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Fazit

Grundsätzlich nahm ich das Interview wohlwollend auf. Dennoch stellten sich mir kritische Fragen. Vielleicht habe ich die Argumentation missverstanden. Aber man erhielt doch das allzu bekannte Bild einer rosinenpickenden Schweiz. Und erinnerte mich stark an das Buch "Die neue Zuwanderung" von Avenir Suisse.

Etwas polemisch zugespitzt:

  • Die Schweiz soll die "richtigen", d. h. die besten Talente der Welt bekommen (meritokratisches Prinzip).

  • Die Politik soll die Rahmenbedingungen so gestalten, dass der Zugang zu den Chancen für die besten Talente liberalisiert wird (liberales Prinzip).

  • Da die besten Talente über ausreichend Ressourcen verfügen und leichter zu integrieren sind, kann und muss sich der Staat heraus halten, was die Integrationskosten für den Staat senkt (neoliberales Prinzip).

  • Die Integrationsleistung und -kosten sollen alleine von den besten Talenten geleistet werden. Umgekehrt heisst dies, wer sich ungenügend integrieren kann, ist selbst schuld (neoliberales Prinzip).

  • Die Schweiz trägt keine Verantwortung für den Braindrain, ja sie erscheine sogar als gerechte Wohltäterin, da sie den Zufall des Geburtsorts als Schicksal aufhebt und den Brainwaste verhindert (glück-egalitaristisches Prinzip).

  • Die Verantwortung für Entwicklungs- und Investitions­förderungs­politik sollen wiederum die besten Talente, "die mobile Elite", haben (neoliberales Prinzip).

  • Staatliche Entwicklungs- und Investitions­förderungs­politik führe nicht nur zu mehr Wohlstand, sondern auch zu mehr Migration und zu mehr Verhandlungsmacht, was den Interessen der Schweiz zuwiderlaufen kann (geopolitisches Argument).

Eine starke und daher fragwürdige Voraussetzung in all diesen Überlegungen ist, dass es nur noch "richtige Migranten" sind, die zu uns kommen. Wie sieht die Minimierung der Staats-Interventionen und Maximierung der Selbst-Verantwortung aus bei "falschen Talenten"? Was sind "falsche Talente"?

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Der Grundgedanke hinter der ganzen Argumentation ist stets: Migration sollte möglichst vielen Personen offen stehen. Ich vertrete grundsätzlich eine open borders Position. Was mich hingegen mehr interessiert, ist die Frage, auf welchem Weg wir diesem Ideal allmählich näher kommen, wie Migration schrittweise liberalisiert werden kann.

Ein möglicher Weg, der im Interview angesprochen worden ist, besteht darin, das Vorzeichen zu ändern. Heute ist Migration grundsätzlich verboten und ausnahmsweise erlaubt. Neu soll sie grundsätzlich erlaubt und ausnahmsweise verboten sein. Dabei wären am Anfang die Ausnahmen wohl noch weit gefasst und würden dann allmählich eingegrenzt. Zu Beginn hätten jene praktischerweise ein Recht auf Migration, deren Migration kaum ein Risiko darstellt, also z.B. sehr gut ausgebildete Menschen. Es geht aber gerade nicht darum, für die Schweiz möglichst die besten auszusuchen, oder dass nur noch die Richtigen zu uns kommen, sondern nach einem Anfangspunkt zu suchen von dem aus man allmählich mehr und mehr Menschen Zugang zu internationaler Mobilität verschaffen kann.

Zum Punkt Brain Drain: Das ganze Konzept des Brain Drain ist extrem problematisch. Empirisch steht es auf dünnem Eis und konzeptionell enthätl es sowohl die Annahme, eine Region haben einen Anspruch auf Menschen und das Subjekt von Entwicklung seien Regionen/Staaten/Territorien, nicht Menschen oder Haushalte. Es ist in den meisten Kontexten nicht belegt, dass es einen "brain drain" gibt. Wer das geltend macht, muss auch plausibilisieren, dass es nicht zu einem brain waste gekommen wäre, wenn die Menschen hätten bleiben müssen. Und er oder sie muss plausibilisieren, dass es keine milderen Mittel als die Verhinderung der Migration gegeben hätte, um den brain drain zu verhindern (zB. eine Bhagwati Steuer). Da dies in den meisten Kontexten misslingen wird, stellt sich auch in den meisten Fällen die Frage nach der Verantwortung für den brain drain nicht, weil es den brain drain nicht gibt. Es geht im übrigen auch nicht darum, die Verantwortung für die Entwicklung der Herkunftsregionen an mobile Eliten auszulagern. Es geht darum, diese in die Entwicklung mit einzubinden. Aber der Staat/die Staaten werden nicht aus dieser Verantwortung entlassen.

