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Wieso wird das "sich an Gesetze halten" hier als die pauschal richtige Entscheidung postuliert (und das abweichen davon als nicht-rationaler Rausch)? Das ist offensichtlich nachweislich nicht der Fall, man denke z.B. an die Jim-Crow-Gesetze oder die Gesetze zur Homosexualität.

Dieser Gedanken erlaubt dann auch, dass man darüber nachdenkt, dass es bei Heldenfiguren nicht im Prinzip um Gesetzesübertretung geht, sondern um Gerechtigkeit, oder wichtige Anliegen (z.B. Klimakatastrophe), die ja (offensichtlich) nicht durch den Staat geschaffen oder angegangen wird.

Und andersherum wird auch suggeriert, dass Helden implizit ausserhalb des Gesetzes agieren. Das ist ja auch nicht wie der Begriff verwendet wird, man denke an all die Feuerwehrleute oder Pflegys, die oft so betitelt werden.
Auch in diesem Fall - die Ukraine handelt ja nicht ausserhalb der Gesetze, und das Heldenlabel kommt von dem Autor selbst!

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Sie haben natürlich recht: Bei Zivilcourage, den sog. «Helden des Alltags», und manchen Fällen von Widerstand, bei denen Gesetze übertreten werden – man denke hierbei auch an Whistleblowing – wird der Raum zwischen Legalität und Legitimität, Recht und Gerechtigkeit ausgelotet.

Doch es geht auch um «Helden» i. S. von Avengers und Vigilantes, die das Recht in die eigene Hand nehmen, Selbstjustiz ausüben, etwa Entrechtete rächen und damit das Gewaltmonopol des Staates verletzen.

Kriegshelden sind wieder eine andere spezifische Form von Helden. Das «Heldenlabel» kommt also nicht vom Autor selbst, sondern dieser nimmt eine Trope im hiesigen Diskurs auf. Eine Trope, die auch mit jener von «David gegen Goliath» verknüpft ist. In westlichen Medien wird Selenskyj heroisiert. Wobei hier das Heldentum sehr ambivalent ist: Man denke an den Heldenkult, den Euphemismus des «Heldentods» und eben die Fantasie des starken Einzelkämpfers, der über eine Übermacht gewinnt. Zudem: Auch die andere Seite betreibt einen spiegelbildlichen Heldenkult.

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Ich finde die Diskussion durchaus spannend, und das sind gute Punkte (insbesondere im Kriegskontext).
Ich finde den Begriff auch in anderen Bereichen problematisch, z.B. suggeriert der Begriff "Held" auch, dass die Geschichte der "Great Man Theory" folgt.

Heldys sind nicht im Prinzip "etwas Gutes", aber sie sind nicht deswegen schlecht, weil sie ausserhalb des Gesetzes agieren.
So kann man selbst innerhalb vom Vigilante-Bereich Unterschiede machen: Elon Mus hust hust ich meine Ironman verglichen mit Spiderman.

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Märchentante*onkel
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Wie kommen Sie denn auf den abwegigen Gedanken, diese Kolumne ernst zu nehmen?

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Sorry, was ist das für eine Zumutung?
„ Freiheit und Demokratie waren nicht eben die hervor­stechendsten Merkmale der Ukraine vor dem Krieg “. Doch, wir sind und bleiben eine Demokratie. Es gibt freie Wahlen auf allen Ebenen, Dezentralisierung und sehr viele lokale Initiativen, z.B. partizipativer Budget von Kyjiw und anderen Städten. Was ist das für eine grundlose Aussage? Ja klar ist unsere Demokratie nicht perfekt, aber auch schwierig wenn man davor 70 Jahre von einem autoritären Staat unterdrückt wurde und die besten Denker*innen getötet und vernichtet wurden. Freiheit gehört sowieso zu unseren Grundwerten seit Jahrhunderten.

