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Brigitte Graf
Ärztin&DJ
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Das ist ja alles schön und gut. Aber ich bin es so leid, eine weitere männliche, weisse, privilegierte, und jetzt assume ich, wahrscheinlich noch cis-heteronormative, Stimme über die Welt zu lesen. Es langweilt mich. Seit Jahren dürstet mich nach Perspektiven der Diversität, nach den Standpunkten, Narrativen und Sichtweisen von weiblich gelesenen Menschen, von POC und Queers, von Menschen anderer Kulturen, Traditionen und Kontinente.

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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«Britischer Geschichtsprofessor, Verfasser von Standardwerken und Analytiker der Weltpolitik:» Wer könnte eine bessere Identifikationsfigur für «Alte Weisse Männer» sein?

Was den Krieg in der Ukraine betrifft, hat meine Kollegin, die Historikerin Mary Sarotte, schon treffend festgestellt, dass wir gerade das Scheitern aller Versuche für eine tragfähige europäische Sicherheits­ordnung erleben.

Spätestens ab hier hätte Daniel Binswanger sagen sollen: «Ah, interessant, hätten Sie mir ihre Kontaktdaten?» Und das Interview abbrechen müssen. ;-)

Immerhin bemüht sich Daniel Binswanger in seinem anderen Stück von heute zwei andere «Verfasser von Standardwerken», ebenfalls «Alte Weisse Männer» und Identifikationsfiguren von solchen, zu überwinden: Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt.

Dies zeigt: Wenn man sich nur bemüht, über die Schulter der angeblichen Riesen (und eigentlichen Zwergen) zu blicken, dann findet man sie: die vielen, vielfältigen, anderen, bisher ungehörten, spannenden und wichtigen Stimmen.

Und so lange das eine das andere nicht ausschliesst, so darf man auch der Stimme eines «Verfassers von Standardwerken» zuhören (man muss aber nicht).

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Elia Blülle
Journalist @Republik
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Lieber Michel

Ich habe Adam Tooze zum Gespräch angefragt. Warum? Ich wollte mit Adam Tooze sprechen, weil er mit einigen Erzählungen bricht, die derzeit herumgereicht werden, die oft sehr undifferenziert begründet werden – aus dem selben Grund haben wir übrigens in der Pandemie zum Beispiel auch mit Herrn Drosten gesprochen. Da hat sich interessanterweise niemand daran gestört, dass er ein «Alter weisser Mann» ist.

Du hast natürlich mit allem, was du schreibst Recht. Ich empfinde es trotzdem als unbefriedigend – und nach einigen Minuten nachdenken, weiss ich (bin mir aber noch nicht ganz sicher) auch warum: Die Argumentation mit dem «Alten weissen Mann» langweilt mich, weil sie immer so allgemein ist. Das war vor fünf Jahren ein spannendes Instrument, weil es Diskurse aufgebrochen hat – und das war bitter nötig. Aber wir sollten doch jetzt spätestens an dem Punkt sein, wo wir genauso differenziert über diese Kategorie sprechen, wie das absolut zurecht in allen anderen Bereichen auch eingefordert wird. Ansonsten ist es nur noch polemisch. Wir haben hier nicht mit Richard David Precht über die Weltlage gesprochen, sondern mit einer Person, die sich akademisch mit jenen Fragen beschäftigt, zu denen wir sie befragt haben. Diese Person dann wieder allein auf den «Alten weissen Mann» zu reduzieren, wird der Sache nicht gerecht, finde ich. Das alles befreit uns nicht von der Pflicht, diverse und vielfältige Stimmen einzuholen – nicht unbedingt nur wegen identitätspolitischen Überlegungen, sondern vor allem, weil wir ansonsten eine schlechte Publikation machen.