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Ich denke schon, dass es Brain drain gibt. Z.B. wenn viele, teuer ausgebildete Aerzte aus Deutschland in die CH kommen. Wenn sie die die Ausbildung selber bezahlt hätten, würde ich kein Problem sehen. Wenn aber die deutsche Gesllchaft die Ausbildung bezahlt hat?
Manchmal ist Brain drain aber auf lange Sicht auch positiv. Die besten chinesischen Studenten sind früher ins Ausland abgewandert und oft dort geblieben. Jetzt wandern sie aber wieder zurück und mit ihnen viel Know-How.

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Fragen 21-26

Es soll eine liberale, sprich freizügige globale Umverteilung der Talente geben, die u. a. durch den sog. Luck Egalitarianism legitimiert wird, d. h. der Zufall an diesem Ort geboren zu sein, rechtfertigt nicht den schicksalshaften Einschluss in diesen und Ausschluss zu einem anderen.

Kompensiert soll der Braindrain durch Transferleistungen der "mobilen Eliten", selbst-verantwortlich, und nicht die Staaten im "Zentrum".

Die staatliche "Entwicklungs- und Investitions­förderungs­politik" sei sogar kontraproduktiv, also gegen ihr eigenes Interesse, denn je mehr "Entwicklungs- und Investitions­förderungs­politik", umso mehr nimmt der Wohlstand zu, umso mehr auch die Migration, ja umso mehr auch die Verhandlungsmacht.

Fragen

  1. Nehmen Sie sich nicht etwas zu einfach aus der Verantwortung für die Probleme des Braindrains, so im Stile: "Ihr seid halt selbst schuld, dass eure Talente zu uns wollen"?

  2. Ist es nicht gerade fraglich, ob diese kosmopolitische Elite in den metropolitanen Regionen jemals wieder zurückkehren?

  3. Oder wie konkret soll diese Einbindung in eine "Entwicklungs- und Investitions­förderungs­politik" aussehen?

  4. Und wäre es schlecht, wenn der Wohlstand und die Verhandlungsmacht der Entwicklungsländer stiege, auch wenn dies temporär zu mehr Migration führen würde?

  5. Führen Sie, nachdem Sie den Rechten den Wind aus den Segeln genommen haben, diesen nicht wieder neuen Wind zu?

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  • Dass mobile Eliten eingebunden werden in die Strukturpolitik der Herkunftsstaaten schliesst weder die Verantwortung des globalen Nordens für Entwicklungspolitik noch die Verantwortung der Regierungen vor Ort aus. Es geht nicht darum, die Tätigkeit des Staates zu ersetzen.

  • Die Idee, dass es "unsere" und dann "ihre" Talente gibt, ist possesiv und problematisch. Sie ist eine der impliziten und problematischen Annahmen hinter dem brain drain Argument.

  • Die Rückkehr von Eliten ist nicht eine notwendige Voraussetzung dafür, dass sie einen Beitrag leisten können. Das können sie auch als Quellen von Kapital, sozialem Kapital und Netzwerken.

  • Das "temporär" am Migrationsbuckel würde ich nicht zu sehr betonen. Das ist ein Prozess der mehrere Generationen einnimmt, und selbst bei einer sehr raschen Entwicklung bleibt die Bevölkerung mobiler und die Möglichkeiten, Migration zu steuern eingeschränkt im Verhältnis zu einem sehr armen Land.