Und es gibt doch Regeln für die Kriegsführung. Genfer Konvention und so. Dass die russen diese nicht einhalten weder in Syrien noch in der Ukraine steht nirgendwo in der Artikel. Natürlich halten wir uns an Genfer Konvention und lassen z.B. in Gefangenschaft geratene gegnerische Soldaten in Gefangenenlager leben, austauschen und sogar nach Hause anrufen. Im Gegenteil zu Russen mit Filtrationslager, Folter und deren Missachtung sogar von eigenen Soldaten (sie holen sogar ihre Leichen nicht ab (von eigenen Soldaten!) Bombardierung der zivilen Infrastruktur und Wohnhäuser ist die Verletzung der Regeln der Kriegsführung. Also bitte vorsichtig sein wer hier die Regel bricht.
Dass es die Russen sind die uns angegfriffen haben und zwingen, Menschen zu töten (was natürlich keiner möchte und gerne tut, aber muss wenn eigene Familie und eigener Stadt bedroht und angegriffen werden) steht auch nicht.
Echt eine Zumutung der Artikel.

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Daniel Strassberg
Kolumnist@Republik
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Sehr geehrte Frau Ariamnova, es tut mir leid, dass Sie den Artikel als Zumutung empfinden. Wenn Sie ihn aber genau lesen, werden Sie feststellen, dass er in keiner Weise von der Ukraine handelt, sondern einzig und alleine von der westlichen Reaktion darauf: Ich befürchtete, dass eine Solidarität, die auf einer rauschartigen Identifikation mit Heldentum beruht, sehr rasch wieder verschwindet oder sogar ins Gegenteil kippt, und zwar in dem Moment, wo es den Westen (und die Schweiz) etwas kostet. Und wenn Sie die Zeitungen in den letzten Tagen lesen, werden Sie sehen, dass sich die Befürchtung leider, leider zu bewahrheiten scheint. Also noch einmal: Meine Solidarität ist eindeutig und ohne wenn und aber auf Seiten der Ukraine.

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Danke für den Hinweis - den drittletzten Abschnitt hatte ich auch missverstanden, erst nach nun nochmaligem Lesen erkannt, dass sich das “Erblühen einer antidemokratischen Tendenz” explizit nicht auf die Ukrainer:innen bezieht ...

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Leserin
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Ich habe den Artikel mit Gewinn gelesen, danke.

Dennoch habe ich mich über diesen Seitenhieb „Freiheit und Demokratie… nicht hervorstechendste Eigenschaften“ gewundert. Da Sie postulieren, nicht über die Ukraine schreiben zu wollen, ist dieser Satz am Anfang - im Artikel unbegründet, und als schlichte Meinungsäußerung am Rande zum Inhalt nichts betragend - ein Lesehindernis. Denn er lenkt mich vom eigentlichen Inhalt ab und weckt einen Verteidigungsimpuls, der mich schlechter der eigentlichen Richtung des Textes zuhören und nachdenken lässt. Das finde ich schade.

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Hat die Demokratie nicht auch den Antihelden hervorgebracht, und ist vielleicht Selenskyi eine Mischung aus beidem: "Antiheld" im Film, "Held" wider Willen als Präsident ? Und liegt da nicht der Unterschied zu einem Putin, der nur eine Pose kennt: die des ironielosen Helden? Vielleicht braucht es zur Verteidigung der Demokratie mehr Antihelden-HeldInnen.

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Daniel Strassberg
Kolumnist@Republik
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Vielen Dank! Tatsächlich bedient auch Putin das Heldennarrativs, und was Sie als Unterschied bezeichnet, leuchtet mir sehr ein.

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jaap achterberg
schauspieler
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Grossartig. Danke für diesen warnenden Blick. Habe Putin auch schon mal erdolcht.