Bin gespannt, was du dazu denkst. lieber Gruss, Elia

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stimmt, Herr Rebusa...es tut auch weh.
Ich wuchs im Nachkriegs Köln auf, erlebte auch die Teilung in Ost- und West Deutschland recht nah. Man bemühte sich sehr, wieder einer deutschen Einheit näher zu kommen.
1989 war dann ein Highlight, was die Deutsche Politik und Existenz nach dem 2. Weltkrieg betraf. Eigentlich sogar eine Riesenhoffnung, das "Frieden" in Europa möglich ist. Handelsbündnisse und Verträge wurden immer wichtiger.
Irgendwie ist das Ganze nun sehr desillisionierend.
Weitermachen, sich trotzdem weiter bemühen ist wohl eine gute Alternative... wie auch immer die nächste Generation dabei mitmacht...hüben und drüben...

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Softwareentwicker
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· editiert

Frau Graf, ich kann sie in ihrem Anliegen gut verstehen und sie sprechen tatsächlich ein wichtiges Thema an, das nicht unwesentlich mit der Situation zusammenhängt, in der wir uns jetzt befinden.

Allerdings macht das das gesagte nicht weniger wahr und richtig. Zudem ist die gegenwärtige Realität die einzige die wir haben: die unfaire, chaotische, missbräuchliche auf weisse cis-Männer konzentrierte Machtelite ist leider (momentan) Tatsache - sie haben (noch) die meisten der Zügel in der Hand, sowohl es langsam aber sicher Anzeichen gibt dass sich das langsam aber wandeln könnte.

Ich habe ihren Beitrag "disliked", weil er in meinen Augen vom konkreten Thema abweicht, bzw. dieses noch mehr verkompliziert:
welche Vorteile erhoffen sie sich konkret, wenn solche oder ähnliche Worte von einer afrikanischen Dragqueen oder einer ozeanischen non-binären Person geäussert werden?

In Themen des Alltags, der individuellen Lebensweise ist diese Diskussion in meinen Augen wichtig und soll auch aktiv und energisch geführt werden. Sie ist hier in diesem globalen, verfahrenen Kontext aus meiner Sicht allerdings nicht das Hauptproblem:
Die herrschenden Eliten haben mit dem heutigen Finanzsystem ein Monstrum geschaffen, das uns allen entgleitet.

Was wir brauchen, sind vernünftige, gebildete und weitsichtige Menschen mit Herz, die diese Probleme angehen und aktive Veränderung herbeiführen. Mir ist es völlig Wurst, mit wem oder was (oder ob überhaupt) diese Liebesbeziehungen führt, unter welchem Stein sie hervorgekrochen kommt, ob sie schillernde Gewänder trägt oder drei Geschlechter hat, das tut nichts zur Sache: sie muss handeln und überzeugen können.

Ich will hier in keinster Weise die Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Diffamierung und Ausgrenzung aller nicht white-cis-male Wesen kleinreden oder in Zweifel ziehen: die sind real, ungerecht und gehören angeprangert.
Allerdings haben alle Menschen auch nur einen begrenzten Aufmerksamkeitsspielraum und in meinen Augen ist das "Überhäufen" von Themenkomplexen mit einer der Gründe, warum vieles so lange so geblieben ist wie es ist:

Es erzeugt einen Gordischen Knoten, wo niemend mehr weiss, wo Mensch anfangen soll zu entwirren und das ist ein gefundenes Fressen für alle Zweifelsäher, Wutbürger und (politischen) Oportunisten, die den Themenschwerpunkt dann in irgend eine polemische Richtung stossen, die dann irgenwann alles andere als brauchbar ist:
Wir bleiben weiterhin stehen.

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Elia Blülle
Journalist @Republik
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Guten Tag, Frau Graf

Ich verstehe Ihren Durst und der ist auch berechtigt. Oft gelingt es auch der Republik-Redaktion noch nicht adäquat, diverse Perspektiven hinreichend gut abzubilden.

Trotzdem: Schliesst das eine das andere aus? Ich glaube nicht. Basis für die Entscheidung, Tooze zum Gespräch anzufragen, war seine Expertise und seine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit globalen Krisen. Wenn jemand sein halbes Leben lang über diese Themen nachgedacht und dabei mehrere Standardwerke verfasst hat, sollten wir einer solchen Person – neben ganz vielen anderen – auch zuhören.