  • Auf die Idee, staatliche Entwicklungs- und Investitionspolitik könnte kontraproduktiv sein, kann nur kommen, wer die Kontrolle über Migration als das eigentliches Ziel dieser Politik ansieht. Wenn man Entwicklung als deren eigentliches Ziel ansieht (im Sinne von Autonomie der Mensch über ihr eigenes Leben), dann kann Migration ein Beitrag zu dieser Entwicklung leisten oder sogar ein Indikator für geglückte Entwicklung sein.
    Mein Ziel ist es, die problematische, implizite Annahme offen zu legen, Entwicklungspolitik sollte in erster Linie zu Sesshaftigkeit statt zu Autonomie führen. Wenn es gelingt, das aufzuzeigen, führt das nicht zu Wind in den Segeln sonder zu einer besseren Debatte.

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Gut gefragt und klar die Antwort:
👉 23 – Was ist der grösste Mythos in der Migrations­politik?
Die Tatsache zum Beispiel, dass zunehmender Wohlstand in den Herkunfts­staaten zu mehr Migration führen kann und nicht zu weniger, ist in der Forschung ziemlich gut belegt. Aber das will einfach kein Politiker glauben. Die halten an der unverwüstlichen Idee fest, dass man nur das Wohlstands­gefälle in der Welt ausgleichen muss und dann hat man die Migration wieder im Griff. Dabei ist das grundfalsch.

Also weiter denken und vergessen wir nicht FLÜCHTLINGE MUSSTEN ALLES ZURÜCKLASSEN ausser 👉 https://flic.kr/p/2gLFEwp

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Fragen 19-20

Staatliche Intervention in Migration bewirkt hohe Integrationskosten. Je weniger Restriktion und Intervention, um so autonomer die Investition und Integration der Migrierten, um so weniger Integrationskosten.

Wenn der Zugang zu den Chancen neu reguliert wird, dann ziehen sie die richtigen Talente an, welche weniger schwierig zu integrieren sind, so dass die Integrationskosten sinken.

Fragen

  1. Könnten Sie das etwas konkreter ausführen?

  2. Was bedeutet "Neuregulierung des Zugangs zu den Chancen"?

  3. Und ist es nicht auch eine Frage der Ressourcen und Verteilungsgerechtigkeit, nämlich dass Migrierten mit weniger Ressourcen "Hilfe zur Selbsthilfe" angeboten werden soll, damit sie erst autonom in ihre Integration investieren können?

  4. Oder gehen Sie davon aus, dass es nur noch die "richtigen Talente" gibt, die per se über ausreichend Ressourcen verfügen?

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Das Verfügungsrecht über die eigene internationale Mobilität ist ein sehr wichtiges Gut, eine sehr wichtige Chance. Es ist selber eine Ressource. Ein Eintrittsticket zu einem gut funktionierenden Institutionensetting und daher ein Gut von sehr grossem Wert. Eine noch effektivere Hilfe zur Selbsthilfe können wir nicht anbieten.
https://www.youtube.com/watch?v=bB1hRNMGdbQ

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Die Vorstellung, gerechte und sinnvolle Migrationspolitik zu betreiben, Armut und soziale Missstände vor Ort in den betroffenen Ländern selber zu bekämpfen, ist plausibel. Dort auf zu bauen, wo etwas vorhanden ist, verspricht Erfolg. Das ist nicht neu.
Dass Länder mehr Optionen und Verhandlungsmacht haben, wenn bereits ein hinreichender Wirtschafts Standard vorhanden ist, ist plausibel.
Um Entwicklungs- und Investitions Förderungs Politik neu auf zu bauen, brauche man mobile Eliten, die in eine solche Politik eingebunden sind.
Das ist wirklich interessant, doch müssen dazu nicht schon mal solche Strukturen von Förderungspolitik vorhanden sein?
Was würde das denn konkret heissen?
Die Idee mit den mobilen Eliten kann ich mir recht gut vorstellen, aber welche erste Schritte zu solch einer Förderungspolitik haben wir bereits gemacht, wie kann man das effektiv anwenden und wo weiter aufbauen?
Meint man, die Armut behebe sich von selber, wenn es es ringsherum immer weniger Armut gibt? Deshalb sei es sinnvoll die Besten aus zu wählen.
Vielleicht kann man das etwas konkretisieren.