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Enarchist & Anfänger
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Spannend. Ich habe Putin bei einer Tasse Tee Basisdemokratie, Frauenrechte und den evolutionären Vorteil von Vielfalt und Diversität erklärt. Besonders erstaunt, ja erleichtert, war er darüber, dass ein Mann auch Fehler machen darf, dass die Gemeinschaft jemandem verzeihen kann und es so etwas wie einen kollektiven Lernprozess geben kann.
In Syrien gab es übrigens durchaus Helden, die bis hier wahrnehmbar waren. Es waren keine Revolverhelden, sondern Aktivisten, Künstler:innen, Blogger, erfinderische und mutige Organisator:innen der Freitagsdemos.
Irgendwann sind sie verschwunden, in Kerkern zu Mus gemacht oder geflüchtet, und die bärtigen Säbelschwinger waren im Fokus der Kameras.
Vielleicht wäre es fruchtbar, einmal über Freiheit und Selbstbestimmung nachzudenken. Wie frei sind wir demokratischen Westler:innen tatsächlich? Wie frei fühlen wir uns? Und wie gehen wir damit um? Ich vermute mal total unbedarft, dass erträumtes Westernheldentum und persönlich gefühlte Unterdrückung irgendwie korrespondieren.

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Danke füe diesen hervorragenden Artikel.

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Theologin/Pfarreiseelsorgerin
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Danke für diesen klugen und lesenswerten Text.

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Journalistin
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«Ein inspirierender Text, merci!», sagt «Republik»-Mitleser und Wohngenosse Samuel Geiser. «Wäre das Problem von Heldentum und Anti-Heldentum in der «liberal-demokratischen» Gesellschaft etwas zu mildern, wenn sich «unsere» Demokratie nicht nur «an der Urne» abspielen würde, sondern auch im Tabubereich Wirtschaft: Mitbestimmung, Mitentscheidung über das, was produziert und konsumiert & wo und wieviel Kapital investiert werden soll – und wo nicht?
Eine umfassende Rätedemokratie über alle Stufen einer Gesellschaft. Mit Basisräten in Betrieben, Quartieren, Armee- und Polizeikasernen. In der die Räte permanent und direkt ihren Wählerinnen und Wählern rechenschaftspflichtig sind, und nicht nur ihrem Gewissen – und jederzeit abwählbar?
Könnten wir in einer Rätedemokratie unser Bedürfnis nach individueller «Wichtigkeit», nach politischer Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit direkt, «zivilisiert», gemeinschaftlich ausleben – und müssten dieses nicht mehr «unzivilisiert» auf irgendwelche ballernde Westernhelden projizieren?»

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Sehr luzid, vor allem auch die „Erosions“-Beispiele aus der Politik (Reagan, Berlusconi).

Strassbergs Gedanken lassen mich die SVP-Anhänger in meinem Bekanntenkreis besser verstehen. Von ihnen verehrt mindestens einer noch immer Trump (der auch in die oben erwähnte Reihe gehört).

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Bin auch eine Tagträumerin, aber Putin habe ich noch nicht ermordet. Wahrscheinlich, weil er zu viele Anhänger und Kollaborateure hat und weil es wieder so viel Autokraten gibt, wie seit den Weltkriegen nicht mehr..... Da müsste ich ein regelrechtes Mordkommando aufbieten, dazu fehlen mir die Mittel. Sogar im Traum. Ich beschäftige mich auch mit Helden in letzter Zeit, mit Heldinnen, mit dem Unterschied, dass alles verhinderte Heldinnnen sind., besser waren. Wer dafür gesorgt hat, dass sie nicht zu Heldinnen wurden, liegt auf der Hand. Immerhin sind einige posthum zu Antiheldinnen geworden und geben ebenso Film- und Tagtraumstoff ab.

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ichfürchte...
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In meinem Tagtraum war es ganz einfach, denn ich war sein Koch...

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Uff! Wie sind sie dahin gekommen