Gerne nehmen wir jederzeit Ihre Inputs für andere Perspektiven auf. Wir sind (und das meine ich wirklich ernst) sehr froh um jeden Tipp.

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Versuchen Sie es mal mit Pankaj Mishra, nur so als Beispiel…

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Leser
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Was Sie schreiben ist auch schön und gut, doch auch das langweilt. Ihr Durst ist wohl berechtigt - haben Sie echt in der heutigen Situation das Gefühl, dass in der westlichen Welt Ihre scheinbar völlig unterdrückten Bevölkerungsgruppen keine Stimme haben? Heute ist es ja praktisch ein Vergehen, männlich und weiss (wäh - vielleicht sogar noch alt) zu sein. Ich denke, wir haben nur eine Überlebenschance, wenn wir alle zusammen neue Wege suchen und beschreiten. Und dazu gehören möglicherweise auch die Ideen, die in diesem Artikel geäussert werden.

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Mein Gott, dass mit dem "männlich" und "weiss" ist ja bereits fast wieder "durch"...
so weit sind wir schon mal bei den "Grundprinzipien" und Menschenrechten weiter gekommen... dass es allen klar ist inzwischen...!
Für mich kann es gar nicht langweilig genug sein, Frieden ist wunderbar, dieses Privileg unserer noch derzeitigen Wohlstandsgesellschaft sollte allen klar sein.
Deshalb scheint mir, das Thema "Schweiz und die Neutralitätspolitik" so wichtig.

Man hat berewits mutig Stellung bezogen und bei Teilen von Sanktionen mit gemacht...nächster Gedanke, wie geht es hier weiter, wenn der Krieg eskaliert?
Die Schweiz ist seit zwanzig Jahren Mitglied des Nato-Programms Partnerschaft für den Frieden. Ist Neutralität weiterhin möglich?
Hoffentlich müssen wir das nicht im "Ernstfall" ausprobieren.... obwohl freie Entschlüsse zum Glück noch möglich sind....

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Dann nehmen Sie eine kleine Auszeit von Ihren Tätigkeit als DJ und verfassen Sie selber eine Studie zu den Themen die in diesem Gespräch vorkommen.

Ich lese gerne was Leuten denken die sich gewissermassen über das Weltgeschehen informieren und nachdenken - egal wo sie in dem Diversitätsspektrum einzuordnen sind - auch wenn diese AWM sind

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interessierter Leser
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Beeindruckend und - desillusionierend. Die Schweiz schwimmt als Trittbrettfahrerin mit und meint, sie sei souverän.

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Interessierter Leser
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Eher realistisch als desillusionierend?

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Auch wenn die Überlegungen aus dem Mund eines alten weissen (warum nicht weisen?) Mannes kommen, finde ich das ein spannendes und weitsichtiges Interview, das einen schwierige und unübersichtliche Zusammenhänge etwas besser einordnen lässt. Es wird deutlich gemacht, dass wir unwiderruflich in einer globalisierten Welt leben. Zu viele Probleme betreffen uns alle und können nur gemeinsam gelöst werden. Aber es wird auch aufgezeigt, dass die Komplexität der globalen Probleme alle überfordert und niemand, kein Land, keine politische Macht in der Lage ist, mehr als nur punktuell und reaktiv zu handeln. Optimismus tönt anders. Bezüglich der Schweiz verhält sich Tooze sehr diplomatisch, lässt aber durchblicken, welche zwielichtige Rolle unser Land hinter dem Mäntelchen der Neutralität spielt. Wer Ohren hat, der höre….

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Leserin
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Wie bekommen wir alle diese Krisen bloss unter einen Hut?

Wer ist wir? Die reiche, westliche Welt? Intellektuelle westliche Männer?
Wenn wir versuchen, den Blick des globalen Südens einzunehmen, sieht vieles ganz anders aus. Dann gibt es andere Prioritäten, andere Krisen, andere Herausforderungen.