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Frage 18

Auch mir kommt diese Warnung wie eine Schutzbehauptung vor. Oder als Kooptionsversuch der Rechts-Nationalen, da er den Links-Liberalen sagt: "Wenn ihr Migration befürwortet, dann schneidet ihr euch ins eigene Fleisch". Was aber vermutet werden kann, ist, dass es bei den xenophoben Tendenzen einen Stadt/Land-Graben gibt i. S. d. Mehr-Kontakt/Wenig-Kontakt-Regionen. Die Warnung wirkt dann auch wie eine Selbsterfüllende Prophezeiung, wenn die Rechts-Nationalen "das Problem" populistisch, also aus zynischem Macht-Kalkül derart verzerren, dass es mehr Zuspruch und Zulauf verspricht.

Frage: Wie sehen Sie Herr S. das Problem des Stadt/Land-Grabens, gerade hinsichtlich des politischen Kräfteverhältnisses?

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Zu Punkt 21. Die Besten kommen zu uns. Moeglicherweise bleiben sie aber nicht und gehen wieder nach Hause. Das Leben und die Arbeit hier ist sehr kompetitiv. Das sagen sogar Berner, wenn sie nach Zuerich kommen.
Viele Studierende kommen zu uns fuer zB ein Doktorat. Wenn die Rueckkehr in die Wirtschaft ansteht, ist eine Rueckkehr in die Heimat als Fachkraft ein gangbarer Weg, sogar hoeher abgesetzt zu werden. Ihre Verbundenheit zur Schweiz ist auch fuer uns positiv.
Migranten, welche hier arbeiten senden Geld nach Hause, und bauen dort vielleicht ein Haus. Gehen vielleicht zurueck und gruenden eine Firma, mit dem Wissen und den Kontaken, die sie hier erworben haben.

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Herr S., ich bin mir bewusst, dass die Zahlungsbereitschaft als Wertmassstab der Entschädigung bei den Oekonomen gebräuchlich ist. Ich denke aber, dies kann nicht richtig sein, weil diese Zahlungsbereitschaft natürlich davon abhängt wieviel Geld man besitzt. Gemäss dieser Logik dürfte man eine arme Frau quasi gratis vergewaltigen, weil sie nichts bezahlen kann. Eine reiche Millionärin zu vergewaltigen wäre hingegen sehr teuer, weil sie viel zahlen könnte um das abzuwenden. Diese Denkweise finde ich nicht sehr liberal. Ein Frau sollte über ihren Körper entscheiden können auch wenn sie arm ist.

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Wenn der frühere FDP Päsident Müller (ja, genau der, der fast eine Frau zu tode gefahren hat) dafür entschädigt werden soll, dass er sich von Migranten in Bahnhöfen bedroht fühlt, wie hoch wäre dann erst die Entschädigung welche Autofahrer den Velofahrern und Fussgängern bezahlen müssten? Im Gegensatz zu den Migranten ist die Gefahr der Autos nämlich akkut: jedes Jahr werden 1000 Velofahrer und 1000 Fussgänger von Autofahrern getötet und verletzt. Und die Liberalen schauen zu und sagen nichts. Fahren höchstens selber Auto.
Herr S., wie hoch schätzen Sie die Entschädigung ein, die die Autofahrer den Velofahrern schuldig sind?

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Zu Punkt 19. Die hohen Integrationskosten. Kommen zu einem Teil auch von uns, weil wir keine Kompatibilität einfordern. Es kommen unter anderem auch Leute, um die geht es jetzt, die "haben es geschafft", wenn sie hier sind. Hier einen Status haben. Dann ist die Gefährdung plötzlich so gesunken, sie können sogar zuhause Ferien machen., während zur gleichen Zeit immer neue Leute vom selben Land als extremst gefährdet zu uns kommen.
Nein, man hat es nicht geschafft wenn man hier ist, es fängt erst an. Unser Leben hier ist die Arbeit. Nun kann man mit endlosen jahrelangen Kursen die Leute damit kompatibel zu machen versuchen, oder diese Kompatibilität einfordern. Wir brauchen hier keine Leute, die "wahrscheinlich nie Teil des Arbeitsprozesses werden"
Sich Gefahr auszusetzen hat mit Gefährdung zuhause nicht zwingend etwas zu tun. Wir haben auch eigene Leute, die "müssen" einen 8000er hoch, mit dem Wissen, dass sie es vielleicht nicht schaffen, nicht mehr zurück kommen. Sollen wir die jetzt alle dort hochkarren, resp von den Nepalesen erwarten das zu tun ? Und nachher ist einfach ein "sie haben es geschafft" erreicht.

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