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Ein spannender Beitrag, der mich weitgehend überzeugt. In zwei Punkten möchte ich allerdings aus meiner Sicht leicht korrigieren:
Strassberg erwähnt den Westernheld, der das bürgerliche Recht verletzt im Dienste der Gerechtigkeit und nennt z.B. den Film "Red River" mit John Wayne. Ich habe mir den Film nach Jahren wieder angesehen. Der Film gipfelt im legendäre Satz von Wayne "Take them to Missouri, Matt", den bis heute wohl alle Filmfreund:innen in den USA kennen. Es ist die Entschlossenheit, sich nicht von Viehändlern im Süden die Preise drücken zu lassen und die Herde über 1000 Meilen nach Norden zur Bahnlinie zu treiben. Was die Zuschauerschaft also damals wie heute beeindruckt, ist weniger ein Rechtsbruch, sondern einfach die Entschlossenheit, das Gerechte und schier Unüberwindliche zu tun. Das ist nicht so weit weg von Luthers "Hier steh ich, ich kann nicht anders", oder von den Absichten der Geschwister Scholl, und sogar von den Vorkämpferinnen der Frauenbewegung.
Strassberg zieht weiter den Vergleich zwischen unserer Aufnahmebereitschaft bei den Flüchtlingen aus Syrien und der Ukraine bei weitgehend ähnlichen Rahmenbedingungen und erwähnt als Gründe kulturelle Unterschiede und Rassismus. Das ist zwar richtig und doch zu vage. Was wir konkret als Hauptursache des Krieges sehen ist, dass sich die Ukraine uns im Westen anschliessen möchte, ein Aspekt, den ich im Syrienkrieg kaum erkennen konnte. Ich denke, das ist auch ein wichtiger Grund für die unterschiedliche Empathie, die den beiden Flüchtlingsgruppen entgegengebracht wurde und wird.

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· editiert

Angefangen hat ja der Syrienkrieg mit Protesten gegen das autoritäre Regime von Assad. Der Wunsch der Opposition war eine Demokratisierung Syriens. Später kamen dann verschiedene Gruppen dazu, darunter auch der IS, der zuvor vor allem aus den ehemaligen Anhängern von Saddam Hussein bestand.
Also ja, der Krieg war unübersichtlicher, aber dass Sie das Anstreben der Demokratie nicht erkennen konnten, hat wohl eher mit mangelndem Interesse am Krieg zu tun.
Die Jugoslawienkriege waren allesamt Kriege um Freiheit und Demokratie, die Solidarität war aber nicht vergleichbar mit derjenigen mit den Ukrainer:innen. Abgesehen davon verstehe ich nicht, wieso die Kriegsgründe die Solidarität bei der Aufnahme beeinflussen sollten. Kulturelle Begründungen sind da für mich naheliegender, denn dort spielt die Angst vor anderen Kulturen eine grosse Rolle. Angst ist ein völlig menschlicher Faktor, der man nur mit Aufklärung entgegen kommen kann. Ich war selbst einer von den Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien und bin sehr froh und dankbar, dass wir in der Schweiz aufgenommen wurden und einige schliesslich auch bleiben durften (Wenn auch widerwillig). Wären aber die Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien so gut aufgenommen worden wie die Ukrainer:innen heute, dann wäre auch die Integration vereinfacht worden, was ja im Interesse aller Bevölkerungsgruppen gewesen wäre.
Ich will da auch niemanden quasi vor Gericht stellen, aber mich würden die Gründe zur Ungleichbehandlung schon interessieren.

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Selbstverständlich habe ich den "Arabischen Frühling" und den anfänglichen Wunsch der Opposition nach Demokratisierung Syriens nicht vergessen. Wie Sie aber selber schreiben, wurde bald sichtbar, dass sich neue, oft extreme islamistische Gruppierungen dazu gesellten, die möglicherweise nach einer Niederlage des Assad-Regimes als Sieger hervorgehen würden. Ich glaube, in dem Moment ist bei uns die Stimmung gekippt und nicht, wie Herr Rebosura in seiner Replik schreibt, als wir uns "beschämt" von den Verlierern abgewendet haben. Das Beispiel der Entwicklung im Iran nach dem Sturz des Schahs, war der älteren Generation durchaus noch gegenwärtig.