Hat sich vor dem Angriff auf die Ukraine die breite Oeffentlichkeit, Journalisten eingeschlossen, für die Geschichte Russlands, der ehemaligen Sowjetrepubliken interessiert? Es ging doch nur um Geschäftsmöglichkeiten, garniert mit weltberühmten Kulturhäppchen. Wie sehen wir China und andere Regionen der Welt? Was für historische Interpretationen prägen uns und leiten unsere Fragen an unser unbekanntes Gegenüber? Was für Welt- und Menschenbilder prägen die heutigen Anführer von unterschiedlichsten Staatengebilden? Wir sprechen jetzt oft vom notwendigen Kampf der Demokratien gegen undemokratische Staaten. Aber ist nicht gerade das eine Krise, dass in demokratischen Gebilden ziemlich heftig umkämpft ist, welche Rechte zum Zug kommen sollen? Ob wirtschaftliche Interessen höher gewichtet werden als Menschenrechte, oder es gibt sehr ausgrenzende Vorstellungen, wer in einer Demokratie etwas zu sagen hat.
Nach dem Artikel herrscht die grosse Ratlosigkeit. Vielleicht nicht geeignete Gesprächspartner angesichts der anstehenden Probleme?

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Daniel Meyer
Korrektor Republik
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Liebe Frau D., ja, eine gewisse Ratlosigkeit herrscht auch bei mir. Sie stellen knapp zehn recht fundamentale Fragen, die man allesamt tiefer erörtern könnte. Nur schon die erste, "Wer ist wir?", würde den Rahmen sprengen, wenn man sie nicht nur oberflächlich angehen würde. Der Versuch, all Ihre Fragen zu beantworten, könnte im Rahmen einer ziemlich dicken Schwarte angegangen werden – und auch dann hätte man allenfalls Perspektiven. Aber es ist vielleicht ein bisschen viel, das alles von einem einzigen Interview zu erwarten.
Ich habe von Herrn Tooze ein paar recht gute Gedanken mit auf den Weg bekommen – und ja, auch Fragen. Aber das finde ich ganz in Ordnung so. Manchmal führen mich Fragen fast weiter als (vermeintliche) Antworten. Herzlich, DM

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Leserin
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Guten Abend Herr Meyer, für mich ist es ganz einfach: ich bin über den Titel mit dem "wir" gestolpert. Ich fand es mutig, dieses "wir" zu setzen. Zwei Männer einer bestimmten sozialen Schicht interviewen eine dritten derselben Sphäre. Sprechen diese Männer von sich? Oder meinen sie, auch für mich und für viele andere zu sprechen? An dieser Frage entzündeten sich viele weitere.

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Multifunktional
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Wie bekommen wir all diese Krisen bloss unter einen Hut?

Ihre Fragen und Überlegungen in Ehren. Auch wenn es weltweit sicher noch viele andere Krisen gibt, dürfen wir doch meiner Ansicht nach so „egoistisch“ sein, dass „wir“ uns um diese Krisen kümmern, welche uns hier in Europa/Russland/USA doch stark betreffen. Unabhängig davon, ob „wir“ nun alt, weiss oder was auch immer sind. Nicht dass uns deswegen alle anderen Krisen weltweit egal sein sollten. Das eine tun, das andere nicht lassen…

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Leserin
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Liebe Frau W., und wie halten Sie es mit den Interdependenzen?

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Journalistin
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Danke für Ihre Analyse. All Ihre Fragen hätten ins Interview gehört - haben mir gefehlt.

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(durch User zurückgezogen)

Erstaunlich, dass die Rolle der USA nur in einem Nebensatz bezüglich ihrem Wirtschaftskrieg gegen China erwähnt wird.
Wer hat die europäische Sicherheitsordnung torpediert, im Interesse der eigenen Hegemonie-Ansprüche, wer profitiert von der Blockade der russischen Öl- und Gaslieferungen, welche Rüstungsindustrie boomt jetzt, wer legt die Hände auf die Boden schätze der Ukraine u.a.m.? Diese Fragen sollte man zumindest stellen dürfen.

