1960er-Jahre scheint die Regierung in der Neuzeit angekommen.

1964: Der Bundesrat erteilt der SRG erneut die Konzession. Ihre Programme müssten dazu dienen, «eine objektive, umfassende und rasche Information zu vermitteln», schreibt die Regierung vor.

SRG-Generaldirektor Marcel Bezençon interpretiert die neuen Vorschriften dahingehend, dass die SRG nicht länger Themen zu tabuisieren braucht, aber auch niemals einseitig Partei ergreifen dürfe: «Die SRG hat den Interessen des Landes zu dienen und nicht einzelnen Gruppierungen oder Gremien.»

1965: Einführung der TV-Werbung, beschränkt auf 12 Minuten täglich. 6000 Franken kostet die Minute. Am bisher sendefreien Dienstagabend werden neu Kulturbeiträge ausgestrahlt.

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Allererster Werbeblock des Schweizer Fernsehens

Der Bundesrat interpretiert die neuen Konzessionsvorschriften dahingehend, dass sich die SRG in den Dienst der Politik zu stellen hat.

1965: Bundespräsident Hans Peter Tschudi (SP) übergibt der SRG das neue Radio- und Fernsehzentrum im Bundeshaus in Bern.

So geht Mondlandung: Bruno Stanek moderiert 1969 die Nacht, die 900'000 Zuschauer fesselt. SRF

1966: Erste Direktbilder vom Mond.

1966: Der SRG-Generaldirektor Bezençon trifft den Gesamtbundesrat zu einer Aussprache, um die Regierung von der Notwendigkeit einer unabhängigen Berichterstattung auf den SRG-Kanälen zu überzeugen.

In der SRG-Fiche des Staatsschutzes wird später stehen: «Bezençon hat keine Freude an Einmischung in TV-Programme.»

Nach der Aussprache warnt der Direktor die TV-Redaktionsleiter: Regierung, Verwaltung und Parteien würden Radio und Fernsehen «zunehmend» für sich vereinnahmen wollen – als ihr Kommunikationsinstrument.

Wie recht er damit hat, wird sich in den 1970er-Jahren zeigen.

Die SRG wird bunt: Aufnahme des Farbfernseh-Betriebs am 1. Oktober 1968. SRG

1968: Einführung des Farbfernsehens. Eine Million TV-Konzessionäre.

1968: Erste Liveübertragung einer Parlamentsdebatte nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in Prag. Es geht um – geistige Landesverteidigung. Die Schaltung dauert sechs Stunden.

1969: Ausbau einer zweiten und dritten SRG-Senderkette in Französisch und Italienisch. Start «Direktreportage» der «Tagesschau» aus Bern, Journalisten am Bildschirm kommentieren aus dem Bundeshaus.

1969: 900’000 Zuschauer verfolgen die Mondlandung.

Lesen Sie jetzt Episode 3: «Von links kritisiert, von rechts fichiert – die TV-Soap der 1970er»

Quelle der Videos: SRF/Telepool, YouTube

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