Und bitte, Herr Elshani, verwechseln sie meinen Versuch, zu ergründen, weshalb heute (zum Glück) die Stimmung gegenüber den Flüchtlingen aus der Ukraine besser ist, als seinerzeit bei den Syrern, oder wie Sie es aus dem ehemaligen Jugoslawien erlebt haben, nicht mit meiner persönlichen Meinung. Für mich ist jeder Flüchtling zuerst einmal ein Mensch. Meine Frau und ich haben seit vielen Jahren Flüchtlinge betreut, zuerst Boat-People aus Vietnam, dann Menschen aus Kurdistan, Bosnien, dem Kosovo, aber auch aus Serbien, Tschetschenien und Syrien und wir haben nie einen Unterschied gemacht, woher jemand kommt oder welches die Fluchtgründe waren.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Sie vergessen aber die positiven Reaktionen vieler westlicher Öffentlichkeiten auf den «Arabischen Frühling». Wie Fiton Elshani schreibt, ging es auch in Syrien um mehr Freiheiten und wirkliche Demokratie. Das Interesse im Westen schwand, als die «heldenhaften» Bevölkerungen zu verlieren begannen und die Aufstände mit Ausnahmen letztendlich niedergeschlagen worden sind. Das ist auch eine Gefahr der Idealisierung und Heroisierung: So bald sich die schmutzige Realität zeigt oder die «Helden» verlieren und zu blossen «Opfern» werden, wendet man sich beschämt ab und tut so, als ob man von nichts gewusst hätte.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Die Heldenreise des Lonesome Rider endet beim Lone Wolf, dem Homegrown Terrorist. Wen wunderts, dass es ein Neonazi und Ex-KKK war, der damit Timothy McVeigh, der für das Oklahoma City bombing am 19. April 1995 verantwortlich war, beeinflusste?

Die US-amerikanischen Heroen heissen denn auch treffender Avengers oder Vigilantes, also Rächer, die alleine oder als Bürgerwehren Selbstjustiz verüben. Bemerkenswert war die Akzentverschiebung in den «Superhelden»-Filmen und -Serien um die 2010er-Jahre – also als der globale War on Terror und Homeland Security sich voll entfaltet hatte: Watchmen (Film 2009/Serie 2019), Kick-Ass (2010), Super (2010) usw. thematisierten die Abgründe, die sich auftun, wenn Wille und Vorstellung, Realität und Fantasie, Pathos und Pathologie mit Gewalt kurzgeschlossen werden.

Dialektisch vermittelnder war da schon Hegel, der den vollendeten Weltgeist im Preussischen Beamtenstaat verwirklicht sah. Doch auch er war nicht vor dem messianischen Heroismus – «Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch» wie sein Freund Hölderlin sagte – gefeit: Hegel begegnete am 13. Oktober 1806 Kaiser Napoleon vor der Schlacht von Jena und Auerstedt, welche das Ende des alten Preussens einläutete, der «Weltseele zu Pferde»:

den Kaiser – diese Weltseele – sah ich durch die Stadt zum Rekognoszieren hinausreiten; – es ist in der Tat eine wunderbare Empfindung, ein solches Individuum zu sehen, das hier auf einen Punkt konzentriert, auf einem Pferde sitzend, über die Welt übergreift und sie beherrscht.

Doch Hegels Sorge galt ganz der Fertigstellung seiner «Phänomenologie des Geistes» (1807), mit der er die Weltgeschichte bis zur ihrer absoluten Vollendung zu begreifen und ideell zu beherrschen gedachte.

Doch die Weltgeschichte ist auch nur eine Erzählung. Die Verkündung vom «Ende der Grossen Erzählungen» (Lyotard), ja vom «Ende der Geschichte» (Fukuyama) war Ausdruck der Hoffnung auf «Nie wieder Krieg». Nach zwei Weltkriegen und dem inflationären wie euphemistischen Gebrauch von «Helden» und vor allem «Heldentod» sehnte man sich nach einem «postheroischen Zeitalter» (Münkler; es wäre interessant ihn mal zum neuerlichen Heroismus zu befragen)

Doch hierbei entfalte sich ein «tückisches Paradox»:

Die modernen Wohlstandsgesellschaften haben die Helden zwar zertrümmert, aber verschwunden sind sie damit noch lange nicht. Heroische Gesellschaften dagegen sind, genau genommen, Gesellschaften ohne Helden. Über den heroischen Ahnenkult, den sie betreiben, kompensieren sie den Umstand, dass sie in ihrer Zeit nicht über Helden verfügen. Zumindest nicht über die, die sie sich wünschen.
Die postheroischen Gesellschaften verwahren sich entschieden gegen die alten Helden. Zugleich schaffen sie aber eifrig neue, und zwar abseits von Hollywood-Grössen und Sportidolen, die höchstens Surrogate sind. Die Helden haben abgedankt. Doch das Bedürfnis nach Figuren, die für das Leben jedes Einzelnen Vorbildcharakter haben, besteht nach wie vor.