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Daniel Binswanger
Feuilleton Co-Leiter
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Lieber Herr Sigrist, diese Kritik verstehe ich nicht ganz. Tooze ist genau deshalb interessant, weil er den Wirtschaftskrieg zwischen den USA und China eben nicht unterschätzt, sondern als voraussichtlich viel folgenreicher einstuft als den Konflikt mit Russland. In dem Interview steht das nicht im Zentrum, weil wir erst einmal über den Krieg sprechen wollten. Aber ich hatte den Eindruck, dass das schon sehr deutlich wird. Herzlich, DB

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Vielen Dank, Daniel, für das spannende Interview mit Tooze und die gemeinsame Tour d'Horizon in notgedrungen ziemlich hoher Flughöhe! Im Grunde ist das Gespräch eine Fortsetzung von «Global hilflos» vom letzten Samstag. Darin schriebst Du:

Eine vernünftig geordnete, befriedete Welt ist angewiesen auf globale governance.

Da es dafür jedoch keine wirklich handlungs­fähigen Institutionen gibt, wird eine verstärkte Block­bildung unausweichlich werden. Die demokratischen Verfassungs­staaten müssen kompromisslos zusammen­stehen.
[…]
Eine stabile Weltordnung ist offensichtlich angewiesen auf die Verteidigung politischer Werte. Aber welche Werte teilen wir überhaupt noch? Welche Werte sind wir zu verteidigen bereit?

Die Titelfrage nun war «Wie bekommen wir all diese Krisen bloss unter einen Hut?». Auf diese wie deine vorherigen Fragen, gibt es keine oder nur ernüchternde Antworten.

[D]ie Schwierigkeit liegt darin, dass die Macht­zentren fehlen. Es ist unglaublich, wie wenig Kapazität es in der Politik für eine Synthese all dieser Probleme gibt […].

«Da steh' ich nun, ich armer Tor, Und bin so klug als wie zuvor!» – Schade, ging das Gespräch nicht weiter. Just dann, als es begann spannend zu werden und die Frage virulent wurde: Was tun?

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Daniel Binswanger
Feuilleton Co-Leiter
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Lieber Michel, da hast Du natürlich recht, zwischen meinem Kommentar von letzter Woche und dem Interview gibt es Überschneidungen. Allerdings glaube ich nicht, dass das Interview erst bei der Rage, was tun interessant wird. Ist aus meiner Sicht wirklich ein glänzender Kopf, der zu den wichtigsten Ereignissen der letzten Jahre Bücher geschrieben hat, die zu den dicksten und klügsten gehören. Und jetzt fragen wir ihn, was soll geschehen, und ja, er sagt, ich bin ein wenig ratlos. Ich finde, in dieser reflektierten Form, ist das erst einmal ein wichtiger Befund, einer zu dem man auch stehen sollte. Aber Du hast natürlich recht: einer, bei dem wir nicht stehen bleiben dürfen. Herzlich, Daniel

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Michel Rebosura
Ratsmitglied Project R Genossenschaft
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Lieber Daniel, absolut, das zuvor Gesagte ist ebenfalls spannend. Ich hätte präziser sagen sollen: «wirklich spannend». Denn die Feststellung eines Mangels zieht nunmal die Frage nach dessen Behebung nach sich. Ein regelrechter Hunger nach Antworten stellt sich ein. Aber die Ernüchterung nach dem Rausch falscher Hoffnungen und die Enttäuschung i. S. d. Endes der (Selbst-)Täuschung sind in der Tat die Voraussetzung für der Sache angemessenes und dienliches Handeln. Doch für welches? Eben: Was tun? Ist die Antwort auf das Machtvakuum ein neues Machtzentrum? Wenn ja, welches? Welches sind «die roten Linien»? Was muss gegeben sein, damit sie durchgesetzt werden können?

Interessant war, wie er die Prämissen deiner Fragen unterminierte:

  • Es gibt weder Ordnung noch Unordnung, sondern nur Aggregatzustände (dagegen sein Buch «The Deluge: The Great War, America and the Remaking of the Global Order, 1916–1931»).