Die Heroisierung von Selenskyj ist damit sozialpsychologisch nachvollziehbar. Doch wie bei jeder Ästhetisierung des Krieges besteht auch hier die Gefahr des Kitsches. Überschrieben wird der nackte Überlebenskampf, das unsägliche Leiden und die unzähligen Opfer – der sinnlose Tod wird in eine sinnvolle Erzählung eingebettet.

Der Realitäts-Schock wird abgefedert: Das Chaos erhält Ordnung, die Trauer Trost und die Ohnmacht Macht.

Die Heroisierung ist die Bewältigung sinnloser Gewalt.

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Eine eigenartige Definition von Helden im Zusammenhang mit der Aufrüstung gegen einen äusserst brutalen Aggressor. Hier geht nicht um Heldentum sondern um reinen Selbstschutz.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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· editiert

Ich denke, das ist gerade die Pointe von Daniel Strassberg. Einerseits geht es ihm um unsere Projektion:

Hier geht es um etwas anderes, hier geht es um uns, genauer um die Rhetorik, mit der der sogenannte «Westen» auf diese unvorstellbare Gewalt reagiert.

Und andererseits betrachtet er diese Heroisierung in den westlichen Öffentlichkeiten mit äusserster Skepsis:

Dass die Menschen in der Ukraine gerade unglaublichen Mut an den Tag legen, vor dem man sich nur still verneigen kann, soll überhaupt nicht infrage gestellt werden. Doch das Gerede vom Helden birgt Gefahren.

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heldin vre
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Danke für diesen Artikel. Ich mochte Ihre kleine Umfrage im Bekanntenkreis und würde mich gerne in die Gruppe der HeldInnen integrieren, die mit Putin ein persönliches Gespräch suchen und finden.
Bei mir wäre es live.
Ich reise nach Moskau. Ich treffe Putin. Ich führe mit ihm ein tiefes , Putin berührendes, psychoanalytisches Gespräch — nicht am grossen Tisch. Wir reden über sein Leben, die Scham, die Kompensation der Scham für die Armut, in der er aufgewachsen ist, die Scham für das Ausgelacht-Werden, über den etwas grandiosen Wunsch, als Helden in die russische Geschichte einzugehen (gemeinsam mit mir, die ich ihm diesen grausamen Krieg werde ausredet haben). Putin wird sich in Würde zurückziehen, sich bei der Ukraine für den angerichteten Schaden entschuldigen, versprechen, dass er beim Wiederaufbau helfen wird. Nach einigen Gesprächen der Krisenintervention reise ich wieder zurück in die Schweiz. Wir werden im Kontakt bleiben. Er darf mich jederzeit per Skype kontaktieren! -----

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Gut hergeleitet und erklärt!

Dazu kommt meiner Meinung nach dass wir, wenn Helden altern und straucheln, meist schon den Nächsten in glänzender Rüstung am Horizont sehen; mit der medialen Wahrnehmung sowieso und insbesondere dann wenn man nach und nach auch negative Seiten am alten Helden wahrnimmt. So schöpfen wir aus einem nie versiegenden Pool aus Helden jeder Couleur mit denen wir uns immer wieder neu identifizieren können.

Spätestens zur Weihnachtszeit werden wir uns dann auch wieder den Helden mit dem Ball am Fuss zuwenden, die ruhmreich in demokratisch lupenreinen Staaten für uns ein Sportspektakel abliefern werden, das uns dann sicher auch für eine Weile von der Ukraine und ihren Helden ablenkt.

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Слава Україні!
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Sehr gut geschrieben. Danke!

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(durch User zurückgezogen)