  • Es gibt weder Scheitern noch Erfolg irgendeiner global governance, sondern nur zielloses, improvisiertes Durchwursteln.

  • Es gibt weder Deglobalisierung noch lineare Globalisierung, sondern nur andere, komplexe Globalisierungen.

Bei Brit:innen als ehemalige Empire-Bewohner:innen (wie auch bei Amerikaner:innen) ist immer wieder interessant zu beobachten, wie sie im Vergleich zu Kontinentaleuropa sehr auf China fixiert sind – was zuweilen an China-Euphorie oder aber an «Yellow Peril» grenzt.

Wenn wir über Globalisierung redeten, dann redeten wir primär über die Integration Chinas in die Weltwirtschaft.

(Welches «wir»? Wir Briten? Wir Welthistoriker? Wir Geopolitiker?)

So sehr, dass aus der hohen Flughöhe eines Welthistorikers betrachtet, alles andere fast unwichtig erscheint.

Unter globalen Bedingungen sollte man seine eigenen Krisen- und Schock­erfahrungen aber überdenken.

Ok. Wow. Auch wenn ich weiss, wie er es gemeint hat – die Welt sub specie aeternitatis betrachtet –, so finde ich diese Aussage angesichts des Leids und der Auswirkungen auf andere Länder, schon ein starkes Stück.

Am witzigsten fand ich noch den Seitenhieb auf die Schweiz, wobei wir hier dasselbe schon x-mal gehört und gesagt haben (etwa von Frisch und Dürrenmatt, aber auch vielen anderen), so dass sein Zögern eigentlich unnötig war (but he's a gent).

Man könnte von Nutzniessern, von Trittbrett­fahrern oder auch von Profiteuren sprechen, die letztlich die Macht­frage anderen überlassen und sich dadurch neutral verhalten können, auch in Bezug auf möglicher­weise unrecht­mässig angeeignete Ressourcen.

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Aus der Ratlosigkeit, die sich als Unordnung begreift ist nur eine machbare Konsequenz zu ziehen: die Unordnung als die Neue Ordnung zu begreifen. Warum muss immer Machtstreben berücksichtigt werden? Die bisherige Ordnung wurde nach patriarchalischen Kriterien erstellt, sie hatte daher nur einen halben Wert. Da die Menschheit aus zwei polarisierten Hälften besteht, muss endlich die weibliche Hälfte zur Hälfte bei der Konzeption einer Weltordnung beteiligt sein. So einfach ist das. Dann wird auch die waffenanbetende Minderheit, die die waffenablehnende grosse Mehrheit mit Kriegen terrorisiert nicht mehr entscheiden dürfen. Es geht alles in Richtung eines Zusammenbruchs patriarchalischer Dogmen, die hinter der Spannungslage zwischen den Nationalstaaten stehen. Ein Zeichen dafür, das konsequent überhört und vom Tisch gewischt wird ist der Trend zur Regionalisierung, Zersplitterung in national, konfessionell und ideologisch ungebundene, kleine und selbstverwaltete Einheiten.
Also keine gesellschaftlichen Pyramiden, sondern spontane Nivellierung.

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Das Interview fand ich toll. Präzise und hellsichtig! Bitte mehr solche Interviews!

Ich bin gespannt, wie sich die Weltwirtschaft nach der offen durch Putin erklärten Feindschaft gegenüber der demokratischen Welt und mit China auf Russlands Seite weiterentwickelt.

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Interessantes Interview mit einem Gesprächspartner mit Weitblick. Lehrreich die Ausweitung der Perspektive weg von der Fixierung auf punktuelle 'Lösungen' für komplexe Probleme und der daraus resultierenden Rede vom Scheitern und Versagen hin zu einer realistischeren Beschreibung dessen, was Politik heisst:

Frustration finde ich den besseren Begriff, um die gegenwärtige Situation zu beschreiben. Scheitern setzt einen Endpunkt voraus. Und gerade diese Endpunkte fehlen: Klima­konferenzen oder Institutionen wie die Welthandels­organisation WTO scheitern. Aber die Politik setzt nach dem jeweiligen Scheitern sofort wieder an, um neue Lösungs­versuche zu lancieren. Sie rollt den Stein hoch, er fällt runter, dann rollt sie ihn wieder hoch, und er fällt wieder runter. Sisyphus­arbeit. Das ist ein besseres Bild.

Oder:

Die jährlichen Klima­konferenzen sind ein Prozedere, eine anhaltende Verhandlung, und keine in sich schlüssige Lösung für eine globale Klimapolitik.

Frustrierend, wohl wahr. Aber aktuell die Option, die wir haben. Die Illusion, wenn nur die Richtigen die Macht hätten, und diese gross genug wäre, nämlich global, würde man alles Unwägbare in den Griff und unter Kontrolle bekommen, bremst der Interviewte so nüchtern wie höflich aus.

Das ist manchmal ziemlich ernüchternd.

Wie recht der Mann hat.

Interviewtechnisch hätten offenere Fragen vielleicht noch die eine oder andere Überraschung ergeben. Mich hätte bspw. interessiert, was den Geschichtsprofessor mit dem Ölkonzern verband:

Mit BP hatte ich zeitweise sehr viel zu tun.

Aber das nur am Rand.

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Es ist unglaublich, wie wenig Kapazität es in der Politik für eine Synthese all dieser Probleme gibt [..]

Für mich das Schlüsselzitat des Interviews, da wundere ich mich dauernd drüber. Nicht nur bei Regierungen von Grossmächten, sondern auch im Kleinen. Natürlich ist es schwierig und zeitaufwändig und "unproduktiv", sich damit zu beschäftigen, aber wenn man es nicht tut, rennt man halt recht kopflos durch die Gegend.

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Spannendes Interview. Wäre noch interessanter, wenn das Interview mehr in die Tiefe gehen würde. Chinas wachsender Einfluss im Halbleiter-Sektor stimmt mich nicht gerade optimistisch, aber irgendwie scheint das kaum jemanden zu interessieren. Wichtiger ist ja, dass Herr Tooze ein „alter weisser Mann“ ist.

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Neugierig, Digital.
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Chinas Einfluss im Solarbusiness ist auch ziemlich konkret eine Herausforderung, die man sich stellen muss, wenn wir vermehrt auch auf Photovoltaik setzen wollen. Wie geht man damit um?

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Einfach: durch Unterlassen weiterer Bewirtschaftung dieser zum grossen Teil surrealen und hausgemachten Probleme. Das Ausmass, dass diese Angelegenheiten angenommen haben, hätte sich vermeiden lassen. Dafür droht uns jetzt ein auch noch Atomkrieg - bravo, gut gemacht!
Mann müsste vielleicht an das 1 x 1 appelieren, dass man im Spielgruppenalter gelehrt bekommen hat. Nämlich, dass es besser ist einen Streit zu beenden als ihn zu eskalieren. Oder einfach den gesunden Menachenverstand walten zu lassen.
Man muss auch kein Kriegsexperte sein um zu erkennen, dass die Ukraine früher oder später komplett in Schutt und Asche gelegt und dem Erdboden gleichgemacht sein wird. Und dann? Wer zahlt den Aufbau? Von einem atomaren Zwischenfall, der ohne Zweifel auch für uns einiges besiegeln würde, einmal abgesehen: Die Ukraine wird sie sich kaum jemals erholen können von diesem Krieg. Wie soll das bitte zu der Freiheit und der so hoch beschworenen eigenen Identät führen, welche die Ukrainer konstant propagieren? Das ist ein Witz.
Durch den Krieg und seine Folgen werden viele SchweizerInnen (vom RAV ausgesteuerte, EL-BezügerInnen, IV-RentnerInnen usw.) in eine ähnlich schlechte Situation gebracht wie die ukrainischen Flüchtlinge. Einfach mit dem Unterschied, dass die SchweizerInnen keine wirklich grosse Unterstützung bei der Stellensuche erhalten, im Gegensatz zu den Ukrainern/den UkrainerInnen. Und auch kein GA der SBB.

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